Unvernünftige Gastfreundschaft -  Will Guidara

Unvernünftige Gastfreundschaft (eBook)

Die bemerkenswerte Kunst, Menschen mehr zu geben, als sie erwarten

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
350 Seiten
ZS - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-96584-446-9 (ISBN)
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Will Guidara übernahm mit nur sechsundzwanzig Jahren die Leitung des angeschlagenen Zwei-Sterne-Restaurants Eleven Madison Park und verwandelte es in elf Jahren zum besten Restaurant der Welt. Aber wie hat er diesen eindrucksvollen Aufschwung geschafft? Durch eine radikale Neuerfindung der Gastfreundschaft, die weit über die Erwartungen der Gäste hinausgeht. Sie reicht von einer Schlittenfahrt im verschneiten Central Park bis hin zur Verwandlung eines Speisesaals in einen Urlaubsstrand mit echtem Sand, Mai-Tais und Strandstühlen für ein Paar, das seinen Urlaub abgesagt hatte. So unvernünftig diese Form der Gastfreundschaft auch scheinen mag, zeigt Will Guidara doch eindrucksvoll, welche positiven Auswirkungen sie auf ein Unternehmen und die Mitarbeiter haben kann. Nach diesem Buch müssen wir uns alle die Frage stellen, ob wir nicht mehr geben sollten als unbedingt notwendig.

Will Guidara ist ehemaliger Miteigentümer der Sterne-Restaurants Eleven Madison Park und NoMad. Er absolvierte die Cornell School of Hotel Administration an der Cornell University und besuchte eine Kochschule in Spanien. Nach Stopps im Tribeca Grill, Spago und Tabla eröffnete er die Restaurants im Museum of Modern Art, bevor er 2006 General Manager im Eleven Madison Park wurde.

KAPITEL 1


WILLKOMMEN IM GASTGEWERBE


DAHEIM WAREN WIR GANZ OBEN.

Unser Restaurant Eleven Madison Park hatte vor Kurzem vier Sterne von der New York Times sowie einige James Beard Awards erhalten (die als Oscars der Küche gelten). Doch als mein Chefkoch und Geschäftspartner Daniel Humm und ich uns 2010 beim Cocktail­empfang am Abend vor den Auszeichnungen der World’s 50 Best Res­taurants einfanden, wurde uns klar, dass das noch mal eine ganz andere Nummer war.

Stellen Sie sich vor, wie alle berühmten Köche und Gastronomen, von denen Sie je gehört haben, zusammensitzen, Champagner trinken und sich miteinander unterhalten – und kein einziger von ihnen redet mit uns. Ich hatte mich noch nie so sehr wie ein Neuling gefühlt, der in der Cafeteria der Highschool nicht weiß, wo er sich hinsetzen soll – nicht einmal, als ich neu an der Highschool war.

Es war eine riesengroße Ehre, eingeladen zu werden. Die »­World’s 50 Best Restaurants Awards« wurden 2002 ins Leben gerufen und brachten es in der Branche sofort zu Bedeutung. Denn sie werden von einer Jury von tausend angesehenen Experten aus aller Welt verliehen. Und da sich zuvor niemand Gedanken darüber gemacht hatte, wie die besten Restaurants der Welt im Vergleich zueinander abschneiden, gaben die Auszeichnungen diesen Restaurants den Anstoß, noch besser zu werden, während sie sich sonst vielleicht auf ihren Lorbeeren ausgeruht hätten.

Die Preisverleihung selbst fand in der Londoner Guildhall statt, die so königlich und imposant ist wie ein Palast. Als Daniel und ich uns – mehr als nur ein wenig eingeschüchtert – hinsetzten, versuchten wir törichterweise abzuschätzen, wo wir auf der Liste landen würden, im Vergleich zu Köchen wie Heston Blumenthal vom Fat Duck in England oder Thomas Keller vom Per Se in New York, die beide im Jahr zuvor in den Top Ten gewesen waren.

Ich schätzte Platz vierzig. Daniel, der immer optimistischer war, tippte auf Nummer 35.

