Demokratie neu denken (eBook)
223 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45535-8 (ISBN)
Andrea Römmele ist Professorin für Politische Kommunikation und Vizepräsidentin an der Hertie School in Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Demokratie, Wahlen und politische Parteien. Sie studierte an der Universität Heidelberg und der University of California in Berkeley und habilitierte sich an der FU Berlin. Wichtige Stationen ihrer Karriere waren u.a. das Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES), die Johns Hopkins University in Washington DC und das Wissenschaftszentrum Berlin. In ihrer ARD-Reportage »Demokratie verstehen« erklärt sie Politik und Demokratie einer breiten Öffentlichkeit. Link zur Website von Andrea Römmele: www.andrearoemmele.de
Andrea Römmele ist Professorin für Politische Kommunikation und Vizepräsidentin an der Hertie School in Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Demokratie, Wahlen und politische Parteien. Sie studierte an der Universität Heidelberg und der University of California in Berkeley und habilitierte sich an der FU Berlin. Wichtige Stationen ihrer Karriere waren u.a. das Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES), die Johns Hopkins University in Washington DC und das Wissenschaftszentrum Berlin. In ihrer ARD-Reportage »Demokratie verstehen« erklärt sie Politik und Demokratie einer breiten Öffentlichkeit. Link zur Website von Andrea Römmele: www.andrearoemmele.de
Einleitung: Demokratie neu denken!
Deutschland im Jahr 2035: Der Klimawandel ist so weit fortgeschritten, dass die Straßen der Republik von Palmen gesäumt sind. Die Gesellschaft ist tief gespalten. Die Gräben ziehen sich durch Nachbarschaften und Familien. Von Nachbarschaftshilfe und Familiensinn keine Spur. Frust, Aggression und blanke Angst breiten sich stattdessen immer weiter aus. Unsere dysfunktionale Demokratie führt zu flächendeckender Überforderung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Dringend benötigte Arbeitskräfte aus anderen Ländern meiden unsere Un-Willkommenskultur und migrieren vorzugsweise in andere europäische Länder – weil die Stimmung bei uns derart aufgeheizt, ja: ausländerfeindlich ist. Der Fachkräftemangel ist ganzheitlich geworden. Wir brauchen Hilfe. Und widersinnigerweise sind das alles willkommene Steilvorlagen für Populisten: Die AfD wird in Koalition mit der rechtsextremen Partei Initiative Ost bei der nächsten Bundestagswahl wahrscheinlich die absolute Mehrheit erringen und den Bundeskanzler stellen. Diese Koalition wird ihre Forderungen nach einer strikten »Remigration« und einem Austritt Deutschlands aus der EU wahr machen. Das wäre ein Gamechanger für unser Land und eine Beschleunigung der Abwärtsspirale.
Es könnte aber in einem Jahrzehnt auch ganz anders aussehen.
Viele Menschen arbeiten engagiert und eng zusammen und entwickeln in Bürgerräten und digitalen Denkfabriken gemeinsam mit Politikerinnen und Politikern innovative Lösungen für mehr Klimagerechtigkeit, für sichere Renten und bezahlbare Wohnungen. Der nationale Bürgerrat »Zukunft des Wohnens« legt im Mai 2035 seine Ergebnisse zur Förderung neuer Wohnformen vor. Die Politik hat im Vorfeld schon zugesichert, diese gesetzlich umzusetzen, sie genießt das Vertrauen der Bevölkerung. So ist Politik als Beruf wieder attraktiv geworden und angesagt. Menschen möchten gestalten. Zwar ist der Klimawandel deutlich spürbar, doch der 100-prozentige Umstieg auf erneuerbare Energien ist fast vollzogen, nur jeder dritte Haushalt hat noch ein Auto, zumeist ein E-Auto.
Auch diese Entwicklungslinie wäre ein Gamechanger, der die Abwärtsspirale in einen Aufwärtstrend des gesellschaftlichen Aufeinanderzugehens und Miteinanders umgekehrt hat.
