Fachkräftemigration fair gestalten durch transnationale Skills Partnerships -

Fachkräftemigration fair gestalten durch transnationale Skills Partnerships (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
354 Seiten
Verlag Bertelsmann Stiftung
978-3-86793-990-4 (ISBN)
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Wie gestalten wir Fachkräftemigration partnerschaftlich und zukunftsfähig? Welche Chancen ergeben sich, wenn Aus- und Weiterbildung Hand in Hand mit Migrationspolitik gehen? Wie können wir durch transnationale Partnerschaften die Fachkräftebasis global stärken und fair teilen, zum Nutzen aller Beteiligten? Transnationale Skills Partnerships bieten hierfür wegweisende Modelle, indem sie - bei der grenzüberschreitenden Entwicklung von Kompetenzen - an der Wurzel ansetzen. Diese Partnerschaften balancieren die Interessen von Herkunfts- und Zielländern sowie Migrierenden aus, und sie mindern die negativen Effekte der Arbeitsmigration, wie etwa den Brain Drain. Die Herkunftsländer profitieren dabei nicht nur von Geldtransfers und rückkehrenden Fachkräften, sondern erhalten wertvolle Impulse für ihre Berufsbildung und ihre Arbeitsmärkte. Deutschland gewinnt Fachkräfte durch qualifizierte Zuwanderung und lenkt diese in geordnete Bahnen. Dieser Sammelband ist ein Ergebnis der 'Denkfabrik für transnationale Skills Partnerships' der Bertelsmann Stiftung - einem sektorenübergreifenden Netzwerk von Pionieren guter Praxis aus Wirtschaft, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Perspektivenreich und praxisorientiert, sichert das Kompendium nicht nur Erfahrungswerte erster Initiativen, sondern öffnet auch mit konkreten Handlungsempfehlungen und Reformideen Türen für innovative Lösungsansätze. Es gilt, die Entwicklung und Mobilität von Fachkräften neu zu denken!

Von der Vision zur Praxis transnationaler Skills Partnerships in Deutschland: Eine Standortbestimmung sechs Jahre nach Verankerung im Globalen Migrationspakt


Paula Abbate, Najim Azahaf

Die Genese des Konzepts


Die Vision der Global Skills Partnerships (GSP) hat in den letzten Jahren in Deutschland erhebliche politische und praktische Relevanz erlangt, insbesondere seit ihrer Integration in den Globalen Migrationspakt der Vereinten Nationen von 2018. Erstmals skizziert wurde sie im Jahr 2014 von dem US-amerikanischen Ökonomen Michael Clemens vom Centre for Global Development in Washington, D. C. Global Skills Partnerships zielen darauf ab, dass Herkunftsländer und Zielländer in Sektoren mit ähnlichen Fachkräftebedarfen kooperieren und gemeinsame Qualifizierungsprogramme in Herkunftsländern unterhalten, die zweigleisig ausbilden: ein »home track« für den Bedarf im Herkunftsland und ein »abroad track« für die Migration ins Zielland. Letzterer umfasst zusätzliche Angebote wie Sprach- und Integrationsvorbereitungskurse, ausgerichtet auf das Zielland. Harmonisierte Curricula erleichtern die Anerkennung der Abschlüsse in beiden Ländern. Arbeitgeberbeiträge vor allem aus dem Zielland sichern die Finanzierung des Programms (Clemens 2014).

Dieses Modell basiert auf einem Multi-Stakeholder-Ansatz, der neben Regierungen und Ministerien auch Partner aus der Privatwirtschaft einbezieht. Konzeptionell verspricht die Idee enorme Vorteile, da alle Beteiligten profitieren. Zielländer und ihre Unternehmen erhalten passgenau qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland über sichere, geordnete und faire Wege. Herkunftsländer bekommen neben den wichtigen Geldtransfers ihrer Arbeitsmigrant:innen auch wertvolle Impulse und Investitionen für ihre Ausbildungssysteme und Arbeitsmärkte. Nicht zuletzt eröffnen sich durch berufliche und sprachliche Qualifikationen neue Beschäftigungsperspektiven im In- und Ausland für junge Menschen im bevölkerungsreichen globalen Süden. Kehren Fachkräfte möglicherweise zurück, bringen sie neue Netzwerke, Know-how und Kapital zurück ins Herkunftsland. Anstelle eines Braindrain tritt auf diese Weise ein Braingain, der die Fachkräftebasis global stärkt. Ein besseres Triple-Win-Szenario ist kaum vorstellbar.

