Das Prinzip Trotzdem (eBook)

Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen

(Autor)

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2024 | 1., Originalausgabe
224 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-78126-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Prinzip Trotzdem - Roger de Weck
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Autoritäre Populisten trumpfen auf. Desinformation und Fake News grassieren. Und der Journalismus, der dem wehren sollte? Er kommt aus der Krise nicht heraus. Es gibt zwar mehr Medien, aber immer weniger Mittel für den Journalismus. Verlage wollen ihre Einbußen wettmachen, indem sie noch mehr laute Meinungen und Soft-Themen bringen. Doch die »Boulevardigitalisierung« nützt just den Populisten, die sich derselben Stilmittel bedienen: Zuspitzung, Skandalisierung, Aufregung.

Roger de Weck liebt Journalismus als Beruf. Er kennt ihn in allen Facetten - als Zeitungsmacher und Rundfunkchef, Reporter und Moderator. Und er macht sich Sorgen, weil die Gesetze des Medienbetriebs und die des Journalismus immer weiter auseinanderlaufen. Dagegen setzt de Weck auf das »Prinzip Trotzdem«: Recherchieren, abwägen, sich treu bleiben - trotz Sparmaßnahmen, trotz X & Co. Doch wie geht das? Der Autor zeigt, wie sich Journalismus stärken lässt. Denn ohne diesen wertvollen Spielverderber läuft das Spiel nicht in der Demokratie.



Roger de Weck, geboren 1953, war Zeit-Chefredakteur, Generaldirektor des Schweizer Radios und Fernsehens, Mitglied des Zukunftsrats für Reformen bei ARD, ZDF und Deutschlandfunk. Im Suhrkamp Verlag erschien zuletzt <em>Die Kraft der Demokratie</em>, das mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch 2020 ausgezeichnet wurde.

9

Einleitung
Die Kunst heute ist, Journalismus zu machen trotz der Medien


Journalismus ärgert. Der gute Journalismus erbost diejenigen, die er treffsicher kritisiert. Der schlechte Journalismus ist sowieso eine Plage. Am schlimmsten aber ist die Absenz von Journalismus. Demokratisch gesinnte Menschen vermissen ihn schmerzlich in Diktaturen, die keine unabhängige Presse dulden. Und vielerorts im Westen verabschiedet sich der Journalismus vom Journalismus: von seinem Berufsethos und Berufsstolz, von seiner Herkunft als Kind der Aufklärung, von seinem Dienst an der res publica – just zu dem Zeitpunkt, da Desinformationen grassieren und autoritäre Populisten die Demokratie bedrängen. Der Journalismus findet nicht aus seiner Krise, warum?

Es gibt immer mehr Medien, aber immer weniger Mittel für den Journalismus. Online-Märkte, Google, Facebook und andere digitale Plattformen vereinnahmen die Werbung, die einst den Journalismus finanzierte. Zahlreiche Presseverlage wollen ihren Niedergang aufhalten, indem sie das Angebot graduell boulevardisieren, viele Soft-Themen und laute Meinungen bringen. Um Digital-Abonnements und Klicks zu erzielen, tun sie fast alles. Und solche »Boulevardigitalisierung« 10nützt den Populisten, die sich derselben Stilmittel bedienen, Aufregung und Zuspitzung.

Taktgeber sind die sozialen Medien. Viele journalistische Medien ahmen sie nach, statt sich zu unterscheiden. Ähnlich wie Posts auf Instagram sind zahllose Artikel und Videos auf dem Egotrip. Ich-Journalismus ist angesagt, und oft nimmt dieses Ich mehr Platz ein als der Gegenstand der Berichterstattung. Wie TikTok-Influencer betreiben sogar Qualitätszeitungen life coaching. Täglich beglücken sie die Leserschaft mit Tipps für ein langes Leben, ein erfülltes Liebesleben, neues Sexleben, ausgeglichenes Familienleben, optimiertes Büroleben und testamentarisch wohlgeordnetes Ableben.

