Das amerikanische Versprechen -  Kerstin Kohlenberg

Das amerikanische Versprechen (eBook)

Vom Streben nach Glück in einem zerstrittenen Land
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
352 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-12351-7 (ISBN)
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Ein Must-Read für alle, die verstehen wollen, worum es im US-Wahljahr 2024 wirklich geht Ein Kapitolstürmer, ein Black-Lives-Matter-Aktivist und eine Latina, deren Eltern illegal eingewandert sind. Drei Menschen, deren Lebenswege zeigen, warum die Mitte nicht mehr hält und die Demokratie in den USA vor dem Abgrund steht. Eine innere Geschichte Amerikas, die endlich diejenigen zu Wort kommen lässt, deren politische Einstellung über die Zukunft des Landes entscheidet. Ein herausragendes Buch von der preisgekrönten Journalistin und langjährigen US-Korrespondentin der ZEIT. Der Krankenpfleger Stephen wird der erste sein, der am 6. Januar 2021 die Absperrungen vor dem Kapitol überwindet. Drei Jahre später steht er vor Gericht, wie der Präsident, für den er das Kapitol gestürmt hat. Walter wächst in der Bronx, im Schatten des Trump Towers, auf und träumt von Ruhm und Erfolg. Erfolgreich wird er als Black-Lives-Matter-Aktivist, er traut keinem Politiker mehr, schon gar nicht den Demokraten. Magali ist das Kind einer mexikanischen Arbeiterin ohne Papiere. Im Sommer 2023 steht sie vor ihrem neuen Haus in Iowa, offene Küche, vier Schlafzimmer, Doppelgarage - der American Dream. In einem kleinen Ort, der mit großer Mehrheit Trump wählt. Warum steigt die Sympathie unter Latinos und Schwarzen für den Mann, der Mexikaner Vergewaltiger nannte und sich nie richtig von amerikanischen Neonazis distanziert hat? Wie kam es zur Erosion der bürgerlichen Mitte? Wer das verstehen will, muss dieses Buch lesen. »Dies ist ein intimes Porträt des amerikanischen Leidens. Kerstin Kohlenberg fängt das verlorene Versprechen und die unsichere Zukunft dieses Landes ein. Sie ist eine Beobachterin von außen, doch sie durchdringt den inneren Schmerz und den Kampf Amerikas. Bravo!« Michael Wolff, Autor des Bestsellers Feuer & Zorn

Kerstin Kohlenberg ist eine preisgekrönte Journalistin. Sie hat unter anderem den Theodor-Wolff-Preis, den Herbert-Riehl-Heise-Preis und den Reporter:innen Preis erhalten und war mehrmals für den STERN-Preis nominiert. Bis Ende 2021 war sie sieben Jahre lang USA-Korrespondentin der ZEIT und eine der wenigen Frauen in diesem Job. Ihr vielgelobter, siebenteiliger Podcast Die Patrioten wurde ein Jahr nach der Kapitolerstürmung veröffentlicht. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Berlin.

Einleitung


Die Mitte hält nicht. An diesen Satz von Joan Didion musste ich in meiner Zeit als Amerika-Korrespondentin oft denken. Sie hat ihn von dem Dichter William Butler Yeats entliehen, um das aufbegehrende, radikale Amerika der 1960er-Jahre zu beschreiben, das sich gegen das Establishment wendete, den Krieg in Vietnam, die Polizeibrutalität, den Kapitalismus. Als ich 2014 in Amerika ankam, war das Land erneut in großer Unruhe. Es war jetzt ein Land der Handyvideos, auf denen zu sehen war, wie Schwarze Menschen bei der Verhaftung durch weiße Polizisten starben, in dem junge Schwarze Molotowcocktails auf Polizisten warfen, Nationalgardisten in Panzern durch die Straßen rollten, und Aktivisten begannen, das mit dem Hashtag Black Lives Matter zu beschreiben.

Auf meine Zeit als Korrespondentin habe ich mich sehr gefreut. Ich habe in den USA studiert und meinen Mann dort kennengelernt. Ich liebe Amerika, ich mag die Zugewandtheit der Menschen und ihre beeindruckende Bereitschaft, sich zu engagieren. Mein Schwiegervater sitzt seit Jahrzehnten unentgeltlich in verschiedenen Ausschüssen seiner Heimatstadt in Connecticut, meine Schwiegermutter unterrichtet seit ihrer Pensionierung als Grundschullehrerin Einwanderer aus der ganzen Welt in Englisch. Vielleicht auch deshalb nahm ich die Unruhe Amerikas zunächst nicht wirklich ernst. Zu den Aufständen in Ferguson, Missouri, im Sommer 2014 fuhr ich erst nach einer Woche. Dass ein Schwarzer Jugendlicher von der Polizei erschossen wurde, daran hatte man sich auf traurige Weise gewöhnt.

