Die Moralapostel -  Fritz Söllner

Die Moralapostel (eBook)

Zerstörung eines Exportweltmeisters
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
320 Seiten
LangenMüller (Verlag)
978-3-7844-8503-4 (ISBN)
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Deutschland hat heute keine nationalen Interessen mehr. Das zumindest ist die offizielle Regierungsposition. Stattdessen stehen Werte im Mittelpunkt der Politik. Das ist nicht erst seit dem Amtsantritt der Ampelregierung so, sondern kennzeichnet die deutsche Politik schon seit vielen Jahren. Neu ist aber, dass sich unsere Regierung nicht mehr nur darauf beschränkt, 'unsere Werte' selbst zu leben, sondern auch versucht, andere Länder zur Akzeptanz dieser Werte zu bewegen. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Dieses Sendungsbewusstsein zeigt sich auf vielen Gebieten der Außenpolitik - etwa, wenn es um die Außenwirtschaftspolitik, die internationale Klimapolitik oder die Sanktionspolitik geht. Die deutschen Moralapostel gehen dabei mit großem missionarischem Eifer zu Werke und nehmen keine Rücksicht auf den Schaden, den sie mit ihrer Politik anrichten. Nur Gesinnung und gute Absichten zählen; Verantwortung und Konsequenzen spielen keine Rolle. So werden die nationalen Interessen Deutschlands massiv beeinträchtigt. Nicht nur Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch der Einfluss Deutschlands auf der Bühne der Weltpolitik sind in Gefahr. Es ist deshalb höchste Zeit für einen grundlegenden politischen Wandel, für die Abkehr vom politischen Moralismus und die Hinwendung zu einer interessengeleiteten Realpolitik.

Teil 1:
Der Vormarsch der Moralapostel

Kapitel 1:
Politischer Moralismus und Gesinnungsethik

Jegliche werteorientierte bzw. wertebasierte Politik ist ein Produkt der Gesinnungsethik.[15] Nur vor deren Hintergrund wird moralische Politik verständlich. Die Gesinnungsethik wiederum lässt sich am besten anhand der Gegenüberstellung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik erklären. Diese Unterscheidung geht auf den Soziologen und Ökonomen Max Weber zurück.

»Wir müssen uns klarmachen, dass alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann ›gesinnungsethisch‹ oder ›verantwortungsethisch‹ orientiert sein.«[16]

Weber weist darauf hin, dass sich Gesinnung und Verantwortung nicht gegenseitig ausschließen. Schließlich wird jedes politische Handeln durch bestimmte Werte und Ziele, also durch eine bestimmte Gesinnung, motiviert; und auch der überzeugteste Gesinnungsethiker kann die Augen vor den Folgen seines Tuns nicht auf Dauer verschließen. Aber »[w]enn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließenden Handlung üble sind, so gilt ihm nicht der Handelnde, sondern die Welt dafür verantwortlich«.[17] Der Verantwortungsethiker ist dagegen bereit, sich die Folgen seines Handelns zurechnen zu lassen, und richtet sein Handeln vor allem an den Folgen desselben aus. Anders der Gesinnungsethiker: »›Verantwortlich‹ fühlt sich der Gesinnungsethiker nur dafür, dass die Flamme der reinen Gesinnung, die Flamme z. B. des Protestes gegen die Ungerechtigkeit der sozialen Ordnung, nicht erlischt.«[18]

In neuerer Zeit hat der Philosoph Hermann Lübbe auf die Gefahren der Gesinnungsethik und auf deren verderblichen Einfluss auf die Politik aufmerksam gemacht. Eine gesinnungsethisch motivierte Politik bezeichnet er als politischen Moralismus, der den »Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft« darstelle (so der Untertitel seines Buches zu diesem Thema).[19]

»Statt der Ansicht und Absicht des politischen Gegners mit Sachargumenten oder auch mit moralischen Argumenten zu widersprechen, qualifiziert man moralisierend die Person dieses Gegners und gibt sich öffentlich erstaunt und empört, was für einer er doch sei.«[20]

