Gespräche führen in der Sozialen Arbeit -  Harald Ansen

Gespräche führen in der Sozialen Arbeit (eBook)

Kommunikation wirksam gestalten
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
120 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-041905-6 (ISBN)
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Der Alltag in der Sozialen Arbeit besteht vor allem darin, mit Adressatinnen und Adressaten zu reden, und das in teilweise sehr herausfordernden Situationen. Um wirksam kommunizieren zu können, benötigen Fachkräfte ein gutes Verständnis für Gesprächsführung. Im Buch werden die Grundlagen und die Anwendung der Gesprächsführung vorgestellt. Im Fokus stehen die beziehungs-, motivations-, netzwerk- und krisenorientierten Ansätze sowie deren Techniken, die jeweils anhand von konkreten Fallbeispielen aus der Praxis Sozialer Arbeit veranschaulicht werden. Auf diese Weise entsteht eine Systematik, die nicht nur Fachkräfte, sondern auch Studierende nutzen können, um die Zusammenarbeit mit ihren Adressatinnen und Adressaten zu verbessern.

Prof. Dr. Harald Ansen lehrt Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg.

2 Beziehungsorientierte Gesprächsführung


T Überblick

Im zweiten Kapitel stehen Aspekte der beziehungsorientierten Gesprächsführung im Mittelpunkt. Ausgehend von der Annahme, dass jeder Unterstützungsprozess in der Sozialen Arbeit auf einer tragfähigen Beziehung basiert, werden zunächst die Charakteristika einer professionellen Beziehung umrissen, die unvermeidliche Überschneidungen mit privaten Beziehungen aufweisen. Die Zusammenarbeit mit Fachkräften setzt voraus, dass Ratsuchende ihnen vertrauen und sich sicher fühlen. Fachkräfte repräsentieren das generalisierte Vertrauen in das soziale System. Dieses Vertrauen ist zu unterscheiden vom spezifischen Vertrauen in die Profession und dies wiederum vom persönlichen Vertrauen in die handelnde Person. Erleben Ratsuchende, dass sich Fachkräfte in einem transparenten Prozess für sie einsetzen, sind sie eher bereit, ihnen Vertrauen entgegenzubringen. Für die professionelle Beziehung kommt es auf der Ebene der Interaktion darauf an, eine durch aktives Zuhören, Paraphrasen und Verbalisierungen gekennzeichnete personenbezogene Gesprächsführung zu praktizieren, deren Fundament in einer kongruenten, akzeptierenden und empathischen Haltung gegenüber den Ratsuchenden liegt. In der Beziehungsarbeit kann es bei Ratsuchenden immer wieder zu Missverständnissen kommen, besonders dann, wenn sie die zugewandte Haltung der Fachkräfte als ein Freundschaftsangebot oder mehr auffassen. An dieser Stelle kommt es darauf an, eine Balance von Nähe und Distanz herzustellen.

Eine professionelle Beziehung ist das Fundament methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit. Sie ist eine eigenständige Quelle der Unterstützung und bereitet zugleich den Boden für die Kooperation. Begegnungen mit Adressat*innen erstrecken sich von niedrigschwelligen Kontakten, etwa in der Straßensozialarbeit, über zeitlich befristete und thematisch orientierte Varianten der Zusammenarbeit, beispielsweise in der Schuldenberatung, bis zu lebensweltnahen und intensiven Arrangements wie in der Sozialpädagogischen Familienhilfe oder in stationären Settings. Die folgenden Hinweise zur Beziehungsgestaltung in der Gesprächsführung sind arbeitsfeldübergreifend angelegt und können auch in Auszügen eingesetzt werden.

