Wie wir wohnen wollen (eBook)

Was unsere Städte brauchen, um wieder lebenswert zu werden Ein Bauplan für den Wandel
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-32170-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wie wir wohnen wollen -  Gabriela Beck
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»Unsere Städte kämpfen mit vielen Problemzonen. Dieses Buch zeigt, wo wir anpacken können.« Katja Diehl
Wir leben in Städten, die uns Zeit und Nerven kosten und häufig wirken, als wären sie nicht für Menschen gemacht: steigende Mieten, zu viele Autos, zu wenig Grün und wo man hinsieht Dauerbaustellen. Kein Wunder, dass die Frustration schneller wächst als die städtischen Speckgürtel. Gleichzeitig werden wir unser Wohnumfeld radikal anpassen müssen: an den Klimawandel mit Starkregen und Hitzeperioden, an eine alternde Gesellschaft, an Digitalisierung, neue Mobilitäts- und Energiekonzepte. Ein ?Weiter so? funktioniert nicht mehr - doch darin liegt auch eine Chance.

Machen wir unsere Städte wieder lebenswert! Gabriela Beck zeigt, wie das gelingen kann.

Gabriela Beck ist Dipl.-Ing. für Architektur mit Schwerpunkt Stadtplanung und schreibt seit vielen Jahren als Fachjournalistin zu nachhaltigem Städtebau und Zukunftstrends im Wohnwesen, u. a. für die Süddeutsche Zeitung. Sie ist zudem im Netzwerk Klimajournalisten aktiv. Als Münchnerin erlebt sie selbst die negativen Auswirkungen steigender Mieten und sich verstärkender Wohnungleichheit auf das Stadtgefüge. Langweilige Bauträgerarchitektur ist ihr darüber hinaus ein Dorn im Auge.

GESELLSCHAFT

WIE WOLLEN WIR GEMEINSCHAFTLICH LEBEN?

Unsere Gesellschaft wird immer älter und immer diverser. Darauf müssen sich unsere Städte einstellen, damit sie für alle nutzbar und lebenswert bleiben. Innovative Wohn- und Nachbarschaftsprojekte zeigen, wie trotz aller sozialen und kulturellen Unterschiede Zusammenhalt entstehen kann. Zielgruppengerechte Planungen gestalten öffentlichen Stadtraum und Infrastruktur so, dass beides von allen gleich gut und sicher genutzt werden kann. Denn vielfältiges gesellschaftliches Miteinander macht das urbane Leben aus. Die Stadt als Gemeinschaftsprojekt.

Welche Orte und Plätze in Ihrer Stadt würden Sie Ihren Freunden oder Verwandten zeigen, wenn sie Sie besuchen kommen? Welche Ecken finden Sie besonders anziehend, welche Architektur sagt Ihnen zu, welche Attraktionen gibt es? Ist es vielleicht ein Café mit einer besonderen Atmosphäre, der Platz mit den Sitzbänken und Boulespielern, der Markt mit den lokalen Spezialitäten, eine Straße mit unkonventionellen Läden, ein Bild in einem Museum? Wenn Sie nicht gerade zu den Urban Explorern gehören, die von verlassenen und verfallenden Gebäuden magisch angezogen werden, werden es wahrscheinlich Orte mit Aufenthaltsqualität sein, an denen Sie sich wohl- und sicher fühlen. Eher nicht am Stadtrand gelegen, nicht von Beton umgeben und nicht einsam und ohne Menschen.

Es ist die Vielfalt der Dinge, die Fülle an Möglichkeiten, das Nebeneinander von Unterschiedlichem, welche die Stadt attraktiv machen. Die Stadt als Unterbau gesellschaftlichen Miteinanders, als Einladung für genussvolles Erleben, animierender Freiraum für Kreative und Vordenker*innen. Klingt gut, oder?

Die Realität sieht leider oft anders aus. Die modernen Zentren unserer Metropolen sind selten beflügelnd. Sie sind zu voll, zu laut, zu teuer. Verkehr, Konsum und Eventkultur dominieren die Stadtzentren. Die sind häufig von eintöniger Bauträgerarchitektur und austauschbaren Einkaufsmeilen geprägt. Man sieht es unseren Städten an, wer darin das Sagen hat: Immobilienunternehmen und Investor*innen, Fast-Food- und Handelsketten, die einzig an Profit interessiert sind. Wenn das große Geld die Stadt aufkauft und dirigiert, wird sie zur homogenen Wüste.

