Jede_ Frau -  Agota Lavoyer

Jede_ Frau (eBook)

Über eine Gesellschaft, die sexualisierte Gewalt verharmlost und normalisiert. Ein Buch gegen die Rape Culture
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
288 Seiten
Yes-Verlag
978-3-96905-286-0 (ISBN)
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'Sexualisierte Gewalt ist in unserer Gesellschaft auf erschreckende Weise allgegenwärtig. So gut wie jede Frau ist davon betroffen. Die medienbekannte Expertin für sexualisierte Gewalt und Bestsellerautorin Agota Lavoyer erklärt in diesem aufwühlenden Buch, dass nicht nur das Ausmaß sexualisierter Gewalt in unserer Gesellschaft ein Skandal ist, sondern auch unser Umgang damit. Wir leben in einer Rape Culture, die es Männern erlaubt, übergriffig zu sein, und die Betroffene abwertet und beschuldigt. Frauen besuchen Selbstverteidigungskurse, während wir Männer mit dem Argument 'boys will be boys' entschuldigen und die Ursachen des Problems ignorieren: die weit verbreiteten sexistischen und frauenabwertenden Überzeugungen und unsere Vorstellungen von Männlichkeit. Mit scharfem Blick zerpflückt Lavoyer unseren Umgang mit sexualisierter Gewalt. Sie kombiniert Statistiken und Forschungsergebnisse mit zahlreichen Beispielen aus der Populärkultur, der Strafverfolgung und der Medienberichterstattung, räumt mit gängigen Mythen auf und zeigt, dass sexualisierte Gewalt kein Ausrutscher oder Missverständnis ist, sondern Teil des toxischen Konstrukts patriarchaler Männlichkeit, das unsere Gesellschaft immer noch prägt. Dieses Buch ist ein längst fälliger Aufschrei und ein Augenöffner, aber auch ein Aufruf an uns alle. Die Verhältnisse lassen sich ändern, wenn die Gesellschaft daran arbeitet, Sexismus und Frauenfeindlichkeit zu überwinden.'

Agota Lavoyer, Jahrgang 1981, ist Sozialarbeiterin und Autorin und hat sich auf geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt spezialisiert. Als Beraterin und Leiterin von Opferhilfestellen in Bern und Olten hat sie unzählige Betroffene sexualisierter Gewalt und deren Angehörige unterstützt und begleitet. Heute arbeitet sie als selbstständige Beraterin und Referentin und engagiert sich für die Sensibilisierung, Aufklärung und Enttabuisierung sexualisierter Gewalt. Durch zahlreiche Interviews in Zeitungen, Radio und Fernsehen ist Agota Lavoyer in der Schweiz einem breiten Publikum bekannt geworden. Darüber hinaus gilt sie als Möglichmacherin der Schweizer Sexualstrafrechtsrevision im Jahr 2023. Sie ist zudem Autorin des Bestseller-Kinderbuchs 'Ist das okay?' zur Prävention von sexuellem Missbrauch.

Vorwort


Sexualisierte Gewalt ist alltäglich und sie betrifft uns alle. Trotzdem will das Reden darüber noch nicht so recht gelingen. Wobei, das Reden vielleicht schon, aber das Zuhören nicht. Wenn wir laut sind, werden wir abgestraft. Wenn wir schweigen, schützen wir die Täter. Aber gleichzeitig auch uns selbst.

Auch ich habe lange Jahre geschwiegen. Weil ich all das, was ich erfahren habe, nicht schlimm genug, nicht relevant genug fand. Aber auch weil mir lange Zeit die Sprache dafür fehlte. Bis ich in meinen Zwanzigern allmählich verstand, dass das, was mir widerfahren ist, die Geschichte jeder_ Frau ist. Machte dieses Wissen die Erfahrungen erträglicher? Nein. Und irgendwie doch. Zu realisieren, dass die alltäglichen sexistischen, zweideutigen, frauenabwertenden Bemerkungen, die taxierenden Blicke, die verbalen und körperlichen Übergriffe Teil eines Systems waren, half mir zu verstehen, dass es nicht um mich ging. Ich war nicht falsch, auch nicht mein Aussehen, mein Verhalten oder mein Empfinden. Falsch waren diejenigen, die mir gegenüber übergriffig waren – und falsch ist das System, das dieses immense Ausmaß sexualisierter Gewalt produziert, zulässt und stützt.

