Kapitalismus und Marktwirtschaft -  Jonathan McMillan

Kapitalismus und Marktwirtschaft (eBook)

Wie eine neue Wirtschaftsordnung Europa vor dem Zerreißen bewahren kann
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
208 Seiten
Plassen Verlag
978-3-86470-944-9 (ISBN)
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In diesem bahnbrechenden Buch bietet Jonathan McMillan eine neue Perspektive auf unser Wirtschaftssystem. Er zeigt, dass Kapitalismus und Marktwirtschaft nicht das Gleiche sind, und deckt dabei einen grundlegenden Fehler in unserer Finanzarchitektur auf. Das hat handfeste Konsequenzen - gerade für Europa. McMillan stellt die Probleme der Eurozone in einen größeren historischen Zusammenhang und entwickelt einen radikalen, aber durchdachten Reformvorschlag. Dabei wird klar: Wer eine freie und demokratische Gesellschaft im 21. Jahrhundert bewahren will, kommt an einer neuen Wirtschaftsordnung nicht vorbei.

Jonathan McMillan ist ist ein Pseudonym. Dahinter stehen ein Banker und ein Ökonom. Der Banker war und ist in verschiedenen Führungsfunktionen in Zürich, New York und London tätig. Er möchte anonym bleiben. Der Ökonom Dr. Jürg Müller forschte an der ETH Zürich und arbeitete als Wirtschaftsredakteur bei der Neuen Zürcher Zeitung. Seit 2023 ist er Direktor von Avenir Suisse, dem größten Think-Tank der Schweiz.

EINFÜHRUNG


Kapitalismus wird gemeinhin auf zwei Arten definiert, einmal historisch und einmal konzeptionell – die eine Definition weist in die richtige Richtung, die andere ist äußerst irreführend.

Viele sind sich einig, dass der Ursprung des Kapitalismus in der frühen Neuzeit in Großbritannien zu finden ist, dass sich diese Wirtschaftsform dann über die Kontinente ausbreitete und heute die Wirtschaftsordnung weltweit bestimmt.1 Dieser historische Ansatz ergibt Sinn. Vor rund 300 Jahren hat sich die Wirtschaftsordnung in der Tat grundlegend geändert. Die gängige Auffassung davon, was den Kapitalismus konzeptionell von früheren Wirtschaftsordnungen unterscheidet, greift jedoch zu kurz.

Kapitalismus ist nicht das, was Sie denken


Definitionen des Kapitalismus betonen gewöhnlich zwei Aspekte: Märkte und Eigentumsrechte. Nach der Encyclopedia Britannica ist Kapitalismus definiert als ein Wirtschaftssystem, „in dem die meisten Produktionsmittel im Privateigentum sind und Produktion und Einkommensverteilung weitgehend über Märkte gesteuert werden“.2 Eine solche Definition greift zu kurz. Sie beschreibt keine Besonderheiten der historischen Periode, die wir Kapitalismus nennen.

Erstens: Obwohl Märkte in unserer Wirtschaftsordnung eine wichtige Rolle spielen, sind sie kein besonderes Merkmal der vergangenen 300 Jahre.3 Märkte gibt es schon seit Tausenden von Jahren. Sobald sich Menschen auf ein Gewerbe spezialisieren, müssen sie das, was sie brauchen, aber nicht mehr selbst produzieren, erwerben. Dafür gibt es Märkte. Sie erleichtern den Austausch von Gütern und Dienstleistungen. Ab einem gewissen Grad der Arbeitsteilung sind Märkte ein wesentliches Element jeder Volkswirtschaft.

Zweitens ist die Ära des Kapitalismus nicht deshalb besonders, weil die Produktionsmittel im Privateigentum sind. Eigentumsrechte sind zwar ein wichtiger Aspekt unserer heutigen Wirtschaftsordnung, aber ebenso wie Märkte gibt es sie schon viel länger.4 Trotzdem führt uns der Begriff der Produktionsmittel zu dem eigentlich definierenden Merkmal des Kapitalismus, das eng mit den etymologischen Wurzeln des Begriffs verbunden ist, nämlich „Kapital“.

