Maschinengewehr gegen Assegai (eBook)
696 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-9980-0 (ISBN)
Zuvor in der Privatwirtschaft beschäftigt, hat der Autor (Jahrgang 1967) in reiferem Alter seiner lebenslangen Faszination für Geschichte nachgegeben und an der Universität Fribourg Geschichte und Religionswissenschaften studiert. Seitdem als freier Schriftsteller tätig, widmet er sich den grossen Themenfeldern "Europäische Expansion in der Welt - Indigener Widerstand - Militärgeschichte". Dies ist sein erstes Buch. Von Daniel Zander ist bei BOD ausserdem erschienen: Der Völkermord des Zaren. Russlands Krieg gegen die Tscherkessen im Kaukasus, 1765-1864
Vorwort
Einst herrschten die Europäer über Afrika. Für viele Kreise ist das Grund genug, die Verantwortung für die heutigen Fehlentwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent den weissen Herren von damals anzulasten. Doch an den aktuellen Schwierigkeiten Afrikas trägt Europa nur geringe Schuld. Man kann ihm Überbevölkerung, Korruption, Stammesdenken und islamistischen Terror nicht zur Last legen. Die heutzutage verbreitete Neigung, den Afrikanern mit einer Art Outsourcing der Ursache für ihre Nöte unter die Arme zu greifen – indem man die Verantwortung dafür zu uns Europäern umlagert – darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Probleme Afrikas sehr alt und hausgemacht sind.
Aber nicht alle. Staatsgrenzen, die sich schnurgerade durch die Landschaft ziehen und auf ethnische Siedlungsgebiete keinerlei Rücksicht nehmen, oder nationale Armeen, die sich, den Kolonialtruppen früherer Tage entwachsen, in ihren eigenen Staaten wie Besatzungskräfte und Marodeure aufführen –; das sind nur zwei der toxischen Vermächtnisse des europäischen Kolonialismus in Afrika.
Diese koloniale Fremdbestimmung hat auf dem ganzen Kontinent physische und seelische Spuren hinterlassen, tiefe Gräben aufgeworfen und schlecht verheilende Wunden gerissen.
Begonnen hatte sie mit den Marschkolonnen weisser Eroberer.
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts setzte Europa zum Sprung nach Afrika an, um den Erdteil zu erforschen, zu durchdringen, ihn sich anzueignen und ihn sich schliesslich zu unterjochen. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges teilten sechs europäische Mächte und ein König als Privatmann fast die gesamte riesige Landmasse Afrikas erst unter sich auf, bevor sie den Kontinent militärisch besetzten und eroberten. Sie zwangen den hier lebenden Völkern ihren Willen auf und schlugen fast alle Versuche, sich bewaffnet dagegen zur Wehr zu setzen, mit harter Hand nieder. Im Jahre 1914 war das kriegerische Werk im Wesentlichen vollbracht; nahezu überall hatte sich der afrikanische Widerstand den fremden Mächten beugen müssen. Das Maschinengewehr harte den Assegai zerbrochen, die moderne Tötungsmaschine Europas hatte den Sieg über die traditionelle Waffe Afrikas davongetragen, den anderthalb Meter langen Wurfspeer mit breiter Klinge.
Dieses Buch erzählt die Geschichte dieser Invasion. Es setzt an der Wende zum 19. Jahrhundert ein, einer Zeit, ab der Afrika im Zuge der Abschaffung und Bekämpfung des Sklavenhandels, der Ausweitung des legalen Handels, der christlichen Missionierung und der Entdeckung unerforschter geografischer Regionen sukzessive immer stärker ins Blickfeld Europas rückte. An seinen Rändern – in Ägypten, Algerien, im Senegal, in Südafrika und in den alten portugiesischen Besitzungen – drangen die Europäer erstmals gewaltsam tiefer in das Land vor; Kaufmann und Offizier tauschten die Rollen, das Kontor wich dem Fort. Noch handelte es sich nur um einzelne Brocken, an denen sich die Grossmächte jener Tage festbissen, doch das änderte sich ab etwa 1880. Da hub der »Wettlauf um Afrika«, der Angriff auf den Kontinent mit voller Wucht und auf breiter Front an, ein Sturmwind blutiger Eroberung und Unterdrückung, der erst mit dem Hereinbrechen der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« – dem Ersten Weltkrieg - abflaute.
Die Kolonisatoren beschränkten sich nicht darauf, zu besetzen und zu vernichten; sie zwangen die Menschen in eine gänzlich neue Ordnung, bezogen sie ins Weltwirtschaftssystem ein, bauten Schulen, Märkte, Kliniken und Strassen. »Warum reden die Zeitungen nicht eher davon, als noch aus dem geringsten Scharmützel ein grosses Hallo zu machen?«, empörte sich seinerzeit der Kolonialoffizier Hubert Lyautey über die seiner Meinung nach einseitige Berichterstattung der Presse.
Seine Frage könnte genauso gut an mich gerichtet sein, denn in diesem Bericht soll es weder um Aufbauleistungen noch Unterlassungssünden, weder um die Strukturen von Kolonialherrschaft noch um die diplomatische Aufteilung Afrikas gehen.
Vielmehr wendet er sich der gewaltsamen Inbesitznahme des »dunklen Erdteils« durch die Europäer zu und damit den Myriaden von kolonialen Eroberungskriegen, Aufständen, Feldzügen, Strafexpeditionen, Bombardements und bewaffneten Demonstrationen, mit denen die Angriffstruppen Europas von dem Tage an, an dem Napoleon 1798 seinen Fuss auf Ägypten setzte, bis zur letzten Juliwoche des Jahres 1914 die afrikanischen Völker und Reiche unter ihre Autorität zwangen und ihre Machtansprüche durchsetzten.
