Not giving a fuck -  Beate Absalon

Not giving a fuck (eBook)

Von lustlosem Sex und sexloser Lust: gesellschaftlichen Zwang überwinden und lebendige Intimität finden
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
192 Seiten
Verlag Kremayr & Scheriau
978-3-218-01341-3 (ISBN)
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Endlich keinen Sex mehr! Der Druck, großartigen Sex haben zu müssen, ist heute allgegenwärtig. Beate Absalon lädt dazu ein, ihn abzuschütteln und Möglichkeiten eigensinniger und erfinderischer Lust auszuloten. Der Sex kann einem leidtun. Er wäre ein Refugium für gegenseitiges Wohltun und nutzlose Verrücktheiten - aber er ist zum verkrampften Projekt geworden, das unbedingt gelingen muss, damit auch wir als gelungen gelten, selbst da, wo wir es queer-feministisch schon besser machen. Doch Sex ist nicht die Antwort auf die Frage, womit sich Sex befreien lässt. Auf der Suche nach Entstressung blickt Beate Absalon kulturhistorisch fundiert auf die abgeschiedene, aber nur vermeintliche Gegenseite des Sexuellen: Unlust, Asexualität, Zölibat und Dysfunktion, die der sexuellen Dienstpflicht genüsslich den Gehorsam verweigern und unerhörte Spielräume öffnen.

Als Kulturwissenschaftlerin arbeitet Beate Absalon zu zeitgenössischer Sexualkultur. Theorie mit Praxis verbindend, bietet sie unter dem Label 'luhmen d'arc' Workshops zu sexuellen Spielformen an, in denen Mehrdeutigkeiten, soziopolitischen Zusammenhängen und nicht-kathartischen Gefühlen (wie Unbeholfenheit, Schüchternheit, Faulheit) lustvoll Aufmerksamkeit geschenkt wird.

UNLUSTIGER SEX, SEXLOSE LUST


„Ronnie, ich denke, du bist nur wegen der Seilrutsche hier“, enttarnt die Bachelorette der Datingshow Summer Loving einen der Kandidaten. Während alle anderen Männer mit ihren Sixpacks und Verführungskünsten um die Gunst der attraktiven Junggesellin buhlen, scheint Ronnies einziges Begehr darin zu liegen, sich möglichst oft mit der Seilrutsche in den Pool der Villa zu schwingen. Die Elimination würde sein Herz brechen. Ronnie und die Zipline, das ist die wahre Romanze des Sommers.

Zu schön, um wahr zu sein. Die Szene ist in Wirklichkeit ein Sketch aus der Comedy-Sendung I Think You Should Leave und verpasst den Begehrensstrukturen von Reality-TV-Sendungen einen Knick. Sonst dreht sich in ihnen alles um das hochgeschaukelte Drama von Paarungswilligen, die bei ihrer Traumpartnersuche viel rummachen, eifersüchtig werden, Rivalitäten auskämpfen. Entscheidendes Kriterium: Sexappeal. Doch warum sollte gerade der die höchste Anziehungskraft haben? Warum nicht eine ebensolche Obsession hegen für die Seilrutsche samt vergnüglichem Platscher ins kühle Nass? Wie unverschämt, den Sex nicht so wichtig zu nehmen. Wie unanständig, ihm seine Strahlkraft streitig zu machen. Wie queer, etwas anderes noch anziehender zu finden. Der Sketch wirkt auf mich wie Eukalyptusbalsam. Erfrischt atme ich auf. Anscheinend liegen mir die banalen Hyperinszenierungen von der Alleinherrschaft des Sex schwer auf der Brust. Die Parodie pustet das frei, indem sie so herrlich irritierend mit dem Erwarteten bricht. Und sie erwärmt auch mein Herz und spendet Trost.

Ronnie, ich fühl’s! Seilrutschen sind geil. Und von genau dieser anarchischen Lust will ich mehr sehen. Mehr Bilder, mit denen dem Big Player Sex Konkurrenz gemacht wird, unbeeindruckt von seinem mächtigen Gravitationsfeld, das sonst immer alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. So geizig, der Sex. Dabei wird über die Lust doch genau das Gegenteil gesagt, dass sie richtungslos wuchere und schäume, mit allem und allen was am Laufen habe. Wo sind ihre Spendierhosen hin?

