Wider die Verrohung -  Ingrid Brodnig

Wider die Verrohung (eBook)

Über die gezielte Zerstörung öffentlicher Debatten: Strategien & Tipps, um auf Emotionalisierung und Fake News besser antworten können
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
176 Seiten
Christian Brandstätter Verlag
978-3-7106-0833-9 (ISBN)
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Wer am lautesten und aggressivsten auftritt, bekommt am meisten Reichweite. Öffentliche Debatten werden gezielt emotionalisiert, polarisiert und manipuliert, die Stimmung wird dadurch feindseliger. Das ist nicht nur im persönlichen Alltag extrem frustrierend, sondern auch brandgefährlich für unsere Gesellschaft und Demokratie. Bestsellerautorin Ingrid Brodnig zeigt, wie diese Verrohung des Klimas bewusst herbeigeführt wird - zum Beispiel durch Bullshit-Debatten, populistische Diskussionsmuster, Diffamierung und Hetze gegen öffentliche Personen, Fake News und rechtsextreme Kampagnen, angetrieben von Mechanismen sozialer Medien. Sie gibt zahlreiche Tipps und zeigt Strategien, wie wir solche Eskalationsmuster erkennen und mit Klarheit darauf reagieren können. Auch, damit wir wieder Wege finden, respektvoll miteinander zu sprechen und Diskussionen über Meinungsunterschiede hinweg zu führen - online ebenso wie im Umgang mit dem persönlichen Umfeld. Denn davon lebt unsere Demokratie: gemeinsam Lösungen finden zu können. Dieses Buch liefert das Rüstzeug für politisch erhitzte Zeiten. Es hilft uns, selbst einen klaren Kopf zu bewahren, strategisch zu entscheiden, in welche Diskussionen wir Zeit und Energie investieren wollen, und uns selbst politisch nicht entmutigen zu lassen. Und es baut auf der Überzeugung auf, dass jede und jeder Einzelne von uns positiv mitbeeinflussen kann, wie in unserer Gesellschaft miteinander gesprochen wird.

Ingrid Brodnig ist Expertin für die gesellschaftlichen Auswirkungen von Digitalisierung und Debattenkultur. Die Autorin und Journalistin hält Vorträge und Workshops und gibt Tipps, wie man auf Phänomene wie Hassrede oder Desinformation reagieren kann. Zuletzt erschien ihr Bestseller 'Einspruch! Fake News und Verschwörungsmythen kontern'. Für ihre Arbeit erhielt Ingrid Brodnig zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Bruno-Kreisky-Sonderpreis für das politische Buch.

DIE GEFAHR DES GRUPPENDENKENS


Inhaltlich fundierte Kritik an einem selbst kann abgeschmettert werden, indem man sie als angeblich unfairen Angriff auf eine größere Gruppe umdeutet – und damit eine „Wir gegen die“-Abwehrhaltung befördert. Einige Leserinnen und Leser dieses Buchs wird es nicht überraschen, dass „Wir gegen die“-Gefühle gerade in der verhärteten Rhetorik von Rechtsaußen eine große Rolle spielen. Aber nicht nur dort. Wenn wir für eine sachlichere Diskussionskultur eintreten wollen, dann lohnt es sich generell, die Macht von Gruppengefühlen genauer zu betrachten, ob sie nun der gesellschaftlichen Spaltung dienen oder für mehr Zusammenhalt eingesetzt werden.

Ich habe bisher einige ernste Beispiele gebracht, nun möchte ich eine witzige Anekdote zitieren, die zeigt, wie sehr wir Menschen Gruppentiere sind. Das heißt, es fällt uns sehr leicht, uns (auch unbewusst) bestimmten Gruppen zuzuordnen und mit anderen Gruppenmitgliedern verbunden zu fühlen.

