Psychosoziale Realitäten zwischen Praxisanalyse und kritischer Beoabachtung der Versorgungssituation (Band 2) -

Psychosoziale Realitäten zwischen Praxisanalyse und kritischer Beoabachtung der Versorgungssituation (Band 2) (eBook)

Neue Praxisbeiträge aus der Perspektive dual Studierender
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
168 Seiten
Carl-Auer Verlag
978-3-8497-9067-7 (ISBN)
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Auch diese zweite Ausgabe des iba-Sammelbandes befasst sich eingehend mit den psychosozialen Realitäten dual Studierender im Studiengang Sozialpädagogik und Management an der Internationalen Berufsakademie. Dieses Werk repräsentiert eine facettenreiche Erforschung sozialpädagogischer und sozialarbeiterischer Themen. Die Autor:innen bieten umfassende Einblicke in die Praxis, sammeln wertvolle Erkenntnisse und fördern eine vertiefte Verständigung über psychosoziale Realitäten von dual Studierenden. Die Beiträge dienen als Anregung für Praxis, akademische Ausbildung und Forschung. Themen wie Praxisforschung, Burnout in der Kinder- und Jugendhilfe, emotionale Intelligenz bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, Bindung im Internat, Beziehungsarbeit in der Eingliederungshilfe sowie Maskulinität und Gewalt in teilstationären Einrichtungen werden fundiert behandelt. Trotz der breiten thematischen Vielfalt verbindet die Beiträge ein gemeinsames Ziel: die präzise Erforschung, das Verständnis und die Verbesserung der psychosozialen Realitäten von dual Studierenden in der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Jeder Beitrag ist ein einzigartiges Puzzlestück in dieser facettenreichen Handlungs- und Forschungslandschaft. Diese Sammlung soll nicht nur Wissenschaftler:innen, Praktiker:innen und Studierende ansprechen, sondern auch die breitere Öffentlichkeit. Die Herausgeber:innen: André Niggemeier, Prof. Dr., studierte Beratungswissenschaften, Mentoring und Coaching und promovierte zu den Themen Führung und Beratung. Er ist als Professor und als wissenschaftliche Studienortleitung im Studiengang Sozialpädagogik und Management an der Internationalen Berufsakademie (iba) in Münster tätig. Aktuelle Weiterbildungen zum Gruppenanalytiker und in psychosozialer Sozial- und Kulturtheorie. Arbeitsschwerpunkte: Psychodynamik der Pädagogik und psychodynamische Aktionsforschung. Ines Iwen, Prof. Dr., wissenschaftliche Studienortleiterin an der Internationalen Berufsakademie (iba) für den Studiengang Sozialpädagogik und Management Erfurt. Sie studierte Kulturwissenschaft, Informatik und BWL an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität und promovierte zu Familien im Film in der Mikrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. In selbstständiger Tätigkeit arbeitet sie als Paar- und Familientherapeutin in Erfurt und Berlin.

André Niggemeier, Prof. Dr., studierte Beratungswissenschaften, Mentoring und Coaching und promovierte zu den Themen Führung und Beratung. Er ist als Professor und als wissenschaftliche Studienortleitung im Studiengang Sozialpädagogik und Management an der Internationalen Berufsakademie (iba) in Münster tätig. Aktuelle Weiterbildungen zum Gruppenanalytiker und in psychosozialer Sozial- und Kulturtheorie. Arbeitsschwerpunkte: Psychodynamik der Pädagogik und psychodynamische Aktionsforschung. Ines Iwen, Prof. Dr., wissenschaftliche Studienortleiterin an der Internationalen Berufsakademie (iba) für den Studiengang Sozialpädagogik und Management Erfurt. Sie studierte Kulturwissenschaft, Informatik und BWL an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität und promovierte zu Familien im Film in der Mikrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. In selbstständiger Tätigkeit arbeitet sie als Paar- und Familientherapeutin in Erfurt und Berlin.

Burnout bei Mitarbeiter:innen der Stationären Kinder- und Jugendhilfe – Eine qualitative Studie zu besonderen Risiken im stationären Setting und präventiven Ressourcen zur Senkung der Arbeitsbelastung


Julius Staubach und Raik Zillmann

1 EINLEITUNG


“What is special about [Social Workers] is that their tools are their own social skills, attitudes, and personality characteristics in addition to their professional technical abilities. The professionals ´ relationship with the recipient is the vehicle for change and hence the source of accomplishment (or of failure). […] this relationship is demanding and exhausting by its very nature […].”

