Die liberale Gesellschaft und ihr Ende -  Manfred Kleine-Hartlage

Die liberale Gesellschaft und ihr Ende (eBook)

Über den Selbstmord eines Systems
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2024 | 1. Auflage
259 Seiten
tredition (Verlag)
978-3-384-19870-9 (ISBN)
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Das Herrschaftssystem der modernen liberalen Gesellschaft beruht auf miteinander zusammenhängenden Ideologien, die in jeder Hinsicht dem gesunden Menschenverstand ins Gesicht schlagen. Ihre Verfechter sind geradezu stolz darauf, die Wirklichkeit aus ihrem Weltverständnis kunstvoll herausdefiniert zu haben, ohne zu ahnen, dass sie damit ihr eigenes Scheitern und das der westlichen Moderne unausweichlich machen. Im vorliegenden Buch zeigt Manfred Kleine-Hartlage, worin diese Ideologien bestehen, wie sie miteinander zusammenhängen und warum sie trotz ihrer Weltfremdheit gesellschaftlich so dominant werden konnten, dass sie das Überleben der Völker gefährden, die ihnen anhängen. Dieses Buch, das der Autor selbst als sein bestes, wichtigstes und fundamentalstes Werk bezeichnet, erschien erstmals 2013 im Verlag Antaios und erscheint nunmehr (2024) in einer Neuausgabe. Änderungen waren nicht erforderlich, da die Ereignisse der letzten elf Jahre - von der sogenannten Flüchtlingskrise über Corona und den Ukrainekrieg bis hin zum 'Demokratiefördergesetz' die Diagnosen durch immer neue frappierende Bestätigungen untermauert haben.

Manfred Kleine-Hartlage, geboren 1966 in München, ist Diplom-Sozialwissenschaftler in der Fachrichtung Poli-tikwissenschaft und für seine aufsehenerregenden zeitkritischen Sachbücher und Kolumnen bekannt, in denen er die selbstzerstörerischen Tendenzen unserer Gesellschaft analysiert. Darüber hinaus ist er Romancier. Kleine-Hartlage hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit seiner Frau in Berlin.

Alle westlichen Gesellschaften bringen den Typus des Intellektuellen hervor, dessen Lebensaufgabe „eine bessere Welt“, und das heißt: die Zerstörung der bestehenden ist. Es liegt in der Natur der Sache, dass in praktisch allen Berufen, deren Tätigkeit darin besteht, Aussagen über die Gesellschaft zu treffen, gerade dieser Typ Mensch überrepräsentiert ist. Kohlhammer hält dies für nicht weiter beunruhigend, da die Intellektuellen ja keine Macht hätten, im Unterschied etwa zu Politikern und Wirtschaftskapitänen.

Nun ja: Wer in der Lage ist, nicht nur Zeitungslesern und Fernsehzuschauern seine Ideologie nahezubringen, sondern auch Schüler und Studenten zu indoktrinieren, wer also unter anderem darüber entscheidet, durch welche Brille die künftigen Eliten auch in Politik und Wirtschaft die Welt sehen, von welchen Vorannahmen sie ausgehen, wie sie Probleme definieren und welche Sachverhalte in ihrem Weltbild vorkommen – und vor allem: nicht vorkommen –, dem wird man „Macht“ nicht absprechen können. Keine moderne Gesellschaft kommt ohne Lehrer, Professoren, Journalisten, kurz: ohne Ideologieproduzenten aus. Zwar entsprechen sie nicht zwangsläufig alle dem Typus des Weltverbesserers (der sich oft genug als Weltverschlechterer entpuppt). In dem Maße aber, wie letzterer zur dominanten Figur des Medien-, Bildungs- und Wissenschaftsbetriebes wird, wird seine Ideologie zur Grundlage von Entscheidungen in allen Lebensbereichen, von der Privatsphäre bis in die hohe Politik. Dass dies tatsächlich der Fall ist und welche Konsequenzen das hat, werde ich in den Kapiteln II und III darlegen; Kohlhammers Optimismus vermag ich jedenfalls nicht zu teilen. An dieser Stelle genügt die Feststellung, dass die moderne Gesellschaft aufgrund ihres immanenten Sinndefizits unvermeidlich auch einen ganz bestimmten Typ destruktiver Denker hervorbringt, und dass darin eine erstrangige Gefahrenquelle liegt.