Immer ist darauf zu achten, das Zusammentreffen mit Adressat*innen methodisch nicht zu überfrachten, ansonsten bleibt die persönliche Begegnung auf der Strecke, die für die Beziehungspraxis unverzichtbar ist. Wer in der Sozialen Arbeit mit Zielgruppen kocht oder spielt, wer Freizeitaktivitäten unternimmt, wird sich primär als ›natürliche Person‹ und nicht methodisch einbringen. Auf der anderen Seite reicht es nicht, die Beziehung zu Adressat*innen wie im privaten Raum einzugehen. Fachkräfte lösen damit zuweilen Irritationen aus, insbesondere wenn Adressat*innen in der Zuwendung ein Freundschaftsangebot sehen oder wenn sie sich durch ungefilterte Verhaltensweisen bedrängt fühlen. In der Beziehungsgestaltung ist immer eine Gratwanderung zwischen persönlicher Begegnung und methodischer Ausrichtung zu bewältigen.

In den folgenden Ausführungen werden zunächst die Besonderheiten einer professionellen Beziehung herausgestellt (▸ Kap. 2.1), ehe es um Fragen der Gestaltung geht. Hierbei spielen der Aufbau von Vertrauen (▸ Kap. 2.2), eine personenorientierte Haltung und Gesprächsführung (▸ Kap. 2.3) sowie das Austarieren von Nähe und Distanz einschließlich damit verbundener Konflikte (▸ Kap. 2.4) eine wesentliche Rolle. Die haltungs- und gesprächsorientierten Hinweise werden immer wieder auf das folgende Fallbeispiel bezogen.

Fallbeispiel

In einem Gespräch, das Julia G. im Eltern-Kind-Zentrum mit der Sozialarbeiterin Felicitas S. führt, entsteht das folgende Bild:

Julia G. (33 Jahre) ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern (Emil, 2 Jahre; Laura, 4 Jahre; Hanne, 8 Jahre). Julia G. hat das erste Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien abgeschlossen (Fächer: Deutsch und Sport), das Referendariat und damit das zweite Staatsexamen konnte sie aufgrund ihrer familiären Situation bislang nicht absolvieren. Vor ca. zwei Jahren hat sich der Partner Philipp K. von Julia G. getrennt, beide waren nicht verheiratet. Philipp K. ist der Vater der drei Kinder, er bezieht aktuell Bürgergeld und kann deshalb keinen Unterhalt für die Kinder leisten. Nach der Trennung ist der Kontakt auf ein Minimum reduziert, Philipp K. kümmert sich nicht um die Kinder, er hat, wie Julia G. erzählt, psychische Probleme.

Julia G. arbeitet auf Teilzeitbasis an einer Schule, wegen des fehlenden zweiten Staatsexamens allerdings nicht als Lehrerin, sondern in der Hausaufgabenbetreuung und teilweise auch unterrichtend. Ihr Einkommen einschließlich Sozialleistungen reicht allerdings nicht für den Lebensunterhalt, die Familie bezieht aufstockende Leistungen nach dem SGB II.

Im Gespräch mit der Sozialarbeiterin des Eltern-Kind-Zentrums berichtet Julia G., dass ihr der Alltag »über den Kopf« wächst. Sie schläft immer schlechter, kann nicht mehr abschalten und ist, wie sie weiter sagt, zunehmend sehr nervös, auch im Umgang mit den Kindern. Sie schafft es immer wieder gerade so über die Runden zu kommen, sowohl finanziell als auch mit ihren Kräften. Die Familie wohnt in einer Vier-Zimmer-Wohnung, die Warmmiete beträgt 1.350 Euro. In der Wohnung und im Wohnquartier fühlen sich die Kinder und Julia G. sehr wohl. Die Schule und die Kita sind fußläufig gut zu erreichen, die Kinder haben in der Nachbarschaft Freundschaften geschlossen und auch Julia G. hat insbesondere zu zwei Müttern einen engeren Kontakt. Sie treffen sich immer wieder im Eltern-Kind-Zentrum und leider nur sehr selten, wenn es die knappe Zeit zulässt, auch mal privat.

