1940. Die versunkene bürgerliche Welt. -

1940. Die versunkene bürgerliche Welt. (eBook)

Hans Gmelin Staatsrecht vom Kaiserreich bis Hitler

Ralf-Andreas Gmelin (Herausgeber)

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2024 | 1. Auflage
542 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-3896-7 (ISBN)
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Der Professor für Öffentliches Recht, Hans Gmelin war bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ein leidenschaftlicher liberaler Politiker. Er hätte 1919 gern an einer modernen Verfassung für die neue demokratische Ordnung mitgewirkt, aber seine Partei setzte einen Kaufmann in die verfassungsgebende Versammlung. - Hans Gmelin blickt 1940 - kurz vor seinem Tod zurück auf seine bildungsbürgerliche Jugendzeit, in der er die Kunst, Musik und das Recht europäischer Staaten auf langen Reisen studieren konnte. Als er über die Schönheit der Kunst, die Liebe zu seinem Land und die völkischen Vorurteile nachdenkt, hat der Zweite Weltkrieg begonnen und droht alles zu verschlingen, wofür er sich eingesetzt hat, von den Ideen bis zu den Menschen.

VORAB: EIN BIZARRES MANUSKRIPT


Wir haben diese Rückschau von Hans Gmelin auf sein Leben in den Jahren von 1900 bis etwa 1940 mit dem Vollendungsjahr 1940 benannt. Nach dem Tod seiner Mutter Johanna im Jahr 1934 hatte Hans zahlreiche Briefe zurückerhalten, die er ihr einstmals geschickt hatte, um Rechenschaft zu geben über seinen Alltag und seine Erlebnisse und die ihm nun nach eigenem Bekunden die wichtigste Quelle waren. Obwohl es sich hier nicht um ein Tagebuch handelt, das auch noch die frischen Gefühle kennt, die zeitnah geschildert werden, haben wir es doch mit einem originären Werk aus einer Hand zu tun: Der Verfasser der Manuskriptseiten verwendet fast ausschließlich Berichte, die er selber – meist für seine Mutter – verfasst hat. Damit entsteht ein mentalitätsgeschichtlich interessantes Werk: Der politisch engagierte Staatsrechtler verwandelt sich 1919 vom Citoyen zum Bourgeois, da er keinen Zugang zu den gestaltenden Ämtern in der Politik findet. Ab der Machtergreifung 1933 stellt er wegen der damit verbundenen Aufhebung der Meinungsfreiheit seine „schriftstellerische Arbeit“ ein. Die Zeit, die er sonst für juristische Fachbeiträge verwendet hätte, investiert er in das hier vorliegende gewaltige Manuskript. Der Ständestaat, in dem Hans Gmelin aufgewachsen war und der ihm vertraut war, war nach dem Ersten Weltkrieg untergegangen. In seinen Erinnerungen stoßen wir immer wieder darauf, dass Hans Gmelin die früheren Kategorien des gesellschaftlichen Lebens vertraut waren: Im Ständestaat gab es die niederen Schichten und das Bildungsbürgertum, zu dem er sich zugehörig fühlte, und schließlich die Führungsebene, die bis zum Ende mehrheitlich der Adel stellte. Man spielte keine Rolle, sondern war das, als das man geboren und wozu man erzogen worden war. An der politischen Macht partizipierte das Bürgertum nur insoweit, wenn es ihr mit überzeugender Leistung zugearbeitet hat. Wer die Lebensgeschichte von Hans Gmelin liest, als wäre sie heute entstanden, tut dem Autor Unrecht: Wenn er von den niederen Schichten spricht und sich von ihnen abgrenzt, beschreibt er allein die Welt, in der er großgeworden ist und die auch frei war von heutigen politischen Korrektheiten, die erst in einer Kommunikationsgesellschaft entstehen konnten, deren Komplexität sich in den zwanziger Jahren entwickelte und nach der vulgären Herrschaft der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei, die den niederen Stand bereits im Namen führte, alles dafür tat, die Erinnerung an die alte ständische Gesellschaft abzuschaffen. Hans Gmelin hat dieser Bewegung als Liberaler und Patriot heftig misstraut, aber er stirbt, als ein Ende des braunen Spuks noch lange nicht absehbar war. Er wird sich der nationalsozialistischen Revolution niemals anschließen, aber er wird auch nichts unternehmen, um sie ins Wanken zu bringen. Das gehört zu den verstörenden Eindrücken meiner mehrjährigen Arbeit an diesen Seiten: Hans Gmelin teilt mit den Nationalsozialisten eine rassistische Grundhaltung, auch wenn er den Antisemitismus als grotesk verurteilt. Ästhetisch pflegt er indessen die Vorurteile, dass man Abkömmlinge des Judentums an sichtbaren äußeren Stereotypen erkennen könne. Aber zwei Gesichtspunkte haben mich getröstet: Zum Einen geht er mit allen anderen Menschen auch so um, ob Niedersachse oder Mexikanerin, ob Bayer oder Preuße, sie tragen für ihn mit ihrer Herkunft auch typische Wesenszüge ihrer Herkunft mit sich herum. Das andere: Fast alle seine wirklich guten Freunde waren entweder Juden oder deren „Abkömmlinge“ und er weiß deren Qualitäten durchaus deutlich zu benennen und zu schätzen.