Die Operationen, Truppen, Befehlshaber, die Art dieser Konflikte und ihrer Austragung sowie die Reaktionen der afrikanischen Gegenseite stehen im Mittelpunkt dieser Darstellung. Um sie nicht von ihren Hintergründen und Kontexten zu isolieren, werden diese einzelnen Ereignisse in einen grösseren Rahmen eingebettet, wobei die historische Einordnung nicht soweit gehen soll, eine vollständige Geschichte Afrikas im 19. Jahrhundert vor dem Leser auszubreiten oder ihn mit den umfassenden Theorien einiger historischer Denker zum Entstehen des europäischen Imperialismus vertraut zu machen.
Anders als es der erhebliche Buchumfang vermuten lässt, ist es unmöglich, eine vollständige Übersicht aller militärischen Unternehmungen der Europäer in Afrika zu liefern, wenngleich der Appendix mit seinem umfassenden Überblick über das Ausmass kriegerischer Gewalt hier Abhilfe schaffen soll. Im Text wird allerdings ein weiter Bogen geschlagen, der alle Kolonialmächte, Regionen und Epochen der Landnahme mit einbezieht. Durch dieses Vorgehen entfällt auf den Einzelfall weniger Platz – dem deutschen Leser etwa mag der Raum spärlich vorkommen, der dem wilhelminischen Kolonialtraum(a) zugemessen wird – dafür erlaubt es, sonst nie geschilderten Kolonialaktivitäten, zum Beispiel der Portugiesen, nachzuspüren.
Notwendigetweise kommt dieses Werk weitgehend eurozentrisch daher, freilich ohne den veralteten Wortsinn des Begriffes wiederbeleben oder die Afrikaner abwerten zu wollen. Aber aufgrund der Quellenlage, der europäischen Dominanz des Geschehens, der chronologischen Struktur dieses Werkes, der Unmöglichkeit, Tausende von afrikanischen Gemeinwesen berücksichtigen zu können und nicht zuletzt wegen meines eigenen europäischen Hintergrundes, erschien mit die gewählte Perspektive als der einzig gangbare Weg.
Mittlerweile existiert eine wachsende Bibliothek mit wissenschaftlichen wie populärwissenschaftlichen Schriften zu den europäischen Kolonial- und Imperialkriegen, doch fehlt bisher eine detaillierte, breit angelegte und trotzdem eine gewisse Tiefe anstrebende Allgemeindarstellung.
Dieses Buch soll also eine Lücke schliessen und sich in dem Bemühen an ein breites Publikum wenden, einem Thema zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen, dem bislang ein stiefmütterliches Dasein innerhalb des Zirkels einiger Fachleute beschieden war.
Krieg und Unterwerfung, Tod und Zerstörung. Es kann niemanden verwundern, dass ein solcher Gegenstand angesichts der ausnehmend hässlichen Begleitumstände der kolonialen Eroberung in unserer heutigen, sich als kultursensibel inszenierenden Gesellschaft emotional hoch aufgeladen ist. Damals mit einer Argumentations-Mixtur aus sozialdarwinistischen Lehren von der »Selektion des Stärksten« und vom »Kampf ums Dasein«, nationalistischen Grossmachtsfantasien und häufig ungefiltert rassistischen Auffassungen von der Überlegenheit des weissen Mannes legitimiert und ins Werk gesetzt, liegen die Kolonialkriege, wie die gesamte Zeit des Kolonialismus, heute Afrikanern wie Europäern gleichermassen schwerverdaulich im Magen.
Dabei verliert man leicht aus den Augen, dass eine simple Täter-Opfer Dichotomie so nicht funktioniert. Es gab kein Exklusivabonnement der Weissen auf Imperialismus, Kolonialismus und Rassismus. Wer diesem Mythos anhängt, hat sich noch nie gefragt, wie Sinkiang zu China oder die Oromo zu Äthiopien gekommen sind und auch noch nie etwas vom türkischem Hautfarbenrassismus gegenüber schwarzen Afrikanern gehört. Der Wille, zu expandieren und damit auf Kosten anderer Völker zu erobern, ist ein uraltes Phänomen der gesamten Menschheit und eine Konstante der Weltgeschichte, die nicht an Hautpigmentierungen gebunden ist. Die enorme Wirkmächtigkeit und mit grosser Brutalität einhergehende Durchschlagskraft des »weissen« Imperialismus speiste sich aus dem Kraftwerk des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts Europas, nicht aus einer rassischen Besonderheit.
Umgekehrt passen auch die Afrikaner nicht so recht in die Schablone der duldsamen Opfer hinein. In Tausende von Ethnien und Gemeinschaften unterteilt, bildeten sie niemals eine homogene Einheit und auch keine passive Opfergruppe. Sie waren keine unbeteiligte Manövriermasse ihrer eigenen Geschichte, sondern aktive Akteure, selbstständig handelnde Agenten, Lenker ihres Tuns, die den immensen Herausforderungen der kolonialen Dampfwalze, die auf sie zurolle, mit unterschiedlichen Lösungsansätzen begegneten. Königreiche, Gruppen oder Individuen kämpften gegen oder eben auch für die weissen Invasoren, je nachdem,...
Erscheint lt. Verlag | 15.5.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung |
ISBN-10 | 3-7583-9980-7 / 3758399807 |
ISBN-13 | 978-3-7583-9980-0 / 9783758399800 |
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