Julia G. berichtet, dass sie in den vergangenen Monaten immer wieder nicht die volle Miete überweisen konnte. Mittlerweile beträgt der Mietrückstand 3.100 Euro. Nach mehreren Mahnungen hat der Vermieter die Wohnung fristlos gekündigt. Die Kündigung hat Julia G. gestern erhalten. Sie ist sehr verzweifelt und hat schlimmste Befürchtungen. Julia G. hat keine Rücklagen. Ihre Eltern Eva und Franz M., die sie schon lange finanziell und auch sonst sehr großzügig unterstützen, möchte sie nicht schon wieder in Anspruch nehmen. Auch mit ihrer älteren Schwester Lucie M., zu der sie ein gutes Verhältnis hat, möchte sie nicht darüber sprechen, ihr ist das alles sehr peinlich. Die Mietschulden sind entstanden, so Julia G., um den Kindern auch mal etwas zu ermöglichen und um dringend erforderliche Haushaltsgeräte anzuschaffen.

Über ihre Zukunftsaussichten äußert sich Julia G. pessimistisch. Sie würde gerne das zweite Staatsexamen nachholen, um endlich in ihrem Wunschberuf als Lehrerin arbeiten zu können, nicht mehr auf Bürgergeld angewiesen zu sein und ihren Kindern mehr bieten zu können. Julia G. sieht dafür in den kommenden Jahren keine Chance. Weder hat sie die Kraft dazu noch die Zeit für ein anspruchsvolles Referendariat. Julia G. wirkt sehr traurig. Sie hat sich schon von früheren Freundinnen zurückgezogen, schließlich muss sie ihre Kinder versorgen und hat ohnehin kein Geld für deren Freizeitaktivitäten. Mittlerweile melden sich die Freundinnen auch nur noch sporadisch.

2.1 Charakteristika einer professionellen Beziehung


Die professionelle Beziehung in der Sozialen Arbeit wird durch vielfältige Faktoren beeinflusst wie zu bearbeitende Themen, gesetzliche, organisatorische und institutionelle Rahmenbedingungen, unterschiedliche zeitliche und persönliche Intensitäten oder Grade der Freiwilligkeit, die ein differenziertes Gesprächsführungsrepertoire erfordern (Hochuli Freund & Stotz 2021, 116 f.). Die Herausforderung besteht darin, Beziehungsanregungen so zu entwickeln, dass sie von Fachkräften in unterschiedlichen Arbeitsfeldern eigenständig mit den nötigen Anpassungen in Bezug auf die jeweiligen Rahmenbedingungen umgesetzt werden können. Neben den Rahmenbedingungen sowie den Beziehungskompetenzen der Fachkräfte einschließlich ihrer Selbstreflexion sind die Bereitschaft und die Fähigkeit der Ratsuchenden ausschlaggebend, sich auf eine Beziehung einzulassen. Ein geeigneter Rahmen und methodisches Können der Fachkräfte mag es Adressat*innen erleichtern, Beziehungsangebote anzunehmen, ein Allheilmittel liegt damit aber nicht vor. Ratsuchende lassen sich eher auf eine Beziehung ein, wenn sie Fachkräften vertrauen, wenn sie sich verstanden und respektiert fühlen mit ihren Sichtweisen und wenn es in der Zusammenarbeit vor allem darum geht, sie zu unterstützen (Gitterman, Knight & Germain 2021, 104).

Eine professionelle Beziehung unterscheidet sich trotz einiger Überschneidungen von persönlichen bzw. privaten engen und wechselseitigen sowie emotional geprägten Beziehungen. Kennzeichnend für eine professionelle Beziehung ist zunächst die Vereinbarung von Bedingungen wie die Frequenz der Begegnungen, die Rollen oder die Inhalte, die bearbeitet werden (Becker-Lenz & Müller-Herrmann 2013,...

Erscheint lt. Verlag 17.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-17-041905-6 / 3170419056
ISBN-13 978-3-17-041905-6 / 9783170419056
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