Zur Kolonialität von Kupfer (eBook)
310 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-46037-6 (ISBN)
Noam Gramlich, Dr. phil., ist Medienwissenschaftler*in im Universitäts- und Museumskontext.
Noam Gramlich, Dr. phil., ist Medienwissenschaftler*in im Universitäts- und Museumskontext.
Einleitung: Elektrizität, eine neue koloniale Zeit
Seit der sogenannten Digitalen Revolution wächst der Weltmarkt für Metalle und Mineralien kontinuierlich. Der Abbau von Tantal, Eisen, Kupfer, Aluminium, Kobalt, Palladium und anderen geologischen Stoffen für Solaranlagen, Handys, Glasfaserkabel und Elektroautos ist ab den 2010er-Jahren um bis zu 133 Prozent gestiegen (vgl. Jalbert u. a. 2017). In Form von Leiterplatten, RFID-Chips oder Kabeln ist insbesondere Kupfer wegen der hohen Leitfähigkeit, einfachen Wiederverwertbarkeit und Verarbeitung zum Element jeder Daten- und Energieübermittlung geworden. Die Nachfrage nach dem Metall, die in den kommenden Jahrzehnten weiter ansteigen wird, begann circa 1850 mit dem Aufkommen der Elektrizität. Seit 1900 wurden 700 Millionen Tonnen Kupfer weltweit abgebaut (vgl. USGS o. J.).
Obwohl Kupfer in exzessivem Maß extrahiert, verarbeitet und verschifft wurde, um zum Kern der Medienfunktionen des Übertragens, Speicherns und Prozessierens zu werden (vgl. Winkler 2015), entstand in Ländern des Globalen Nordens1 ein gegenteiliger Diskurs. Kupfer sowie Stahl oder Erdöl, die nach dem Ausbau globaler Infrastrukturen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts in Tonnen nach Europa und die USA strömten, wurde dort mit Träumen unendlicher Formbarkeit und Immaterialität begegnet (vgl. Gramlich 2023; Asendorf 1989; Lyotard 1985, 83–84). Da Elektrizität und Daten in Hochgeschwindigkeit durch Kupfer geleitet werden, entstand bei den Medienbenutzer*innen der Eindruck, Raum und Zeit zu überwinden. Das 21. Jahrhundert erbte diese Imagination und wandelte sie in die Ausschließlichkeit von Code und Protokoll (vgl. Starosielski 2015, 6). In Ortlosigkeit, Fluidität und Immaterialität zu denken, ist jedoch abhängig vom Standpunkt.
Der Zusammenhang zwischen Bergbau und Medienkulturen verweist auf eine koloniale Geschichte, die bereits Mitte des 16. Jahrhunderts begann. Die spanische und portugiesische Ausbeutung der Silber- und Goldminen in Peru und Bolivien ermöglichte erst die Fotografie und das Kino (vgl. Cubitt 2014, 280; Levin u. a. 2022). Die unter den europäischen Mächten willkürlich vorgenommene Aufteilung Afrikas in den Jahren 1884 und 1885 wiederum sollte einen »Bergbaukontinent« (Reinhard 2016, 1006) entstehen lassen, durch den elektronische Medienkulturen gesichert werden sollten. Mit den europäischen Kolonisierungs- und Konzessionsbestrebungen wurden unter anderem Südafrika, Simbabwe, Sambia, DR Kongo, Tansania, Gambia, Nigeria und Namibia zu den bis heute privilegierten Ländern der Förderung und Ausbeutung von Metallen und Mineralien (vgl. Mbembe 2014, 84; Mudibme 1988, 15; Mostert u. a. 2016, 95; Ogunbadejo 1985). Vor dem Hintergrund der kolonialen Extraktion auf dem afrikanischen Kontinent schreibt der panafrikanische Historiker Walter Rodney bereits 1972: »[T]he colonial epoch was the Age of Electricity.« (vgl. Rodney 1981, 179) In diesem Buch gehe ich zurück an den Punkt, an dem europäische bzw. deutsche Medienkulturen eine koloniale Verbindung eingegangen sind.
In der Aufarbeitung zu deutschem Kolonialismus wurden ökonomische Fragen bisher oft vernachlässigt. Die deutsche Kolonialökonomie gilt gemeinhin meistens als unprofitabel, weswegen laut der Historikerin Birthe Kundrus eine literatur- und kulturwissenschaftliche Untersuchung der »Phantasmagorien« (Kundrus 2003, 15) ausreichend sei. Vom Standpunkt Peter H. Katjavivis sieht dies anders aus, denn, so der Politikwissenschaftler: »It was the natural and mineral wealth of Namibia that led to the Germans creating this system of exploitation of Namibian labour and resources.« (Katjavivi 1988, 12) Namibia wurde um sein »natürliches Erbe gebracht« (Referat SWAPO 1981, 59). Bereits um 1900 waren die Kupfervorkommen in Deutschland nahezu ausgeplündert, weswegen Namibia, das als Deutsch-Südwestafrika (DSWA)2 kolonisiert wurde, in den Fokus der Kolonialinteressen geriet. Dort waren »Kupfer und andere wertvolle Metalle […] in mächtigen Lagern vorhanden« (Fabri 1884, 15). In den nächsten Jahren sorgten koloniale Akteure3 für die radikale Unterwanderung der Kupfermine im nordnamibischen Tsumeb. Die Geschichte der kolonialen Enteignung und Ausbeutung in Tsumeb ist, wie hier gezeigt werden soll, auf vielfache, oft unbemerkte Weise mit Medienkulturen verwoben.