Ich mache mich auf die Suche. Mit Ronnies libidinöser Besetzung der Seilrutsche beginnt meine Sammlung seltener medialer Bilder, mit denen sich ein solcher Sturm auf die Bastille und eine Demokratisierung der Gelüste ausmalen lässt. Bilder der Gehorsamsverweigerung, bei der scheinbar folgerichtigen Aktionsketten sexueller Verlaufsformen nicht gefolgt wird. Denn in der abgelatschten Ordnung des Sex steht alles immer schon fest: Lernen sich zwei kennen, läuft es unweigerlich auf was sonst als Übereinanderherfallen hinaus und ebenso klar ist die Hölle los, wenn einer es aber mit wem anderen macht, vor allem, wenn dabei ein Penis in einer Vagina landet, denn das ist die alles entscheidende Königsdisziplin, deren Fehlen ebenso untrügliches Zeichen einer dem Untergang geweihten Beziehung ist. Wer auch immer diese Gesetze festgelegt hat, kaum jemand bringt ihre Absurdität besser auf den Punkt als die Dragqueens Trixie Mattel und Katya, deren Job darin besteht, Datingshows zu kommentieren. Bereits Fremdküssen gleicht da einer nationalen Krise. Dabei müssten die Skandale eher so klingen: „Du hast seine Wäsche gemacht?!“, „Du hast sie zum Flughafen gefahren?!“ Drücken nicht eher solche Handlungen wahre Intimität und Verbindlichkeit aus? „OK, du hast mein Haus abgefackelt – das ist verzeihlich. Aber eine andere Frau küssen? Ich will dich nie wieder sehen!“, gaukeln sie weiter.

Liegt das Problem mal wieder an der ganzen Misere unserer heteronormativen Kultur? Mein Appetit nach anderen Bildern führt mich zu LGBTQ-Erotica, mit ihrer wohltuenden Vielfalt an Geschlechterkonstellationen, Körperformen und sexuellen Spielarten. Doch stillen auch die queeren Inszenierungen meinen Hunger nicht. Denn es geht mir nicht um Variationen, ob nun boy meets girl, girl meets girl oder polycule meets nonbinary unicorn. Solange sich auch hier nur in neuem Gewand der Platzhirsch Sex breitmacht, interessiert mich das nicht. Es geht mir um Grundlegenderes: um die Dezentralisierung des Sex im intimen Miteinander. Wie kann diese gelingen?

Eher zufällig stolpere ich über die Fundstücke, die es mir antun und in meinem kontrasexuellen Archiv landen. Hier ein ausführlicher Einblick in die Vielgestaltigkeit meiner liebsten Exemplare: Clips aus Amateurpornografie, in denen das Liebesspiel unterbrochen wird, weil etwas getrunken werden muss, die beiden kurz miteinander abchecken, wie es ihnen geht, dann aber in ihrer Unterhaltung abschweifen und vergessen, worum es hier „eigentlich“ geht – und dann nur noch zärtlich plauschend im Bett liegen, zu faul, die Kamera auszuschalten. Dazu passt der Ansatz von Andy Warhol, der einmal sagte, dass Sex im Bett nicht schlecht sei, aber: „unter der Bettdecke liegen und Witze reißen ist das Beste. ‚Wie es für mich war? Gut, du warst heute Abend wirklich umwerfend lustig!‘ Wenn ich heute noch zu einer Dame ginge, würde ich sie wahrscheinlich dafür bezahlen, mir Witze zu erzählen.“

