Die deutsche Friedensbewegung 1870-1933 -  Richard Barkeley

Die deutsche Friedensbewegung 1870-1933 (eBook)

Unveränderter Text der Darstellung von 1947, ergänzt durch eine Bibliographie

Peter Bürger (Herausgeber)

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
156 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-7153-7 (ISBN)
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Nach zwei Weltkriegen mit über 70 Millionen Toten wollte sich in Deutschland niemand an die einzigen Klarsichtigen erinnern - an Menschen, die man in der Vergangenheit als "Friedenshetzer" und "Lumpenpazifisten" unterdrückt, verfolgt oder gar ermordet hatte. Ungelegen kam im Jahr 1948 das hier neu edierte Buch "Die deutsche Friedensbewegung 1870-1933" des in Österreich geborenen Politikwissenschaftlers Richard Barkeley. Es zeigte nicht zuletzt, wie im Schatten des unkaputtbaren Militarismus die Friedensidee schon vor dem Hitler-Faschismus mit endlosen Repressionen zum Schweigen gebracht werden sollte: "Es gehörte großer Mut dazu, Pazifist in Deutschland zu sein, im Kaiserreich und nachher. ... Die Vorbereitung des Krieges begann nicht erst unter Hitler, sondern schon am 10. November 1918, und sie wurde zielbewußt fortgesetzt von Noske und Geßler bis Blomberg. Die armen Teufel, deren Leiber irgendwo zwischen Polarkreis und Sahara vermodern, sind ebensosehr die Opfer der Aufrüstung vor 1933 wie der späteren." Zu seiner erhellenden und brillant geschriebenen Darstellung vermerkte der Verfasser 1947: "Es ist nicht leicht, die nötige Objektivität zu wahren, wenn eine Periode jüngster deutscher Geschichte zu beschreiben ist ... Deutsche Einrichtungen und Parteien mussten freimütig angegriffen werden. Das geschah weder aus Lust an der Kritik, noch um sie herabzusetzen. Es ist unmöglich, deutsche Einrichtungen oder deutsche Parteien zu schonen, wenn man bei der Wahrheit bleiben will; aber alle in der vorliegenden Schrift enthaltene Kritik soll niemand daran hindern, Einrichtungen und Parteien nunmehr Gelegenheit zu geben, aus Erfahrung und Fehlern zu lernen und sich zu bewähren ... Dieses Buch ist keine Propagandaschrift, weder für noch gegen den Pazifismus. Aber es ist eine Propagandaschrift gegen die Unterdrückung einer Idee. Was immer ... gegen die Friedensbewegung spricht, kann nie das Recht geben, sie zu unterdrücken oder zu verleumden; beides jedoch ist geschehen." Die Geschichte - zumal die deutsche - lehrt uns freilich, dass zu allen Zeiten autoritäre Verhältnisse, Massengräber und unermessliche Leiden bevorstehen, wenn die Widersacher des Pazifismus ihre Kriegsertüchtigungsparole im öffentlichen Raum durchsetzen können und Hundertmilliarden-Etats zu den Totmach-Industrien umleiten. Ein Band der edition pace, herausgegeben von Peter Bürger

Richard Barkeley , geboren in Waidhofen an der Ybbs (Österreich): "Dr. Richard Baumgarten, der in Wien Politikwissenschaft studiert hatte, war nach seiner Inhaftierung 1938 emigriert und hatte sich in Holland dem österreichischen Widerstand angeschlossen; ging später nach England, nahm den Namen Dr. Barkeley an und arbeitete (u.a.) als Journalist und Buchautor" (nach: J. Kammestätter: Heimat zum Mitnehmen. Wieselburg 2012, S. 24-35).

I.
DIE BÜRGERLICHE FRIEDENSBEWEGUNG VOR 1914


Als Bismarck am 8. Oktober 1862 das Amt eines Ministerpräsidenten in Preußen übernahm, war seine programmatische Feststellung: „Die großen Fragen unserer Zeit werden nicht durch Majoritätsbeschlüsse gelöst werden, sondern durch Blut und Eisen.“ Es war eine Folge dieser Blut- und- Eisen-Diät, daß das deutsche Volk weniger an der Weltfriedensbewegung Anteil nahm, als man auf Grund des deutschen Beitrages zur Weltkultur in früheren Epochen hätte erwarten können. Man kann es nicht leugnen: im selben Verhältnis, wie Deutschland, militärisch erstarkt, zur Großmacht und ersten Macht des Kontinentes wurde, verringerte sich sein Ansehen als geistige Großmacht. Es gibt viele Beweise für diese These; einer davon ist die unglaublich zögernde Zurückhaltung, mit der in Deutschland die Menschen darangingen, den jahrtausendealten Traum vom ewigen Frieden zu verwirklichen.

