Was ist heute Politik? -  Emanuel Richter

Was ist heute Politik? (eBook)

Merkmale, Handlungsfelder, Problemstellungen
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2024 | 1. Auflage
353 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45856-4 (ISBN)
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Die herausragende Bedeutung und der hohe Stellenwert der Politik sind unumstritten, besonders im deutschen und europäischen Superwahljahr 2024. Die öffentliche Aufmerksamkeit für sie ist beständig und groß, selbst im Kreis der Politikverdrossenen. In erster Linie rechnet man den Staat, die Regierung, die Parteien und Interessengruppen sowie die hauptamtlichen Politikerinnen und Politiker zu den wichtigsten Elementen der Politik. Doch wir alle sind viel eindringlicher mit Politik verbunden, als uns bewusst ist: als sachlich und emotional Betroffene, als Teilhaber:innen der gemeinsamen Lebensbewältigung, als Angehörige eines Volkes und als unmittelbare Mitgestalter:innen. Was also ist Politik heute, was macht sie so bedeutend und so allgegenwärtig? Emanuel Richter zeigt in diesem leicht verständlichen Leitfaden zu den Grundlagen der Politik, wie vielgestaltig die Handlungsfelder der Politik heute sind, wie umfassend sie unser Zusammenleben bestimmt und welch weitreichenden Gestaltungsauftrag sie in den Krisen der Gegenwart - in Zeiten von KI und Klimawandel - auf unserem Planeten erlangt.

Emanuel Richter war nach Lehrtätigkeiten in den USA von 2000 bis 2020 Professor für Politische Wissenschaft an der RWTH Aachen. Seitdem ist er als Publizist sowie als Kommentator des politischen Geschehens in Fernsehen, Rundfunk und Presse tätig.

2.Was wir für bedeutsam halten: Politik als Ordnung


Der Staat, das Recht und die Gesetze


Der Staat ist allgegenwärtig, und dennoch sehen wir ihn nicht. Das macht ihn unheimlich. Unsere gängigen Vorstellungen vom Staat sind auch deshalb geprägt von Phantasien über eine dunkle Macht, die eine undurchsichtige Verfügungsgewalt über das persönliche Leben ausübt. Einige berühmt gewordene bildliche Darstellungen des Staates zeigen genau das: ein Ganzes, das sich aus vielen Einzelteilen zusammensetzt, nämlich den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern, und das sorgsam wie streng seine Hoheit über die einzelnen Teile ausübt. Zudem hört man immer wieder die ehrfurchtsvolle, recht altbackene Beschwörungsformel vom »Vater Staat«: Sie deutet auf Autorität, Entscheidungsbefugnis, Sorgfaltspflicht, aber auch schlicht auf gebotene Achtung, erwartete Fügsamkeit und bereitwillige Unterordnung.

Tatsächlich können und müssen wir den Staat oftmals als bevormundenden Befehlsgeber erleben und die Gesetze als ein Wirrwarr an kleinlichen Vorschriften. Der Staat, das Recht und die Gesetze stehen für die Obrigkeit, für strikte Regulierung, für Zwang und für Einschränkungen. So bekommen wir den Staat zu spüren, wenn er in Gestalt des ungeliebten Finanzamts von uns Abgaben einfordert. Der unliebsame Staat ist auch da, wo der Antrag auf Wohngeld zu einer nervenaufreibenden Reise durch den Behördendschungel führt. Der allmächtige Staat steckt hinter der Kamera, die im Bahnhof für unsere Gesichtserkennung sorgt und diese Daten verwertet. Zu ihm gehört auch jene Befugnis der öffentlichen Verwaltung, die darüber bestimmt, ob und wo wir ein Gewerbe ausüben dürfen, welche Schule für unsere Kinder zuständig ist, welche Auflagen wir als Bauherr für den Hausbau zu erfüllen haben. Der Staat blickt hinter jeder roten Ampel hervor, er bestimmt über die Mindestgröße der Äpfel im Supermarkt, er ist verantwortlich für die Sperrstunde in der Stammkneipe, für die Lärmkontrolle auf der Gartenparty, für die Qualität der Internet-Verbindung im eigenen Wohnquartier.

Der Staat benutzt das Recht, um uns zu reglementieren. Das Recht dient überhaupt erst der Begründung von Staatlichkeit. Erst die Reichweite einer Rechtsordnung legt den Geltungsbereich staatlicher Macht fest. Jegliche Staatlichkeit ist in ihrer räumlichen Ausdehnung und im Umfang ihrer Regulierungsvollmacht durch eine nationale Rechtsordnung bestimmt – die sogenannte »Verfassung«. Die Verfassung billigt jedem von uns Rechte zu, sie legt uns aber auch gehörige Pflichten auf. Und sie setzt die Machtbefugnis der staatlichen Organe fest. Sie beauftragt und ermächtigt Parlamente und Regierungen, in rascher und dichter Folge Gesetze zu formulieren und zu erlassen. Diese von den staatlichen Organen hervorgebrachten Gesetze sind es, die unser Zusammenleben in mancherlei Hinsicht bis ins kleinste Detail der persönlichen Lebensführung ordnen. Sie bringen einen Wust an Regeln für die Gestaltung der gemeinschaftlichen Existenz hervor und kommen beim Einzelnen oft genug als eine Form der unangemessenen Maßregelung und der Gängelung an. Schließlich übt der Staat auch die Kontrolle über die Einhaltung von Recht und Gesetzen aus, er ordnet Gerichtsverfahren an und verhängt Strafen bei Gesetzesbruch. Er kann so weit über uns verfügen, dass er uns bei erheblichen Verstößen ins Gefängnis bringt. Der Staat, das Recht und die Gesetze sind gebieterische Träger der politischen Herrschaftsgewalt. Und diese äußert sich oft genug als weitreichendes Verfügungsrecht über die Lebensführung seiner Bürgerinnen und Bürger.

