Ich liebe dich! Ich töte dich! -  Astrid Wagner

Ich liebe dich! Ich töte dich! (eBook)

Wenn Liebe tötet. Reportagen einer Strafverteidigerin
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
210 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-8011-9 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
7,49 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Wieder ein Buch von Astrid Wagner, das die Leser durch packende Schilderung, Authentizität und Empathie mitreißt. Die in diesem Buch versammelten wahren Verbrechen zeigen die Abgründe der menschlichen Seele. Es sind unfassbare Geschichten von Liebe, die in Hass umschlägt, und Leidenschaft, die zu Mordlust wird.

Dr. Astrid Wagner wuchs in Wien, Paris und der Steiermark auf. Seit 2001 führt sie eine Rechtsanwaltskanzlei in Wien. Sie vertritt immer wieder in brisanten, oftmals öffentlichkeitswirksamen Strafprozessen. Inspiriert durch ihre Fälle schrieb sie zahlreiche True-Crime Bücher, die sie inzwischen einem breiten Publikum bekannt gemacht haben.

»Sie hat mich sekkiert« (Anton T.)


»Bitte nach rechts abbiegen!« Das Navigationsgerät führt uns von der Landstraße ab, hinein in den schmalen, verschneiten Waldweg. Wie gut, dass ich mit Chauffeur gefahren bin, denke ich mir, als das Fahrzeug trotz neuer Winterreifen unsicher auf der Fahrbahn rutscht. Natürlich ist Preva kein angestellter Chauffeur, sondern ein langjähriger guter Freund, der gerne mal kleine Gefälligkeiten erledigt, die in meiner Anwaltskanzlei anfallen.

Nach ein paar Kilometern lichtet sich der Wald, und ein kleines landwirtschaftliches Anwesen taucht auf. Alles wirkt ein wenig ärmlich und unaufgeräumt: ein niedriges Häuschen. Plexiglas-Veranda. Rostige Metalltonnen, alte Scheibtruhen, schmutzig-gelbe Plastikplanen, undefinierbares Gerümpel. Neben dem Haus ein Schuppen, schräg gegenüber eine Scheune, in der ein alter Traktor zu sehen ist.

Der kleine graue Bus der Justizwache ist schon da. »Parken Sie gleich daneben«, ersuche ich meinen Fahrer. Als ich aussteige, bläst mir der eisige Wind dieses bitterkalten Februartages ins Gesicht. Wie gut, dass ich heute früh noch schnell meine dicke Felljacke im Auto verstaut habe, denke ich mir. Der Himmel ist weißgrau, und im Gegensatz zur Hauptstadt ist der Schnee hier liegengeblieben. Heute wird die Tatrekonstruktion im Mordfall Anton T. stattfinden. Der Siebzigjährige wird beschuldigt, seine siebenundfünfzigjährige Lebensgefährtin Marta N. in seinem Haus erstickt zu haben.

Spontan beschließe ich, ins Auto der Justizwache einzusteigen. Mein Mandant sitzt auf der Rückbank. Ich habe ihn schon vor einigen Wochen in der Justizanstalt kennengelernt. Ein argwöhnischer Charakter, in dessen vergreistem Gesicht sich mürrische Züge eingegraben haben. Auch diesmal blickt er mich missmutig an, bevor er in tiefstem Dialekt16 zu meckern beginnt: »Das Holz ist weg! Die haben alles verkauft, das dürfen die doch nicht!« Ich lege meine Hand auf seine Schulter, um ihn zu beruhigen: »Herr T., machen Sie sich jetzt mal keine Sorgen um Ihr Brennholz. Heute geht es um Wichtigeres! Sind Sie ausgeschlafen?«

Wenige Minuten später trifft ein Polizeifahrzeug ein, dahinter zwei dunkle Limousinen mit getönten Scheiben. Es sind, wie aus den Kennzeichen ersichtlich, Dienstfahrzeuge der Justiz. Ich steige aus dem Bus, um alle zu begrüßen. Den Staatsanwalt, die ermittelnden Beamten, die Haftrichterin mitsamt einem jungen Praktikanten. Nachdem sie festgestellt hat, dass wir vollzählig sind, kann die Tatrekonstruktion beginnen. Als Anton T. zwischen den Justizwachebeamten zu seinem Haus humpelt, fällt mir wieder auf, was für ein armseliges, gebeugtes kleines Männchen er doch ist. Ob auch die anderen Anwesenden in diesem Augenblick Mitleid verspüren?