Gemäß den neuesten Zahlen aus dem deutschsprachigen Raum erfährt mindestens jede dritte Frau in ihrem Leben einen körperlichen sexualisierten Übergriff, zwei von drei Frauen werden regelmäßig verbal sexuell belästigt.1 Zwei Drittel aller Frauen. Regelmäßig! Das ist eine immense Zahl. Das sind Millionen von Frauen, allein in den deutschsprachigen Ländern. Aber ganz ehrlich: Ich glaube, dass diese Zahlen nicht die ganze Wahrheit erfassen. Ich bin überzeugt, dass die absoluten, aufs ganze Leben gerechneten Zahlen tatsächlich viel höher liegen, als all diese Studien ausweisen, und es keine Frauen gibt, die nie in irgendeiner Form sexuell belästigt oder bedrängt werden. Meine Vermutung wird auch bestätigt, wenn ich aktuelle Studien zu Catcalling anschaue – der wohl am meisten verbreiteten Form sexualisierter Gewalt. Catcalling ist sexuelle Belästigung in Form von Nachrufen, -pfeifen oder obszönen Geräuschen und Gesten. Eine Studie aus Niedersachsen aus dem Jahr 2022 ergab, dass 97 Prozent der weiblichen und diversen Befragten im Alter zwischen 16 und 72 Jahren in den letzten drei Monaten mindestens eine Form von nonverbalem und 80 Prozent verbales Catcalling erfahren hatten.2 Eine Onlineumfrage der Universität Trier aus dem Jahr 2021 ergab sogar, dass 95 Prozent der Frauen bereits Catcalling erfahren haben.3

Die Frage ist also nicht, ob eine Frau irgendwann sexuell belästigt wird, sondern bloß wann und wo und von wem. Schon zehnjährig? Erst mit 16? Oder erst im Alter? Zu Hause, beim Familienfest, in der Schule, auf der Straße, im Club, beim Daten, am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche, auf einem Festival, im Fitnessstudio, im Jugendtreff, in der Bar, auf Datingplattformen, in den sozialen Medien, an der Universität, in einer Institution, in der Klinik, in der Beziehung, im Freundeskreis, im Kino, im Park oder am Bahnhof? Vom Vater, vom Onkel, vom Partner, vom Lehrer, vom Priester, vom Therapeuten, vom Pizzalieferanten, von einem Bekannten, von einem Freund, von einem Fremden, vom Arbeitskollegen, vom Nachbarn, von der Polizei, vom Kellner, vom Pfleger, vom Kunden, vom Arzt, vom Chef oder vom Trainer? Selbstverständlich ist diese Aufzählung bei Weitem nicht vollständig. Sexualisierte Gewalt ist im Leben von Frauen omnipräsent. Jede_ ist betroffen.

Beruflich begegnete mir das Thema zum ersten Mal als Schulsozialarbeiterin, sei es in den Beratungsgesprächen oder in der präventiven Arbeit mit Klassen. Wenn ich Kinder fragte, ob sie wüssten, was sexualisierte Gewalt sei, schaute ich meist in ratlose Gesichter. Wenn ich Jugendliche fragte, kam peinliches oder betroffenes Schweigen. Das Thema ließ mich nicht mehr los und so wechselte ich nach acht Jahren in den Bereich der Opferhilfe bei sexualisierter Gewalt, wo ich in den nächsten Jahren Hunderte von Betroffenen beraten und begleitet, Angehörige und Bezugspersonen von Betroffenen unterstützt und mich mit Fachpersonen ausgetauscht und mit Anwält:innen zusammengearbeitet habe. Und ich fing an, abends regelmäßig Elternabende zur Prävention sexualisierter Gewalt abzuhalten. Ich wollte die Sprachlosigkeit aufbrechen, ich wollte den Eltern aufzeigen, wieso es wichtig ist, dass sie sich Wissen zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder aneignen und ihre Kinder darüber aufklären. Am Schluss der Veranstaltungen schaute ich zwar in aufgeklärtere, aber immer noch ratlose Gesichter. Wie spricht man mit einem Kind über ein Thema, über das nie mit einem selbst gesprochen wurde und über das man womöglich noch nie gesprochen hat? Ich entschied, ein Buch darüber zu schreiben. 2022 erschien mein erstes Buch Ist das okay?, illustriert von Anna-Lina Balke, und wurde prompt ein Bestseller. Offenbar war die Zeit reif, dass Eltern und pädagogische Fachpersonen die Notwendigkeit erkannten, Kinder über sexualisierte Gewalt aufzuklären.

