Raus aus der Globalisierungsfalle -  Nikolaus Kowall

Raus aus der Globalisierungsfalle (eBook)

Wie wir die sozial-ökologische Transformation schaffen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
240 Seiten
Verlag Kremayr & Scheriau
978-3-218-01435-9 (ISBN)
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Turbo-Kapitalismus, Klimakrise, Ungleichheit: Wie schaffen wir die sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft? Ein Plädoyer für Demokratie und Markteingriff. Ungezügelte Märkte und Hyper-Globalisierung haben uns in die totale Abhängigkeit des Weltmarkts geführt. Aber wie wegkommen von Rohstoff-Raubbau, Soja, Fast Fashion und anderen billigen Import-Drogen? Und jetzt auch noch die Dekarbonisierung schaffen? Ist das der Todesstoß für unsere Industrie? Es ist eine echte Chance, meint Nikolaus Kowall. Denn die ökologische Transformation führt zu höherer regionaler Wertschöpfung. Importe von Rohstoffen und Energie werden durch Eigenproduktion und Recycling ersetzt, die Wegwerfgesellschaft durch die Kreislaufwirtschaft. Damit der grüne Umbau der Wirtschaft nicht durch ruinösen Wettbewerb verhindert wird, brauchen wir aber mehr Demokratielogik und weniger Marktlogik. Wachen wir auf, sonst passiert die Zukunft ohne uns.

Nikolaus Kowall ist Ökonom und politischer Aktivist. Seit 15 Jahren in der SPÖ. Er ebnete zuletzt Andreas Babler den Weg zur Kandidatur zum SPÖ-Chef. Wissenschaftlich landete Kowall nach Stationen in Düsseldorf und Berlin schließlich als Hochschullehrer an der FH des BFI Wien. Der Ökonom versucht die Sozialdemokratie auch inhaltlich zu entstauben und weiterzudenken, ohne dabei an den Grundwerten zu rütteln.

KAPITEL 2
DAS ZEITALTER DER GLOBALISIERUNG


Die bereits seit 1896 bestehende Gummi- und Reifenfabrik Semperit in Traiskirchen (Niederösterreich) ging aus dem Zweiten Weltkrieg in ihrer physischen Substanz weitgehend unbeschadet hervor. Allerdings demontierte die Rote Armee 1945 den Maschinenpark und verfrachtete diesen in die Sowjetunion. Ende der 1940er-Jahre wurden mithilfe des Marshall-Plans neue Maschinen angeschafft und ab dann ging es steil bergauf. Die im Eigentum der staatlichen Bank Creditanstalt befindliche Gesellschaft mauserte sich bis in die 1970er-Jahre zum zweitgrößten Industrieunternehmen Österreichs mit 15.000 Beschäftigten an mehreren Standorten. Semperit war nicht nur in Österreich der Inbegriff für Autoreifen, das Gummiprodukt wurde bis nach Japan exportiert.

Ab der Ölkrise 1973 jedoch begannen die Schwierigkeiten bei Semperit. In den 1980er-Jahren folgten Sparmaßnahmen, Redimensionierungen, Aufsplittungen und eine Übernahme zum Spottpreis durch den deutschen Konkurrenten Continental. Obwohl die wirtschaftlichen Zahlen in den 1990er-Jahren durchaus positiv waren, wurden Produktionssparten nach Tschechien verlegt und die Entwicklungsabteilung wanderte ins Continental-Headquarter nach Hannover. Begleitet war der Prozess von einem permanenten Abbau der 3000 Mitarbeiter:innen fassenden Belegschaft in Traiskirchen und zahlreichen emotional geführten Arbeitskämpfen. Im Jahr 2002 wurde der letzte Reifen in Traiskirchen produziert. Danach stellte eine stark reduzierte Restbelegschaft noch Gummimischungen her. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise wurde das Werk in Traiskirchen 2009 endgültig stillgelegt.