* * *

Schon beim Lesen in den Protokollen der Einvernahme meines Mandanten hatte ich Mitleid verspürt.

Er stammt aus kleinbäuerlichen Verhältnissen und wurde mit einer kleinen Behinderung geboren: Das linke Bein ist deutlich kürzer, was sich in leichtem Humpeln auswirkt. Nach der Pflichtschule arbeitet er zunächst in der elterlichen Landwirtschaft, später als Hilfsarbeiter in verschiedenen Fabriken. Er ist auch einmal kurz verheiratet, die Ehe bleibt kinderlos. Inzwischen ist er in Pension, die Rente ist bescheiden, doch er lebt auch von den Erträgnissen seiner kleinen Landwirtschaft. Er lernt eine um dreizehn Jahre jüngere Frau aus dem benachbarten Ausland kennen, die sich als Putzfrau in Privathaushalten durchschlägt. Er fragt sie, ob sie bei ihm Haushaltsarbeiten verrichten kann, und sie ist einverstanden. Und dann verliebt er sich. Marta zieht bei ihm ein. Bald weiß er: Sie ist Alkoholikerin. Schnaps, Wein, Whiskey, es macht keinen Unterschied für sie, Hauptsache Alkohol. Es gibt deshalb oft Streit, aber sie bleiben zusammen.

Dann hört Marta zu arbeiten auf. Sie leben fortan von seiner bescheidenen Rente. Es wird schlimmer mit ihrem Alkoholkonsum, inzwischen kommt sie auf ungefähr zwei Liter Wein täglich. Sie kann ihre Körperfunktionen nicht mehr kontrollieren, macht nachts ins Bett oder neben die Toilette.

Doch er wirft sie nicht hinaus, sondern steht ihr bei. Er hofft, dass es mit der Zeit besser wird. Doch das Gegenteil tritt ein, es wird immer schlimmer mit Martas Alkoholerkrankung. Wiederholt muss sie wegen Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Sie isst kaum noch, hustet Blut. Um den Haushalt kümmert sie sich schon lange nicht mehr, kocht auch nichts für Anton T., der als Diabetiker auf regelmäßige Mahlzeiten angewiesen ist.

Und trotzdem kauft er täglich den Wein für Marta. Auf die Frage des Kriminalbeamten antwortet er bei seiner Einvernahme: »Wenn Marta keinen Wein hatte, hat sie zu zittern begonnen. Und dann zu schreien. Es gab mit Alkohol Streit, und ohne Alkohol genauso.«

* * *

Der Neffe meines Mandanten, der sich seit der Tat um das kleine Anwesen kümmert, sperrt die Haustüre auf. Über eine schmale Veranda gelangen wir in die Küche, in der es stark verrußt riecht. Der Raum ist so klein, dass ein paar Beamte draußen bleiben müssen. Erst jetzt werden meinem Mandanten die Handschellen abgenommen, die ob seiner Gebrechlichkeit gar nicht notwendig gewesen wären. Aber Vorschrift ist Vorschrift.

Während die Richterin die örtlichen Gegebenheiten auf ihrem Diktiergerät protokolliert, schweift mein Blick über den niedrigen, abgewohnt wirkenden Raum: ein eingebauter, weiß gekachelter Ofen, auf dem sich Töpfe und Teller türmen. In der Abwasch Geschirr mit eingetrockneten Essensresten. Eine mit abblätternder weißer Farbe gestrichene Kredenz, auf der sich allerlei Krimskrams angesammelt hat. Auch auf dem Küchentisch stapeln sich Unmengen von Zeitungen und Medikamentenschachteln. Dahinter eine Sitzbank, auf der ungeordnete Kleidungsstücke liegen.