In Westeuropa war in den sechziger Jahren eine starke pazifistische Bewegung entstanden, die durch die zwischen Preußen und Frankreich bestehende Spannung und die damit verbundene Kriegsgefahr noch vermehrt wurde. Preußen dagegen war damals schon nach einem kurzen liberalen Zwischenspiel zum Junkerstaat herabgesunken. Am 3. September 1866 hatte ein Teil der Liberalen des preußischen Landtages, durch den Sieg von Königgrätz geblendet, Bismarcks Verfassungsbruch durch die sogenannte Indemnitätsvorlage1 gedeckt und dadurch den deutschen Parlamentarismus erschlagen, bevor er noch den Kinderschuhen entwachsen war. Der deutsche Parlamentarismus, der damals vor dem Sieg der preußischen Waffen seine eigenen streckte, hatte dadurch ein gefährliches Beispiel für die Zukunft geschaffen: Die Gruppe liberaler Abgeordneter, die den Namen ihrer Partei auf national-liberal änderte, brachte damit die Unterwerfung der Idee unter den Nationalismus deutlich zum Ausdruck. Vom nationalen Liberalismus zum nationalen Sozialismus ist nur ein kurzer Weg.

Nach dieser freiwilligen Unterwerfung der Nationalliberalen unter das Joch des Militarismus gehörte großer Mut dazu, den Antrag zu stellen, den der berühmte Anatom und Arzt Virchow am 21. Oktober 1869 namens der Fortschrittspartei (der treugebliebenen Liberalen) im preußischen Landtag einbrachte, in dem es heißt:

„In Erwägung, daß die Höhe der Ausgaben des Norddeutschen Bundes wesentlich durch den Militäretat bestimmt wird, und daß die dauernde Erhaltung der Kriegsbereitschaft in fast allen Staaten Europas nicht durch die gegenseitige Eifersucht der Völker, sondern nur durch das Verhalten der Kabinette bedingt wird, ist die königliche Regierung aufzufordern, dahin zu wirken, daß durch diplomatische. Verhandlungen eine allgemeine Abrüstung herbeigeführt werde.“

Dieser Antrag wurde – man ist nach dem 3. September 1866 fast gedrängt, „natürlich“ hinzuzusetzen – mit 215 gegen 99 Stimmen abgelehnt. Ebenso wurde ein Antrag des Abgeordneten Lasker, der in recht zahmen Worten eine Verminderung der Militärlasten gefordert hatte, abgelehnt.

Wenig später, im Februar 1870, lehnte Bismarck einen französischen Vorschlag eines Abrüstungsabkommens, der ihm durch die englische Regierung übermittelt wurde, ab. Bismarck war durchaus nicht bereit, auf solche Dinge ein zugehen. Ein Abrüstungsabkommen hätte den von ihm so sehr gewünschten Krieg mit Frankreich verhindert. Wenn auch in Westeuropa die Friedensbewegung unmittelbar nach dem Krieg 1870/71 einen neuerlichen Aufschwung nahm, der deutsche Kanzler wollte, obgleich er Deutschland nunmehr als gesättigte Macht bezeichnete, auch jetzt davon nichts wissen. Der Abgeordnete der Württembergischen Volkspartei v. Bühler beantragte am 12. März 1879:

„Der Reichstag wolle beschließen: den Fürsten Reichskanzler zu ersuchen, einen europäischen Staatenkongreß zum Zweck der Herbeiführung einer wirksamen allgemeinen Abrüstung etwa auf die durchschnittliche Hälfte der gegenwärtigen Friedensstärke der europäischen Heere für die Dauer von vorläufig 10 bis 15 Jahren zu veranlassen.“

Natürlich wurde der Antrag abgelehnt. Als ihn v. Bühler trotzdem an Bismarck weitersandte, antwortet dieser:

„Erst nachdem es Ew. gelungen sein wird, unsere Nachbarn für Ihre Pläne zu gewinnen, könnte ich oder ein anderer deutscher Kanzler für unser stets defensives Vaterland die Verantwortung für analoge Anregungen übernehmen. Aber auch dann fürchte ich, daß die gegenseitige Kontrolle der Völker über den Rüstungszustand der Nachbarn schwierig und unsicher bleiben und daß ein Forum, welches sie wirksam handhaben könnte, schwer zu beschaffen sein wird.“

Ähnlich sprach sich der Kanzler auch dem italienischen Botschafter Crispi gegenüber aus, nämlich:

„… daß sich der Gedanke der Abrüstung nicht in die Praxis umsetzen läßt. Im Wörterbuch finden sich noch keine Vokabeln, welche die Grenzen zwischen Abrüstung und Rüstung festsetzen.“