 

 13. Unfruchtbarkeit


Was einmal von der Aufklärung berührt worden ist, so viel haben wir gesehen, kann nicht mehr zum ursprünglichen Zustand zurückkehren. Oswald Spengler hat in „Der Untergang des Abendlandes“ auf eine weitere und für dieses Buch besonders wichtige Konsequenz dieses Sachverhalts hingewiesen, die deshalb in aller Ausführlichkeit zitiert sei:

„Je weniger ein Gefühl für das Notwendige und Selbstverständliche des Daseins besteht, je mehr die Gewohnheit um sich greift, sich alles ‚klar zu machen‘, desto mehr wird die Angst des Wachseins kausal gestillt. Daher die Gleichsetzung von Wissen und Beweisbarkeit und der Ersatz des religiösen Mythos durch den kausalen: die wissenschaftliche Theorie.

(…)

Und nun geht aus der Tatsache, dass das Dasein immer wurzelloser, das Wachsein immer angespannter wird, endlich jene Erscheinung hervor, die im Stillen längst vorbereitet war und jetzt plötzlich in das helle Licht der Geschichte rückt, um dem ganzen Schauspiel ein Ende zu bereiten: die Unfruchtbarkeit des zivilisierten Menschen. Es handelt sich nicht um etwas, das sich mit alltäglicher Kausalität (…) begreifen ließe, wie es die moderne Wissenschaft selbstverständlich versucht hat. Hier liegt eine durchaus metaphysische Wendung zum Tode vor. Der letzte Mensch der Weltstädte will nicht mehr leben, wohl als Einzelner, aber nicht als Typus, als Menge; in diesem Gesamtwesen erlischt die Furcht vor dem Tode. Das, was den echten Bauern mit einer tiefen und unerklärlichen Angst befällt, der Gedanke an das Aussterben der Familie und des Namens, hat seinen Sinn verloren. Die Fortdauer des verwandten Blutes innerhalb der sichtbaren Welt wird nicht mehr als Pflicht dieses Blutes, das Los, der Letzte zu sein, nicht mehr als Verhängnis empfunden. Nicht nur weil Kinder unmöglich geworden sind, sondern vor allem weil die bis zum äußersten gesteigerte Intelligenz keine Gründe für ihr Vorhandensein findet, bleiben sie aus.

(...)

Was der Verstandesmensch mit einem äußerst bezeichnenden Ausdruck Naturtrieb nennt, wird von ihm nicht nur ‚kausal‘ erkannt, sondern auch gewertet und findet im Kreise seiner übrigen Bedürfnisse den angemessenen Platz. Die große Wendung tritt ein, sobald es im alltäglichen Denken einer hochkultivierten Bevölkerung für das Vorhandensein von Kindern ‚Gründe‘ gibt. Die Natur kennt keine Gründe. Überall, wo es wirkliches Leben gibt, herrscht eine innere organische Logik, ein ‚es‘, ein Trieb. (…) Wo Gründe für Lebensfragen überhaupt ins Bewusstsein treten, da ist das Leben schon fragwürdig geworden. Da beginnt eine weise Beschränkung der Geburtenzahl – die bereits Polybios als das Verhängnis von Griechenland beklagt, die aber schon lange vor ihm in den großen Städten üblich war und in römischer Zeit einen erschreckenden Umfang angenommen hat –, die zuerst mit der materiellen Not und sehr bald überhaupt nicht mehr begründet wird. Da beginnt denn auch, und zwar im buddhistischen Indien so gut wie in Babylon, in Rom wie in den Städten der Gegenwart, die Wahl der ‚Lebensgefährtin‘ – der Bauer und der ursprüngliche Mensch wählt die Mutter seiner Kinder – ein geistiges Problem zu werden. Die Ibsenehe, die ‚höhere geistige Gemeinschaft‘ erscheint, in welcher beide Teile ‚frei‘ sind, frei nämlich als Intelligenzen, und zwar vom pflanzenhaften Drange des Blutes, das sich fortpflanzen will; und Shaw darf den Satz aussprechen, ‚dass die Frau sich nicht emanzipieren kann, wenn sie nicht ihre Weiblichkeit, ihre Pflicht gegen ihren Mann, gegen ihre Kinder, gegen die Gesellschaft, gegen das Gesetz und gegen jeden, außer sich selbst, von sich wirft‘. Das Urweib, das Bauernweib ist Mutter. Jetzt aber taucht das Ibsenweib auf, die Kameradin, die Heldin einer ganzen weltstädtischen Literatur vom nordischen Drama bis zum Pariser Roman. Statt der Kinder haben sie seelische Konflikte, die Ehe ist eine kunstgewerbliche Aufgabe und es kommt darauf an, ‚sich gegenseitig zu verstehen‘. Es ist ganz gleichgültig, ob eine amerikanische Dame für ihre Kinder keinen zureichenden Grund findet, weil sie keine season versäumen will, eine Pariserin, weil sie fürchtet, dass ihr Liebhaber davongeht, oder eine Ibsenheldin, weil sie ‚sich selbst gehört‘. Sie gehören alle sich selbst und sie sind alle unfruchtbar.