Die politischen Folgen des Semperit-Desasters sind in Österreich bis heute spürbar. Oder besser gesagt, wieder spürbar. Denn bei Semperit Traiskirchen arbeitete zwischen 1986 und 2007 ein gewisser Werner Babler, erst als Betriebsschlosser, später als Brandschutzbeauftragter. Sein 1973 geborener Sohn Andreas bekam die Demontage einer österreichischen Industrie-Ikone seit Kindestagen hautnah mit. Aber Babler junior erlebte auch den Niedergang eines Betriebs, in dem die Gewerkschaften gute Arbeitsbedingungen erkämpfen konnten. Schwimmbäder, Erholungsheime, Freizeiteinrichtungen und gute Lohnabschlüsse für die Arbeiterschaft habe es gegeben. Wie durch ein Brennglas verfolgte er in Traiskirchen den gesamten Niedergang des interventionistischen Zeitalters von Anfang an mit. Im Jahr 2009 reichte Andreas Babler an der Donauuniversität Krems eine Masterarbeit mit dem Titel: „Medien, Strategien und Kommunikation in Arbeitskämpfen am Beispiel der Semperit Traiskirchen“ ein. Die Arbeit ist eine akademische Nachbetrachtung jener Arbeitskämpfe, während derer Bablers politische Sozialisation in Jugendtagen erfolgte. Der Sohn des Semperit-Arbeiters Werner Babler wurde 2014 Bürgermeister der Stadt Traiskirchen. 2023 wurde er zum Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Österreichs.

Aus Bablers Masterarbeit geht hervor, dass die Schließung von Semperit Traiskirchen mitnichten wirtschaftlich zwingend war. Während der anziehenden Konjunktur Ende der 1990er-Jahre stellte Continental gegen seine eigenen Pläne wieder viele Beschäftigte in Traiskirchen ein, um die hohe Nachfrage bedienen zu können. Immer wieder kam es zu beträchtlichen Gewinnausschüttungen an die Konzernmutter. Anlässlich der Schließung 2009 stellte Semperit-Betriebsrat Alfred Artmäuer in den Medien verbittert fest, dass es nicht mehr genüge, Gewinne zu machen, vielmehr komme es darauf an, „dass die Gewinnzahlen zweistellige Prozentsätze ausweisen“.

Semperit war auch Opfer eines neuen Zeitgeistes in der Wirtschaft. Der einflussreiche marktliberale Ökonom Milton Friedman brachte diesen Spirit wie folgt auf den Punkt: Die soziale Verantwortung der Unternehmen besteht in der Erhöhung ihrer Profite. Das ist eine andere Perspektive als im Fordismus, wo noch ein sozialpartnerschaftliches Einvernehmen zwischen Unternehmensführung und Beschäftigten, aber auch mit anderen „Stakeholdern“ wie der Lokalpolitik oder den Zulieferbetrieben gesucht wurde. In den 1980er-Jahren verschob ein als Shareholder-Value-Revolution bezeichneter Prozess das Augenmerk der Unternehmenspolitik von einer Berücksichtigung aller Stakeholder hin zu einer alleinigen Konzentration auf die Interessen der Eigentümer:innen.

Henry Ford hatte seine Beschäftigten noch als potenzielle Kund:innen betrachtet. Er brauchte die Nachfrage nach realen Gütern, um als Unternehmen wachsen zu können. Dieser realwirtschaftliche Zugang rückte im Rahmen der Shareholder-Value-Revolution in den Hintergrund. Ein wichtiger Bestandteil des Paradigmenwechsels war die Finanzialisierung, weil Unternehmen ihr Augenmerk zunehmend auf Finanzmarktkennzahlen legen mussten. Wenn kurzfristige Finanzkennzahlen das Wirtschaftsleben bestimmen, rücken langfristige Investitionstätigkeiten in den Hintergrund. Die Wirtschaftspolitik schuf die entsprechenden Rahmenbedingungen, indem sie Regulierungen im Finanzsektor abbaute oder durch Privatisierungen und Liberalisierungen das Wachstum der Finanzbranche beförderte. So entstand ein neues Akkumulationsregime, das nicht mehr auf der Koppelung von industrieller Produktion, Lohnsteigerungen und Konjunkturpolitik beruhte, sondern auf Shareholder-Value-Orientierung gekoppelt mit marktliberaler Wirtschaftspolitik. Dieses „finanzialisierte Akkumulationsregime“ sollte für einige Jahrzehnte den Takt der Wirtschaft vorgeben. Das neue Wirtschaftsmodell wäre im Rahmen des Nationalstaats rasch an seine Grenzen gestoßen. Der globale Abbau von Barrieren für die Bewegungsfreiheit von Waren und Kapital war ein entscheidender Faktor zur Durchsetzung dieses Modells, und damit sind wir beim wichtigsten Merkmal der neuen Zeit angelangt: der Globalisierung.