Die Lichter gingen aus, Musik erklang. Der Moderator des Abends war ein gut aussehender, lässig-eleganter Brite. Und obwohl ich mir sicher bin, dass es die üblichen Formalitäten und Vorstellungsrunden und »Danke fürs Kommen« gab, bevor die Bombe platzte, gab es meiner Erinnerung nach nur eine kleine Vorrede, bevor der Mann sagte: »Um den Anfang zu machen, kommen wir zu Nummer fünfzig, ein neuer Eintrag aus New York City: Eleven Madison Park!«

Das nahm uns direkt allen Wind aus den Segeln. Wir sackten in uns zusammen und starrten auf unsere Füße.

Was wir leider nicht wussten (weil es unser erstes Jahr bei dieser Veranstaltung war und wir das allererste Restaurant waren, das aufgerufen wurde): Wird dein Name aufgerufen, wird auch dein Bild auf eine neun Meter breite Leinwand im vorderen Teil des Saales projiziert, sodass jeder sehen kann, wie du deinen Sieg feierst.

Mit dem Unterschied, dass wir nicht feierten. Wir standen auf dem letzten Platz der Liste und sahen unsere niedergeschlagenen Gesichter auf dem riesigen Bildschirm. Ich stieß Daniel mit dem Ellbogen an, wir quälten uns ein Lächeln ab und winkten, aber es war zu spät: ein Saal, gefüllt mit den berühmtesten Köchen und Gastronomen der Welt, unseren Helden, war bereits Augenzeuge unserer Verzweiflung geworden. Der Abend war für uns vorbei, bevor er überhaupt begonnen hatte.

Beim anschließenden Empfang trafen wir Massimo Bottura, den italienischen Chefkoch der Osteria Francescana, eines mit drei ­Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants in Modena, und die Nummer sechs auf der Liste (nicht dass wir mitgezählt hätten). Er sah uns, fing an zu lachen und konnte nicht mehr aufhören: »Ihr habt da oben ziemlich glücklich ausgesehen!«

Er hatte ja recht, aber Daniel und ich konnten nicht mitlachen. Es war eine Ehre, als eines der fünfzig besten Restaurants der Welt anerkannt zu werden; das wussten wir. Aber dennoch – wir hatten nur den letzten Platz belegt.

Wir verließen die Party früh und gingen zurück zu unserem Hotel, holten uns eine Flasche Bourbon von der Bar und setzten uns auf die Stufen vor dem Hotel, um unseren Kummer zu ertränken.

Die nächsten paar Stunden verbrachten wir damit, die fünf Phasen der Trauer zu durchlaufen. Wir waren aus dem Saal gestolpert und wollten es nicht wahrhaben. War das wirklich passiert? Dann wurden wir wütend. Für wen hielten die sich eigentlich? Wir brachten den Teil des Verhandelns schnell hinter uns und leerten den größten Teil der Flasche in der Phase der Depression, bevor wir uns in einem Zustand der Akzeptanz einrichten konnten.

Einerseits ist es absolut lächerlich, ein Restaurant als »das beste Restaurant der Welt« zu bezeichnen. Die Bedeutung der 50-Besten-Liste liegt jedoch darin, dass sie die Orte benennt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt den größten Einfluss auf die Esskultur haben.

Dank der Techniken, die der spanische Küchenchef Ferran Adrià im El Bulli entwickelt hatte, gewann die Molekulargastronomie weltweite Resonanz. René Redzepi engagierte sich in der Küche seines Kopenhagener Restaurants Noma für die Verwendung wild wachsender natürlicher Zutaten aus den Wäldern und Gewässern der Umgebung und rief damit eine lokale Bewegung ins Leben. Und wenn Sie in den letzten zehn Jahren in einem Restaurant gegessen haben oder durch die Gänge Ihres örtlichen Lebensmittelgeschäftes gegangen sind, haben Sie dort stets die Auswirkungen dieser Innovationen auf meine Branche und darüber hinaus gespürt.

Diese Köche hatten den Mut, Neues auszuprobieren und damit Elemente in die Branche einzuführen, die für alle einen Wendepunkt darstellten.

Davon konnte bei uns noch keine Rede sein. Wir hatten uns den Hintern aufgerissen, um einen Platz auf dieser Liste zu bekommen, aber hatten wir irgendetwas Bahnbrechendes geschaffen? Je mehr wir darüber redeten, desto klarer wurde es: nein.

