Ich möchte etwas für den Frieden tun... -  Gottfried Orth

Ich möchte etwas für den Frieden tun... (eBook)

Ernst Lange oder: Das Paradies könnte heute sein
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2024 | 1. Auflage
192 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-8106-2 (ISBN)
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Ernst Lange (1927-1974) ist wohl neben Dietrich Bonhoeffer der wichtigste und weitsichtigste ökumenische Theologe in Deutschland: Sein Lebensthema war der Frieden auf Erden und im vorherrschenden Friedensdefizit sah er den unausweichlichen Relevanz- und Plausibilitätszusammenhang für das Christentum. Ernst Lange war Autor von Laienspielen und Musicals, Kirchenreformer mit dem Projekt der Ladenkirche am Brunsbüttler Damm, er gilt als einer der bedeutendsten Prediger und Predigttheoretiker des 20. Jahrhunderts. Er war Praktiker und Theoretiker einer konfliktorientierten Erwachsenenbildung. In all dem ging es ihm um die Kommunikation des Evangeliums für die Welt in der Kirche und weit darüber hinaus.

Gottfried Orth, Dr., Prof. em. für Evangelische Theologie und Religionspädagogik an der Technischen Universität Braunschweig, Pfr. i. R. und Trainer für Gewaltfreie Kommunikation im ORCA-Institut für Konfliktmanagement und Training.

Einleitung


ALFRED BUTENUTH, Ernst Langes lebenslanger Freund und Kollege, berichtet von folgender „Erfahrung“: „Je länger ich Ernst Lange kenne, umso mehr habe ich den Eindruck, dass er selbst, aber auch unsere Freundschaft und unsere gemeinsame Arbeit politisch bestimmt sind: politisch sind jedenfalls Motive und die Ziele.“ Und weiter: „Als Ernst Lange nach Genf ging, formulierte er ausdrücklich eine politische Zielsetzung und Motivation. Er schrieb an den Generalsekretär: ‚Ich möchte etwas für den Frieden tun‘.“5 Das Pathos dieser Worte hat er 1972 revidiert: „Heute weiß ich: Man spricht so etwas nicht aus. Man gerät dadurch in eine lächerliche Perspektive, vor allem vor sich selbst.“6 Doch das genannte Ziel „verlor er in allen seinen verschiedenen Funktionen nie aus den Augen“7. Es ging ihm angesichts der ‚gegenwärtigen internationalen Lage‘ (1967/68) darum, ‚vielleicht ein klein wenig für den Frieden in Kirche und Welt zu tun – mehr als gegenwärtig in einer Gemeinde oder an der Universität‘. 8 Dieses Buch in kriegerischer Zeit – wir leben ja längst, wie Papst FRANZISKUS analysiert9, auf einer Erde, die in „einem dritten Weltkrieg“ immer weiter „zerbröckelt“ – ist dieser Handlungsperspektive Ernst Langes verpflichtet.

Der Impetus, mit dem er in Genf an diese Arbeit ging, war der seiner Jonapredigten über „die verbesserliche Welt“, die er im Frühjahr und Herbst 1967 in der Ladenkirche der „Evangelischen Gemeinde am Brunsbüttler Damm“ in Berlin-Spandau gehalten hat: „Liebe Freunde“, so beginnt die letzte dieser Jonapredigten, „das Buch Jona erzählt die fantastische Geschichte, wie aus Auschwitz Bethel wurde. Wie aus der Vorhölle, in der der Mensch des Menschen Wolf ist, – nun, nicht gerade das Himmelreich wurde, aber doch die menschlichere, die brüderlichere Welt, in der die Menschen einander beim Leben helfen. … Wenn das Volk Gottes nicht mehr an Wunder glauben will, wird Gott eigentümlich hilflos. Seine Buße bekommt in der Welt nicht Hand noch Fuß, bewirkt also auch nicht die Buße Ninives, wenn das Volk Gottes seinen Wunderglauben verliert und also auch nicht mehr als Assistenz, als Helfershelfer, als Ansager des Wunders aufzutreten vermag. Gottes überraschender Entschluss, Ninive zu retten, kann dann im Sande verlaufen, im Sande unseres Unglaubens. … Wenn wir uns das Wunder nicht mehr denken können, kann Gott es auch nicht tun.“10

Es geht um die Menschen, wenn es um Gott geht.