Dies sind zwei denkbare Szenarien, zwei Möglichkeiten von vielen, wie sich Deutschland im kommenden Jahrzehnt entwickeln könnte. In einer offenen Gesellschaft haben wir eine Wahl. Davon handelt dieses Buch. Ich möchte Sie gerne mitnehmen auf eine Reise in die Zukunft der Demokratie.
Natürlich: Die Zukunft ist offen, vieles lässt sich nicht vorhersagen. Der Terroranschlag vom 11. September 2001 auf das World-Trade-Center in New York, die globale Finanzkrise 2008, die Corona-Pandemie, die zerstörerische Jahrhundertflut im Ahrtal 2021 oder der Überfall Russlands auf die Ukraine 2022 haben die Welt verändert. Und selbst wenn einige wenige es so haben kommen sehen, die meisten von uns ebenso wie die meisten Politikerinnen und Politiker wurden doch kalt erwischt.
In einer Demokratie können die Bürgerinnen und Bürger die Zukunft aber mitgestalten. Denn in der Regel kündigen sich große politische, ökonomische oder gesellschaftliche Veränderungen an, sie vollziehen sich prozesshaft und langsam. Viele akute Krisen und disruptive Ereignisse sind nur die sichtbare Folge eines schon lang andauernden Trends, den die Wissenschaft schon früh vorgezeichnet hat. Diese Trends gilt es zu verstehen, zu durchdenken und mögliche Konsequenzen zu antizipieren. Das ist der Ausgangspunkt meines Buches.
Deutschland, Europa und die Welt stehen an der Schwelle zu einer neuen Ära. Das Zeitalter westlicher Vorherrschaft geht zu Ende. Autokraten gewinnen an Einfluss. Rechtspopulistische Parteien fordern die Demokratien heraus. Der seit 2010 jährlich erhobene Demokratie-Index der britischen Zeitschrift The Economist misst den Grad der Demokratie in 167 Ländern anhand verschiedener Faktoren. Der jüngste Index für das Jahr 2023 wurde im Februar 2024 veröffentlicht und zeigt, dass derzeit weniger als die Hälfte der Weltbevölkerung in Demokratien lebt: 45,7 Prozent.1 Der Bertelsmann Transformation Index (BTI) untersucht die Demokratisierung in Schwellenländern und kommt in seiner jüngsten Studie zu dem Ergebnis, dass die Demokratie in immer mehr Schwellenländern erodiert. Vielerorts bauen Staatschefs ihre Länder zu Autokratien um. Insgesamt wurden in der Studie 137 Schwellen- und Transformationsländer untersucht: Demnach sind 74 Autokratien gegenüber 63 Demokratien inzwischen in der Überzahl.2
Wir stehen am Scheideweg. Gesellschaftliches Miteinander oder Gegeneinander, Fakten oder Fake, Künstliche Intelligenz als Fluch oder Segen, die EU als Bürokratiemonster oder Zukunftsmodell, die USA als Partner oder auf Abwegen, Abschied vom Atom oder neues nukleares Zeitalter: Viele politische Weichen werden in den kommenden Jahren neu gestellt werden. Welchen Einfluss können, ja: müssen wir da nehmen?
