Deutschlands Querfront -  Tomasz Konicz

Deutschlands Querfront (eBook)

Altlinke auf dem Weg zur Neuen Rechten
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
452 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7598-1449-4 (ISBN)
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Als ob sie die alte Totalitarismus-These wahrmachen wollten, verbreiten Teile der deutschen Linken schon seit mehr als einem Jahrzehnt Ressentiments und Narrative der Neuen Rechten und der AfD. Historisch hat sich der Begriff der Querfront für diese Kooperationsbestrebungen von Kräften am linken und rechten Rand des politischen Spektrums etabliert. Mit Sahra Wagenknecht, ihrer unbestrittenen Galionsfigur an der Spitze, hat sich diese aus der Linken hervorgegangene Querfront inzwischen in einer eigenen Partei organisiert. Das vorliegende Buch zeichnet einerseits die Geschichte dieser Querfront nach, die sich - ähnlich der Neuen Rechten - in Wechselwirkung mit den Krisenschüben der vergangenen Dekade entwickelte. Zudem sollen die gesellschaftlichen Hintergründe der Ausformung dieser national-sozialen Formation beleuchtet werden. Wieso zeigen sich deutsche Linke massenhaft anfällig für die Hetze und die Ressentiments der Rechten? Der sozioökonomische, ideologische und politische Fallout der Weltkrise des Kapitals soll hierbei mit der Krisenblindheit und dem Konservatismus einer alten Linken in Zusammenhang gebracht werden, die sich nach dem Epochenbruch von 1989 unfähig zu einem Neuanfang zeigte. Querfront - das ist der Weg der krisenblinden Altlinken in die Neue Rechte, so die zentrale These dieser Textsammlung. Die Querfront muss somit als eine Art 'Einstiegsdroge' in die Wahnwelt der Neuen Rechten begriffen werden. Ihr Erfolg beruht darauf, rechte Ideologie in linke Rhetorik zu verpacken. Objektiv fungiert die Querfront als ein reaktionärer Transmissionsriemen, der einerseits rechtes Gedankengut in linke und progressive Milieus hineinträgt, und andrerseits der Neuen Rechten immer neues, verblendetes Menschenmaterial zuführt. Abschließend - um einen Kontrastpunkt zu dieser großen Regression zu setzten - werden Ideen zu einer emanzipatorischen Praxis in der sich entfaltenden sozioökologischen Weltkrise des Kapitals zur Diskussion gestellt.

Tomasz Konicz (Jahrgang 1973) arbeitet seit gut 20 Jahren als freier Journalist und Publizist mit den Schwerpunkt­themen Krisenanalyse und Ideologiekritik. Publizistische Tätigkeit u. a. für Konkret, Jungle World, Neues Deutschland. Buchveröffentlichungen: Politik in der Krisenfalle (2012), Krisenideologie. Wahn und Wirklichkeit spätkapitalistischer Krisenverarbeitung (2024), Aufstieg und Zerfall des Deutschen Europa (2015), Kapitalkollaps (2016), Faschismus im 21. Jahrhundert (2024).

1. Einleitung: Die große Regression


 

"Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meine Herren? Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. Sie sind gegen das Judenkapital und wollen die Börsenjobber niederkämpfen. Recht so. Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie. Aber, meine Herren, wie stehen Sie zu den Großkapitalisten, den Stinnes, Klöckner?"

 

Ruth Fischer, ZK der KPD, vor völkischen Studenten am 25.07.1923

 

Es scheint kontraproduktiv, bei der Reflexion der Katastrophe der deutschen Linken mit dem Finger auf einzelne Akteure zu zeigen, die durch ihr Agieren den inzwischen sich offen vollziehenden Zerfall beförderten. Sollte noch ein auf radikaler Kritik aufbauender Neubeginn möglich sein, wäre es grundfalsch, die Ursachen des Aufstiegs der Querfront und des korrespondierenden Bedeutungsverlusts der Linken an einzelnen Tätern – und sollten sie noch so einflussreich gewesen sein – festmachen zu wollen, was letztendlich auf eine simple Personifizierung hinausliefe. Es wäre der erste Schritt in eine falsche Richtung. Die Ursachen des Aufstiegs der Querfront, die in der gegenwärtigen Systemkrise ein weitaus größeres Gewicht ausbilden konnte als in den 20er oder 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, liegen tiefer als im Machtstreben und im Größenwahn einer Sahra Wagenknecht.

