Indien -  Cora Lenz

Indien (eBook)

Erlebnisse bei einem Grundbildungsprojekt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
280 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-9344-0 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
9,49 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Erlebnisbericht. Geschichten über die Erfahrungen in Indien beim Aufbau eines Grundbildungsprojekts für die EU. Gepflogenheiten eines anderen Landes, Arm und Reich, Kastensystem und Kolonialerbe. Verständnis und Missverständnisse, Freundschaften und Intrigen, Widersprüche zwischen Anspruch und Realität in der Entwicklungszusammenarbeit.

Cora Lenz, Studium der Volkswirtschaft und Psychologie, langjährige Tätigkeit für Entwicklungsländer in Afrika und Asien lebt heute mit ihrem Mann in Frankfurt.

Wie alles anfing


Schön war es hier. Friedlich, fast so einsam wie damals in Botswana. Aber deutsch.

Seit Wochen hatte Andreas es immer wieder angesprochen. Ob er es wagen sollte? Heute war das Schlussdatum für eine Bewerbung in Indien. Er hatte erfahren, dass es nur wenige Interessenten gab. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Wir wollten wieder „Dritte-Welt“-Erfahrung auftanken. Die fünf Jahre in Botswana von 1973-1978 in den Planungsabteilungen verschiedener Ministerien hatten uns nachhaltig geprägt. Andreas hatte mitgeholfen, Billigtourismus im Okavango-Delta und in der Kalahari-Wüste zu vermeiden, ich war stolz auf meine Beteiligung an einem Alphabetisierungsprogramm für Erwachsene und auf die Einrichtung eines Ausbildungszentrums in der Kalahari Region für die Basarwa, die Buschleute, die bisher keine schulischen Möglichkeiten gehabt hatten. Die fantastischen Reisen durch die einsamen Naturlandschaften und der Reichtum an wilden exotischen Tieren waren angenehme Begleiterscheinungen gewesen.

Jetzt waren wir dabei, in den Verwaltungs-Aufgaben der Zentralen unserer EZ1-Organisationen den mühsamen Alltag der Arbeit in einem Entwicklungsland aus den Augen zu verlieren.

Für unsere Kinder - Katja am Ende der siebten, Paul am Ende der vierten Klasse - wäre ein Schulwechsel nicht mehr zu verantworten, wenn sich das Abitur näherte. Ein paar Jahre im Ausland, mindestens zwei, besser drei oder vier sollten es schon sein, wenn wir noch einmal ins Ausland gingen.

Darüber sprachen wir auf unserem Spaziergang durch die Dünen von Juist.

Ich war dafür.

Irgendeine Beschäftigung als sogenannte „Ortskraft“ in einem der vielen Projekte, die die GTZ2 dort in Indien hatte, würde sich sicher für mich finden. Ich war optimistisch. Für mich wäre es leichter als für Andreas3.

Es würde ganz anders sein als in Botswana, dem ehemaligen englischen Protektorat in Afrika mit einer knappen Million Einwohnern auf einer Fläche von der Größe Frankreichs. Indien dagegen, der Subkontinent in Asien mit einer ausgeprägten Kolonialerfahrung und mit für uns unvorstellbar vielen Menschen, deren Zahl sich gerade der ersten Milliarde näherte! Es wäre eine echte Herausforderung und ein neues Abenteuer für uns.

Andreas griff zum Handy. Ja, seine Bewerbung könne auch erst einmal telefonisch erfolgen, die schriftliche könne er nachreichen. Andreas sprach den entscheidenden Satz. Danach gingen wir schweigend weiter. Eine zittrige Vorfreude stieg in mir hoch. Drei Wochen würde der Entscheidungsprozess etwa dauern, der Hauptabteilungseiter sei in Urlaub, hatte der Kollege von der Personalabteilung gesagt

Wieder zurück in der GTZ traf ich meinen früheren Kollegen Holger aus der Bildungsabteilung, in der ich gern gearbeitet hatte.4

Holger freute sich:

- Ich wollte dich gerade anrufen. Wir haben eine Anfrage der Europäischen Kommission in Brüssel, ob wir ihnen Personalvorschläge für die Besetzung der Position eines Programm-Koordinators für ein großes Bildungsvorhaben gemeinsam mit anderen Gebern machen könnten. Der Sitz ist in Neu-Delhi. Wir haben in der Abteilung gemeinsam überlegt und dabei an dich gedacht. Du hast zehn Jahren Erfahrung in der Grundbildung5 bei uns und wärst genau die richtige Kandidatin! Was meinst Du?

Ich war sprachlos. War da oben jemand, der Andreas und meine Arbeit in Zukunft auf Indien ausrichtete?

Holger interpretierte mein wortloses Staunen richtig. Er setzte hinzu:

- Es soll praktisch sofort losgehen. Die suchen schon ziemlich lange. Das Vorstellungsgespräch kann jederzeit sein.

Ich fand meine Sprache wieder:

- Kann ich mich wenigstens mit Andreas besprechen, bevor ich mich entscheide?

Holger lachte nur.

Zehn Tage später war ich auf dem Weg nach Brüssel. Ich erinnere mich genau an den kleinen unscheinbaren Mann in schwarzem Anzug, der aus dem Raum kam, in den ich jetzt zur Vorstellungsrunde gebeten wurde. Offenbar ein Konkurrent, ein Franzose, wie ich seinen Verabschiedungsworten in Französisch entnahm. – Irgendwie hatte ich den Eindruck, ich hätte gute Chancen.

Drei Personen interviewten mich etwa anderthalb Stunden lang. Der Auswahlprozess bei der GTZ war um ein Vielfaches intensiver. Offenbar verließen die EU-Kollegen sich auf die Empfehlung ihrer deutschen Kollegen. Eine Frage ist mir in Erinnerung geblieben, vielleicht weil sie sich als bedeutungsvoll erweisen sollte:

- Wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie Schwierigkeiten mit den indischen Partnern bekommen würden?

