Pax-Rassismus -  Emre Arslan

Pax-Rassismus (eBook)

Eine Sozioanalyse zur integrativen Abwertung des migrantischen Subjekts

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
336 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45942-4 (ISBN)
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»Rassismus ohne Rasse« ist in der heutigen Rassismuskritik eine verbreitete These. Dementgegen formuliert Emre Arslan die These »Rasse ohne Rassismus« und fächert mithilfe einer sozioanalytischen Perspektive die Mehrdimensionalität des Rassismus auf. Hierzu entwickelt er eine relationale Subjektivierungstheorie und identifiziert die integrative Abwertung des migrantischen Subjekts als roten Faden des Rassismus: Während das migrantische Subjekt durch Schulden, Wunden und Lasten charakterisiert ist, erlebt das weiße Subjekt im gleichen Subjektivierungsprozess Kapital, Selbstbewusstsein und Leichtigkeit. Die Abwertung des migrantischen Subjekts bzw. die Aufwertung des weißen Subjekts gewinnt ihre vollständige Bedeutung langfristig jedoch nur in globalen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen. Diese hegemoniale Form des heutigen Rassismus bezeichnet Emre Arslan als Pax-Rassismus - ein wohltemperierter Rassismus der sogenannten politischen und gesellschaftlichen demokratischen Mitte, die sich in einem Pendelraum zwischen Egalitarismus und hitzigem Rassismus bewegt.

Emre Arslan, Prof. Dr., Politikwissenschaftler und Soziologe an der Internationalen Universität IU Köln im Fachbereich Sozialwissenschaft. Zu seinen Forschungsgebieten gehören Rassismus, Nationalismus, Migration, Bildung und Theorien Sozialer Ungleichheit.

2.Rassismus als Integrative Fremdabwertung


Der koloniale Rassismus unterscheidet sich

in nichts von anderen Rassismen.

Der Antisemitismus trifft mich mitten ins Fleisch,

ich errege mich,

eine entsetzliche Aberkennung zapft mir das Blut ab,

man verweigert mir die Möglichkeit,

ein Mensch zu sein.

Franz Fanon (2016: 77)

Rassismus ist ein gesellschaftliches Phänomen, das aus unterschiedlichen Sichtweisen und Perspektiven diskutiert und geforscht wird. Da sowohl einführende als auch vertiefende Studien sind und unterschiedliche Schwerpunkte haben, ist die Verfassung eines angemessenen einführenden Kapitels zum Thema beinahe eine unmögliche Aufgabe. Um diese Aufgabe möglichst gut zu bewältigen, scheint mir die folgende Strategie am sinnvollsten. In den beiden Teilen des Kapitels setze ich mich mit der Genese des Rassismus in der Geschichte und dessen Quellen in unserem post-faschistischen Zeitalter auseinander. Hier wird versucht, die Fragen zu beantworten, inwiefern Rassismus ein modernes Phänomen ist, und warum Rassismus fortbesteht, obwohl seine Entstehungszusammenhänge nicht mehr aktuell sind. Im dritten Teil formuliere ich die These ›Rasse ohne Rassismus‹ als eine bessere Alternative zu der These ›Rassismus ohne Rasse‹, die aktuell in der kritischen Rassismusforschung relativ verbreitet ist. Im vierten Teil werden verschiedene Dimensionen des Rassismus dargestellt, da Rassismus in allen Bereichen und Aspekten der gesellschaftlichen Verhältnisse auftritt. Das Hauptziel dieses Kapitels ist, die Vielschichtigkeit der Einflussräume des Rassismus zu zeigen. Im fünften Teil des Kapitels wird die Frage beantwortet, welchen roten Faden die dargestellten Dimensionen des Rassismus haben und es wird als Antwort eine ›integrative Fremdabwertung‹ als roter Faden des Rassismus vorgeschlagen. Das Fazit des Kapitels formuliert eine Definition des Rassismus, die die verschiedenen Dimensionen möglichst widerspiegelt und verbindet.