In dem berühmten Science-Fiction-Film Planet der Affen kommt es zur Begegnung eines Astronauten, gespielt von Charlton Heston, mit hochintelligenten Menschenaffen, beispielsweise Orang-Utans, Gorillas und so weiter. Heston berichtete mehrere Male, dass sich bei den Dreharbeiten ein kurioses Phänomen zeigte: In der Mittagspause setzten sich Schauspielerinnen und Schauspieler, die Gorillas darstellten, zu anderen, die ebenfalls ein Gorilla-Kostüm trugen. „Orang-Utans“ hingegen aßen neben den anderen „Orang-Utans“ und so weiter. „Es gab eine Art Selbst-Aufteilung“, erzählte Heston.13 Dabei war es ja eigentlich eher Zufall, wer als Gorilla und wer als Orang-Utan besetzt worden war, auch hatte niemand der Crew angeordnet, sich so in Grüppchen zu teilen. Dieser Vorgang wurde auch bei den Nachfolgefilmen der Planet der Affen-Reihe beobachtet.14

Für die Erklärung solcher Phänomene zieht die Psychologie die Begriffe „In-Group“ (Eigengruppe) und „Out-Group“ (die anderen, die Fremdgruppe) heran. Wir Menschen ordnen uns schnell Eigengruppen zu – wenn ich zum Beispiel im Zug sitze und durch Zufall bemerke, dass die Frau neben mir ebenfalls Journalistin ist, dann sind wir gefühlt die Eigengruppe der Journalistinnen und die anderen sind die Fremdgruppe. Ich selbst sehe mich, je nach Kontext, mal als Journalistin, mal als Mutter, mal als Science-Fiction-Fan, mal als Fleischesserin. Wir Menschen können mühelos Teil unterschiedlicher Eigengruppen sein und auch mühelos hin- und herwechseln, welcher Eigengruppe wir uns gerade zugehörig fühlen.15 Die Frage ist, ab wann der Appell an Gruppengefühle gefährlich wird – ab wann er Spaltung und Zwietracht begünstigt.

Bahnbrechend für diesen Forschungszweig waren die Experimente des Psychologen Henri Tajfel aus den 1970er-Jahren. In einer berühmt gewordenen Untersuchung sollten sich Buben im Alter von 14 und 15 abstrakte Bilder von den Malern Paul Klee und Wassily Kandinsky ansehen und sagen, welche Werke ihnen besser gefielen. Die Buben wurden dann in zwei Gruppen zugeordnet, angeblich die Kandinsky- oder die Klee-Fans. In Wirklichkeit wussten die Buben nicht, welches Bild von Klee und welches von Kandinsky stammte, und sie wurden nach dem Zufallsprinzip eingeteilt. Aber sie sollten davon ausgehen, dass sie sich unter ihresgleichen befanden. Die Jungen bekamen einzeln eine Aufgabe gestellt: Sie mussten Punkte vergeben und konnten damit anderen kleine Geldbeträge zuteilen (zehn Punkte ergaben einen Penny, die Studie fand in Großbritannien statt). Sie gaben im Schnitt Mitgliedern der Eigengruppe mehr Punkte, bevorzugten diese also.16 Selbst bei solchen willkürlich zusammengesetzten Gruppen lässt sich also eine sogenannte „Eigengruppen-Bevorzugung“ beobachten.

„Wir bekommen ein positives Gefühl dessen, wer wir sind, indem wir unsere Gruppe positiv sehen“, meint der Psychologe Mark Levine, mit dem ich über das Thema sprach. Der derzeitige Forschungsstand deutet eher darauf hin, dass wir Menschen vorrangig von einer „In-Group Love“ angetrieben werden – wie man dann über Fremdgruppen denkt, ist nachgelagert. Man kann die anderen positiv sehen, aber sie auch verachten oder hassen.17

Die Feindseligkeit gegenüber Fremdgruppen kann jedoch gezielt genährt werden, zum Beispiel, indem man den Eindruck weckt, die In-Group würde mit der Out-Group um begrenzte Ressourcen konkurrieren müssen. Auch mittels Falschmeldungen, die oft online kursieren, werden solche Eindrücke vermittelt. Nur ein Beispiel aus der deutschen Asyldebatte: Seit Jahren kursiert eine Falschmeldung, die behauptet, die frühere Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hätte in einer Fernsehsendung zugegeben, dass Geflüchtete mehr als 1100 Euro im Monat zur Verfügung hätten, die deutschen Rentnerinnen und Rentner dagegen nur etwa 600 Euro. Diese Zahlen sind falsch, im Jahr 2020 bekamen Menschen im Ruhestand in Deutschland im Schnitt 989 Euro monatlich vor Abzug der Steuern. Alleinstehende Asylsuchende in einer Wohnung erhielten damals 344 Euro, das zeigt ein Faktencheck der Plattform Correctiv.org. Worum es Klöckner übrigens tatsächlich ging, waren die äußerst niedrigen Zuverdienstgrenzen für Asylbewerber:innen, die beispielsweise einem Einsatz in der Erntehilfe im Weg stünden.18