Obwohl einige Pilotprojekte Erfolge verzeichnen konnten, bleibt festzustellen, dass das volle Potenzial des Modells seit seiner Veröffentlichung vor zehn Jahren noch nicht auf breiter Basis realisiert werden konnte. Doch inspiriert der Geist dieser Idee weltweit zunehmend Anwerbemodelle für Fachkräfte und Auszubildende. Diese setzen in den Herkunftsländern an und integrieren berufliche sowie sprachliche Qualifizierungsmaßnahmen, die sich an internationalen Normen und Standards orientieren. Diese Entwicklungen kommen dem Ziel eines Nutzens für alle Beteiligten im Sinne des Triple Win immer näher.

Der Globale Migrationspakt (GCM) der UN, der 2018 von 164 Mitgliedstaaten angenommen wurde, steht im Zeichen des normativen Anspruchs von Triple Win und unterstützt die Idee der GSP als einen Weg, um geordnete, reguläre und sichere Migration zu fördern. Der Pakt empfiehlt für die berufliche Bildung Ausbildungs- und Kompetenzpartnerschaften und formuliert dabei explizit GSP als Ziel (UN 2018): »Build global skills partnerships among countries that strengthen training capacities of national authorities and relevant stakeholders, including the private sector and trade unions, and foster skills development of workers in countries of origin and migrants in countries of destination with a view to preparing trainees for employability in the labour markets of all participating countries« (Ziel 18e GCM).

Auch wenn der Globale Migrationspakt ausdrücklich die von Michael Clemens geprägte Bezeichnung übernommen hat, wurde im Zuge der Regierungsverhandlungen die Ausrichtung der Qualifizierungsmaßnahmen auf das Zielland erweitert (»and migrants in countries of destination«). Dadurch flexibilisiert der GCM das auf Herkunftsländer ausgerichtete Kooperationsmodell der Global Skills Partnerships und schließt auch Modelle ein, die die berufliche Qualifizierung im Zielland vorsehen. Während dies für einige eine Verwässerung des Konzepts bedeutet, sehen andere darin eine Erweiterung der Möglichkeiten, solange das Triple-Win-Prinzip gewahrt bleibt. In jedem Fall hat dieses politische Verhandlungsergebnis zu einer begrifflichen Verwirrung beigetragen.

In der Praxis wurden zwischenzeitlich verschiedene Bezeichnungen für koordinierte Projekte der Ausbildungs- und Arbeitsmigration für mittelqualifizierte Berufe im Sinne des Triple Win entwickelt. Sie sollen die vielfältigen Ansätze, Modelle und Projekte zwischen Beschäftigungs-, Bildungs-, Migrations- und Entwicklungspolitik integrieren. Dazu gehören Skills Mobility Partnerships (IOM), Talent Partnerships (EU), Transnationale Qualifizierungs- und Mobilitätspartnerschaften (Sauer und Volarević 2020), Berufsbildungspartnerschaften (BMBF/GOVET), Transnationale Ausbildungspartnerschaften (Azahaf 2020) sowie Skills Mobilitätspartnerschaften (IOM 2023).

In dieser Publikation wird einheitlich der Begriff »transnationale Skills Partnerships« – abgekürzt tSP – verwendet und verstanden als »Überbegriff für transnationale Modelle, die entwicklungsorientierte Migrationspolitik mit (Berufs-)Bildungspolitik verknüpfen und dabei auf eine gerechte Verteilung der durch qualifizierte Migration erzielten Vorteile abzielen« (Sauer und Volarević 2020: 8).