Die offizielle Geschichte Tsumebs, von denen in den Archiven berichtet wird, beginnt meistens mit den kolonialen Minengesellschaften, wie der South West Africa Company Ltd. (SWAC) und der Otavi Minen- und Eisenbahn-Gesellschaft (OMEG). Die Vertreter der oft von finanzstarken Banken getragenen Gesellschaften verhandelten günstige Konzessionen über Land- und Minenrechte mit der deutschen Regierung, ließen Schächte bauen, erkundeten das geologische Gehalt der Erze und verschifften Tonnen von Materialien erst zur Untersuchung, dann zur Verhüttung nach Europa. Im Jahr 1906 folgte die Finalisierung der Bahnstrecke zwischen Tsumeb und Swakopmund, dann der Bau der Hochdruckleitung und eine erste Schmelzanlage mit zwei Hochöfen. Bereits 1907 wurde, nachdem der Tagebau abgetragen war, zum Tiefbau übergegangen. Um die Mine entstand die Stadt Tsumeb. Bis auf die Weltkriege, in denen die Produktion zum Erliegen kam, wurde der Bergbaubetrieb sukzessive auf 1.500 Meter Tiefe gesenkt. Die extrahierten Tonnen an Kupfer, Blei, Zink, Germanium und Gallium wurden vorrangig nach Deutschland und in die USA verschifft. Im Jahr 1945 übernahm ein nordamerikanisch-kanadisches Investorennetz, das die Industrialisierung der Mine weiter vorantrieb, welche wegen des steigenden Kupferpreises – erneut ausgelöst durch die globale Technologisierung – für Spekulationen attraktiver wurde. Im Zuge des Widerstands gegen das Apartheidsystem nahmen 1971 die Streiks der Arbeiter*innen gegen die Vertragsarbeit zu (vgl. Nujoma 2009, 62). Obwohl Tsumeb weltweit als einer der reichsten Extraktionsorte nicht nur für Kupfer gilt, schloss die Mine wegen anhaltender Streiks und Überschwemmungen im Jahr 1996. Heute ist noch der Schmelzer aktiv.
Dies ist, grob umrissen, die oft erzählte Geschichte Tsumebs, die bis heute ausschließlich aus einer weißen4, meist deutschen Perspektive von Hobbyhistoriker*innen verschriftlicht wurde und größtenteils den Narrativen von Freiheit, Fortschritt und Industrialisierung folgt (vgl. Gebhard 1991; Schatz 1997; Söhnge 1967). Auch diese Arbeit ist aus einer weißen und europäischen Perspektive geschrieben, grenzt sich jedoch von der bestehenden Literatur durch den medienwissenschaftlichen und situierten Ansatz ab. Eine post-, anti- und dekoloniale Arbeit zur Kupfermine in Tsumeb zu schreiben, operiert in einem theoretisch-methodischen Rahmen, in dem Positionalitäten, Disruptionen, Kolonialität, aber auch anti-kolonialer und anti-extraktivistischer Widerstand in den Vordergrund rücken. Eine solche Arbeit schreibt gegen naturalisierte Vorstellungen von Immaterialität, technologischer Überlegenheit des Globalen Nordens und Weißsein an. Mehr als nur die geologische Materialität5 von Medientechnologien vor dem kolonialen Hintergrund Tsumebs ›aufzudecken‹ und Immaterialität als Mythos zu entlarven, wird gefragt, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass der den Medienkulturen vorausgehende materielle Exzess unwahrnehmbar wurde. Wird oft die räumliche Distanz zwischen Extraktionsort und Mediennutzer*innen als Grund für die Unsichtbarkeit extraktivistischer Praktiken angeführt, sind es doch gerade Medientechnologien, denen zugeschrieben wird, die Welt zu einem »Globalen Dorf« (McLuhan 1960, 39) zu machen. Dieses Paradox – eines der zahlreichen für die Moderne typischen (vgl. Trouillot 2002, 95) – ist der Ausgangspunk dieser Arbeit, in welcher der Annahme gefolgt wird, dass keine räumliche Distanz, stattdessen jedoch primär eine epistemische Trennung gebildet wurde, in deren Kern der Begriff »Rohstoff« steht.
Mit Daniel Gethmann und Florian Sprenger kann das Kupferkabel als eine Einladung an die Medienwissenschaft verstanden werden, sich den unscheinbaren Medien, denen »Medien selbst wiederum zugrunde liegen« (Gethmann/Sprenger 2014, 12), zu widmen. Für Kupferkabel gilt, dass diese nicht nur »Verbindungen innerhalb dessen her[stellen], was Welt genannt wird«, vielmehr »definieren sie durch ihre Verbindungen neu, was Welt genannt werden kann« (ebd., 11). Denn »Kabel werden nicht einfach in bestehende Räume integriert, sondern erzeugen […] ein neues Raumgefüge«...
Erscheint lt. Verlag | 18.9.2024 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Kommunikation / Medien ► Medienwissenschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Ausbeutung • Harold Innis • Kupferabbau • Kupfervorkommen • mediengeologische Perspektive • Medientheorie • Medien und Rohstoffe • Medienwissenschaften • Namibia • Tsumeb • Versklavung |
ISBN-10 | 3-593-46037-8 / 3593460378 |
ISBN-13 | 978-3-593-46037-6 / 9783593460376 |
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Größe: 6,6 MB
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