Das soll freilich nicht heißen, dass Moral immer und in jedem Fall nutzlos oder sogar schädlich ist. Genau wie für Weber ein Handeln ohne Gesinnung nicht vorstellbar ist, hält auch Lübbe moralische Überlegungen für unverzichtbar – als Maßstab für die Beurteilung »elementarer Lebenszwecke und Lebensführungsregeln«.[21] Diesseits von Entscheidungen über höchste Werte und letzte Zwecke, also im alltäglichen politischen Leben und bei der Lösung konkreter Probleme, können und dürfen moralische Argumente aber keine – oder zumindest nicht die entscheidende – Rolle spielen.

»Zur Normalität geordneter politischer Lebensverhältnisse dürfte es doch gehören, dass die moralisierende Form der politischen Argumentation nur in äußersten Ausnahmefällen zugelassen ist.«[22]

Entscheidend ist der Unterschied zwischen Moral und Moralismus bzw. Moralisierung – auch aus demokratietheoretischer Sicht, wie der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel schreibt:

»Moralisierung ist von Moral abzugrenzen. Moral, wie sie etwa in den Menschen- und Freiheitsrechten in demokratischen Verfassungen kodifiziert ist, wie sie als Gleichheits- und Gerechtigkeitspostulate in rechtsstaatlichen Normen gefasst wird oder auch als Toleranz und Respekt verankert ist in zivilisierten Zivilgesellschaften, ist gerade in Demokratien als normative Orientierung unverzichtbar. Ohne Moral keine Demokratie. Mit der Moralisierung verhält es sich anders. Moralisierung ist eine ›selbstgerechte Stilisierung‹ der eigenen moralischen Position, um eine andere moralische Position herabzusetzen.«[23]

Dass dies der Demokratie auf Dauer schaden muss, ist offensichtlich. Denn dem Moralismus wohnt eine gewisse Tendenz zum Totalitarismus inne. Die Gesinnungsethiker sind von sich und ihrer überlegenen Moral überzeugt und halten sich deshalb nicht nur für berechtigt, sondern auch für verpflichtet, diese Moral politisch umzusetzen – und zwar mit allen Mitteln. Dazu gehört »die Selbstermächtigung zum Verstoß gegen die Regeln des gemeinen Rechts und des moralischen Common sense unter Berufung auf das höhere Recht der eigenen, nach ideologischen Maßstäben besseren Sache«.[24] Toleranz gegenüber anderen politischen Positionen, die Prüfung und Würdigung anderer Argumente und die Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien sind für sie verzichtbar. Im Umgang mit »unmoralischen« Menschen sind schließlich alle Mittel erlaubt. Das kritisiert auch der Philosoph und Medienwissenschaftler Norbert Bolz:

»[W]o Gefühle statt Argumente die Debatten bestimmen, kommt es ganz unvermeidlich zur Verteufelung der Andersdenkenden. Alle Sachfragen geraten in den Sog moralistischer Polemik (…). Im Extremfall (…) sieht der politische Moralist im politischen Gegner einen Unmenschen.«[25]

Diese Verteufelung der Andersdenkenden legitimiert nicht nur deren Ausgrenzung aus der Politik, sondern erfordert diese sogar. Damit nimmt die Politik einen totalitären Charakter an. Oder kurz gesagt: »Der politisierten Moral entspricht eine totalitäre Politik.«[26]

Der politische Moralismus kann nicht nur zum Totalitarismus führen, sondern dieser ist auf jenen so gut wie angewiesen. Lübbe weist darauf hin, dass der politische Moralismus vor allem in totalitären Systemen eine große Rolle spielt, ja spielen muss, weil diese sich auf einen Austausch von Argumenten und eine offene Diskussion natürlich nicht einlassen können, sondern im Gegenteil beides unterdrücken müssen.[27] Dazu eignet sich die Moralisierung hervorragend.