Schnelle Interviews anstelle der gründlichen Auseinandersetzung mit einem Thema: Allzeit befragte Expertinnen und Experten haben jenes Wissen einzubringen, das Schrumpfredaktionen abgeht. In Unkenntnis der Fakten freilich hat man umso schneller eine Meinung. Die Meinungsinflation im Journalismus wie bei X & Co. entwertet sowohl die Fakten als auch die Meinungen als auch die Medien.

Alle Viertelstunde ist ein neuer Beitrag ins Netz zu stellen, in den meisten Redaktionen wird mehr produziert und weniger recherchiert. Viele gescheite Köpfe meiden oder verlassen eine Branche, die seit drei Jahrzehnten vornehmlich abbaut, statt zu investieren. Der Braindrain läuft, er ist die größte Gefahr, von der am wenigsten die Rede ist.

11All das mindert zusätzlich den Stellenwert des Journalismus, der sein Monopol als Vermittler von Informationen verloren hat. Darauf reagiert er nervös. Die mediale Aufgeregtheit macht nicht wenige Menschen »nachrichtenmüde«; still und leise gehen sie auf Abstand zum Medienbetrieb. Das stachelt diesen an, erst recht alle Schliche anzuwenden, um Klicks zu ergattern, abermals auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Ein Teufelskreis.

Er lässt sich durchbrechen. Es gibt Grund zum Optimismus, zu einem »sorgenvollen Optimismus«, wie US-Außenministerin Madeleine Albright zu sagen pflegte. Der Medienbetrieb bringt zwar jeden Unsinn, der sich schreiben, ausstrahlen oder ins Netz stellen lässt. Aber dann kritisiert er ebendiesen Unsinn. Journalismus ist hoch anfällig – und entfaltet starke Abwehrkräfte. Keine Branche ist dermaßen selbstgerecht und zugleich dermaßen selbstkritisch.

Wie die Demokratie ist Journalismus der vorweggenommene Verzicht auf Perfektion, zugunsten von Versuch und Irrtum, Lernfähigkeit und kleinen Schritten nach vorn. Von der Demokratie wie vom Journalismus lässt sich sagen: Vieles läuft schlecht, doch ohne sie liefe es noch schlechter. Der Fluch ist ein Segen. Und so wie die Demokratie aus der Imperfektion des Menschen das Bestmögliche macht, so leistet der Journalismus auf imperfekte Weise insgesamt hervorragende Dienste an der Demokratie, aber nicht nur, nicht immer und nicht automatisch. Auf dieses »insgesamt« 12kommt es an: Wie entwickelt sich per Saldo das Verhältnis zwischen guten Diensten und Bärendiensten?

Journalismus beeinflusst die Voraussetzungen von Demokratie – die politische Kultur; die Sachlichkeit der Debatte und Qualität der Meinungsbildung; die entsprechende Lernbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger; ihren mehr oder minder ausgeprägten Gemeinsinn; und den Zusammenhalt des Gemeinwesens – kurzum die Kraft der Demokratie.1 Und wo diese jetzt angefochten wird: Gäbe es denn nicht einen demokratiefreundlicheren Journalismus?

Die Presse ist zugleich ein Fundament und eine Infrastruktur der Demokratie. Doch die meisten Verleger, Medienmanagerinnen, Redakteure und Journalistinnen ziehen daraus einen falschen Schluss: Sie haben die Vorstellung verinnerlicht, dass alles, was sie tun, letztlich der Demokratie nütze. Dass der wildgewordene Kampf um Aufmerksamkeit diese Demokratie beschädigen kann, wollen viele Medienleute ungern wahrhaben. Einzelne Fachportale wie uebermedien.de, eine Gründung des Journalisten Stefan Niggemeier, pflegen eine konsequente Branchenselbstkritik. Einzelne gestandene Redakteurinnen und Redakteure nutzen ihre Talkshow-Auftritte, um Untugenden des eigenen Gewerbes zu erörtern. Aber in den Publikumsmedien gilt die Debatte mehr den Fragen des Handwerks und der Haltung, etwa dem geeigneten journalistischen Umgang mit der AfD, als strukturellen Missständen. Der Medienbetrieb erörtert am laufenden Band Fehlent13wicklungen in Politik und Wirtschaft, aber oft verdrängt er die Folgen eigener Auswüchse. Dabei ist dies ein hochaktuelles Thema. Populismus und der raumgreifende »Boulevardismus« bilden eine Art objektive Allianz, die per Provokation und Bewirtschaftung von Ängsten und Aufgeregtheiten die Wählerschaft bzw. Nutzerschaft maximiert. Journalismus kann sehr wohl die Feinde der Pressefreiheit stärken.

