So rettet ihr das Klima nicht! -  Morten Freidel

So rettet ihr das Klima nicht! (eBook)

Warum die Energiewende gescheitert ist und was wir jetzt tun müssen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60859-6 (ISBN)
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Klimapolitik auf Abwegen Viele sind überzeugt, dass echter Klimaschutz nur möglich ist, wenn wir auf wirtschaftliches Wachstum verzichten. Morten Freidel hat die Energiekrise seit dem Ukrainekrieg begleitet. Er hat mit zahlreichen Entscheidern gesprochen und ist überzeugt: Klimaschutz funktioniert nur mit Wachstum. Ein erzwungener Verzicht bedroht die Demokratie. Freidel wirbt leidenschaftlich für einen Klimaschutz, der Brückentechnologien als Chance sieht. Er verfällt dabei weder einem naiven Fortschrittsglauben noch Untergangsprophezeiungen. Sein Buch zeigt mit persönlichen Einblicken die Widersprüchlichkeit einer Moderne auf, die durch den Klimawandel in ihren Grundfesten erschüttert wird. Und es erklärt, was wir ändern müssen, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden.

Morten Freidel wurde 1983 in Hildesheim geboren und studierte Geschichte und Germanistik in Freiburg im Breisgau. Er veröffentlichte Beiträge für denWDR, die Süddeutsche Zeitung und den Tagesspiegel. Von 2014 bis 2024 arbeitete er bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die meiste Zeit als Politikredakteurder Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Eines seiner Fachgebiete ist die Energiepolitik. Seit April 2024 ist er stellvertretender Chefredakteur der NZZ Deutschland.

Erstes Kapitel
Wie ich lernte, die Energiepolitik zu lieben


Warum Energiepolitik das wichtigste Thema der Gegenwart ist

Energiepolitik hat mich nie interessiert. Für mich waren Artikel über Energiepolitik immer die mit den Fotos von Strommasten und wirr durcheinanderhängenden Kabeln. Schon die Fotos sahen so anstrengend aus, dass ich die meisten Texte gar nicht erst las. Wofür brauchte es bei Energie überhaupt Politik? RWE sollte seinen Strom verkaufen, die Politik die Regeln festlegen, so sah ich das.

Ein paar Monate nach Russlands Überfall auf die Ukraine bat mich ein früherer Kollege aus der Redaktion, eine Titelgeschichte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über die Atomkraft zu schreiben. Ich hatte wenig Lust. Es war Krieg, im Donbass starben ukrainische Soldaten. In einer solchen Situation über Atomenergie zu schreiben, kam mir vor, als würde ich während einer Notlandung über Briefmarken diskutieren. Es gab drängendere Themen. Ich hatte kein Problem mit den alten Meilern, aber Deutschland hatte sich nach Fukushima für einen anderen Weg entschieden, es setzt auf die Kraft von Wind und Sonne. Ich fand, das Thema gab nichts her.

Doch der Kollege insistierte. Also ging ich der Frage nach, ob es sinnvoll sein könnte, die letzten drei Reaktoren wegen der Energiekrise ein paar Monate länger laufen zu lassen. Es war die Zeit, in der die Deutschen darüber diskutierten, ob sie ihr Frühstücksei mit oder ohne Deckel kochen sollten, und in der Ministerpräsident Winfried Kretschmann ihnen empfahl, sich mit dem Lappen zu waschen, statt zu duschen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte, dass »jede Kilowattstunde« zähle. Das galt allerdings nicht für Strom aus Atomkraftwerken. Den wollte die Bundesregierung auf keinen Fall länger haben als nötig. Für sie war das vor allem eine Frage der Sicherheit. Ich ging zu Beginn meiner Recherche davon aus, dass sie gute Argumente hatte, die der Krieg zum Teil entkräften würde. Zu meiner Überraschung stellte ich fest: Sie hatte kein einziges gutes Argument. Deutschland konnte den Strom der Kraftwerke sehr wohl gebrauchen, anders als die Bundesregierung behauptete. Es gab sehr wohl genug Personal, um die Meiler weiterlaufen zu lassen. Es war sehr wohl möglich, die Brennstäbe neu anzuordnen und mehr Saft aus ihnen rauszuholen, und es drohte auch keine Kernschmelze, nur weil die Reaktoren für kurze Zeit weiterliefen. Ein leitender Techniker, der im damals schon vom Netz gegangenen Kernkraftwerk Brokdorf arbeitete, sprach am Telefon von »Scheinargumenten«. Wenn die Regierung denn wolle, könne sie alle Probleme lösen, sagte er. Das bestätigte sich Monate später, als die Bundesregierung nun doch beschloss, die Reaktoren über den Winter laufen zu lassen. Sie tat also genau das, was sie in diesem Moment noch als unmöglich darstellte.

Mich machte diese Hartnäckigkeit nervös. Wer sich in die entgegengesetzte Richtung zu allen anderen bewegt, der kann auf der richtigen Spur sein, meistens aber ist er ein Geisterfahrer. Noch dazu wirkte Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen aufgeschlossen gegenüber der Kernkraft. Einmal sagte er in einem Video, die Frage nach der Atomenergie sei »ja total virulent«. Ideologen klingen anders. Sie sind nicht offen für die Argumente der anderen. Habeck aber schien es zu sein. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass solche Leute meistens selbst die besten Argumente haben. Was, wenn ich derjenige war, der falschlag?