In der Ökonomie wird der Begriff „Kapital“ für diverse Dinge verwendet. Er beschreibt manchmal Geld, Infrastruktur, Maschinen, Wissen und sogar Vertrauen. Gemeinsam ist diesen Dingen, dass sie auf unterschiedlichen konzeptionellen Ebenen die Produktion von Gütern und Dienstleistungen ermöglichen. Mit anderen Worten: Der Begriff „Kapital“ beschreibt die Produktionsmittel.

Die Art und Weise, wie eine Gesellschaft Kapital organisiert, ist ein wichtiger Bestandteil einer Wirtschaftsordnung. Im Kapitalismus geht es jedoch nicht um das Privateigentum an diesen Produktionsmitteln – im Gegenteil. So schwierig es für einen Fisch sein muss, zu erkennen, dass er von Wasser umgeben ist, so schwierig ist es für uns, das charakteristischste Merkmal der heutigen Wirtschaftsordnung zu erkennen. Wodurch unterscheiden sich die heutigen Volkswirtschaften von jenen des 16. Jahrhunderts? Welche Institutionen sind heute allgegenwärtig, waren aber vor dem Aufstieg des Kapitalismus praktisch inexistent? Kapitalgesellschaften.

Im Gegensatz zu Ihren Vorfahren des 16. Jahrhunderts arbeiten Sie vielleicht für eine Kapitalgesellschaft. Auch wenn Sie das nicht tun, haben Sie tagtäglich mit Kapitalgesellschaften zu tun – von der Erstehung eines Werkzeugs über den Lebensmitteleinkauf bis hin zur Bestellung neuer Möbel. Während sich Märkte und Eigentumsrechte bereits viel früher entwickelten, geht der Aufstieg der Kapitalgesellschaft mit der Epoche einher, die wir gemeinhin als Kapitalismus bezeichnen.

Die ersten modernen Kapitalgesellschaften waren die berühmten kolonialen Handelsgesellschaften, die an der Wende zum 17. Jahrhundert gegründet wurden. Seitdem hat die kapitalgesellschaftliche Rechtsform die Welt im Sturm erobert. Heute wird die Produktion von Gütern und Dienstleistungen in der ganzen Welt primär durch Kapitalgesellschaften organisiert. Daher definieren wir Kapitalismus als eine Wirtschaftsordnung, in der das meiste Kapital von Kapitalgesellschaften verwaltet wird.

Obwohl der Kapitalismus oft in eine Marktwirtschaft eingebettet ist, müssen diese beiden Konzepte unterschieden werden. Eine Marktwirtschaft zeichnet sich durch einen freien Austausch von Gütern, Dienstleistungen und vertraglichen Ansprüchen ohne zentrale Koordination aus. Damit Märkte funktionieren, braucht es bürgerliche Freiheit und Eigentumsrechte.5 Für den Kapitalismus braucht es hingegen eine Institution für kollektives Eigentum, also ein Gesellschaftsrecht.6

Diese wichtige Unterscheidung impliziert, dass die gängigen Definitionen von Kapitalismus geradezu irreführend sind. Mit fortschreitender Entwicklung des Kapitalismus befinden sich die meisten Produktionsmittel eben nicht mehr im individuellen Privateigentum. Stattdessen befinden sich die Produktionsmittel zunehmend im kollektiven Eigentum von Kapitalgesellschaften.7

Nun könnte man einwenden, dass wir die Dinge unnötig verkomplizieren. Man könnte argumentieren, dass Kapitalgesellschaften nur ein vernachlässigbarer Schleier sind, der zwischen Privatpersonen und den Produktionsmitteln steht. Dieses Argument führt uns direkt zum nächsten verbreiteten Missverständnis.