Meine Antwort muss zufriedenstellend gewesen sein.

Ich war gut vorbereitet. Ein Ex-Kollege aus der GTZ hatte mir Hinweise zu dem Vergütungsspielraum gegeben. Der Personalreferent meinte, ich würde in den nächsten Tagen mit einer Entscheidung und im positiven Falle mit einem Vertragsangebot rechnen können.

Es war eine spannende Zeit. Den Kindern sagten wir nichts.

Vier Wochen später, ich saß im Büro, ein Anruf von Andreas:

- Die haben hier entschieden. Ich bin raus. Mein Chef hat bis zur letzten Sekunde gewartet, bevor er sich auch auf die Büroleiterstelle bewarb. Er wusste, dass nur ich ein ernst zu nehmender Kandidat bin. Er hat den Vorrang, auch wenn er die Projekte in Indien lange nicht so gut kennt wie ich!

Dann, ich hatte praktisch noch den Hörer in der Hand, trat Holger in mein Büro:

- Ich muss es Dir persönlich mitteilen, nicht am Telefon! Herzlichen Glückwunsch! Du hast die Stelle in Neu-Delhi!

Sollte ich mich freuen oder wütend sein auf Andreas Chef, der unsere Pläne durchkreuzt hatte? Meine Gedanken konzentrierten sich eher auf die Suche nach einem Ausweg.

Holger hatte Verständnis dafür, dass ich nicht sofort zusagen konnte.

So überlegten Andreas und ich am Abend, ob ich allein nach Delhi gehen sollte. Eine solches Angebot würde ich so bald nicht wieder bekommen.

Und die Kinder? Sollten sie dann bei mir sein oder bei ihm? Bei mir in Indien wäre es vielleicht einfacher, weil es sicher leicht wäre eine Haushaltshilfe zu finden. Bei ihm in Deutschland bräuchte er eine Haushälterin - kein verlockender Gedanke für ihn, abgesehen von den Kosten. Und dann die vielen gegenseitigen Besuche. Eine schreckliche Unruhe für die Kinder und uns. Wir kamen zu keiner Entscheidung.

Am Wochenende bei einem Fest trafen wir auf Andreas Hauptabteilungsleiter. Ich wusste, dass Andreas sich gut mit ihm verstand.

Er hörte uns geduldig an.

- Das ist ja wirklich eine blöde Situation. Vielleicht fällt mir da noch was ein!

Er klang nachdenklich.

Ein paar Tage später erhielt Andreas den Vorschlag, sich für eine Zeitdauer, die er selbst bestimmen könnte, von seiner derzeitigen Position beurlauben zu lassen und im Rahmen eines Retainer-Vertrags6 als Gutachter mit Sitz in Indien für die KfW zu arbeiten. Eine Rückkehr auf seine alte Position sei jederzeit möglich, seine derzeitigen Bezüge würden ihm garantiert.

Ein interessanter Vorschlag.

Blieb die Frage, für welchen Zeitraum dies sinnvoll wäre. Das Programm der Europäischen Kommission war auf vier Jahre ausgelegt war, und mir hatte man einen Consultingvertrag für ein Jahr angeboten, mit der Möglichkeit der Verlängerung für jeweils ein weiteres Jahr usw., wie bei der Kommission üblich. Würde sich das Ganze im Extremfall für ein Jahr lohnen?

Und was war mit den Kindern? Höchste Zeit, sie in die Überlegungen mit einzubeziehen.

Unsere dreizehnjährige Katja hörte sich das Ganze sehr interessiert an und meinte kurzentschlossen:

- Prima, ich komm mit!

Der zehnjährige Paul dachte bereits an den bevorstehenden Schulwechsel aufs Gymnasium nach den Sommerferien. Dieser Gedanke war für ihn aufregend genug.

- Nee, brauch ich nicht! Ich will hierbleiben!

Wir versuchten, ihm die Sache schmackhaft zu machen:

- Du kannst dann echte Maharadscha-Paläste sehen und Tiger soll es da auch geben. Wenn wir dann eine Hausangestellte haben, brauchst Du wahrscheinlich auch Deine Schuhe nicht mehr selbst zu putzen!

Wir konnten keine Begeisterung bei ihm entfachen. Dann:

- Wenn ihr unbedingt wollt! Aber höchstens für ein Jahr!

Wir spürten, dass es ihm ernst war mit dem einen Jahr. Aber vielleicht würde er es mit der Zeit anders sehen und seine Meinung ändern. Außerdem müsste es erst einmal zu einem weiteren Jahr kommen. So viele Unsicherheiten und Eventualitäten!

Die Entscheidung fiel uns richtig schwer. Ich machte eine Entscheidungstabelle mit gewichteten Pro- und Contra-Kriterien für jedes Familienmitglied. Für mich und Katja überwogen eindeutig die Pros. Für Andreas war das Ergebnis der Bewertung ausgeglichen, für Paul gab es mehr Contras. Insgesamt ein schwaches Übergewicht für die Pros.

1 EZ: Entwicklungszusammenarbeit

2 GTZ: Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, heute GIZ (Gesellschaft für internationale...

Erscheint lt. Verlag 27.2.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7583-9344-2 / 3758393442
ISBN-13 978-3-7583-9344-0 / 9783758393440
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 627 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Mein Leben in der Politik

von Wolfgang Schäuble

eBook Download (2024)
Klett-Cotta (Verlag)
29,99
Mit „Green Growth“ gegen den Klimawandel und für die …

von Hans-Jörg Naumer

eBook Download (2023)
Springer Fachmedien Wiesbaden (Verlag)
9,99