Entscheidung des Gewissens -  Adalbert Metzinger

Entscheidung des Gewissens (eBook)

Der beschwerliche Weg zur Kriegsdienstverweigerung
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
158 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-4740-5 (ISBN)
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Das Buch erzählt die Geschichte des Autors von seiner Kriegsdienstverweigerung ab der Antragsstellung 1969 bis zur Anerkennung 1975. Von der Wehrerfassung und Musterung bis zu den Verhandlungen vor dem Prüfungsausschuss, der Prüfungskammer und dem Verwaltungsgericht werden wesentliche Stationen seiner Gewissensentscheidung geschildert. Ebenso wird von dem Engagement des Autors innerhalb der DFG-VK und der Friedensbewegung berichtet.

Dr. Adalbert Metzinger, geboren 1950 in Bühl, Erziehungswissenschaftler, anerkannter Kriegsdienstverweigerer 1975, langjähriges Engagement in der DFG-VK und Friedensbewegung

3.4 Prüfungsausschuss


Nachdem ich seit der Abgabe meiner Begründung im März 1970 keinerlei Nachricht über meine bevorstehende Verhandlung vor dem Prüfungsausschuss erhalten hatte, schrieb ich am 2. September 1970 an das Kreiswehrersatzamt Freiburg und bat „höflich, mein Verfahren zu beschleunigen, und wenn es Ihnen möglich ist, mich noch in diesem Monat vor den Prüfungsausschuss zu laden.“ Mir war bewusst, dass es über den zeitlichen Abstand zwischen Antragstellung und der Verhandlung vor dem Prüfungsausschuss keine präzisen Regelungen gab. Aber da ich als Wehr-pflichtiger mit meinem KDV-Antrag nach der Musterung keine „aufschiebende Wirkung“ hatte, musste ich nach meinem bestandenen Abitur eine baldige Einberufung zur Bundeswehr erwarten. Mit einem Schreiben vom 29. September 1970 antwortete mir der Prüfungsausschuss beim Kreiswehrersatzamt Freiburg: „In Bezug auf Ihre o.a. Schreiben kann ich Ihnen nur mitteilen, dass Ihr Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer frühestens im November 1970 verhandelt werden kann. Momentan werden bei uns Anträge von Soldaten und Einberufenen vorrangig und ausschließlich behandelt. Ihr Wunsch wird, wenn irgend möglich, natürlich berücksichtigt.“ Meine Wunschvorstellung sah so aus, dass ich nach dem Abitur vor dem Prüfungsaus-schuss meine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erhalte und noch im Herbst 1970 mit dem Zivildienst beginnen kann. In Wirklichkeit konnte ich diese Idealvorstellung jetzt aber nicht mehr verwirklichen. Aufgrund der unklaren Situation entschloss ich mich daher um einen Studienplatz zu bewerben, den ich dann auch ab dem 15. Oktober 1970 an der Universität Konstanz erhielt. Nach dem Beginn meines Studiums und dem Umzug nach Konstanz erhielt ich vom Prüfungsausschuss die Ladung zu meiner Verhandlung am 26. November 1970 im Kreiswehrersatzamt Offenburg:

Sehr geehrter Herr Metzinger,

Sie werden hiermit zur mündlichen Verhandlung über Ihren Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer vor den Prüfungsausschuss für Kriegsdienstverweigerer geladen.

Die Verhandlung findet statt am 26. November 1970 um 9.00 Uhr im Kreiswehrersatzamt Offen-burg, Hauptstraße 34c.

Bei unentschuldigtem Fernbleiben kann über Ihren Antrag nach Aktenlage entschieden werden.

Fahrkosten werden nur für die Fahrt von der in dieser Ladung angegebenen Anschrift zum Verhandlungsort und zurück erstattet.

Der Personalausweis ist mitzubringen.