Viele Menschen haben aufgrund multipler Konflikte resigniert oder haben Angst vor sozialem Abstieg. Angesichts einer Politik, die permanent im Krisenmodus zu regieren hat, glauben sie nicht mehr daran, dass die Zukunft planbar und daher auch nicht gestaltbar ist. Aber wir können die Zukunft lesbar machen. In der Wirtschaft spricht man hier gerne von »Risk Management«. Aber was bedeutet das: die Lesbarkeit der Zukunft? Wie kann Zukunft lesbar gemacht werden? Experten nennen es »Futuring«. Damit ist gemeint, in einem scheinbar konturenlosen Grundrauschen Signale und Trends zu erkennen. Zweifellos braucht auch die Politik mehr Risk Management und Futuring.3
Natürlich müssen Politikerinnen und Politiker, insbesondere wenn sie Regierungsverantwortung tragen, das kurzfristige Krisenmanagement beherrschen. Aber ebenso müssen sie über das Handwerkszeug sowie die institutionelle Infrastruktur verfügen, um langfristige Probleme zu antizipieren und nachhaltig damit umzugehen. Politik muss in der Lage sein, in Szenarien zu denken. Nur so gelingt es, Zukunft positiv zu gestalten, und nur so können wir die enormen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen bewältigen. Niemand hat diesen Anspruch an die Politik eindringlicher formuliert als das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr 2021, als es die Bundesregierung und den Bundestag zu einer Reform des Klimaschutzgesetzes zwang. Das Gericht stellte in seinem Urteil fest, dass die heute unzureichende Klimaschutzpolitik die Freiheits- und Grundrechte zukünftiger Generationen beinträchtige. Den initialen Anstoß zu diesem Urteil gaben übrigens Jugendliche von den Nordsee-Inseln Pellworm und Langeoog, die in Karlsruhe geklagt hatten mit der Begründung, ihre Heimat sei durch den steigenden Wasserspiegel und extreme Wetterereignisse bald unbewohnbar. Der Staat tue zu wenig, um ihre Zukunft zu sichern.4
Mit demokratischen Mitteln leisteten diese Jugendlichen einen erheblichen Beitrag zur Zukunftsgestaltung – und zugleich stellt sich die Frage, wie der Klimawandel, der Jahr für Jahr weiter Fahrt aufnimmt, überhaupt noch beeinflusst werden kann.
Ausgangspunkt meiner Überlegungen sind gesellschaftliche Megatrends. Megatrends – was ist das? Es sind Veränderungsprozesse, die zunehmend sämtliche Lebensbereiche erfassen: gesellschaftliche, wirtschaftliche, ökonomische. Megatrends sind Tsunamis in Zeitlupe, Explosionen in Slow Motion. Es sind globale Trends, denen wir uns nicht entziehen können. Sie passieren. Aber nicht im Sinne von Passage, indem sie an uns vorbeiziehen. Gefühlt rollen sie auf uns zu, aber entwickeln sich aus vorangegangenen Weichenstellungen. Megatrends bezeichnen stark verflochtene Veränderungsdynamiken und zwingen uns akut zum Handeln. Sie machen die hochkomplexen Veränderungsdynamiken unserer Gesellschaft und unserer Welt vorstellbar und eröffnen so die Möglichkeit, politische Handlungsansätze zu finden, um die Entwicklung handhabbar zu machen.5
In diesem Buch werde ich fünf Megatrends vorstellen und die daraus resultierenden Folgen für unsere Demokratie erörtern. Zu jedem Megatrend habe ich zudem drei fiktive Reportagen geschrieben, die sich konkret und anschaulich mit den Auswirkungen dieser großformatigen Trends auf unsere Demokratie beschäftigen. Es sind Szenarien, die helfen sollen, die Herausforderungen der Zukunft zu veranschaulichen. Natürlich gäbe es...
Erscheint lt. Verlag | 18.9.2024 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Demografischer Wandel • Demokratieentwicklung • Demokratieforschung • Digitalisierung • Dystopie • Gemeinwohl • Gesellschaft • Klimawandel • Lebenschancen • Liberalismus • Megatrends • Migration • Mitbestimmung • Politik • Politische Kommunikation • Trendforschung • Urbanisierung • Utopie • Zukunftsforschung • Zukunftsszenarien • Zukunftstrends |
ISBN-10 | 3-593-45535-8 / 3593455358 |
ISBN-13 | 978-3-593-45535-8 / 9783593455358 |
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