Die Falschmeldung entspricht einem wiederkehrenden Typ Desinformation, der suggeriert: Geflüchtete würden mehr bekommen als „wir“, also die nicht-eingewanderte Bevölkerung. Hier wird – in dem Fall mittels falscher Zahlen – das Gefühl genährt, es gäbe eine knappe Ressource (staatliche Leistungen), von der die Fremdgruppe zu viel beanspruchte. Solche Erzählungen spielen außerdem gesellschaftlich schlechtergestellte Gruppen gegeneinander aus. Meines Erachtens sollte man durchaus darüber diskutieren, ob einige Menschen im Ruhestand zu wenig bekommen – darunter beispielsweise Frauen, die viele Jahre nicht in einem Beruf gearbeitet haben, sondern die zu Hause Sorgearbeit leisteten. Jedoch führen solche Falschmeldungen in der Regel nicht dazu, eine differenzierte Debatte über die Gerechtigkeit des Sozial- und Rentensystems anzustoßen, sondern sie befördern pauschale Urteile, etablieren Sündenböcke und ein „Wir gegen die“-Denken. Falschmeldungen sind auch deshalb gefährlich, weil sie bestehende Gräben in unserer Gesellschaft noch vergrößern und regelrecht Feindseligkeit fördern. Unter Falschmeldungen wie der gerade genannten werden als Kommentare oft Gewaltfantasien gegen geflüchtete Menschen und glatte Hetze gepostet. Eine solche Dynamik lässt sich auch bei anderen Themen beobachten. Zur In-Group-Love kann ein Out-Group-Hate hinzukommen.

„Wenn sich die Beziehungen zwischen Gruppen verhärten und wir beginnen, ‚unsere‘ Interessen als fundamental entgegengesetzt zu ‚ihren‘ Interessen zu betrachten, dann können sich die natürlichen positiven Emotionen und die Empathie, die wir gegenüber unseren eigenen Gruppen empfinden, in eine gefährliche Richtung verschieben. Wir beginnen zu denken, dass wir nicht nur gut sind, sondern dass wir von Grund auf gut sind. Und wenn das wahr ist, dann müssen sie von Grund auf schlecht sein und sollten um jeden Preis Widerstand erfahren“, schreiben die Psychologen Jay Van Bavel und Dominic Packer in ihrem Buch The Power of Us. Packer habe ich für dieses Buch interviewt; er wird uns in Kapitel 5 noch ausführlicher begegnen.19 Ein starkes „Wir gegen die“-Gefühl kann außerdem internen Widerspruch, also Selbstkritik aus den eigenen Reihen, erschweren. Ein gefühlt starker Außenfeind erleichtert es, interne Debatten gar nicht führen zu müssen.

Seitdem ich diese Beobachtungen aus der Psychologie kenne, bin ich umso skeptischer geworden, wenn Menschen den Anspruch haben, ihre Gruppe läge immer richtig. Jede und jeder, auch ich, neigt manchmal zur Selbstüberschätzung: Aber es gibt extremistische Rhetorik, die undifferenzierte Gruppengefühle begünstigt. Dazu ein Beispiel aus Österreich.

Anfang 2024 hält der rechtspopulistische Politiker Herbert Kickl (FPÖ) eine Rede. Er spricht darin von der „Mission Volkskanzler“, er will also österreichischer Bundeskanzler werden, und sagt: „Und wenn wir das angehen, dann können wir voll Zuversicht in dieses Jahr hineinstarten. Weil, wir haben nämlich eine Gewissheit und die Wähler haben eine Gewissheit. Wir wissen und die Wähler wissen, dass die Freiheitliche Partei in allen entscheidenden politischen Fragen recht hat und die anderen unrecht. So einfach ist das und so wahr ist das.“ Und als ersten Punkt geht Herbert Kickl auf die Coronazeit ein und die damaligen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Er nennt das einen „Terror gegen die eigene Bevölkerung“ und erklärt: „Wir werden diese...

Erscheint lt. Verlag 8.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7106-0833-3 / 3710608333
ISBN-13 978-3-7106-0833-9 / 9783710608339
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