Als ich am 26. November 1970 nach einer Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln das Kreiswehrersatzamt Offenburg betrat, fühlte ich mich doch recht angespannt. Vor dem Sitzungszimmer begrüßte mich der Vorsitzende des Prüfungsausschusses und stellte sich mir mit seinem Namen Freiherr Marschall von Bieberstein vor. Als ich diesen Namen hörte, brachte ich ihn sofort mit der Bezeichnung des höchsten militärischen Ranges „Feldmarschall“ in Verbindung und dachte mir dabei, dass dies wohl kein gutes Omen für mich bedeutet. Der „Marschall“ führte mich dann in den Sitzungsraum, wo ich meine Identität mit dem Personalausweis belegten musste.

Vorsitzender: „Wir treten jetzt ein in die Verhandlung vor dem Prüfungsausschuss für Kriegsdienstverweigerer. Erschienen ist dazu Herr M. Es sind hier als Beisitzer erschienen: Regierungsamtmann Zickwolf (Freiburg), Landwirtschaftsschulrat Fellhauer(Gengenbach) und der Kaufm. Angestellte Lienert (Zell-Weierbach).

Wie die Beisitzer zu ihrem Amt kommen, regelt § 33 Abs. 6 des Wehrpflichtgesetzes:

  • „Die ehrenamtlichen Beisitzer in den Musterungs- und Prüfungskammern werden von den durch Rechtsverordnung der Landesregierung bestimmten Beschlussorganen der im Bereich der Musterungs- und Prüfungskammern gelegenen kreisfreien Städte und Land-kreise binnen drei Monaten nach Mitteilung der erforderlichen Zahl der Beisitzer gewählt.“
  • § 4 Abs. 3 der Musterungsverordnung bestimmt ergänzend: „Zu Beisitzern können nur Deutsche gewählt werden. Soldaten und Personen, deren Berechtigung, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, festgestellt ist, dürfen nicht gewählt werden.“

Während der Verhandlung wird ein Protokoll erstellt, wobei der Vorsitzende Äußerungen des Antragstellers dem Sinne nach – meist auf Band – diktiert. Da dieses Protokoll dem Antragsteller vom Prüfungsausschuss nicht unaufgefordert zugestellt wird, beantragte ich eine Abschrift des Protokolls.

„Die Sitzung wird vom Vorsitzenden eröffnet, welcher den wesentlichen Akteninhalt vorträgt. Anschließend wird der Antragsteller gehört. Er macht folgende Angaben:

Zur Person und Vorgeschichte der Antragstellung

Ich studiere in Konstanz im ersten Semester im Hauptfach Erziehungswissenschaft, als Nebenfächer Psychologie und Soziologie. Ich will mich später auf Sozialarbeit und Sozialpädagogik spezialisieren. In Konstanz habe ich bisher noch keinen Anschluss an irgendwelche Gruppe gefunden. In der Politik, auch in der Hochschulpolitik bin ich nicht aktiv. Ich gehe nach wie vor regelmäßig zur Kirche. Zum Zeitpunkt meiner Musterung hatte ich noch nicht vor den Kriegsdienst zu verweigern. Ich hatte mich mit dem Problem des Wehr- und Kriegsdienstes nicht befasst. In der Zeit nach der Musterung habe ich mir dann die Frage überlegt und mich hierüber mit Bekannten, auch Bundeswehrsoldaten, und mit meinen Eltern unterhalten. Meine Eltern tolerieren meine Entscheidung. Die Berichte und Bilder von Kriegsverletzten in Vietnam haben mich sehr beeindruckt. Ich habe mit unserem Pfarrer in Ottersweier gesprochen, allerdings nicht über die grundsätzliche Frage der Berechtigung des Christen Wehrdienst zu leisten. In der Schule gab es keine anderen Kriegsdienstverweigerer, jedenfalls kannte ich keine. Ich habe mich auch nicht beraten lassen. Ich habe die Schrift „Kriegsdienstverweigerung heute“ von Bredow gelesen und eine von der Kirche herausgegebene Schrift. Sie könnte von Pax Christi stammen.