Neben meiner Arbeit bei der Opferhilfe fing ich an, mich in den sozialen Medien, erst auf Facebook, später auf Twitter und Instagram, zu sexualisierter Gewalt zu äußern. Es war die Zeit, als #SchweizerAufschrei trendete und kurze Zeit darauf #MeToo zu einer weltweiten Bewegung wurde. Deutschland und Österreich reformierten ihr Sexualstrafrecht und etwas später nahmen die Debatten dazu endlich auch in meiner heutigen Heimat, der Schweiz, Fahrt auf. In diesem Zusammenhang wurde mein bis dahin eher reichweitenarmes öffentliches Engagement zu einem immer breiteren. Ich wollte mich äußern. Und es tat mir gut. Es war und ist meine Art, die Wut über die Täter, die Mittäter und alle, die zu- und wegschauen, zu kanalisieren. Es gab und gibt mir noch heute das Gefühl, etwas bewirken zu können. Nicht nur auszuhalten und zu unterstützen, sondern auch zu einem Wandel beizutragen. Ich sprach mit Journalist:innen und Politiker:innen, postete wütende Beiträge in den sozialen Medien, hielt Reden und unterstützte Kampagnen gegen sexualisierte Gewalt. Es war viel. Ich merkte: Es war, neben der Arbeit bei der Opferhilfe, zu viel. Vor zwei Jahren entschied ich, mich selbstständig zu machen, tue aber weiterhin das, was ich zuvor getan habe, außer dass ich nicht mehr in einer professionellen Rolle Betroffene berate. Und mit dem Unterschied, dass mir keine Arbeitgeberin mehr sagen kann, dass ich zu laut, zu radikal oder zu feministisch sei. Neben meiner Arbeit in den Bereichen der Bildung und Politik begann ich, für die Finanzplattform ellexx Kolumnen4 und ab und zu für Zeitungen und Zeitschriften Gastbeiträge über sexualisierte Gewalt zu schreiben. Ich tobte mich eine Weile aus und merkte, dass ich mehr schreiben möchte, als in eine Kolumne passt. Und so entstand die Idee und schließlich die Umsetzung dieses Buches, das du jetzt in den Händen hältst.

Ich schreibe dieses Buch aus der Perspektive einer weißen* heterosexuellen nicht behinderten cis Frau, als Kind ungarischer Akademikereltern aufgewachsen in der Schweiz. Ich schreibe dieses Buch auch aus der Perspektive einer Sozialarbeiterin, die jahrelang Betroffenen sexualisierter Gewalt zugehört hat, sie unterstützte und sie immer wieder zu den Einvernahmen, wie Vernehmungen in der Schweiz heißen, begleitete. Ich schreibe dieses Buch aus der Perspektive einer Aktivistin, die längst nicht alle komplexen Zusammenhänge im Detail versteht. Aber die weiß: Sexualisierte Gewalt ist eine globale Krise mit einschneidenden Folgen für das Leben jeder_ Frau. Sie ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt, wäre aber verhinderbar. Nicht zuletzt schreibe ich das Buch aus der Sicht einer Frau, die sexistische und sexualisierte Übergriffe erfahren hat. Erfahrungen, die mich geprägt haben und die es mir ermöglichen, die Erfahrungen von anderen Betroffenen und das System dahinter besser zu verstehen.

Ich kann in diesem Buch das strukturelle Problem, das dazu führt, dass jede_ Frau im Laufe ihres Lebens sexualisierte Gewalt erfährt, niemals vollständig abbilden. Aber ich kann aufzeigen, wie verbreitete Diskurse und Narrative über sexualisierte Gewalt die bestehenden Verhältnisse aufrechterhalten und dazu führen, dass Betroffene lieber schweigen und Täter unbehelligt weitermachen. Und ich kann aufzeigen, dass es bei sexualisierter Gewalt keine neutrale Position gibt. Wer schweigt, schützt die Täter. Ich fokussiere mich dabei auf den deutschsprachigen Raum, auf Deutschland, Österreich und die Schweiz. Denn das ist der Raum, in dem ich lebe und den ich am besten kenne. Innerhalb des deutschsprachigen Raumes gibt es nur marginale (juristische) Unterschiede im Umgang mit sexualisierter Gewalt. Die darunterliegenden Strukturen wie auch das Ausmaß unterscheiden sich hingegen nicht. Wenn ich Statistiken und Studien aus einem der Länder erwähne, dann kann immer davon ausgegangen werden, dass die Situation in den anderen beiden Ländern vergleichbar ist. Zudem erwähne ich auch Beispiele aus dem...

Erscheint lt. Verlag 19.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-96905-286-6 / 3969052866
ISBN-13 978-3-96905-286-0 / 9783969052860
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