(M)eine ganz normale Familie -  Malte Bastian

(M)eine ganz normale Familie (eBook)

Von Nazis, Flüchtlingen und einem ermordeten Onkel
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
280 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-3413-9 (ISBN)
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Das 20. Jahrhundert als spannende Zeitreise einer deutschen Familie: Malte Bastian nimmt uns in diesem Buch mit in eine aufregende und gefährliche Vergangenheit und beantwortet eine Fülle von Fragen, die bis heute in vielen Familien nie beantwortet wurden: Wieso wurden Millionen Menschen im Ersten Weltkrieg zu Veganern? Weshalb kostete 1923 eine Kuh einen ganzen Koffer voller Geld? Warum reichte ein Grammophon vor 100 Jahren für die gute Stimmung? Wieso traten so viele Leute in Hitlers NSDAP ein? Was bekamen Kinder vom Holocaust mit? Warum wurden Behinderte ermordet? Was passierte im Hamburger Feuersturm? Warum bekamen deutsche Soldaten Chrystal Meth? Weshalb flüchteten die Menschen aus den Ostgebieten? Wie teuer war 1948 eine Schachtel US-Zigaretten? Was war ein Persilschein? Wie schnell konnte ein VW-Käfer fahren? Warum heißt Breslau heute Wroclaw? Auf diese und viele andere Fragen gibt es hier die Antworten. Manche davon regen zum Schmunzeln an, manche erschüttern, viele machen nachdenklich. Und eines ist sicher: Auch der Blick auf die Geschichte der eigenen Familie wird nach dem Lesen dieses Buches ein anderer sein.

Malte Günter Bastian arbeitete als Lokalredakteur, Werbetexter und Pressesprecher. 2009 erschien nach zwei Sachbüchern unter dem Pseudonym Karoline Klötzing, dem Mädchennamen seiner Hamburger Urgroßmutter, der Satire-Krimi "Mordsquoten". 2014 schrieb er den ersten Band seiner Gutenachtgeschichten für die Generation Burnout unter dem Titel "Ein später Freund", 2019 folgte der zweite unter dem Titel "Die Sünden der Welt". 2021 schrieb er "Mein Opa, das Meer und ich", ein Lesebuch über das maritime Leben vor 100 Jahren aus der Sicht seines Großvaters Werner, der in den 1920er Jahren Seemann war. Heute ist Malte Bastian als Berater im Bereich Fernsehen, Kommunikation und PR tätig. Er lebt und arbeitet in Köln und Bremen-Bremerhaven.

Nur eine ganz normale deutsche Familie…


Ohne Weltkriege hätten sich weder meine Eltern, noch meine Großeltern je kennen gelernt. Wären 1914 die Schüsse in Sarajewo nicht gefallen und wäre Adolf Hitler, wie er es sich als Jugendlicher gewünscht hatte, Kunstmaler und nicht Massenmörder geworden, würden die Bastians in Kolberg an der Ostsee, die Wielands in Niedersalzbrunn in Schlesien, die Vogts in Duderstadt in Niedersachsen und Familie Hintz in Hamburg wohnen. Und ich wäre gar nicht auf der Welt, denn meine Eltern hätten sich nie kennen gelernt. Unsere Geschichte ist kein Wunschkonzert. So hatten meine Vorfahren in der Lotterie des Lebens neben einigen Gewinnen auch Nieten gezogen: Flucht und Vertreibung, Bombenkrieg – und Mord.

Schon als Jugendlicher stellte ich mir eine Reihe von Fragen: Wo kamen eigentlich meine Vorfahren her, was waren das für Leute? Was haben meine Eltern als Kinder im Krieg erlebt – in dunklen Bombennächten und bei der Flucht aus Schlesien? Was war das für ein Gefühl, das eigene Zuhause für immer zu verlieren? Was erlebten meine Opas als Soldaten und wie mochte es sich angefühlt haben, auf Menschen zu schießen? Und natürlich die deutscheste Frage aller Fragen: Was haben meine Vorfahren während der Nazi-Zeit gemacht?