Zur Sache

Aus meinem Glauben heraus kann ich keinen Wehrdienst leisten. Ich lehne Krieg und Gewalt ab. Ich sehe das Leid des Krieges, ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren selbst dazu beizutragen. Wenn ich mir die Millionen Kriegstoten vor Augen halte, könnte ich nicht einmal auf einen Pappkameraden schießen. Mit dem Geld das für die Rüstung ausgegeben wird, könnte der Hunger und das Elend in der Welt beseitigt werden. Papst Paul hat vom weltweiten Skandal des Wettrüstens gesprochen. Das primitivste sittliche Gesetz ist, dass man nicht töten darf. Ich kann mir nicht vorstellen, warum im Krieg erlaubt sein soll was im Frieden bestraft wird. Als Soldat müsste ich auf Menschen schießen, die mir nichts getan haben. Ich halte mir vor Augen, wie Kinder von Napalmbomben getroffen werden. Ich muss den Mitmenschen helfen und nicht sie zerstören.

Auf Frage: Ich bin erst nach der Musterung aufgeklärt worden über die Voraussetzung der Kriegsdienstverweigerung. Ich habe aber das Töten schon immer abgelehnt.

Auf Fragen nach den Ausnahmen vom allgemeinen Tötungsverbot:

Im Falle der persönlichen Notwehr soll der Angegriffene den Angreifer wenn es geht nicht töten, sondern ihn nur kampfunfähig machen. Auf erneute Frage auf die Berechtigung der Tötung, zur Rettung des eigenen Lebens? Das ist schwer zu entscheiden, es hängt von vielen Faktoren ab. Der Angegriffene kann auch fliehen oder um Hilfe rufen. In diesem Fall würde der Angreifer Angst bekommen. Die Polizei würde eingreifen. Auf Frage: Die Polizei wäre berechtigt, wenn es keine anderen Möglichkeiten mehr gibt auch Schusswaffen zu gebrauchen. Das Gleiche gilt wenn Mitmenschen angegriffen werden und ihr Leben verteidigt werden müsste. Ich weiß allerdings nicht ob ich den Mut aufbringen würde zu schießen. Auf Frage nach der Berechtigung eines angegriffenen Volkes sich mit Waffen zu verteidigen? Ein Krieg wird immer verheerende Folgen haben, noch für die nachfolgenden Generationen. Man muss Kriege durch Verhandlungen vermeiden und versuchen sich zu einigen, wenn dennoch eine Aggression stattfinden sollte, soll man nicht Gewalt anwenden, sondern passiven Widerstand wie etwa Mahatma Gandhi. Das bedeutet u. a. die Kirchen sollten Stellung nehmen, Jugendgruppen trotz Verbot weiter arbeiten, der Gegner sollte gelehrt werden, dass man einem Volk nicht ein anderes System aufzwingen kann. Auf Vorhalt: Der Erfolg wird evtl. gering sein. Es kann auch sein, dass der Gegner etwas gegen diese Maßnahmen unternimmt.

Auf Frage nach dem richtigen und verantwortungsvollen Handeln einer Regierung gegen etwa eingedrungene Partisanen? Ich kann mir so etwas gar nicht vorstellen. Ich kann mir gar nicht denken, dass bei uns so etwas passieren kann. Auf erneute Frage: Man müsste die Partisanen ausschalten. Wenn es um das demokratische System geht und Aussicht auf Erfolg besteht, d. h. die Auswirkungen nicht zu groß sind, dürfte auch die Heimatschutztruppe eingesetzt werden.

Auf weitere Fragen: Ich habe mir zuerst eine Tätigkeit als Sanitäter vorgestellt, aber dann ist mir gesagt worden, dass man beim Roten Kreuz sein muss, auch müsste ich die Grundausbildung mitmachen. Es...

Erscheint lt. Verlag 29.2.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7583-4740-8 / 3758347408
ISBN-13 978-3-7583-4740-5 / 9783758347405
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