Die politischen – vor allem auch die gesellschafts(!)-politischen – Motive und Ziele, die die Arbeit Ernst Langes – wie Alfred Butenuths – bestimmten, fielen freilich nicht vom Himmel. Sie stehen im Kontext der frühen pädagogischen und theologischpolitischen Impulsfelder des jungen Ernst Lange, die wenigstens genannt sein sollen.11

Dabei ist zunächst eine frühe Bildungserfahrung zu nennen: Langes Schulzeit im Landschulheim in Schondorf am Ammersee. Er und seine Schwester Ursula besuchten seit 1937 diese von dem Reformpädagogen HERMANN LIETZ geprägte Schule; während URSULA LANGE dort 1939 Abitur machte, musste Ernst Jakob Lange die Schule 1943 aufgrund der sich verschärfenden Rassegesetzgebung – er war von den Nationalsozialisten als „Halbjude“ eingestuft – verlassen. Doch Jugendbewegung und Reformpädagogik mit musischer und ästhetischer Bildung und eine auf Eigenverantwortung und Selbstätigkeit zielende Erziehung waren im Landschulheim so selbstverständlich wie ein ‚Lernen mit Kopf, Herz und Hand‘ – ein erstes Feld pädagogischer (Selbst-)Erfahrung.

Während seiner Schulzeit begegnete Lange dem schlesischen Pfarrer GEORG NOTH, ein Freund seines Vaters, den dieser für die beiden Kinder als Vormund eingesetzt hatte. Georg Noth gehörte dem radikalen Flügel der Bekennenden Kirche Schlesiens an und in seinem Haus fanden, so schreibt es Lange in einem Brief an RUTH KRAFT, Gespräche „in einem sehr anregenden Kreis“ statt, „der vorwiegend aus Pastoren oder doch Leuten, die sich wenigstens mit dieser wichtigsten aller Fragen auseinanderzusetzen wagen, besteht (alle anderen sind nämlich dazu zu träge oder zu feige)“. Über diese wichtigste aller Fragen hat Lange zuvor geschrieben: „Darüber dürfen wir uns, glaub‘ ich, keinen Illusionen hingeben, es wird eine Zeit kommen, die uns so tief in den Dreck wirft, dass wir froh sein können, wenn es nicht über uns zusammenschlägt. Aus dem Chaos, das der Zusammenbruch jeder alten Ordnung notwendig zur Folge hat, werden ein paar Menschen neu erstehen und aus ihrem Glauben eine neue Form schaffen, in der sich eine neue Ordnung entwickeln kann. Und zu dem Kreis dieser Menschen müssen wir uns berufen fühlen, dem gemäß müssen wir unseren Weg finden, der uns vom Chaos frei macht. Dazu sind wir aber wohl noch nicht tief genug gefallen. Das klingt wahnsinnig pathetisch, aber Du siehst daran, womit ich mich hauptsächlich beschäftige und wo ich mir meine Aufgabe gestellt sehe.“12

1946 lernt Ernst Langes seine spätere Frau BEATE HEILMANN in einem „Sonderkurs zur Erlangung der Reife für rassisch Verfolgte“ in Berlin kennen. Auch sie war von den Nationalsozialisten eingestuft als „Mischling ersten Grades“. Ihr Vater war der letzte Fraktionsvorsitzende der SPD im Preußischen Landtag, gehörte auch ab 1928 der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstages an und wurde sogleich nach dem Ermächtigungsgesetz verhaftet und 1940 im Konzentrationslager Buchenwald ermordet. Beate Heilmann und ihre Familie „konfrontierten Lange mit einer ihm gänzlich neuen Perspektive“. Die kirchenkritische Haltung der Familie Heilmann – der Vater Ernst war bereits mit 17 Jahren in die SPD eingetreten – forderte Ernst Lange dazu heraus, nach der gesellschaftlichen Relevanz der Kirche zu fragen, und führte dazu, dass er sich selbst sozialdiakonisch (Berliner Stadtmission) und sozialpolitisch engagierte. Beate Heilmann und Ernst Lange – sie heirateten 1947 – traten 1946 in die SPD ein.13