Der Verlauf der Corona-Pandemie hat allen entsprechenden Argwohn gegenüber dem Staat und seinen Gesetzen greifbar werden lassen. Staatliche Macht kann in Zeiten der akuten Gesundheitsgefährdung massiv in das Leben der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger eingreifen und zahlreiche Auflagen sowie Verbote hervorbringen, denen man sich unter Strafandrohung zu unterwerfen hat. Der Staat behelligt die einzelnen Bürgerinnen und Bürger mit Zwangsmaßnahmen, die tief in die Privatsphäre vordringen. In den Augen derjenigen, die nicht an die zufällige Ausbreitung eines Virus geglaubt haben, sondern von einer weltumspannenden Verschwörung einflussreicher Leute und geheimnisvoller Bösewichte ausgingen, erschien der Staat gar als die Agentur eines unermesslichen Täuschungsmanövers, die eine künstlich erzeugte Bedrohungslage dazu nutzt, Menschen zu belügen und zu unterwerfen. Das wird in einem späteren Kapitel, das dem Thema der »Pandemie« gewidmet ist, noch eingehender erörtert. Der Staat kann jedenfalls unversehens zum Feindbild der freien Selbstentfaltung werden. In »autoritären« Herrschaftssystemen, in denen zumeist eine verschworene Elite oder eine einzelne Führungsgestalt sehr viel Macht an sich gerissen hat, übt der Staat tatsächlich eine besonders weitreichende Bevormundung aus: Er mischt sich mit einer umfassenden Verfügungsgewalt und Strafbewehrung in zahlreiche Lebensbereiche ein. Wer sich den Anordnungen nicht fügt oder gegen sie aufbegehrt, wird hart bestraft oder aus dem Staatsgebilde vertrieben. Der Staat wird zu einer brutalen Zwangsgewalt.

Wo auch immer wir hinsehen, tritt uns der Staat als eine Einrichtung gegenüber, die mit Hilfe von Vorschriften eifrig reguliert, reglementiert, kontrolliert und bei Zuwiderhandlung bestraft. Der Staat, das Recht und die Gesetze erschaffen eine machtvolle Ordnung, die tief in unser persönliches Leben eingreift. Das alles gilt dann bedauerlicherweise als das herausragende Merkmal von Politik und befeuert ein folgenreiches Missverständnis: Als das einzig bedeutsame Merkmal der Politik erscheint schließlich nur noch die Ordnung, verkörpert von einem übergriffigen Staat und von strengen Rechtsvorschriften, die vornehmlich dazu dienen, die Bürgerinnen und Bürger zu gängeln. Diese können sich kaum mehr als die Urheber und Gestalter der politischen Ordnung betrachten, sondern erfahren sich bloß noch als deren Adressaten und als Untertanen. Die politische Ordnung wird zu einer bürgerfernen, missliebigen, argwöhnisch betrachteten Einrichtung mit umfangreicher Verfügungsgewalt stilisiert.

Eine solchermaßen zugespitzte Auffassung von der Politik erweist sich allerdings als völlig unzureichend. Einerseits stellen der Staat, das Recht und die Gesetze durchaus eine notwendige Einrichtung des Zusammenlebens dar. Der Staat ist als politischer Ordnungsrahmen und als Raum des politischen Zusammenwirkens unerlässlich. Ein bestimmtes Ausmaß an Reglementierung im Bereich der gemeinsamen Lebensbewältigung lässt sich nicht vermeiden. Das Recht und die Gesetze bilden eine unabkömmliche Handhabe, um das Zusammenleben verbindlich zu regeln und zu gestalten. Sie sind unentbehrliche Bestandteile der Politik. Andererseits stellen der Staat und das Recht nur einzelne Elemente in den Erscheinungsformen der Politik dar. Insofern steckt in den eingangs geschilderten Klischees über den durchgreifenden Staat und über die ausufernde Gesetzesflut ein bisschen Wahrheit, aber auch eine gehörige Portion an einseitiger Wahrnehmung und Übertreibung. Es bleiben einige Vorurteile und Missverständnisse hinsichtlich der Rolle des Staates, hinsichtlich der Bedeutung des Rechts und hinsichtlich des Erfordernisses von Gesetzgebung auszuräumen. So bleibt der Stellenwert der staatlichen Ordnung gegenüber allen anderen Bestandteilen von Politik kritisch zu bewerten.

Was ist also der Staat, was leisten das Recht und die Gesetze? Der Staat und die Gesetze sind die Verkörperung einer verbindlichen Ordnung, in deren Geltungsraum das Zusammenleben von Menschen organisiert wird. Noch ohne auf ihre Funktionstüchtigkeit zu blicken, wird durch diese Ordnung erst einmal der Rahmen eines regelgeleiteten Zusammenwirkens abgesteckt. In diesem Sinne steht der Begriff des »Staates« ganz allgemein für dieses Ganze und seine Teile, für die internen Gestaltungselemente, Regeln und Abläufe sowie für die Kontrollelemente ihrer Einhaltung. In einer solchen Begriffsbestimmung wird der Staat nicht nur als Kennzeichnung für das Zusammenwirken unter Menschen verstanden, sondern auch für entsprechende...

Erscheint lt. Verlag 19.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-593-45856-X / 359345856X
ISBN-13 978-3-593-45856-4 / 9783593458564
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