Der Professor für Öffentliches Recht mit besonderem Interesse für internationales Verfassungsrecht an der kleinen hessischen-darmstädtischen Landesuniversität in Gießen war ein gebildeter und vielsprachiger Bürger und seinem Enkel sind noch Erinnerungen an ihn von einem seiner ehemaligen Studenten zugetragen worden, die voller Ehrfurcht steckten. Der Herausgeber kennt seinen Großvater ausschließlich aus Erzählungen vorwiegend von seinem Vater Günter, dem Sohn von Hans, und von Großmutter Marta, die von 1920 bis zu seinemTod, 1941, mit ihm verheiratet gewesen war. An die vielen Manuskriptseiten von Hans Gmelin hat sich der Enkel nach vielen Jahrzehnten gesetzt, unsicher, ob ihre Auswertung die viele Arbeit wert sein würde oder ob es nur die Erinnerungsleistung eines historisch überaus gebildeten Menschen ist, der sein eigenes Leben zum Gegenstand historischer Sorgfalt hat werden lassen. Sehr eindrücklich zeigt sich der Weg vom politisch lehrenden, tätigen und engagierten Junggesellen über den etablierten Politikberater seiner Landesregierung zum völlig in die innere Emigration zurückgezogenen Bourgois, der den Mangel an Sympathien für das Nazi-Regime mit familiärer Nähe und ausgiebigen Urlaubsreisen kompensiert.

Das Manuskript ist nicht wirklich für eine bestimmte Zielgruppe geschrieben, sondern eine Art Selbstverortung. Ein Memorandum über die Nationalsozialistische Politik enthält allerdings die konkrete Adresse, er habe diese Position für seine Söhne aufgeschrieben. Auch sind einige wenige Briefe erhalten z.B. an den befreundeten Großonkel Adolf Mayer in Heidelberg und an den Cousin Otto Gmelin, dessen Bücher während des Dritten Reiches viel gelesen wurden und der als prominenter Schriftsteller galt.

Mein Vater, Günter, (1923 -2008) stand am 14. Februar 1941, als sein Vater starb, mit siebzehn Jahren kurz vor dem Abitur, um dann im darauffolgenden Jahr seinen Dienst bei der deutschen Wehrmacht anzutreten. Sein Bruder, Ulrich, war Sanitätssoldat geworden, nachdem er im Reichsarbeits-dienst gedient hatte, wo er sich die Tuberkulose holte, an der er 1944 starb.