Ein zweites Feld pädagogischer (Selbst-)Erfahrung war das Studiensemester im Winter 1947, das Lange gemeinsam mit Butenuth in der von NIKOLAI FREDERIK SEVERIN GRUNDTVIG geprägten und von NATHAN SÖDERBLOM ins Leben gerufenen „Sigtuna Folkehøjskoler“ in Schweden verbrachte. Diesen schwedischen Volkshochschulen ging es um eine möglichst weitgehende Partizipation aller Menschen an einem freiheitlich-demokratischen Umgang miteinander. So waren hier für Lange intellektuelle und musische Bildung ebenso erfahrbar wie Gemeinschaft und eine selbstverständliche Spiritualität in dieser ‚Evangelischen Akademie‘, die 1917 gegründet wurde und als die älteste ihrer Art in Europa gilt.

Schließlich sind Ernst Langes theologische Lehrer, die er in seinem Studium 1946-1950 in Berlin und Göttingen gehört oder deren Schriften er gelesen hatte, zu nennen: KARL BARTH, HEINRICH VOGEL, GEORGES CASALIS und MARTIN ALBERTZ in Berlin sowie HANS IWAND in Göttingen. Barth, Vogel, Albertz und Iwand waren Mitglieder der Bekennenden Kirche und nach dem Krieg waren sie alle Mitbegründer oder Mitglieder der Christlichen Friedenskonferenz (CFK), engagiert im christlich-marxistischen Dialog mit einer jeweils eigenständigen sozialistisch-demokratischen Orientierung. Hinzukam eine große Übereinstimmung dahingehend, dass ‚Dogmatik‘ und ‚Ethik‘, ‚Theorie und Praxis‘ aufs Engste und unlöslich zusammengehören.

Von großer Bedeutung war sodann DIETRICH BONHOEFFER, dessen Schriften EBERHARD BETHGE in jenen Jahren herauszugeben begann. Dazu kamen insbesondere sein Lehrpfarrer im Vikariat: der Bonhoeffer-Schüler Pastor WINFRIED MAECHLER sowie die Sozialarbeiterin GERTRUD STAEWEN.14 So erscheint es nur konsequent, dass Ernst Lange zu dem aus den Bruderschaften der Bekennenden Kirche entstandenen Berliner Unterwegskreis 15 fand, in dessen Zeitschrift „Unterwegs“ er 1951 auch seinen ersten Aufsatz mit dem Titel „Von der sozialen Lage Westberlins“16 veröffentlichte. Nicht von ungefähr ist dies ein Aufsatz, der – ohne jede theologische Konnotation – die soziale Situation der Menschen analysiert und aufgrund dessen „eine gesellschaftliche Umwandlung grundlegender Art" fordert.

Es geht um die Menschen, wenn es um Gott geht.

Und „Theologie und Kirche sind geeignete Instrumente für die Arbeit an der ‚verbesserlichen Welt‘.“17 Dies galt in der Wahrnehmung Alfred Butenuths für das Leben und Werk Ernst Langes: Seine Theologie entstand im Kontext gesellschaftlicher und kirchlicher Praxis. 1992 sagte Alfred Butenuth in einem Vortrag zur Eröffnung des Ernst Lange-Instituts in Rothenburg ob der Tauber: „Unsere Kirche gleicht inzwischen einem schweren Tanklastwagen, der in eine Sackgasse gefahren ist, an deren Ende es keine...

Erscheint lt. Verlag 12.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7597-8106-3 / 3759781063
ISBN-13 978-3-7597-8106-2 / 9783759781062
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