(Schaufeli et al. 1993, S. 255)

Burnout bei Sozialarbeiter:innen wird bereits seit Langem wissenschaftlich betrachtet und begleitet; fast so lange, wie das Konzept „Burnout“ existiert. Ein Bereich der Sozialen Arbeit wurde dabei aber fast gänzlich außer Acht gelassen: die stationäre Kinder- und Jugendhilfe. Dabei könnten hier abseits wissenschaftlich-theoretischer Erkenntnisse auch praktisch anwendbare Verbesserungen identifiziert werden: Umstände, die den Mitarbeiter:innen solcher Einrichtungen die Arbeit erleichtern und damit im Endeffekt den Rezipient:innen sozialarbeiterischer Bemühungen zugutekommen. Dies ist die Besonderheit des Burnouts im sozialarbeiterischen Bereich: das „Ausbrennen“ der Mitarbeitenden wirkt sich auch immer auf die Klient:innen aus. Warum „brennen“ jedoch Sozialarbeiter:innen, genauer Mitarbeiter:innen der stationären Kinder- und Jugendhilfe, aus? Welche Faktoren beeinflussen dies, sowohl negativ als auch positiv? Und: welche Schlüsse können hieraus für den wissenschaftlichen Diskurs und die Gestaltung einer Jugendeinrichtung gezogen werden? Dies soll exemplarisch in der vorliegenden Arbeit anhand folgender Fragestellung eruiert werden:

Welche speziellen Risiken in Bezug auf Burnout sind der stationären Kinder- und Jugendhilfe inhärent und über welche speziellen Ressourcen zur Verringerung der Burnoutgefährdung verfügt diese?

Die untersuchte Einrichtung hat bis zu 26 Plätze für Kinder und Jugendliche ab dem Schuleintritt. Zum jetzigen Stand (August 2022) werden elf Jugendliche betreut. Das Team besteht aus neun Fachkräften und sechs Hilfskräften, die die Klient:innen unter der Woche im Dreischicht- und an Wochenenden und Feiertagen im Zweischichtsystem betreuen. Aufgrund von Langzeiterkrankungen und Renteneintritten ist das Team zum jetzigen Stand etwas kleiner. Unterstützt wird dieses Team durch zwei Hauswirtschaftlerinnen, eine Psychologin, einen Nachhilfelehrer und eine Verwaltungsfachangestellte. Die Klient:innen der Einrichtung sind vor allem minderjährige unbegleitete Geflüchtete, jedoch werden auch Jugendliche ohne Fluchtgeschichte betreut. Da hier bereits seit der Inbetriebnahme 2016 vor allem Geflüchtete betreut werden, hat das Team der Einrichtung in diesem Bereich eine besondere Expertise. Die Bedarfe der Klient:innen umfassen ein großes Spektrum. Seien dies die grundlegende Unterstützung in der Schulbildung, von der Erziehung bis hin zur Verselbstständigung, oder speziellere Interventionen und Hilfemaßnahmen bei ärztlich/psychotherapeutisch diagnostizierten Erkrankungen. Zudem werden den Jugendlichen außerhalb der Schule Freizeitangebote bereitgestellt.

2 „BURNOUT“ ALS WISSENSCHAFTLICHER DISKURS


2.1 Zum Begriff und zur Symptomatik des „Burnouts“


Die Symptomatik des Burnouts wurde, geschichtlich betrachtet, zunächst bei „helfenden“ Berufen beschrieben (Schaufeli et al. 1993, S. 255). Hier wurde zunächst vom „hilflosen Helfer“ und „Praxisschock“ gesprochen; der Begriff des Burnouts wurde gegen Ende der 1970er geprägt und wird seitdem als Überbegriff für ein breites Feld an Symptomen benutzt (Burisch 2014, S. 5). Damals wie heute waren die genauen Dimensionen im wissenschaftlichen Diskurs umstritten (z. B. Harrison 1980). Die Diagnose „Burnout“ mag implizieren, dass hierzu ein Symptomkatalog zur Diagnostik verwendet wurde. Dem ist nicht so; Burnout stellt bis heute keine offizielle medizinische Diagnose dar, sondern dient eher als Sammelbegriff für verschiedene Symptomatiken, seien dies psychische, physische oder psychosomatische. Insgesamt sind über 160 Symptome bekannt, die bei einem Burnout auftreten können (Steinlin et al. 2016, S. 165). Differentialdiagnosen, wie zur Depression, gestalten sich weiterhin wenig trennscharf (Elsässer 2013, S. 9). In einer Studie konnte bei 86% der Befragten mit Burnout eine Vordiagnose der Depression gestellt werden, während es bei der Kohorte der „Nicht-Ausgebrannten“ weniger als 1% war (Schonfeld & Bianchi 2016, S. 30 f.). Infolgedessen wird das Symptom des Burnouts mitunter auch als eine spezielle Form der Depression gesehen (Schonfeld & Bianchi 2016, S. 317–321). Abseits von der Frage, ob und wie Depressionen ein Teil des Burnouts, oder Burnout eine Art der Depression ist, besteht eine hohe Korrelation zwischen den beiden Krankheitsbildern (Lundgren-Nilsson et al. 2013, S. 2).