»Mit dem Grad der Entfernung totalitärer Ideologie und Politik von gemeinsinnfähiger Weltkenntnis und Moral wächst also ihr Selbstrechtfertigungsbedarf. Ein hoher moralisierender Dauerton prägt daher auch die totalitäre Rhetorik. Nichts geschieht ohne Rekurs auf höchste legitimierende Zwecke – Gemeines wie Ungemeines.«[28]

Der politische Moralismus wirkt sich aber nicht nur auf die Art und Weise aus, wie Politik gemacht wird (demokratisch oder totalitär), sondern auch auf Inhalte und Ziele der Politik. Denn unter den politischen Moralisten gibt es »eine unverkennbare Links-Drift«, weil das linke Ideal »einer Gesellschaftsordnung, in der individuelle und kollektive Interessen nicht nur versöhnt, vielmehr identisch geworden sein werden«, politische Moralisten besonders anspricht.[29] Verstärkt wird diese Tendenz durch die Verachtung, die Moralisten – fast schon traditionell – der liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung entgegenbringen, weil in derselben die Notwendigkeit, sein Handeln unmittelbar am Gemeinwohl und an den Geboten der Moral auszurichten, kaum besteht, sondern stattdessen die Freiheit, seine Eigeninteressen verfolgen zu können, sehr groß ist.[30]

Nicht genug damit – auch auf die Qualität der Politik wirkt sich der politische Moralismus aus: Es dürfte klar sein, dass es mit der Qualität politischer Entscheidungen in allen Fällen, in denen Moral und Gesinnung dominieren, nicht zum Besten stehen kann. Wenn die Folgen der Politik entweder ignoriert oder zumindest als unwichtig vernachlässigt werden und statt guter Resultate nur der gute Wille zählt – dann ist nicht damit zu rechnen, dass eine rationale, an Kosten und Nutzen orientierte Politik im Interesse der Bevölkerung betrieben wird. Das impliziert insbesondere, dass in der Außenpolitik die eigenen nationalen Interessen um »unserer Werte« willen vernachlässigt werden. Schließlich, um das nochmals zu betonen, läuft »die moralisierende Form politischer Auseinandersetzung stets Gefahr (…), im Triumph der guten Gesinnung über die Gesetze des Verstandes zu enden.«[31]

Leider wohnt dem politischen Moralismus bzw. der gesinnungsethischen Politik die Tendenz inne, im Zeitablauf stärker zu werden – und zwar unabhängig vom Inhalt einer solchen Politik. Dies liegt vor allem daran, dass sie so bequem und verführerisch ist: Wenn es nur um Gesinnung und Moral geht, wenn man keine Verantwortung für die Konsequenzen seiner Politik übernehmen muss, dann braucht man sich auch keine Gedanken um diese Konsequenzen zu machen und muss Politik nicht mit dem Verstand, sondern kann sie mit dem Gefühl betreiben. Man benötigt auch keine besonderen Kompetenzen und keinen Sachverstand: Allein die gute Absicht zählt. Und wenn man diese Grundvoraussetzung erfüllt, dann braucht man nur dickes Sitzfleisch, spitze Ellbogen und ein biegsames Rückgrat, um in der Politik Erfolg zu haben – ein klarer Verstand und ein fundiertes Wissen sind nicht nötig, ja sogar schädlich. Schließlich fällt es umso schwerer, eine bestimmte Gesinnung bedingungslos zu vertreten, je mehr man zu selbständigem und kritischem Denken fähig ist.

Das führt zu einer Negativselektion der Politiker: Vor allem diejenigen, die auf anderen Gebieten gescheitert sind oder scheitern würden, zieht es in die Politik. Dadurch entsteht ein Teufelskreis: Je mehr solcher Politiker es gibt, desto mehr setzt sich der politische Moralismus durch und desto weniger kommt es auf Kompetenzen an. Dadurch zieht es immer mehr Inkompetente in die Politik, wodurch der politische Moralismus noch...

Erscheint lt. Verlag 24.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7844-8503-0 / 3784485030
ISBN-13 978-3-7844-8503-4 / 9783784485034
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