Als ich Amerika im Spätsommer 2021 wieder verließ, war es ein Land geworden, in dem ein großer Teil der Menschen nicht mehr an die zentrale Institution der amerikanischen Demokratie glaubte: freie und faire Wahlen. Am 6. Januar 2021 waren sie daher nach Washington, D.C. gefahren, um gegen eine vermeintlich gestohlene Wahl zu demonstrieren. Am Ende durchbrachen sie gewaltsam die Barrieren, die das Kapitol schützten, um die friedliche Übergabe der Macht an den nächsten Präsidenten zu verhindern. Der Wert des Aktienindex S&P 500 war in diesen sieben Jahren unbeirrt von alledem um 157,86 Prozent gestiegen.[1]

Es gibt viele kluge Bücher, die analysieren, wie es zu der Wut und dem Vertrauensverlust gekommen ist. Die Autoren haben die Auswirkungen von Globalisierung und politischen Entscheidungen untersucht, sie haben sich ökonomische Entwicklungen angeschaut, Arbeitslosenzahlen, Migrationsströme, die Qualität der Bildungsabschlüsse, die großen, in Zahlen messbaren Veränderungen. Darin haben sie nach Zusammenhängen gesucht und alles zu einer These verdichtet. Die unsichtbaren, die emotionalen Veränderungen beschreiben sie nicht. Der Stolz auf das eigene Land und die Kränkungen, die es einem zufügt; die Hoffnung auf ein glückliches Leben und den Zweifel, ob man es je erreichen wird; der Glaube, dass Amerika das beste Land der Welt ist und ein beschädigtes Gefühl von Fairness. Jene Gefühle eben, die das Verhältnis eines Menschen zu seinem Land prägen. Darum habe ich mich entschieden zuzuhören. Ich bin zu den Menschen gefahren und habe mir angehört, welche Geschichten sie selbst erzählen. Ich wollte ihre Vergangenheit kennenlernen und ihren Blick auf Amerika, ihre persönliche Erfahrung nachvollziehen, auch um die Fehler zu verstehen, die die Politik gemacht hat. Drei Menschen stachen dabei heraus. Der Kapitolstürmer Stephen, der Black-Lives-Matter-Aktivist Walter und die Latina Magali, drei Menschen, die vom Rand der Gesellschaft in die Mitte wollen, drei Menschen, die auf der Suche nach dem amerikanischen Versprechen sind.

Ich erzähle ihre Geschichten, weil ich glaube, dass man Amerika und drei der großen Debatten, die das Land im Wahljahr 2024 führt, so besser versteht. Da ist die Debatte über Einwanderung, und wie das größte Einwanderungsland der Welt damit in Zukunft umgeht. Da ist die Debatte über die Entfremdung der jungen Schwarzen von der Demokratischen Partei, eine ihrer treuesten Wählergruppen. Und schließlich die Debatte um die Übernahme der Republikanischen Partei durch Donald Trump.

Den Krankenpfleger Stephen führte die Suche nach dem amerikanischen Versprechen am 6. Januar 2021 von Kentucky nach Washington, D.C. Wenigstens einmal in seinem Leben wollte er etwas von Bedeutung machen. In Washington, D.C. ist er der Erste, der die Absperrungen vor dem Kapitol überwand. Dafür wird er Jahre später vor Gericht stehen, anders als der Präsident, für den er das Kapitol gestürmt hat.

Der Aktivist Walter wächst im Schatten des Trump Towers, in der New Yorker Bronx auf. Er träumt von Ruhm und Erfolg und wird das als Black-Lives-Matter-Aktivist erreichen. Da traut er keinem Politiker mehr, schon gar nicht den Demokraten.

Magali ist das Kind einer mexikanischen Arbeiterin ohne Aufenthaltsgenehmigung. Im Sommer 2023 steht Magali vor ihrem neuen Haus, offene Küche, vier Schlafzimmer, Doppelgarage. Sie hat sich ihren amerikanischen Traum erfüllt. In einem kleinen Ort in Iowa, der mit großer Mehrheit Trump wählt.

Ich habe die Familiengeschichten von Stephen, Walter und Magali rekonstruiert und in die politische und ökonomische Geschichte Amerikas eingebettet. Magalis Geschichte spielt vor dem Hintergrund der US-amerikanischen Einwanderungspolitik. In Walters Geschichte spiegelt sich Amerikas unvollendetes Gerechtigkeitsversprechen, Kriminalität und Polizeibrutalität sowie die Geburt der linkspopulistischen Aktivisten. Durch Stephen wird man den Folgen begegnen, die generationenübergreifende, strukturelle Armut hinterlassen hat, und den Erfolg rechts-populistischer Politiker miterleben. Die ganze Hoffnung, die Amerika immer noch zu geben fähig ist, steckt in diesen Leben, und auch die ganze Enttäuschung.