Laut der 11. Revision der International Classification of Diseases (ICD-11) kann Burnout als ein Faktor betrachtet werden, der den Gesundheitszustand beschreibt – nicht als medizinische Diagnose (Kersten & Formazin 2022, S. 1). Hier wird das Burnout ausschließlich als Folge der Arbeitsbelastung gesehen: „Burnout is a syndrome conceptualized as resulting from chronic workplace stress that has not been successfully managed.” Die genauere Definition nach dem ICD-11 stellt für Betroffene eine Chance dar: deren Leiden wird wahrgenommen und strukturelle Ressourcen zur Genesung können bereitgestellt werden.

Die drei wesentlichen Komponenten dieses Syndroms sind: völlige Erschöpfung, emotionale Distanzierung und verringerte Effizienz bei der Bewältigung der Aufgaben (Burn-out an „Occupational Phenomenon“, o. J.). Interessant bei dieser Definition ist, dass Maslach bereits Mitte der 1970er die emotionale Erschöpfung und Distanzierung als negativen Einfluss auf das Arbeitsverhalten identifizierte. Bald darauf wurde dies auch als eine der Kernsymptomatiken des damals noch sehr neuen Begriffs des Burnouts anerkannt (Maslach & Schaufeli 1993, S. 2). Welche Faktoren in einem professionellen Kontext besonders gefährdend sind, ist derzeit noch Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung. Einzelne Untersuchungen existieren hier, jedoch mit einem sehr engen Fokus: erwähnt sei hier, dass es nach Seidler et al. sehr wahrscheinlich ist, dass „hohe Arbeitsbelastung“ mit „emotionaler Erschöpfung“ mindestens korreliert (Seidler et al. 2014, S. 9). Die Autor:innen räumen allerdings auch selbst ein, dass es schwierig ist, einzelne Faktoren mithilfe einer Metastudie als besonders gefährdend zu identifizieren (Seidler et al., 2014, S. 9 f.). Ähnlich vage positionieren sich hier Kersten und Formazin. Sie formulierten als Resultat ihrer Studie zwei Befunde: Sinken Anforderungen und steigen Ressourcen, sinkt die Gefährdung für Burnout. Und: Burnout ist Folge verschiedener psychosozialer Arbeitsbedingungen (Kersten & Formazin 2022, S. 10 f.). Eine weitere Studie erweitert den Katalog von Risikofaktoren: Moreira und de Lucca schließen aus ihrer Untersuchung, dass Menschen in Berufen mit hoher Arbeitsbelastung und wenig individueller Kontrolle über die anfallende Arbeit besonders gefährdet für Burnout-assoziierte Symptome sind (Moreira & Lucca 2020, S. 6). Es lässt sich also verallgemeinern, dass Berufe mit hoher Arbeitsbelastung, wenig individueller Kontrolle und wenigen Ressourcen in Bezug auf Burnout besonders gefährdend für ihre Beschäftigten sind.

Beschäftigte der Sozialen Arbeit sind bereits sehr früh als Gegenstand der Burnoutforschung herangezogen worden. Bei Harrison lag hier der Fokus vor allem im Einfluss von Rollenkonflikt und -ambiguität auf die Arbeitszufriedenheit von Mitarbeiter:innen der Child Protective Services (CPS). Die Hypothese Harrisons wurde hier bestätigt: „[…] sowohl Rollenkonflikte als auch Rollenambiguitäten stehen in einer inversen Beziehung zum Scoring der Arbeitszufriedenheit […]“ (Harrison, 1980, S. 38). Interessant an dieser Studie ist, dass Steinlin et al. über 35 Jahre später diese inverse Beziehung in einer Studie bestätigten, jedoch mit sensibleren Testinstrumenten. Das verwendete BOSS-Instrument ergab: „Je niedriger die Arbeitszufriedenheit, desto höher die gemessene Belastung“ (Steinlin et al. 2016, S. 173). Weitergehende Forschungen lassen inzwischen deutlich differenziertere Aussagen über Risikofaktoren in Bezug auf eine Erkrankung an einem Burnout zu. Grundlegend lassen sich diese in drei verschiedene Unterkategorien unterscheiden: in individuelle, betriebliche und gesellschaftliche Risiken (Elsässer 2013, S. 67).

Auf individueller Ebene misst Elsässer „Empathie“ eine große Bedeutung für Burnoutgefährdung zu. Sie argumentiert, dass...

Erscheint lt. Verlag 26.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-8497-9067-3 / 3849790673
ISBN-13 978-3-8497-9067-7 / 9783849790677
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