Einige Wochen nach dem Artikel kam der Kollege wieder zu mir. »Wir müssen was über Fracking machen!«, sagte er. Er fand, dass sich die Regierung für ein Übel entscheiden müsse: entweder für die Atomkraft oder dafür, Schiefergas in Deutschland zu fördern. Sonst könnte es eng werden mit der Energie, wenn das russische Gas ausblieb. Wieder war ich skeptisch. Mir kam Fracking noch abwegiger vor als Kernkraft. Ich hatte mich damit nie eingehend beschäftigt, aber Bilder im Kopf von verschlammten Bohrmaschinen und Arbeitern in der amerikanischen Prärie. Von Wasserhähnen, die man anzünden konnte, weil aus ihnen Gas entwich. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass Fracking Erdbeben auslösen kann. Im großen, weiten Amerika fand ich das vertretbar. Im dicht besiedelten Deutschland kam es mir riskant vor. Ich fand es außerdem verdächtig, dass in der Öffentlichkeit kaum einer über Fracking diskutierte. Vielleicht war die Sache einfach zu aufwendig, dachte ich. Jemand musste erst einmal Genehmigungen einholen, Probebohrungen machen, dann das Gas aus der Tiefe holen. Die Atomkraftwerke waren wenigstens gebaut, die konnten einfach weiterlaufen.

Doch die Dinge lagen anders. Unsere Titelgeschichte stützte sich vor allem auf den Bericht einer Expertenkommission, die die Große Koalition eingesetzt hatte, als sie 2016 das Fracking in Deutschland verbot. Die Kommission bestand aus lauter Umweltschützern und sollte nach dem Verbot in aller Ruhe prüfen, wie gefährlich es ist, Schiefergas zu fördern. Sie nahm sich dafür fünf Jahre Zeit, bis 2021. Man kann also sagen, sie arbeitete gründlich. Die Experten schätzten das Risiko für Erdbeben in ihrem Bericht als »äußerst gering« ein. Die Gefahr, dass Grundwasser verseucht werden könnte, hielten sie für »gering«. Seit die Amerikaner mit dem Fracking anfingen, sind sie besser darin geworden, sie haben ihre Methoden verfeinert. Die Kommission kam deshalb zu dem Schluss, dass Fracking auch in Deutschland vertretbar sei. Das Problem war nur: Es hatte kaum einer ihren Bericht gelesen. Eigentlich sollte der Bundestag auf seiner Grundlage noch einmal neu über das Fracking diskutieren. Die Umweltschützer erzählten uns, dass sie sogar ihre Urlaubspläne aufeinander abgestimmt hatten, falls jemand anrufen sollte, um sie einzuladen. Es rief aber niemand an.

Wir fragten in Habecks Ministerium nach, ob es wegen dieses Berichts und des Krieges nicht geboten sei, noch einmal über Fracking zu diskutieren. Eine Sprecherin hielt es nicht für geboten. Sie antwortete uns, Fracking sei verboten, weil es das Grundwasser verschmutze und der Umwelt schade. Das klang, als hätte es die Kommission nie gegeben. Die Sprecherin nannte Argumente, die seit mehr als einem Jahr widerlegt waren.

Was hier passierte, hatte für mich eine andere Qualität als die Diskussion über die Kernkraft einige Wochen davor. Ich habe schon oft erlebt, dass Politiker von unlösbaren Problemen redeten, die Experten für lösbar hielten. Beim Streit über Waffenlieferungen an die Ukraine passierte das ständig. Ich hatte aber noch nie erlebt, dass Fachleute für die Regierung einen Bericht verfassen, den die Regierung ignoriert. Noch dazu in einer solchen Notlage. Das ganze Land diskutierte damals darüber, wie man russisches Gas ersetzen könnte. Milliarden Kubikmeter Schiefergas liegen in Deutschland unter der Erde, es könnte das Land für Jahrzehnte versorgen. Und hier bot sich nun eine Möglichkeit, es rauszuholen, beglaubigt von Umweltschützern, die uns versicherten, dass sie sich vor allem von der Vorsicht leiten ließen, und trotzdem wollte die Bundesregierung nichts davon wissen. In der Kommission saßen auch nicht irgendwelche Leute. Ein Mitglied aus dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung war beteiligt, ebenso jemand aus dem Umweltbundesamt. Das ist eine Behörde, die dem Bundesumweltministerium unterstellt ist und die manche dafür kritisieren, dass ihr Naturschutz wichtiger ist als Ausgewogenheit. Ich weiß nicht, ob das berechtigt ist, ich bin mir aber sicher, dass im Umweltbundesamt keine Wirtschaftslobbyisten sitzen. Diese Leute hielten Fracking für vertretbar. Die Regierung handelte also gegen die eigenen Experten. Von nun an hatte die Energiepolitik meine Aufmerksamkeit.

Bis dahin hatte ich bei meinen Recherchen nur wenig über Klimaschutz nachgedacht. Es ging um die Versorgungssicherheit, um die Frage, wie Deutschland durch den nächsten Winter kommt. Ich wollte wissen, wie die Regierung vermeiden konnte, dass im Land die Lichter ausgingen. Was das für das Klima bedeutete, war erst einmal egal. Die Bundesregierung war der Meinung, dass sie das ohne Atomkraftwerke und heimisches Schiefergas schaffen würde. Sie baute lieber LNG-Terminals an der Küste, um Flüssiggas zu importieren, und holte alte Kohlekraftwerke wieder ans Netz. Das konnte man riskant finden oder nicht, es war jedenfalls keine Frage der planetaren Gesundheit. Die Ironie war aber, dass die Maßnahmen der Regierung auch noch klimaschädlich waren. Atomkraftwerke stoßen keine Treibhausgase...

Erscheint lt. Verlag 27.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-492-60859-0 / 3492608590
ISBN-13 978-3-492-60859-6 / 9783492608596
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