Cannabis -  Eva Hoch,  Ulrich W. Preuss

Cannabis (eBook)

Konsum, Gefahr, Mythen, Nutzen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
220 Seiten
LangenMüller (Verlag)
978-3-7844-8483-9 (ISBN)
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Cannabis ist nun als Rauschdroge in Deutschland legal. Die Droge hat verschiedenste Effekte und kann bei Menschen ganz unterschiedlich wirken. Wie entsteht eine Abhängigkeit? Kann man beim ersten Konsum schon eine Psychose bekommen? Macht Cannabis dumm? Wie wirksam ist Cannabis als Arznei? Die Autoren liefern neueste Erkenntnisse zu Cannabis als Rauschmittel und Arznei. Sie klären über Cannabismythen auf. Dabei nehmen sie auch die Entwicklung in anderen Ländern in den Blick. Was können wir aus bereits gemachten Erfahrungen lernen? Welche Knackpunkte müssen im weiteren Legalisierungsprozess beachtet werden, damit die Freigabe der Droge gelingen kann? Viele Fragen sind noch offen. In diesem Buch finden Sie die Antworten.

2.
Die Entdeckung des körpereigenen Cannabissystems

Der Begründer der modernen Cannabisforschung

Ein Mann wird im Zusammenhang mit der Erforschung der Substanz Cannabis und dem endogenen Cannabissystem besonders gewürdigt, in Cannabis-Kreisen wird er sogar regelrecht verehrt als »Vater des THC«: Raphael Mechoulam, ein israelischer Wissenschaftler, hat bis dato sicherlich am stärksten zu unserem Verständnis der Cannabinoide und des endogenen Cannabissystems beigetragen.

Raphael Mechoulam wurde 1930 in Sofia, Bulgarien, geboren. Sein Vater war Chef des jüdischen Krankenhauses. Aufgrund der Repressalien der Nationalsozialisten versuchte er, als Arzt auf dem Land weiterzupraktizieren. Trotz Flucht mit der Familie über den Balkan wurde er schließlich doch im Konzentrationslager interniert. Nach dem Holocaust emigrierte die Familie 1949 nach Israel. Mechoulam studierte Biochemie an der Hebrew University of Jerusalem und promovierte am Weizmann-Institut für Wissenschaften. Dort begann er in den frühen 1960er-Jahren seine Forschung an den Cannabinoiden Cannabidiol (CBD) und Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) (Adams et al., 1940a, b). In den 1990er-Jahren entdeckte er mit Kollegen die wichtigsten körpereigenen Cannabinoide Anandamid und 2-Arachidonoylglycerol (2-AG).

Mechoulam verstand schon früh die Bedeutsamkeit dieses hochkomplexen biochemischen Systems für die menschliche physiologische Physiologie. Dem preisgekrönten Wissenschaftler gelang es, die israelische Wirtschaft von der Zukunft des Cannabis zu überzeugen. Israelische Firmen sind an mehr als 80 Prozent aller weltweiten Cannabis-Patente beteiligt. Der hochproduktive Raphael Mechoulam starb im Jahr 2022 in Israel. Er war bis zuletzt von den unbeantworteten Fragen des endocannabinoiden Systems fasziniert. In einem Interview zitierte er Rilke: »Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge zieh’n. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.« (https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/wissenschaftsgeschichte-der-pionier-der-cannabis-forschung-1.3783646)

Einzelne Puzzleteile ergeben ein Ganzes

Obwohl Cannabis über Jahrtausende als Medikament und Droge verwendet wurde, dauerte es bis ins 20. Jahrhundert, bis Cannabinoide systematischer erforscht wurden. Mit der genaueren Untersuchung ihrer Wirkung im menschlichen Körper stieß man nach und nach auf verschiedene Komponenten eines sehr komplexen physiologischen Systems, dessen Funktion für das menschliche Leben und Überleben eine allumfassende Bedeutung hat.