Da gab es den einen Großvater, der 1933 seinen Job als Polizeibeamter verlor, weil er aus seiner sozialdemokratischen Gesinnung kein Hehl machte. Später dann, 1941, landete dieser Opa als Soldat wegen eines derben Trinkspruches ausgerechnet zu Silvester im Wehrmachtsgefängnis. Und es gab den anderen Großvater, der 1937 der NSDAP beitrat und die Mitgliedsnummer 5.991424 bekam – bis Kriegsende sollten noch weitere vier Millionen Deutsche „der Partei“ beitreten – aus allen möglichen und unmöglichen Gründen.

Und da gab es den Bruder meiner Oma, den die Ärzte einer „Heil- und Pflegeanstalt“ verhungern ließen, weil er als Behinderter nur ein nutzloser Esser war, der dem Endsieg im Wege stand. Als ich das erste Mal seine noch heute existierende Krankenakte las, überkam mich unendliche Traurigkeit – und dann Wut: Was muss wohl in den Köpfen von Medizinern und Pflegern vorgegangen sein, die ihn und abertausende anderer Menschen so grausam sterben ließen? Und wie kam es, dass die meisten Täter später nie zur Rechenschaft gezogen worden sind?

Es gab eine Großmutter, die noch Jahrzehnte nach dem Krieg bei Sirenen-Probealarmen Angstzustände bekam, weil sie 1943 in einer Bombennacht Menschen bei lebendigem Leibe hat brennen sehen. Und es gab meine fünfjährige Mutter und ihre Geschwister, die im Winter 1944 Flüchten spielten und gespannt darauf warteten, wann denn ihr Spiel endlich Wirklichkeit werden würde. Als dann die Flucht tatsächlich begann, waren die Kinder bitter enttäuscht darüber, dass statt Spielzeug warme Kleidung ganz oben auf der Gepäckliste stand.

Vier Generationen unserer Familie von meinem Vater Günter 1965 fotografiert: Von links Urgroßmutter Hedwig Bastian (*1884), Großmutter Elli Bastian (*1908), Mutter Karin Bastian (*1939) und Sohn Malte Bastian (*1965).

Es gab einen Urgroßvater, den ein störrisches Schwein auf dem Gewissen hat und eine Großtante, die in Breslau Schützengräben ausheben musste. Und noch vieles mehr, das in diesem Buch erzählt wird. Wer einmal in die Geschichte seiner eigenen Familie eintaucht, erlebt eine Abenteuerreise, die es in Sachen Emotionen und Dramatik mit jeder Netflix-Serie aufnehmen kann. Plötzlich werden alte Fotos lebendig, die Menschen auf den Bildern erzählen uns, was einst war.

Zu vielen Familien gehört auch die untergegangene Heimat im Osten. Wessen Vorfahren aus Schlesien, Pommern oder Ostpreußen stammen, wird Städte wie Breslau oder Kolberg vielleicht mit einem anderen Gefühl erleben, als etwa Mailand oder Amsterdam. Natürlich haben sich diese Gefühle im Laufe der Zeit verändert und das ist auch gut so. Die Städte Wrocław und Kołobrzeg sind heute so europäisch wie Köln oder Bremerhaven. Man setzt sich in den Zug oder ins Auto und fährt, ohne auch nur einmal an einer Grenze kontrolliert zu werden, von West nach Ost und umgekehrt. Polen leben in Deutschland und Deutsche leben in Polen. Trotz mancher politischer Animositäten zwischen den Regierungen funktioniert das gut.

Doch der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeiten sind. Es ist gerade mal acht Jahrzehnte her, das deutsche Panzer über Polen und Kiew Richtung Moskau rollten. Und es gibt keine Garantie dafür, dass heute nicht irgendein Wahnsinniger plant, dieses Mal Panzer von Moskau über Kiew nach Polen – oder noch weiter – rollen zu lassen.

Meine Großväter waren beide 1941/1942 als Soldaten tief im Osten. Drei Jahre später saßen sie dann etwa 1.500 Kilometer entfernt in Kriegsgefangenenlagern und grübelten wohl darüber nach, was denn eigentlich passiert war: Halb Europa lag in Trümmern, Millionen Menschen waren tot und Millionen Menschen auf der Flucht. Das hatten meine beiden Opas nicht gewollt. Das hatten auch die meisten anderen Deutschen nicht gewollt. Passiert war es aber trotzdem.