 

Sinnvoller scheint es, bei den Begriffen und ideologischen Konzepten der alten Linken anzusetzen, die sich so anfällig für die Neue Rechte zeigte. Es sind anachronistische, aus der Zeit gefallene Ideen, die Anschluss suchen, gleich deren stockkonservativen Trägern, die buchstäblich die spätkapitalistische Welt aufgrund ihrer Krisenblindheit nicht verstehen können oder wollen. Es sind verwildernde Überbleibsel der alten sozialdemokratischen oder orthodox-kommunistischen Linken, die großenteils in Kategorien des 20. Jahrhunderts denken, die sich besonders anfällig für die Querfront zeigten: Sozialdemokraten, Leninisten, Teile der in einer Weltkriegszeitschleife verfangenen Antideutschen – diese in Regression befindlichen Splitter eines 1989 gescheiterten weltgeschichtlichen Anlaufs mutieren vermittels der Querfront zu Trägern rechter Ideologie, da ihr gesamtes politisches Bezugssystem sich immer weiter von der spätkapitalistischen Krisenrealität entkoppelte.

 

Sahra Wagenknecht, die Galionsfigur der deutschen Querfront, hat für diese Zerfallsform der Linken, die schon keine mehr ist, das Oxymoron des Linkskonservatismus erfunden. Der Wahn hat sich treffend benannt: eine Linke, die nicht mehr progressiv agiert, die rückwärtsgewandt ist, hört schlicht auf, links zu sein (siehe Querfront als Symptom). Es dominiert tatsächlich die konservative Sehnsucht nach der Vergangenheit in dieser alten (Post-)Linken: nach der BRD des Wirtschaftswunders, nach der Sowjetunion und/oder DDR, nach der klaren Frontkonstellation des Zweiten Weltkrieges, etc. - während der unreflektierte, unerbittlich voranschreitende sozioökologische Krisenprozess samt der korrespondierenden Faschisierung eine umfassende Regression in der Szene befördert.

 

Regression, der angstbedingte Rückfall in frühere Entwicklungsformen, meint hier vor allem unterschiedliche Arten ideologischer Krisenabwehr, da der Krisenprozess das anachronistische Ideologiegebäude, in dem Altlinke sich häuslich einrichteten, aufzusprengen droht – dies unterscheidet die linke Regression von gewöhnlichen reaktionären Tendenzen der Rechten (siehe Alles Alte ist besser als alles Neue?). Konkret vollzieht sich Regression in der Linken als reaktionärer Kampf gegen radikale Krisentheorie, gegen kategoriale Kapitalismuskritik. Regression zielt somit letztendlich darauf ab, die Etablierung eines radikalen Krisenbewusstseins abzuwehren, das die Überlebensnotwendigkeit der Überwindung des Kapitals als sozialer Totalität reflektiert hat (siehe Emanzipation in der Krise). Dies käme ja zwangsläufig einem Ausbruch aus dem kapitalistischen Gedankengefängnis gleich, der letztendlich auch die Formen, Institutionen und die Vermittlungsebenen subjektloser kapitalistischer Herrschaft hinter sich ließe; was einem tiefen Bruch gleichkommt, der auch die eigene Identität – Ausdruck der Sozialisation im Spätkapitalismus – tangiert. Und dies tangiert auch das Subjekt, auch den Arbeiter, der nur dann "revolutionär" sein könnte, wenn er nicht mehr Arbeiter sein wollte. Mensch muss nicht mehr das sein wollen, zu was er im Kapitalismus sozialisiert wurde.

 

Vor diesem tiefen, kategorialen Bruch mit dem geliebten Feind Kapital1 scheut die alte Linke, die sich hierbei auf die Ambivalenz gegenüber dem Proletariat im Marxschen Werk berufen kann,2 zurück. Das breite Zurückdrängen und Marginalisieren des radikalen, transformatorischen Krisenbewusstseins, (siehe Das Gerücht über die Wertkritik), das von der Altlinken und der Querfront in den vergangenen Jahren betrieben wurde, resultierte nicht nur aus ideologischer Verblendung und einer buchstäblich identitären Angst, es wurde auch von einem linken Krisenopportunismus befördert, der immer noch auf Posten und Pöstchen in der spätkapitalistischen Krisenverwaltung schielt.3 Der bereits erreichte, bescheidene Reflexionsgrad der Systemkrise ist weitgehend verschütt gegangen, die bewusst geführte kategoriale Kritik des Kapitals in seinem fetischistischen Amoklauf wurde durch affekthafte, irrationale Reaktionen auf das Krisengeschehen abgelöst.4 Der Aufstieg der Querfront in der Linken ging mit der Marginalisierung radikaler Krisentheorie und kategorialer Kritik am Spätkapitalismus einher (siehe die Texte Nr. 21.-24.).