2.1.›Rasse‹ als dynamisches Konstrukt in der Moderne


In der deutschen Rassismusdiskussion wird das 19. Jahrhundert als der Beginn des Rassismus als Folge konservativer Ideologien akzeptiert. Diese Betrachtung beruht auf dem Wunsch, die Relevanz der Aufklärung und der christlichen Religion in Bezug auf den Rassismus zu verdrängen (vgl. Hund, 2017: 148).9 Das Konstrukt ›Rasse‹ entstand jedoch bereits früher und entwickelte sich im Kontext der transatlantischen Versklavung, der Aufklärung und des Kolonialismus in der kapitalistischen Moderne seit dem 16. Jahrhundert (vgl. Miles, 1987; Frederickson, 2002). Da Versklavung auch in vormodernen Gesellschaften wie im antiken Griechenland, im Römischen Reich oder im Osmanischen Reich existierte, stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, Rassismus als ein rein modernes Phänomen zu definieren. Tatsächlich gibt es eine Kontinuität zwischen der Antike und der Moderne, wenn es um Exklusion und Ungleichheit durch Versklavung geht. Für Geulen liegt der entscheidende Unterschied jedoch darin, dass die Versklavung in der Antike mit anderen Weltauffassungen legitimiert wurde, die nicht auf Ideologien des Rassismus zurückgriffen (vgl. Geulen, 2021: 24). In der Frage der Genese des Rassismus vertreten einige Rassismusforscher*innen die These, dass der Rassismus schon seit der Antike existierte (z. B. Isaac, 2004; Arndt, 2021: 79 ff; Bühl, 2016: 80 ff). Arndt stellt ausführlich die menschenverachtenden Theorien zur Versklavung von Platon und Aristoteles dar (Arndt, 2021: 80-95) und betont als eine Besonderheit der Antike, dass es keine Abolitionsbewegung gab (Arndt, 2021: 90). Gerade aufgrund des fehlenden Widerstands gegen die Versklavung in der Antike bevorzuge ich es, die Entstehung des Rassekonstrukts in der kapitalistischen Moderne zu verorten. Diese scheinbar paradox anmutende Behauptung basiert auf der Annahme, dass der Rassismus und das Rassekonstrukt weniger als philosophische oder intellektuelle Standpunkte, sondern eher als lebendiger und dynamischer gesellschaftlicher Diskursraum zur Legitimierung der widersprüchlichen Gesamttendenzen im System betrachtet werden sollten. Ähnlich wie Kant und Hegel haben auch die Philosophen der Antike Aussagen über die Versklavung getroffen, die als menschenverachtend betrachtet werden können. Es gab jedoch in der Antike keine vergleichbaren Werke oder Bewegungen wie diejenigen von Intellektuellen des 19. bis 21. Jahrhunderts wie Gobineau (1884), Chamberlain (1899), Rosenberg (1930) oder Sarrazin (2010), die rassistischen Ideologien verbreiteten, und auch keine starken Strukturen wie faschistische oder rechtsextreme Parteien.

Der materielle und kulturelle Reichtum des antiken Griechenlands basierte in erster Linie auf der Arbeit der Versklavten, die mehr als die Hälfte der Gesellschaft ausmachten. Aristoteles betrachtete Versklavten als sprechende Werkzeuge, denen kaum Vernunft zugesprochen wurde (Aristoteles, 1985: 220). Aus heutiger Sicht könnte man die Aussage von Aristoteles als ›menschenverachtend‹ bezeichnen. Eine normative Verurteilung in der Moderne würde jedoch Aristoteles wenig beeindrucken, da er die Versklavten ohnehin nicht als vollwertige Menschen definierte. Für die antiken Gesellschaften war die Gleichheit aller Menschen eine unvorstellbare Idee, weshalb eine umfangreiche Legitimation für die Versklavung nicht erforderlich war.10 Für die Praxis der Versklavung in der kapitalistischen Moderne hingegen war die Lage vollkommen anders. Bürgerliche Klassen in europäischen Ländern kämpften gegen Einschränkungen der Freiheit, für die Aufklärung und die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Diese Werte waren auch für die Überwindung der feudalistischen Hürden und damit für die Entfaltung der kapitalistischen Ökonomie in Europa wichtig: Eine Arbeiterklasse, deren Arbeitskraft auf dem Markt frei und käuflich verfügbar ist und die sich frei bewegen kann, stellt eine der wesentlichen Bedingungen für eine kapitalistische Ökonomie dar.

Die Geschichte des Kapitalismus zeigt jedoch regelmäßige Abweichungen von diesem Idealbild der freien Bewegung von Waren (einschließlich Arbeitskräften) auf einem freien Markt. Die Intensität und der Umfang dieser Abweichungen vom Idealbild sind so groß, dass man dies nicht ausschließlich durch die hartnäckige Weiterführung vormoderner Elemente erklären kann. Robert Miles definiert die Existenz unfreier Arbeitskräfte im Kontext des Kapitalismus als ›notwendige Anomalien‹ (Miles, 1987). Für den real existierenden historischen Kapitalismus sind Praxisformen in Bezug auf unfreie Arbeitskräfte wie Versklavung, Zwangsarbeit und staatlich geregelte Arbeitsverträge, die den Aufenthaltsstatus der Arbeiter*innen bedingen, oft lohnender als eine freie Mobilität der Arbeitskräfte. Im Zeitalter der bürgerlichen Werte wie Aufklärung, Menschenrechte und Freiheit entsteht jedoch ein viel stärkerer Druck zur Rechtfertigung dieser Praxisformen (vgl. Callinicos, 1992). Diese augenscheinliche Widersprüchlichkeit zwischen dem erklärten Idealbild der Freiheit und der real erlebten Unfreiheit eröffnet einen Raum für Ideologien wie Rassismus oder Sexismus. Während einerseits die Ideale von Aufklärung, Freiheit, Menschenrechten und Gleichheit vor dem Gesetz intellektuelle und moralische Dominanz zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert erreichten, entstand gleichzeitig in einem bisher nie gesehenen Umfang eine Versklavung von Menschen durch Europäer*innen (Wirz, 1984).11 Die paradoxe Situation Thomas Jeffersons war keineswegs ein Einzelfall. Als dritter Präsident der USA verfasste er nicht nur die Unabhängigkeitserklärung der USA, sondern beteiligte sich auch an der Erstellung der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, als er als Diplomat in Frankreich während der Französischen Revolution lebte. Dieser glühende Verfechter der Menschenrechte und der Freiheit besaß jedoch gleichzeitig hunderte Versklavten12 und unterschied sich dabei nicht von Benjamin Franklin oder George Washington, den anderen Gründungsvätern der USA. Jefferson musste sich mit diesem Widerspruch auseinandersetzen und bemühte sich dabei um...

Erscheint lt. Verlag 17.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie
ISBN-10 3-593-45942-6 / 3593459426
ISBN-13 978-3-593-45942-4 / 9783593459424
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