Wir hatten alles, was wir brauchten: den Fleiß, die Erfahrung, das Talent, das Team. Wir hatten uns die besten Ideen zu eigen gemacht. Unser Restaurant war exzellent und machte viele Menschen glücklich. Aber es hatte noch keine Spuren hinterlassen.

Als ich jung war, schenkte mir mein Vater einen Briefbeschwerer mit der Aufschrift: »Was würdest du versuchen, wenn du wüsstest, dass du nicht scheitern kannst?« Daran musste ich denken, als ­Daniel und ich auf eine Papierserviette schrieben: »Wir werden die weltweite Nummer eins sein.«

Es war schon sehr spät, und die Flasche war fast leer, als wir auf unsere Zimmer torkelten. Ich war erschöpft, aber meine Gedanken drehten sich noch immer um diese Serviette.

Die meisten Köche auf der 50-Besten-Liste haben ihren Einfluss geltend gemacht, indem sie sich auf Innovationen konzentrierten, auf das, was sich ändern sollte. Doch als ich darüber nachdachte, welchen Einfluss ich selbst haben wollte, erschien mir eine Sache, die sich niemals ändern würde, noch viel wichtiger. Modeerscheinungen kommen und gehen, aber der Wunsch des Menschen, um­sorgt zu werden, bleibt bestehen.

Daniels Gerichte waren außergewöhnlich; er war unbestreitbar einer der besten Köche der Welt. Wenn wir also ein Restaurant werden könnten, das sich leidenschaftlich, zielstrebig und von ganzem Herzen auf zwischenmenschliche Verbindung und Zuvorkommen­heit konzentriert, um ein Gefühl der Zugehörigkeit sowohl im Team als auch bei den Gästen zu erschaffen, dann hätten wir eine echte Chance, zu den Großen zu gehören.

Ich wollte die Nummer eins sein, und dieser Wunsch bezog sich nicht nur auf die Auszeichnung – ich wollte Teil dieser Gruppe von Leuten sein, die wirklich etwas veränderten.

Kurz bevor ich einschlief, glättete ich die Serviette und fügte zwei weitere Worte hinzu:

»Unvernünftige Gastfreundschaft.«

Service ist schwarz-weiß, Gastfreundschaft ist bunt


Als ich jünger war, dachte ich mir immer stolz Fragen für Vorstellungsgespräche aus.

Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass die beste Technik für Vorstellungsgespräche ist, überhaupt keine Technik anzuwenden, sondern in ein reges Gespräch zu kommen, um eine Person ein bisschen kennenzulernen. Ist sie neugierig auf das, was du aufbauen willst? Kann sie sich dafür begeistern? Ist sie integer, kann ich sie respektieren? Ist das jemand, mit dem ich und mein Team gern viel Zeit verbringen würden?

Doch bevor ich genug Erfahrung hatte, um das Gespräch einfach fließen zu lassen, war meine Lieblingsfrage stets: »Was ist der Unterschied zwischen Service und Gastfreundschaft?«

Die beste Antwort, die ich je bekommen habe, kam von einer Frau, die ich dann doch nicht eingestellt habe. Sie sagte: »Service ist schwarz-weiß, Gastfreundschaft ist bunt.«

»Schwarz-weiß« bedeutet, dass man seine Arbeit mit Kompetenz und Effizienz erledigt – »bunt«, dass man den Menschen das Gefühl gibt, gern für sie zu arbeiten. Den richtigen Teller zur richtigen Person am richtigen Tisch zu bringen, ist Service. Sich wirklich auf die Person einzulassen, die man bedient, eine echte Verbindung herzustellen – das ist Gastfreundschaft.

Daniel Humm und ich verbrachten elf Jahre damit, Eleven Madison Park, eine beliebte, aber mittelmäßige Zweisternebrasserie, die Meeresfrüchte-Platten und Soufflés servierte, in das beste Restaurant der Welt zu verwandeln. Wir schafften es unter die Top 50, indem wir den schwarz-weißen Teil der Angelegenheit auf die Spitze trieben, jedes Detail im Blick hatten und uns so nah wie möglich an Perfektion heranarbeiteten. Den ersten Platz erreichten wir aber erst, als wir den Farbfilm einlegten – als...

Erscheint lt. Verlag 6.4.2024
Übersetzer Mareike Philipp
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-96584-446-6 / 3965844466
ISBN-13 978-3-96584-446-9 / 9783965844469
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