Die Modelle in der Praxis


Um die Vielfalt besser greifbar zu machen, hat sich eine Typologie bewährt, die die Modelle nach dem Ort und Zeitpunkt der Qualifizierungsmaßnahmen in drei Grundtypen einteilt (vgl. Azahaf 2020):

Typ 1: Fachkräftepartnerschaften1 konzentrieren sich darauf, ausländische Fachkräfte zu rekrutieren, die anschließend in Deutschland eine Anpassungsqualifizierung durchlaufen, um die Anerkennung und Gleichwertigkeit ihrer Qualifikation zu erreichen. Im Allgemeinen erwerben die Teilnehmer:innen bereits im Herkunftsland erste Deutschkenntnisse und es erfolgt eine kontinuierliche Begleitung ihrer beruflichen und sozialen Integration bis zur Anerkennung.

Typ 2: Ausbildungspartnerschaften beginnen mit einer sprachlichen und interkulturellen Vorbereitung im Herkunftsland, gefolgt von einer vollständigen Ausbildung in Deutschland, wodurch die Notwendigkeit einer beruflichen Anerkennung entfällt.

Typ 3: Berufsbildungspartnerschaften sehen eine sprachliche und berufliche Qualifizierung nach vereinheitlichten Standards im Herkunftsland vor. Ein Teil der neuen Fachkräfte bleibt im Herkunftsland, während ein anderer Teil in das Zielland migriert. Durch Investitionen aus Zielländern wird die Ausbildungsinfrastruktur in Partnerländern gestärkt, was migrationspolitische mit entwicklungspolitischen Zielen verbindet.2

Alle Typen von Partnerschaften versprechen Vorteile für alle Beteiligten. Gut gemanagt und ausgerichtet auf internationale Standards, können sie zusammen effektive Instrumente in einem umfangreichen Werkzeugkoffer für faire Anwerbung darstellen. Die Partnerschaften basieren in der Regel auf Vermittlungsabsprachen mit den Partnerländern, um negative Effekte der Arbeitsmigration wie Braindrain zu vermeiden. Sie orientieren sich an internationalen Standards fairer Rekrutierung, wie sie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und der Globale Migrationspakt festlegen.

Zu den wichtigen Prinzipien dieser Standards gehört neben dem Employer-Pays-Prinzip das Unterstützungsgebot für die betriebliche und soziale Integration, das sicherstellt, dass Arbeitsmigrant:innen angemessen unterstützt werden, um sich in ihr neues Lebens- und Arbeitsumfeld einzufügen (ILO 2019). Bei tSP im Pflegebereich wird zudem der Code of Conduct for Recruitment of Health Personnel der Weltgesundheitsorganisation berücksichtigt und nicht in Ländern angeworben, die unter einem kritischen Bestand ihres medizinischen Gesundheitspersonals leiden (WHO 2010). Die Standards dienen als Leitlinien für die Entwicklung und Umsetzung von tSP und tragen dazu bei, eine gerechte, nachhaltige und ethisch verantwortliche Arbeitsmigration zu fördern. Insbesondere Projekte der Typen 2 und 3 führen zu einem realen Aufwuchs der globalen Fachkräftebasis und generieren einen Brain Gain, indem sie neue Fachkräfte entwickeln, die es vorher nicht gab. Je stärker die beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen im Herkunftsland verankert sind und die flankierenden Interventionen auf die strukturelle Entwicklung der Bildungsinfrastruktur abzielen, desto besser fällt die Nutzenbalance für das Partnerland aus (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Nutzenmatrix für transnationale Skills Partnerships

Quelle: eigene Darstellung

Eine Zwischenbilanz: Wo steht Deutschland?


Nach der Verankerung im GCM haben tSP in den letzten Jahren in Deutschland starken politischen Rückenwind erfahren. Die Bundesregierung bewertet...

Erscheint lt. Verlag 17.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-86793-990-X / 386793990X
ISBN-13 978-3-86793-990-4 / 9783867939904
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