(…)

Auf dieser Stufe beginnt in allen Zivilisationen das mehrhundertjährige Stadium einer entsetzlichen Entvölkerung. Die ganze Pyramide des kulturfähigen Menschentums verschwindet. Sie wird von der Spitze herab abgebaut. (…) Nur das primitive Blut bleibt zuletzt übrig, aber seiner starken und zukunftsreichen Elemente beraubt.“15

Wenn es nicht mehr die natürliche Bestimmung des Menschen ist, Kinder zu haben, ja wenn es so etwas wie eine natürliche Bestimmung gar nicht mehr geben darf, weil eine solche keine Selbstbestimmung, sondern eine Fremdbestimmung wäre – und wäre Gott selbst der „Fremde“, der hier bestimmt –, wenn Lebensentwürfe verwirklicht werden, der Mensch sich also gleichsam selbst zum Kunstwerk wird, und zwar zu einem unvollendeten, wenn die Entscheidung, Kinder zu bekommen, davon abhängt, ob sie zu einem solchen Entwurf passt – in dem Sinne, wie die Krawatte zum Hemd passt oder eben nicht –, dann kann diese Entscheidung im Einzelfall immer noch „Ja“ lauten, oft genug aber wird es ein „Nein“ sein; häufig genug jedenfalls, um das Überleben der Gesellschaft als Ganze in Frage zu stellen.

Wieder stoßen wir, wie zuvor schon im Zusammenhang mit Ethik und Gemeinschaftsbildung, auf das Problem, dass es auf jede Frage, die man stellt, mehrere Antworten gibt (unter Umständen sogar so viele, wie es Menschen gibt, die sich die Frage stellen), und dass dies in einem Zusammenhang, in dem es für die Erhaltung der Gesellschaft auf die Einmütigkeit der Antwort ankommt, fatale Folgen haben kann. Wieder stoßen wir auf das Problem, dass durch Aufklärung jene schützende Ignoranz beseitigt wird, auf der die Metarationalität des Gesellschaftsgefüges beruht. Wenn jemand keine Kinder bekommen will – aus welchen Gründen auch immer –, dann ist dem mit Argumenten so wenig beizukommen wie der Amoralität des oben erwähnten Schwarzfahrers. Gegenaufklärung, wenn Sie so wollen: Aufklärung über die Folgen der Aufklärung, wie sie hier versucht wird, kann ein Mittel sein, den Verfall zu bremsen. Dass sie ihn letztlich verhindern wird, darf man bezweifeln.

 14. Die Verleugnung der menschlichen Natur


Spengler spricht davon, dass der moderne Mensch als Gesamtwesen nicht mehr leben will, sondern nur an seinem eigenen, individuellen Leben hängt, und dass eine dadurch geprägte Kultur auf den Selbstmord zusteuert. Der Gedanke, dass man in den eigenen Nachkommen fortlebe, ist vom aufklärerischen Standpunkt...

Erscheint lt. Verlag 12.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-384-19870-0 / 3384198700
ISBN-13 978-3-384-19870-9 / 9783384198709
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