Doch betrachten wir die Abschnitte dieser Wissenschaftsgeschichte der Reihe nach. Es war in den späten 1930er- und den frühen 1940er-Jahren, als der ehemalige Harvard-Student Roger Adams und seine Mitarbeiter an der Universität von Illinois aus einem Extrakt aus Minnesota-Wildhanf Cannabidiol (CBD) und Cannabinol (CBN) als erste pflanzliche Cannabinoide identifizierten (Adams et al., 1940a, b). Der Chemiker erhielt im Jahr 1942 ein Patent für seine Methode zur Isolierung von CBD. Er soll es als »giftig« eingeschätzt haben, weshalb er seine Forschungen dazu einstellte.

Roger Adams war auch der erste Forscher, der Tetrahydrocannabinol (THC) identifizierte. Er gewann das THC aber nicht direkt aus der Pflanze. Stattdessen stellte er es im Labor her, indem er die molekulare Struktur von Cannabidiol veränderte. An Versuchen mit Hunden beobachtete er die »Marihuana ähnlichen« Wirkungen. Zwei Jahre später wurde Tetrahydrocannabinol erstmals aus Cannabisharz isoliert. Walter S. Loewe führte die ersten Cannabinoid-Tests an Tieren fort. Er beobachtete, dass Nager bei CBD im Gegensatz zu THC keine Verhaltensauffälligkeiten zeigten (Loewe, 1944).

Erst zwanzig Jahre später gelang der nächste große Durchbruch in der Cannabinoidforschung. Leistungsfähige Analysetechniken waren entwickelt worden, wie z. B. die Kernspinresonanztomografie. Dadurch gelang es der Forschergruppe um Raphael Mechoulam in Israel, die endgültige Struktur von Δ9-THC zu klären (Gaoni und Mechoulam, 1964). Ein Jahr zuvor hatte er auch das CBD isoliert und seine chemische Struktur beschrieben. Es folgten zahlreiche tierexperimentelle Studien zu THC und CBD sowie eine erste Humanstudie zu Cannabidiol bei Menschen mit Epilepsie. Es sollte mehr als drei weitere Jahrzehnte dauern, bis diese brasilianisch-israelische Forschungsarbeit internationale Beachtung fand.

Um die Wirkung der Droge Cannabis erklären zu können, suchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA, Großbritannien und Israel lange nach den molekularen Zielen der aktiven Cannabisbestandteile. Im Jahr 1988 gelang schließlich der Neuropharmakologin Allyn Howlett die bahnbrechende Entdeckung. Gemeinsam mit ihrem Doktoranden William Devane fand sie Rezeptoren, komplexe Eiweißmoleküle, die im menschlichen Körper mit den Wirkstoffen von Cannabis interagieren. Sie nannte diese Schlüsselstellen »Cannabinoiderezeptor 1« – kurz CB1.

Der Pionierin an der St. Louis School of Medicine fiel weiter auf, dass dieser CB1-Rezeptor der am häufigsten vorkommende G-Protein-gekoppelte Rezeptor im Gehirn von Säugetieren ist. Dies öffnete die Schleusen für die weitere Erforschung des Endocannabinoid-Systems. Bis heute steht Professor Howlett zu Unrecht im Schatten des renommierten Kollegen Mechoulam aus Israel. Ihre Forschung hatte und hat jedoch enorme Auswirkungen auf fast alle Bereiche der medizinischen Wissenschaft. Howlett ist derzeit Professor in der Abteilung für Physiologie und Pharmakologie an der Wake Forest School of Medicine in Winston-Salem, North Carolina. Dort untersucht sie Protein-Interaktionen, die die Aktivität von Cannabinoidrezeptoren modulieren. Ihr Ziel ist es, die Entwicklung neuer Cannabinoid-Medikamente voranzutreiben. Im Jahr 1993 entdeckte die britische Forschergruppe um Sean Munro einen zweiten Cannabinoidrezeptor (CB2-Rezeptor). Dieser CB2-Rezeptor ist am häufigsten auf Zellen des Immunsystems und auf Zellen, die an Knochenauf- und -abbau beteiligt sind, lokalisiert.

Ende der 1990er-Jahre wurde von einer kanadischen Forschungsgruppe schließlich eine dritte Andockstelle entdeckt, die sich vornehmlich im Gehirn befindet. Der GPR55-Rezeptor besitzt möglicherweise eine Schlüsselrolle bei seltenen und schweren Formen der Epilepsie. Seine Erforschung befindet sich jedoch noch in einem frühen Stadium.