Stephen Randolph wurde in den Ausläufern der Appalachen in Kentucky geboren. Ich habe ihn am 6. Januar 2021 vor dem Kapitol in Washington, D.C. kennengelernt. Er wirkte wie ein Stück Treibholz, das sich am Rand in der Böschung verfangen hat, während Demonstranten auf das Kapitol zuströmten. Ich wollte über die Stop-the-Steal-Kundgebung von Donald Trump berichten, und ich war mir zuerst nicht ganz sicher, wer Stephen war. War er ein Demonstrant oder ein zufälliger Beobachter, gar ein anderer Journalist? Er trug keinen Pin, keine rot-weiße »Make America Great Again«-Basecap, keine MAGA-Fahne. Wir kamen ins Gespräch, und er zeigte mir mitten in dem Chaos Bilder der 102 Jahre alten Frau, die er zu Hause in Kentucky pflegte, und erzählte, dass er nach Washington gekommen war, weil er noch nie eine Trump-Veranstaltung live miterlebt hatte. Er schien erschüttert von den Ereignissen und zugleich stolz darauf. Wir blieben nach diesem Tag in Kontakt. Mit dünnen Strichen begann er am Telefon sein Leben vor dem 6. Januar zu umreißen. Die Urgroßeltern waren die Gefängniswärter seines Heimatortes Liberty gewesen, reich war die Familie nie, aber sie hatte lange einen guten Namen, ein geregeltes Auskommen und ein bisschen Land gehabt. Nach zwei Generationen war davon nichts mehr übrig. Stephen war das Kind einer drogenabhängigen Mutter, er wuchs bei seiner Tante und später bei seiner Großmutter auf. In jedem Gespräch malte er seine Lebensumstände etwas deutlicher aus. Aber ich wollte das ganze Bild sehen, und so flog ich nach Kentucky, einer der ärmsten Staaten Amerikas, um ihn zu treffen.

Es ist kein Geheimnis, dass die Demokraten sich mit ihrer Politik von den weißen Arbeitern abgewendet hatten und sich spätestens seit Bill Clinton auf die gut ausgebildeten Städter konzentrierten. 2002 erschien das Buch der Politikwissenschaftler John B. Judis und Ruy Teixeira, in dem sie die neue Koalition der Demokraten beschrieben, mit der sich die Partei, wie sie damals dachten, für die nächsten Jahrzehnte die politische Macht in Amerika sichern wollte: Akademiker, Frauen, Schwarze und die wachsende Zahl der Latinos. Dass Hillary Clinton 2016 aber derart schlecht bei den weißen Arbeitern abschnitt, dass sie darüber die Wahl verlor, hatte niemand erwartet. Waren die Demokraten nicht trotz alledem die Partei, die sich um die Schwachen kümmerte? Sie waren zwar ökonomisch mittlerweile auch neoliberal, aber eben netter. Sie kümmerten sich um eine bessere Krankenversicherung und höhere Sozialleistungen. Trotzdem gewann Donald Trump 2016 in Kentucky mit 30 Prozent Vorsprung vor Hillary Clinton, und vier Jahre später mit 26 Prozent vor Joe Biden. Stephen sagte bei einem unserer Gespräche, dass es natürlich absurd sei, dass er als Armer die Republikaner wählte, die Partei, die er immer mit den Reichen verbunden hatte. Aber er hatte das Gefühl, dass die Demokraten Armut eigentlich nur noch interessierte, wenn sie Schwarze oder Latinos betraf.

Der amerikanische Sozialpsychologe Jonathan Haidt hat 2014 die These aufgestellt, dass Menschen in ihren Entscheidungen intuitiv handeln, nicht rational. Wenn man Menschen moralische Fragen stellt und ihre Gehirne scannt, während sie ihre Antwort geben, zeigen ihre Gehirnaktivierungsmuster, dass sie schnell zu Schlussfolgerungen kommen und erst später Gründe dafür produzieren, um ihre Entscheidung zu rechtfertigen. Der Mensch, schreibt Haidt, sei nicht dafür geschaffen, auf die Vernunft zu hören.[2] Es sind die Erfahrungen und Gefühle, die das moralische Gerüst der Menschen prägen, schreibt Haidt. Mit diesem Gerüst bewerten sie Situationen und Probleme und bilden ihre politische Einstellung. Wenn ein armer Mensch wie Stephen also die Republikaner wählt, dann tut er das laut Haidt nicht, wie viele Demokraten glauben, weil sie ihn mit einer cleveren Rhetorik von Freiheit und Identität ausgetrickst haben, sondern weil das, was er von ihnen hört, mit seinen Vorstellungen von fair und unfair...

Erscheint lt. Verlag 13.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-608-12351-2 / 3608123512
ISBN-13 978-3-608-12351-7 / 9783608123517
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