„Das Böse in der Welt lebt nicht nur durch die, die Böses tun – es lebt durch die, die Böses dulden.“, lässt der in die USA emigrierte Schriftsteller Carl Zuckmayer in seinem Drama Des Teufels General den Ingenieur Oderbruch zu seinem Freund General Harras sagen. Oderbruch hat Flugzeuge manipuliert, um ihren Start zu verhindern, sein Beitrag zum Widerstand gegen die Nazis. Der General Harras hat sich hingegen Göring und Hitler, die er innerlich verachtet, für die Karriere schnell an den Hals geworfen. Sein Widerstand sind großkotzige Sprüche. Am Ende aber erkennt er seine Schuld und fliegt mit einem der manipulierten Flugzeuge Oderbruchs freiwillig in den Tod. Zuckmayers Drama wurde in den 80er Jahren noch heftig bei uns im Deutschunterricht diskutiert: Würden wir als Enkelgeneration so vielleicht auch der Versuchung eines totalitären Staates erliegen, der uns – wie dem völlig unpolitischen Fliegergeneral Harras – einfach einen guten Job anbietet oder sind wir denn tatsächlich schlauer geworden? In der gefälligen Nachbetrachtung von heute haben natürlich die vielen Selbstgerechten immer alles schon vorher ganz genau geahnt, in der Praxis werden sie aber leider immer erst hinterher klüger. Auch diese Verstrickungen gehören stets zur Geschichte der ganz normalen deutschen Familien. Die vielen Kriegserinnerungen sind noch heute in den meisten Familien sehr lebendig. Und manchmal sind auch Erinnerungen wie aus surrealistischen Filmen dabei: Im Sommer 1944 saß mein neunjähriger Vater mit Mutter und Großtante im Garten bei Kaffee und Kuchen – und über ihre Köpfe zogen alliierte Bomber in Schwärmen mit ihrer tödlichen Last in Richtung Hamburg, Kiel oder Lübeck.

Als Junge vom Krieg geprägt: Mein Vater Günter (*1934) bei seiner Einschulung.

Ein phantastischer und monströser Anblick, erinnerte sich mein Vater noch nach Jahrzehnten, die Flugzeuge brummten sonor dahin wie gigantische Insekten, sie wirkten durch die Sonne wie versilbert und zogen weiße Kondensstreifen in den blauen Himmel. Später glühte in der lauen Nacht der Horizont dann von den brennenden Städten in orangenen Tönen wie ein verfrühtes Morgenrot. Das waren die geheimnisvollen Farben des Luftkrieges für ein Kind. Aber auch die anderen, die furchtbaren Farben, sah mein Vater, als er an der Hand seiner Mutter durch das brennende Hamburg lief: Den schwarzen Qualm der vielen Feuer, den dreckigen braunen Ruß der sich über die Trümmer legte und die mit grauem Mauerstaub bedeckten Toten.

Seemann, Arbeiter, Soldat und Unternehmer: Mein Großvater Werner (*1906) trägt mich im Sommer 1967. Von ihm erfuhr ich seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg.

„Einen Vogelschiss in der Geschichte“, nannte ja mal ein nationalistischer Politiker vor einigen Jahren die Nazi-Zeit. Aus seiner Sicht mögen zwölf Jahre angesichts von Jahrhunderten nur eine kleine Episode sein – aber nicht für diejenigen, die darunter gelebt und gelitten haben. Ich habe mal diesen „Vogelschiss“ für unsere Familie überschlagen und könnte folgende Gegenrechnung aufmachen: Ein Großonkel ermordet, zwei Verwandte gefallen, ein Großonkel und ein Großvater sehr schwer verwundet, Heimat in Schlesien und Pommern für immer verloren, das Zuhause in Hamburg durch Bomben zerstört, drei Kinder und fünf Erwachsene monatelang auf der Flucht. Für eine kurze Episode wie das „Tausendjährige Reich“ doch eher ein ziemlich großer Haufen und nicht nur ein unbedeutender „Vogelschiss“…

Alles andere als nur ein kleiner „Vogelschiss“: Der Verlust unserer Heimat in Pommern und Schlesien durch den Zweiten Weltkrieg.

Ich hatte das große Glück,...

Erscheint lt. Verlag 12.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7583-3413-6 / 3758334136
ISBN-13 978-3-7583-3413-9 / 9783758334139
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