Hans Gmelin war 1878 in Karlsruhe geboren, hatte ein Jahr später seinen Vater, Moriz Friedrich Gmelin (1839-1879) verloren, der als studierter Theologe zum Archivrat im großherzoglich badischen Archiv zu Karlsruhe berufen worden war. So wuchs er bei den Eltern seiner Mutter, Johanna Gmelin geborene Gmelin, auf: Deren Vater, Konrad Adolf Gmelin, (1818-1900) war studierter Philosoph, wirkte indessen als Geheimrat in der Leitung der badischen Eisenbahngesellschaft. Hans' Großmutter, Elisabeth Katharine geborene Hartmann, (1818-1890) stammte aus einem Weinhandelshaus im pfälzischen Dürkheim. Nach einer Kindheit, die von eigener Erkrankung und dem Tod seiner 15jährigen Schwester Elise an der Diphterie überschattet war und die Hans als etwas „freudlos“ bezeichnet hat, bezog er die Universitäten Tübingen, Heidelberg, München, Berlin, Bonn und Freiburg. In acht Semestern studierte er Rechtswissenschaft, aber betrieb zugleich auch historische, kunsthistorische, geographische, national-ökonomische und literaturwissenschaftliche Studien. Auch dem Sprachenstudium widmete er sich lebenslang: neben den romanischen Sprachen lernte er auch, flämisch, schwedisch, russisch und türkisch und Grundzüge des Arabischen.

J. & L. Allgeyer, Hofphotographen CARLSRUHE

Konrad Adolf und Elisabeth Katherine geb. Hartmann, die Großeltern von Hans.

In der Zeit nach 1901, machte er das erste juristische Staatsexamen. Er trat erst in das Referendariat ein, verließ es aber vorzeitig, um an der Universität Freiburg wissenschaftliche Studien zu betreiben. Neben der Arbeit in Bibliotheken und am Schreibtisch überzeugte er sich auf Reisen nach Spanien, Frankreich, Italien und Belgien von den staatsrechtlichen Fragen dort. Seine Studienreisen nach Spanien im Jahr 1902 und Italien 1905 dokumentiert er detailliert in diesem Manuskript.

Auch seine Habilitationsschrift behandelte ausländisches Staatsrecht, das königliche Verordnungsrecht und das Recht zur Verhängung des Belagerungszustandes in Italien. Mit dieser Arbeit wurde er im Wintersemester 1906/1907 im Fach Staatsrecht an der Universität Freiburg habilitiert. Nach weiteren staatsrechtlichen Veröffentlichungen zu Rechtsfragen anderer Länder folgte erst 1919 eine erste Schrift zum deutschen Staatsrecht. Allerdings überarbeitete er in diesem Jahr auch den Verfassungsentwurf des Volksstaates Hessen. Zehn Jahre später legt er eine Einführung in das Reichsverfassungsrecht vor. Sein letztes Werk galt dann wieder der spanischen Verfassungsgeschichte in den Jahren von 1913 bis 1932, das 1934 erschien.

Bis 1913 wirkt er an der Universität Freiburg. In diesem Jahr wird er zum „etatmäßigen außerordentlichen Professor“ in Kiel ernannt, aber wenige Monate später als Ordinarius für öffentliches Recht nach Gießen an die großherzoglich hessische Landesuniversität Ludoviciana berufen. Auf diesem Lehrstuhl blieb er bis zu seinem unerwarteten Tod, als er am 14. Februar 1941 in Folge von Erkrankungen seiner Gefäße und des Herzens verstarb. Zum Dekan seiner juristischen Fakultät war er in den Jahren 1917, 1920, 1924 und 1929 berufen worden.

Hans Gmelin gelingt es aufgrund seiner...

Erscheint lt. Verlag 28.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7597-3896-6 / 3759738966
ISBN-13 978-3-7597-3896-7 / 9783759738967
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