Wissenschaftlern war lange klar: Dass der menschliche Körper über eigene Andockstellen für pflanzliche Cannabinoide verfügt, konnte keine Laune der Natur sein. Es musste körpereigene Substanzen geben, die an diese Rezeptoren binden. 1992 wurde erstmals von Mechoulam und Gaoni ein solches körpereigenes Cannabinoid nachgewiesen. Sie nannten es »Anandamid«, vom Sanskrit-Wort »Ananda« für Glückseligkeit und »Amid« wegen seiner chemischen Struktur.

Drei Jahre später, 1995, wurde ein zweites Endocannabinoid gefunden, das 2-AG (2-Arachidonoylglycerol). Dessen beide Moleküle sind bisher am besten erforscht. Heute geht man von etwa 200 Substanzen aus, die den entdeckten Endocannabinoiden in ihrer chemischen Struktur ähneln. All die hier beschriebenen Entdeckungen führten zur Charakterisierung des Endocannabinoid-Systems (ECS), dessen Funktion bei der gesunden Funktion des Körpers, bei der Entstehung von Erkrankungen und deren Therapie mehr und mehr erforscht wird. Es wird noch das nächste Jahrhundert an Forschung benötigen, bis das endocannabinoide System vollständig erforscht und verstanden ist.

Wozu haben wir ein körpereigenes Cannabissystem?

Unser Körper besitzt mehrere Transmittersysteme (zur Übertragung von Erregungen im Nervensystem). Manche sind bekannter, beispielsweise das sympathische Nervensystem. Es bereitet den Körper auf Stress vor. Dadurch werden Kampf- oder-Flucht-Reaktionen ermöglicht, ohne dass uns das bewusst ist. Sein Gegenspieler, der Parasympathikus, hilft, dass wir uns nach Anstrengung wieder erholen und Energiereserven aufbauen können.

Nahezu unbekannt ist jedoch das körpereigene Cannabis-System (ECS). Das ist ganz erstaunlich, denn das ECS ist an nahezu allen Mechanismen dafür beteiligt, dass unser Körper jeden Moment gut funktioniert. Das ECS reguliert und steuert viele unserer wichtigsten Körperfunktionen. Das sind beispielsweise das Wachstum, der Appetit, der Schlaf-wach-Rhythmus, die Körpertemperatur, Entzündungs- und Immunreaktionen, Schmerz, Gedächtnis, Lernen, Emotionen. Das Signalübertragungssystem ist entwicklungsbiologisch sehr alt und existiert in Säugetieren, Fischen und wirbellosen Tieren.

Bei Säugetieren findet sich die CB1-Rezeptoren vor allem im Zentralnervensystem, insbesondere im Gehirn. Dort sind sie überraschenderweise sehr häufig vorhanden, zahlreicher als viele der anderen Rezeptortypen des Gehirns. Sie wirken wie eine Art »Verkehrspolizist«, der die Menge und Aktivität der meisten anderen Neurotransmitter kontrolliert. Damit kein »Verkehrschaos« auftritt, reguliert der Polizist den Verkehr an der Ampel. Er gibt sofort Rückmeldung, ob Fußgänger gehen dürfen und die Autos warten müssen. Das Endocannabinoid-System bestimmt, ob die Aktivität eines jeweiligen Systems angepasst, erhöht oder verringert werden muss, seien es Appetit, Knochenwachstum, Immunreaktion oder Wachsamkeit.

Verliert das Endocannabinoid-System seine »Aufpasserfunktion«, kann das Nervensystem durcheinandergeraten. Man vermutet, dass ein Verlust der ECS-Kontrolle an der Entstehung von psychischen Störungen beteiligt ist (z. B. Substanzgebrauchsstörungen, Angststörungen, Hyperaktivität, Psychosen, Depressionen). Es könnte auch die Entstehung neurodegenerativer Störungen (z. B. Alzheimer,...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7844-8483-2 / 3784484832
ISBN-13 978-3-7844-8483-9 / 9783784484839
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