Wie konnte es so weit kommen? Die Finanzkrise 2008 und die Reaktion der Europäischen Zentralbank mit einer jahrelangen Nullzinspolitik machten Immobilien mit ihrer vermeintlichen Sicherheit vor Wertverfall zu begehrten Anlageobjekten. Das »Betongold« lockte. Viele Kommunen privatisierten auch schon vorher ihre Bestände, um sich zu entschulden, und sorgten für Rahmenbedingungen auf dem Wohnungsmarkt, mit denen Profit über Gemeinwohl gestellt wurde: Auslaufen von preisgebundenen Wohnungen, Umwandeln von Miet- in Eigentumswohnungen, Verkauf von städtischem Boden an den Höchstbietenden, Bereitstellung von Flächen für private Projektentwickler*innen.

Heute können sich sogar Haushalte mit mittleren Einkommen das Wohnen in vielen Innenstadtvierteln nicht mehr leisten. Und auch der öffentliche Raum wird exklusiver: Luxusgeschäfte allenthalben und immer weniger Sitzgelegenheiten ohne damit verbundenen Konsum. Gentrifizierung nennt man diesen sozioökonomischen Strukturwandel. Die Folge ist eine soziale Entmischung attraktiver Stadtviertel zugunsten zahlungskräftiger Eigentümer*innen und Mieter*innen. Die alteingesessenen Anwohnenden werden aus ihren Vierteln verdrängt, was auf die ungleiche Verteilung sozialer Gruppen im Stadtraum hinausläuft. In benachteiligten, oft migrantisch geprägten Vierteln am Stadtrand bilden sich Parallelgesellschaften. Der als Geldanlage missbrauchte Wohnraum im Stadtzentrum steht oft leer, die Besitzenden weilen lieber in Dubai, Shanghai oder auf den Malediven. Und die aus der Stadt verdrängte Mittelschicht steigert den Flächenfraß in suburbanen Lagen. All das läuft dem Leitbild einer kompakten, funktional und sozial gemischten Stadt entgegen und bedroht den Zusammenhalt der Stadtgesellschaft.

An die regelnden Kräfte des freien Marktes glaubt indes niemand mehr. Und die Stadtbewohner*innen fangen an sich zu wehren. Sie sprayen ihren Unmut an Hauswände, besetzen Häuser, protestieren mit Plakaten, auf denen »Miethaie zu Fischstäbchen« zu lesen steht, fordern Mietpreisdeckel und die Enteignung von Immobilienkonzernen. Initiativen und Baugruppen pochen auf Teilhabe und Mitgestaltung des Stadtraumes.

Wie aber soll die Stadt angesichts des demografischen Wandels aussehen? Wie schaffen wir es, den steigenden Anteil Migrant*innen und alter Menschen sozialgerecht in unsere Städte zu integrieren? Wohnen, Freiraum, Mobilität, soziale und kulturelle Infrastruktur – wie soll das in Zukunft geregelt sein? Und wie verhindern wir das Ausbluten unserer Innenstädte?

Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) schlägt in einer Studie das Zielbild der alltäglichen Innenstadt vor.20 Stadtgestalter*innen müssten sich demnach vom Bild urbaner Zentren mit Fußgängerzonen und Einkaufsstraßen, Altstadtkern und Gastronomiezeilen lösen. Es brauche stattdessen ein neues Verständnis des Stadtzentrums als Ort der Interaktion und gemischten Nutzung: Arbeiten und Wohnen, Kultur und Freizeitgestaltung, Produktion, Handwerk, Dienstleistung – alles gleichzeitig und nebeneinander.

Zur genaueren Betrachtung bietet sich das Quartier als kleinste Einheit von Stadtgesellschaft an. Das unmittelbare Wohnumfeld ist der Ort des täglichen Lebens, soziale Teilhabe ist möglich, verschiedene Dienstleistungen und kulturelle Angebote sind verfügbar. Wer den Zusammenhalt der Gesellschaft fördern will, muss in den Stadtvierteln ansetzen.

Positive Beispiele gibt es einige. Baden-Württemberg zum Beispiel hat mit Quartier 2030 ein Förderprogramm zur gemeinschaftlichen Quartiersentwicklung aufgelegt.21 Die Ideen aus den Kommunen für bereits bestehende Viertel reichen vom Aufstellen eines »Schwätzbänkle« oder eines Infokiosk zu Nachbarschaftsaktivitäten im Quartier über das Betreiben eines Inklusions-Cafés oder einer Quartiersgalerie bis hin zu »Ausbildungslots*innen« für Personen mit Migrationshintergrund.