Unter diesen Umständen und, abgesehen von einigen süddeutschen Gruppen der Fortschrittspartei, von keiner der sogenannten bürgerlichen Parteien unterstützt, konnte man nicht erwarten, daß der Pazifismus in Deutschland besondere Fortschritte machen könne, zumal da jeder, der eine auch noch so sachliche Kritik an einer der zahlreichen Militärvorlagen übte, schon als Reichsfeind galt. Niemand wird sich daher wundern, daß auf dem ersten Weltfriedenskongreß in Paris, 1889, unter 97 Teilnehmern kein einziger Deutscher war.

Erst als die schwere Hand Bismarcks ausgeschaltet war, machte die Friedensidee auch in Deutschland endlich einige Fortschritte. Caprivi, der Nachfolger Bismarcks, mußte wohl, wollte er sich das Wohlwollen des Kaisers nicht verscherzen, die Militärvorlage durchbringen. Der neue Kurs, wie man jene kurze Periode in der deutschen Geschichte nennt, brachte aber trotzdem doch eine gewisse Erleichterung. Der neue Kanzler erklärte selbst (1892) in Danzig:

„… daß das kommende Jahrhundert den Zusammenschluß der europäischen Völker fordern könnte“,

und:

„Wir wollen nur Kulturaufgaben lösen, das friedliche Zusammenleben der Völker erleichtern; die europäischen Kräfte zusammenschließen für eine spätere Zeit, wo es einmal notwendig sein sollte, im Interesse einer großen gemeinsamen Wirtschaftspolitik einen großen Komplex von Staaten gemeinsam zu erfassen“,

während ein späterer preußischer Kriegsminister, General v. Goeßler, 1894 im „Militärwochenblatt“ vorschlug:

„… eine friedliche Vereinbarung zwischen den Staaten behufs Vermeidung eines Krieges auf eine Reihe von Jahren zu treffen.“

Aber es war schon zu spät. Die Unterwerfung des deutschen Geistes unter die Forderungen der Bismarckschen Blut- und -Eisen-Ära hatte in den 28 Jahren der Herrschaft der eisernen Hand des Kanzlers solche Formen angenommen, daß kaum jemand mehr die Fähigkeit hatte, für sich selbst zu denken. Die äußeren Formen hatten sich wohl etwas geändert, aber innerlich blieb Deutschland unter dem Kaiser in derselben Unfreiheit wie unter dem Kanzler. Unter diesen Umständen blieb die Friedensbewegung im Reich ein Versuch mit untauglichen Mitteln.

Es waren zwei Österreicher, Baronin v. Suttner und Alfred H. Fried, die 1892 die „Deutsche Friedensgesellschaft“ gründeten. Diese Gründung ist in erster Linie dem Roman der Frau v. Suttner, „Die Waffen nieder“, zu danken. Dieses Buch, das 1890 erschien, erregte ungeheures Aufsehen. Zum ersten Male wurde hier die andere Seite des Krieges dargestellt. Der Eindruck, den das Buch verursachte, wurde, wenigstens im deutschen Sprachgebiet, dadurch wesentlich erhöht, daß seine Verfasserin dem Adel angehörte. Nun war es etwas leichter, „der von ihr vertretenen Idee auch in den höheren Gesellschaftsklassen und in der politischen Welt Kredit verschaffen“. (A. H. Fried.) 1891 wurde die österreichische Friedensgesellschaft gegründet, 1892 die deutsche. So schwach die Friedensbewegung in Deutschland auch war – es gab bei ihrer Gründung nicht die 32 Reichstagsabgeordneten und zahlreichen Universitätsprofessoren, die ein Jahr früher der Gründung des Alldeutschen Vereins beigewohnt halten –, sie wurde natürlich trotzdem schon im Gründungsjahr angefeindet, und 1893 erschien ein Buch (Jähns: Krieg, Frieden und Kultur), in dem die Friedensbewegung als kulturfeindlich bezeichnet wurde, da sie den Krieg, der doch die Ursache alles Kulturfortschritts sei, unmöglich machen wolle. Felix Dahn, der vor Jahren als großer Dichter galt, schrieb ein Epigramm gegen „Die Waffen nieder“, das in vier Zeilen die ganze deutsche nationale Einstellung in ihrer unbegreiflichen Beschränktheit und Überheblichkeit zeigt:

„Die Waffen hoch! Das Schwert ist Mannes eigen,

Wo Männer...

Erscheint lt. Verlag 2.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7597-7153-X / 375977153X
ISBN-13 978-3-7597-7153-7 / 9783759771537
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