Kapitalgesellschaften sind nicht das, was Sie denken


Auf den ersten Blick scheinen sich Wirtschaftswissenschafter umfassend mit Kapitalgesellschaften beschäftigt zu haben. So haben sie in ihrer Forschung versucht, einen grundlegenden Widerspruch aufzuklären: Märkte gelten gemeinhin als effizienter Koordinationsmechanismus, und trotzdem haben Menschen ihre wirtschaftlichen Aktivitäten seit jeher auch in hierarchischen Organisationen koordiniert. Wenn aber Märkte derart gute Koordinationsmechanismen darstellen, warum gibt es dann solche hierarchischen Organisationen?

Um diesen Widerspruch aufzuklären, haben Ökonomen ausgefeilte Theorien entwickelt. Sie haben insbesondere untersucht, wann und wie wirtschaftliche Aktivitäten auf dezentralen Märkten koordiniert und wann in Hierarchien organisiert werden.8 Diese Forschung ist zwar aufschlussreich und relevant für alle Unternehmen, aber sie erklärt nicht die Einzigartigkeit der kapitalgesellschaftlichen Rechtsform – die Ökonomen haben eine „Theorie der Unternehmung“ (englisch: „theory of the firm“) und nicht eine „Theorie der Kapitalgesellschaft“ entwickelt.

Obwohl es sich bei Kapitalgesellschaften in der Regel um hierarchische Organisationen handelt, haben Menschen seit Generationen wirtschaftliche Aktivitäten in Hierarchien organisiert, etwa in Personengesellschaften wie Familienunternehmen oder Handwerksbetrieben. Kapitalgesellschaften grenzen sich aber von solchen Unternehmensformen in einem entscheidenden Punkt ab: Sie transformieren Kapital. Diese Funktion macht sie im Kern einzigartig.

Denken Sie an die kolonialen Handelsgesellschaften, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts gegründet wurden. Diese Kapitalgesellschaften besaßen und verwalteten Schiffe, stehende Heere, Transportgüter und Handelsprivilegien. Gleichzeitig emittierten sie Aktien und Anleihen, die an den Börsen von London und Amsterdam gehandelt wurden. Kapitalgesellschaften wandeln also illiquides Realkapital (zum Beispiel Schiffe) in liquides Finanzkapital (zum Beispiel Aktien) um.

Diese Transformation des Kapitals ist untrennbar mit einer rechtlichen Transformation von Eigentumsrechten verbunden. Die kapitalgesellschaftliche Rechtsform separiert das Eigentum eines Unternehmens vom Eigentum derjenigen, die in das Unternehmen investieren. In Kapitel 1 erklären wir ausführlich, wie das funktioniert.

Fürs Erste definieren wir eine Kapitalgesellschaft als eine Institution, die Kapital transformiert.9 Mit der Schaffung von liquidem Finanzkapital aus illiquidem Realkapital gewinnen Kapitalgesellschaften Zugang zu umfangreicheren und längerfristigen Finanzierungen. Das erlaubt Investitionen in größere Fabriken und fortschrittlichere Produktionswerke als frühere Arten von Unternehmensorganisationen. Kapitalgesellschaften ermöglichen somit eine kapitalintensive Wirtschaft. Sie haben dadurch die Industrialisierung maßgeblich vorangetrieben und zum spektakulären Produktivitätswachstum der jüngeren Vergangenheit beigetragen – und sie haben die Art und Weise, wie das Finanzwesen funktioniert, für immer verändert.

Geld ist nicht das, was Sie denken


Die Transformationsfähigkeit von Kapitalgesellschaften ist umfassender, als viele sich vorstellen können. Kapitalgesellschaften verwandelten bald nicht nur Realkapital in Finanzkapital, sondern auch das Finanzkapital selbst. Es war nur eine Frage der Zeit, bis eine Kapitalgesellschaft das größte aller Kunststücke vollbrachte: Kapital in Geld zu verwandeln.

Viele Menschen denken, dass Geld etwas ist, das...

Erscheint lt. Verlag 18.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-86470-944-X / 386470944X
ISBN-13 978-3-86470-944-9 / 9783864709449
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