Wie man eine bestehende Siedlung aus den Fünfzigerjahren sozial durchmischt nachverdichtet, zeigt ein Projektvorschlag im Stadtteil Stuttgart-Rot für die Internationale Bauausstellung IBA27. Die Neubauten sind auf generationengerechtes Wohnen und auch für Personen mit Einschränkungen und Pflegebedarf ausgerichtet und werden sich um ein Netz von kleinen Plätzen und eine zentrale Gemeinschaftswiese gruppieren. Um die bereits vor Ort lebenden Menschen in die weiteren Planungen einzubinden, wurde mitten im Quartier eine »Laborbühne« für Info-Veranstaltungen und Aktionen errichtet. Aus einer reinen Wohnsiedlung soll auf diese Weise ein lebendiges Quartier entstehen, das gemeinschaftliche Wohn- und Arbeitsmodelle sowie barrierearmes Wohnen verbindet.

Die Alte Artilleriehalle in Köln wiederum könnte nach den Plänen des Vereins Wohnwerk bald ein Ort für inklusives Wohnen und Arbeiten werden. 120 junge und alte Menschen mit und ohne Behinderung sollen dort ein Zuhause finden. Ein Viertel der Wohneinheiten ist für Studierende konzipiert, ein Viertel als geförderter Wohnraum für Personen mit geringem Einkommen, ein Viertel wird frei finanzierter Wohnraum für Singles, Paare und Familien und im letzten Viertel entstehen Gewerbeeinheiten, die den Menschen mit Behinderung im Quartier Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Um einen »Dorfplatz« sollen sich eine Rösterei mit Café, ein Restaurant, eine Quartierswerkstatt, ein Spielplatz und ein inklusives Hostel ansiedeln.

Die Stadt Köln hat schon vor einigen Jahren beschlossen, dass sie ihre Grundstücke künftig nicht mehr dem Höchstbietenden verkauft, sondern nur noch ein Erbbaurecht an dem jeweiligen Grundstück übertragen wird. Den Zuschlag erhält das beste Konzept für eine gemeinwohlorientierte Nutzung, sodass möglichst viele etwas davon haben und nicht nur ein einzelner Investor seinen Profit steigert.

Als Gegenreaktion auf den angespannten Wohnungsmarkt vor allem in Großstadtregionen, tun sich auch immer mehr Menschen zu Genossenschaften zusammen oder treten dem Mietshäuser Syndikat bei. Sie erwerben gemeinschaftlich Immobilien oder bauen neu. In der Regel sind die Häuser im kollektiven Besitz, das Eigentum wird formell an eine Genossenschaft übertragen oder eine ähnliche Körperschaft, die nicht gewinnorientiert ist. Die Mieter*innen werden zu ihren eigenen Vermietenden und halten die Mieten auf einem niedrigen Niveau.

Das Besondere am Mietshäuser Syndikat: Alle, die mitmachen, müssen über die Miete hinaus einen Solidarbeitrag zahlen. Mit dem Geld werden finanzschwächere Projekte unterstützt. So können auch Menschen Eigentum bilden, deren Eigenkapitaldecke für einen Immobilienkredit von der Bank zu dünn ist. Sie können ihre Schulden beim Syndikat über die Miete und langsam zunehmende eigene Solidarbeiträge abbauen.22 

In den Wohnprojekten solcher Gruppierungen werden häufig alternative Formen des Zusammenlebens und innovative Wohnkonzepte ausprobiert. Die Idee: Die Mitglieder organisieren und gestalten ihre Wohnumwelt gemeinsam und selbstbestimmt.

In der Berliner Genossenschaft Möckernkiez zum Beispiel lenken die rund 900 Anwohnenden die Geschicke ihres Viertels. Dort hat niemand Angst vor der nächsten Mieterhöhung. Der Kiez ist auto- und zum größten Teil barrierefrei, es gibt Sandkästen, Sitzbänke und viele...

Erscheint lt. Verlag 23.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2024 • Allgemeinbildung • alternative Wohnkonzepte • Bauen und Modernisieren • baugenossenschaft erfahrung • Demografischer Wandel • Digitale Stadt • dorf der zukunft • eBooks • einfamilien haus finden • Flächenversiegelung • Großstadtleben • Großstadtleben und Psyche • Heimat • Klimawandel • Maja Göpel • Mietpreisbremse • nachhaltig bauen • Nachhaltiges Bauen • Neuerscheinung • neue Sachbücher • Öffentlicher Raum • Stadt der Zukunft • Städtebau • Stadtentwicklung • Stadtplanung • Verkehrswende • Vonovia • Was macht Politik falsch • Wohnungsmangel • Zukunft des Wohnens
ISBN-10 3-641-32170-0 / 3641321700
ISBN-13 978-3-641-32170-3 / 9783641321703
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