Tektonische Plattenverschiebungen in der Weltwirtschaft


Mitte der 1990er-Jahre durfte man im Geografieunterricht etwas über die sogenannte Triade erfahren. Damit waren die drei großen Wirtschaftsräume USA, Westeuropa und Japan gemeint. Allein diese drei Blöcke kontrollierten 1990 über die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung, alle damaligen Industrieländer zusammen (also inkl. Kanada, Australien, Neuseeland, Südkorea, Taiwan, Singapur und Hong Kong) zeichneten für beinahe 60 Prozent der Welt-Wertschöpfung verantwortlich. In den 200 Jahren zwischen den Anfängen der Industrialisierung in Großbritannien und dem österreichischen Geografieunterricht der 1990er-Jahre hatte sich geopolitisch vieles verändert. Erst musste Großbritannien seinen enormen wirtschaftlichen Vorsprung mit Kontinentaleuropa teilen, dann Europa mit den USA und später beide mit Japan. Der wirtschaftliche Aufstieg des besiegten Japans, der erst nach 1945 wirklich Fahrt aufnahm, begann unter amerikanisch-britischer Besatzung und mit der Hinwendung zur parlamentarischen Demokratie. Insofern muss man auch die Industrialisierung Japans und der ostasiatischen Tigerstaaten als Ergebnis des westlichen Fortschritts einstufen.

Während des Kalten Krieges versuchten ganze Weltregionen, unabhängig von der westlichen Weltwirtschaftsordnung Wohlstand zu erlangen. Nach einer Schuldenkrise, die die 1980er-Jahre zu einem verlorenen Jahrzehnt Lateinamerikas machte, und dem Zusammenbruch des Ostblocks kurz darauf war die bittere Nachricht der 1990er-Jahre aber klar: Unter der Ägide des Westens kannst du wirtschaftlich gedeihen, interventionistische nationale Alleingänge – wie die in Kapitel 1 diskutierte Importsubstitution, also der gezielte Aufbau nationaler Industrien, um sich von Importen aus hochindustrialisierten Ländern unabhängig zu machen – stoßen hingegen an ihre Grenzen, und Sozialismus klappt sowieso nicht. Insofern bleibt wirtschaftlicher Erfolg auf westliche Lebensweise beschränkt, und das bedeutete kapitalistische Marktwirtschaft in Kombination mit parlamentarischer Demokratie.

Und genau zu dem Zeitpunkt, als man sich dieses Umstands sicherer war denn je, verlor er seine Gültigkeit. Aber nicht, weil antikoloniale Projekte im Geiste der Importsubstitution oder des Sozialismus erfolgreich waren, sondern weil die kapitalistische Marktwirtschaft nun von sämtlichen Staaten praktiziert wurde, sogar vom kommunistisch regierten China. Viele Länder waren dabei bemerkenswert erfolgreich, und darum ist Unglaubliches passiert: Der Rest der Welt ist wirtschaftlich schneller gewachsen als der Westen. Sogar deutlich schneller.

Abbildung 4: Wachstum des realen BIP 1990–2022 in Prozent

[Quelle: Weltbank]

Das reale Bruttoinlandsprodukt ist in Japan zwischen 1990 und 2022 um 28 Prozent gewachsen, in der EU um 68 Prozent und in den USA hat es sich mehr als verdoppelt (auch wegen der stark wachsenden Bevölkerung). So weit, so schön. Doch in anderen Ländern stieg das BIP noch weit stärker: Das Bruttoinlandsprodukt der Türkei hat sich verdreifacht, jenes von Indien mehr als verfünffacht und das von China ist fast 15 Mal so hoch wie 1990. Nun ist China heute immer noch ein Schwellenland mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Wohlstand, der deutlich unter dem der USA liegt, aber das Reich der Mitte hat seine Aufholjagd Ende der 1970er-Jahre als Armenhaus begonnen.

Das Bruttoinlandsprodukt der Welt hat sich zwischen 1990 und 2022 verzweieinhalbfacht, ist also stärker gewachsen als jenes der USA. Die Folgen daraus sind immens: Erstmals seit der industriellen Revolution sind es nicht die fortgeschrittenen Industriestaaten, die ein Monopol auf die Früchte der kapitalistischen Dynamik haben. Die Globalisierung hat eine tektonische...

Erscheint lt. Verlag 10.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-218-01435-2 / 3218014352
ISBN-13 978-3-218-01435-9 / 9783218014359
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