In meiner Sammlung landet auch die Instagram-Story von zwei Freundinnen, die beschließen, zusammenzuziehen und füreinander die primäre Bezugsperson zu sein, Finanzen sowie Aufgaben im Haushalt und der Kindererziehung zu teilen. Eventuelle Partner müssen sich an ihre „Freundinnen-Ehe“ als zweite Geige anpassen. Das Entscheidende: Es ist keine lesbische Beziehung. Sie sind Freundinnen. Mein kleines Archiv enthält eine Folge der Sitcom Broad City, in welcher die Protagonistin Ilana den NBA-Basketballspieler Blake Griffin abschleppt, mit dem Ziel, eine heiße Nacht mit ihm zu verbringen. Aufgrund seines großen Penis ist den beiden der Koitus zwar unmöglich. Doch statt zu verzagen, denken sie sich ein Potpourri an Nicht-Sex-Sex aus: Er sitzt nackt mit ausgebreiteten Armen auf dem Bett und Ilana schleckt den ganzen Weg vom Finger über den Arm, Rücken, hin zum anderen Finger entlang, wie eine Schnecke, die eine Schleimspur hinterlässt. Er liegt mit dem Rücken auf dem Boden, die Füße in die Luft gestreckt, sie balanciert darauf und scheint wie ein Vogel über ihm zu fliegen. Die nächste Szene zeigt Griffin, der die wie ein Kleinkind in ein Laken gewickelte und heulende Ilana in seinen Armen wiegt, nur um daraufhin gegen sie das Fingerklopf-Schulhofspiel zu spielen, bei dem der eins auf die Finger bekommt, der nicht rechtzeitig die Hand wegzieht. Nach Meditation und Dehnung zeigt das große Finale Griffin auf allen Vieren mit Ilana auf seinem Rücken durch das Zimmer krabbeln, während beide „Oh ja, ich komme gleich!“ stöhnen.

In meiner Sammlung finden sich Workshopbeschreibungen der sexpositiven Szene, welche das Selbstverständnis der Szene auf den Kopf stellen, wie die Bore-gy der Performancekünstlerin Anna Natt, die das Experiment einer möglichst gelangweilten Orgie wagt, in der man den Luxus genießt, sich gerade jenen zuzuwenden, mit denen die Chemie nicht stimmt und nichts in Fahrt kommt.

Ich sammle Zitate: „Das große Geheimnis über Sex ist, dass die meisten Leute ihn nicht mögen“ (Leo Bersani). „Viele Menschen haben ihre tiefgreifendsten Erlebnisse mit den Sexualakten, die sie nicht ausführen oder gar nicht Wirklichkeit werden lassen wollen“ (Eve Kosofsky Sedgwick). Auch Songtexte landen hier, wie Okay Kayas Replik auf den Kuschelrock-Hit Sexual Healing, dem sie mit Asexual Wellbeing begegnet. Ein Song darüber, eine mittelmäßige Liebhaberin zu sein, was ermöglicht, auf Heilsversprechen verzichten und sich stattdessen auf ihr Gegenüber wirklich einlassen zu können.

Auch viele TikTok-Funde habe ich gesammelt. Videos, in denen die Ausführung einer Influencerin, die gerade ansetzt zu sagen: „Das solltest du tun, wenn du mit einer Frau intim werden möchtest“, unterbrochen wird mit einem simplen „Nein, danke“ und darauf folgen dann begeisterte Erklärungen zu einem ganz anderen, meist nerdigen Thema, wie dem Aufbau eines Flugzeugs.

In einem meiner liebsten Videos spielen zwei Musiker George Michaels Pop-Ballade Careless Whisper – bekannt für das passionierte Saxofonsolo – nur dass der Keyboarder die Grundmelodie spielt, während der Saxofonist regungslos danebensteht. Verfolgt man, wofür dieser Sound von anderen TikTokern verwendet wird, fällt auf, dass die Sax-Abwesenheit des Songs wunderbar Anekdoten der Sex-Abwesenheit untermalt. Asexuelle Personen illustrieren damit, wie sich Sex für sie anfühlt, was sie beim Schauen einer heißen Filmszene (nicht) empfinden oder warum sie beim Mädelsabend nicht verstehen, was das aufgeregte Reden über Datingdetails soll. Auffällig sind dazwischen immer wieder Uservideos, die den Witz irgendwie nicht verstehen und den Song als Einladung zur Karaoke auffassen, weil sie selber das Saxofon dazu spielen. Als könne die Lücke nicht für sich stehen, als müsse sie sogleich gefüllt werden.

Wir sind alle sexuelle Wesen, die Sex haben, die ihn wollen, und die ihn auch haben und wollen sollten, sonst stimmt etwas nicht mit uns. Diesen Satz zu hinterfragen, das ist das...

Erscheint lt. Verlag 22.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-218-01341-0 / 3218013410
ISBN-13 978-3-218-01341-3 / 9783218013413
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