»Herr T., wir werden jetzt mit Ihnen ein Protokoll aufnehmen. Wie war das denn an diesem Tag im vergangenen Dezember?«

Anton T. hat den Blick die ganze Zeit zu Boden gesenkt. Es dauert einen Moment, bis er mit leiser, zittriger Stimme zu erzählen beginnt.

* * *

Schon die Nacht davor war turbulent gewesen. Er war zeitig ins Bett gegangen. Doch Marta wollte ihm keine Ruhe lassen. Wenn er endlich einmal eingeschlafen war, hatte sie fest gegen die Bettkante getreten, dass es nur so schepperte. Dann hatte sie laut zu singen begonnen. Es muss schon nach vier Uhr morgens gewesen sein, als sie endlich ruhig wurde und er einschlafen konnte.

* * *

Die Gerichtskommission begibt sich in den angrenzenden Schlafraum. Er ist etwas geräumiger, aber auch hier herrscht Chaos: Auf der Schlafcouch liegt ein Berg Bettwäsche, am Boden verstreut Medikamentenschachteln, Zeitschriften, Schuhe. In den Regalen der Mahagoni-Wohnwand stehen gerahmte Familienfotos zwischen Bildbänden und dicken Büchern. Ich nehme ein paar heraus, sie sind von Konsalik und Simmel. Autoren, die in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts modern waren. Wer mag sie gelesen haben? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es mein Mandant war.

Der beginnt plötzlich in seinem ausgeprägten Dialekt zu keppeln: »Wo ist der Fernseher? Den haben’s auch schon verkauft …« Die Richterin besänftigt ihn mit freundlichen Worten: »Dem werden wir später nachgehen. Bitte erzählen Sie weiter, wie es zur Tat gekommen ist.«

* * *

Am nächsten Morgen steht Anton T. gegen acht Uhr auf und kocht sich Tee. Er ist unausgeschlafen, hat einen »Brummschädel«. Er geht in den Schuppen, um sich Werkzeug zu holen. Der Türstock gehört gerichtet. Am späten Vormittag wacht Marta auf. Und keppelt schon drauflos. Sie sucht ihre Tasche. Sie beschuldigt ihn, sie gestohlen zu haben: »Da war Geld drin! Gib es her!« Er wehrt sich gegen die Vorwürfe, doch sie lässt nicht locker, sekkiert ihn weiter. »Dann ist mir die Galle hochgekommen«, wird er im Protokoll seiner polizeilichen Vernehmung zitiert. Er beginnt zu schreien: »Ich habe sie verheizt, deine depperte Tasche!«

* * *

Wir begeben uns zurück in die niedrige Küche. Der Beamte hat soeben die lebensgroße Puppe aus gelbem Schaumstoff hereingebracht und platziert sie auf der Sitzbank. »Wie ist Marta damals auf der Bank gelegen? Können Sie mir die Position zeigen?«, fragt die Richterin meinen Mandanten. Der blickt sie ratlos, fast hilfesuchend an. Der Beamte setzt die Puppe etwas schräg auf die Bank. Anton T. spricht weiter.

* * *

Marta hat sich auf die Eckbank gesetzt und schimpft dort weiter. Anton T. geht zu ihr, setzt sich neben sie. Dann legt er den Ellenbogen seiner rechten Hand um den Hals und drückt zu. Endlich ist Ruhe. Marta wehrt sich nicht. Es vergehen mindestens zehn Minuten, in denen er nicht lockerlässt.

Als er seinen Arm wegzieht, fällt ihr Kopf zur Seite. Er steht auf und legt ihre Füße auf die Bank. »Dort war mir schon irgendwie klar, dass ich sie abgemurkst habe«, gibt er später zu Protokoll. Und: »Ich musste mich beruhigen, weil es mich gerissen hat wie einen Zauberer. Wo hätte ich sollen...

Erscheint lt. Verlag 21.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7597-8011-3 / 3759780113
ISBN-13 978-3-7597-8011-9 / 9783759780119
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,7 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Mein Leben in der Politik

von Wolfgang Schäuble

eBook Download (2024)
Klett-Cotta (Verlag)
29,99
Mit „Green Growth“ gegen den Klimawandel und für die …

von Hans-Jörg Naumer

eBook Download (2023)
Springer Fachmedien Wiesbaden (Verlag)
9,99