Die Gesetze des Journalismus und die des Medienbetriebs laufen auseinander. In diesem Spagat besteht die Kunst darin, Journalismus zu machen trotz der Medien: trotz Medienkrise, trotz Medienkonzentration, trotz des Abbaus in Redaktionen, trotz der globalen Plattformen, trotz des kommerziellen Drucks, trotz erodierender Gehälter und Honorare, trotz »Lügenpresse, halt die Fresse«, trotz der postfaktischen Ära. In seinem Wesen wie in seiner Arbeit weiterhin dem »Prinzip Trotzdem« zu folgen – das ist die Aufgabe des Journalismus.

Der 2009 verstorbene (und branchenüblich bald vergessene) Reporter Andreas Kohlschütter hat dieses »Prinzip Trotzdem« formuliert und vorgelebt. Anfang der 1980er Jahre entsandten ihn die damals liberale Weltwoche und Die Zeit für drei Wochen nach Afghanistan, drei Monate später kehrte er zurück. Und war der weltweit Allererste, der warnte, dass die vom US-Geheimdienst CIA damals geförderten Gotteskrieger das Verhängnis des Westens seien und nicht sein Instrument.

14Wenn Fachleute journalistische Beiträge zu ihrem Wissensgebiet lesen, sehen sie oft Fehler, Ungenauigkeiten, Unkenntnis relevanter Zusammenhänge, falsche Proportionen. Manchmal aber besticht und begeistert das kompetente Durchdringen des Stoffs. Das ist die Journalismuschance.

Die Journalismuskrise wiederum ist Bedeutungs-, Identitäts-, Renditekrise. Sie zu meistern ist umso dringlicher, als die Machtwelt der Politik jeden Akteur, der schwächelt, weiter zu schwächen pflegt. Die Überwachungsgesellschaft will die Pressefreiheit einengen, nicht etwa ausweiten.

Die Kapitel 1 bis 3 zeichnen ein kleines Sitten- und Unsittenbild des Journalismus in Geschichte und Gegenwart. Kapitel 4 schildert den laufenden Generalangriff auf die Medienfreiheit. Die Kapitel 5 bis 7 skizzieren, was zu tun ist, wie sich der Journalismus selbst helfen kann und wie der Staat helfen muss. In Deutschland sollten die Regierungen in Bund und Ländern eine »Journalismuspolitik« entwickeln anstelle der herkömmlichen Medienpolitik. Vorrangig ist es, den Journalismus zu fördern und nicht den Medienbetrieb, der verrücktspielt. Doch wie sieht Journalismuspolitik aus? Im Kern: Staatliche Förderung bestärkt die Staatsferne und Freiheit des Journalismus, sofern eine unabhängige Förderinstanz allgemeingültige feste Regeln anwendet.

...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte aktuelles Buch • ARD • Bücher Neuererscheinung • Clickbaiting • Demokratie-Krise • Digitale Medien • Digitalisierung • edition suhrkamp 2863 • Elon Musk • ES 2863 • ES2863 • Lügenpresse • Neuererscheinung • neues Buch • Öffentlichkeit • Öffentlich-rechtlicher Rundfunk • Politische Kultur • Propaganda • Social Media • Twitter • Vierte Gewalt • X • ZDF
ISBN-10 3-518-78126-X / 351878126X
ISBN-13 978-3-518-78126-5 / 9783518781265
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