 

Was ist also unter dieser zumeist absurd staatsgläubigen Altlinken zu verstehen? Die Altlinken müssen gar nicht alt sein, es finden sich – gerade als ideologischer Ausdruck der krisenbedingt zunehmenden Tendenzen zum Staatskapitalismus – auch verstärkt junge Menschen in orthodox-kommunistischen Grüppchen, keynesianischen Seilschaften und Zusammenhängen. Den gemeinsamen Nenner der alten Linken bilden verschiedene Rudimente anachronistischer Ideologie, die in Verwesung übergeht, braun anläuft, sich für den Faschismus des 21. Jahrhunderts öffnet. Was von der Altlinken gepredigt wird, ist die Rückkehr zu den alten – sozialdemokratischen oder leninistischen – Wahrheiten, wahlweise zum sozialdemokratischen Umverteilungskampf, zur Sozialen Frage, zu Keynes, zu Lenin oder gleich Stalin, zum verkürzten Klassenkampfdenken und zum Arbeits- wie Proletenfetisch.

 

Durch diese Rückbesinnung auf Ideen und Konzepte der Vergangenheit sollten ursprünglich die verschütt gegangenen einfachen Wahrheiten zutage gefördert werden, die man den einfachen Lügen und der Hetze der Rechten entgegengestellten wollte. Den rechten Populismus sollte ein linker Populismus kontern (siehe Die Sarrazin der Linkspartei). Was diese große Regression in ihrer Krisenblindheit beim Durchwühlen alter linker Ideologie-Konserven tatsächlich zutage förderte, sind abgestandene, anachronistische, aus ihrer Zeit gefallene Begriffe und Konzepte, die entkernt – ihres historischen Kontextes beraubt – quasi selbst in Regression übergingen, Anschluss suchten, an die Querfront und an den rechten Wahn andockten. Es sind Ideologiesplitter in Regression, anachronistische Verfallsformen altlinker Ideologie auf dem Weg zur Neuen Rechten.

 

Zuvorderst ist das Konzept des Proletariats als revolutionäres Subjekt zu nennen, das eine Regression zum populistischen Glauben an das Volk und den Volkswillen erfährt. Da die Arbeiterklasse, die zugleich Variables Kapital ist, ihre revolutionäre Bestimmung nicht erfüllt hat, setzte in Teilen der Linken eine regressive Substitution ein, bei der allgemein das Volk zur neuen, unscharfen Bezugsgröße imaginiert wurde. Dem Volkswillen sollte populistisch Ausdruck verliehen werden, wobei die Interessen des Volkes im Gegensatz zur herrschenden Klasse, oder – abgeschwächt – zu Profiteuren/Reichen imaginiert wurde. Doch was passiert, wenn das Volk partout nicht Front gegen die "reichen Absahner" machen will, sondern in Rassismus und Xenophobie flüchtet? (siehe Rassistischer Sozialprotest?) Muss dieser Volkswille nicht auch berechtigte Volksinteressen zum Ausdruck bringen, muss er nicht auch irgendwie sozial gewendet werden können, indem soziale Forderungen mit stärkerer Abschottung der Grenzen verknüpft werden? (siehe Nationalsozial in den Wahlkampf?)

 

Der zum "Volksglauben" degenerierte Proletenkult ist eng mit dem altlinken Klassenkampfparadigma verknüpft. Der Kapitalismus ist demnach nichts weiter als die Frontstellung von zwei Klassen, des Proletariats und der Bourgeoisie, die jeweils ihr eigenes Klasseninteresse haben und in einem permanenten – mal offen, mal verdeckt geführten – Klassenkampf befindlich sind, der als der kapitalistische Hauptwiderspruch imaginiert wird. Alles erscheint dem Klassenkampfdenken als Interesse, alle kapitalistischen Phänomene sollen sich demnach auf Interessen zurückführen lassen, nach denen die Klassenkampflinken mit dem berühmten leninschen "Cui bono?" ("Wem nützt es?") fragen. Ein Verteilungskonflikt wird hier zum Hauptwiderspruch aufgeblasen, während der innere Widerspruch des Kapitals ausgeblendet wird, das zum Abschmelzen seiner Substanz - der Lohnarbeit in der Warenproduktion - tendiert und diesen "prozessierenden Widerspruch" nur in immer neuen Expansionsschüben prolongieren kann.

 

Die gegenwärtige soziale und ökologische Weltkrise wird gerade durch diesen widerspruchsgetriebenen Wachstumszwang des Kapitals befördert, und dies liegt...

Erscheint lt. Verlag 14.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7598-1449-2 / 3759814492
ISBN-13 978-3-7598-1449-4 / 9783759814494
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