Grundzüge des Rechts - Eine Einführung für Studierende der Sozialen Arbeit (eBook)
180 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8107-7 (ISBN)
Prof. Dr. Christoph Kahle, Dipl.-Kfm., verfügt über eine langjährige Berufspraxis als Anwalt, Richter und Staatsanwalt mit engen Bezügen zur Sozialen Arbeit. Seit 2022 hat er die Professur »Soziale Arbeit in rechtlichen und administrativen Handlungskontexten« an der Technischen Hochschule Augsburg inne. Parallel ist er als Strafverteidiger tätig.
2.Zivilrecht
Waren Sie heute schon beim Bäcker? Oder im Supermarkt? Oder haben im Internet eine Reise für die Semesterferien gebucht? Wenn ja, dann haben Sie heute schon zivilrechtliche Verträge abgeschlossen. Das allgemeine Zivilrecht betrifft jeden von uns in Form tagtäglicher Kaufverträge, bei der Anmietung einer Wohnung oder bei einer Kreditaufnahme.
Egal in welchen Bereich der Sozialen Arbeit Ihre berufliche Reise Sie später führt, mit zivilrechtlichen Problemen werden Sie auf Ihrem Weg sicherlich konfrontiert werden. Häufig geraten Klient*innen z.B. in Zahlungsrückstand und werden zur Zielscheibe von Zahlungsaufforderungen, Mahnbescheiden oder Zivilklagen. Hier helfen die im Folgenden dargestellten Grundkenntnisse des Zivil- und Zivilprozessrechts, um die Vorgänge richtig einzuordnen und den Betroffenen die passenden Hilfen zu vermitteln. Außerdem zählen zum Zivilrecht auch das Arbeits-, Familien- und Betreuungsrecht.
2.1.Allgemeines Zivilrecht / BGB
2.1.1.Grundsätze und Prinzipien des Zivilrechts
Das Zivilrecht ist geprägt von dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Ein anderer Begriff dafür ist Privatautonomie. Damit ist gemeint, dass man grundsätzlich alle möglichen Vereinbarungen mit anderen Personen treffen darf.
Es gibt aber auch Grenzen der Vertragsfreiheit. Vereinbarungen, die gegen die guten Sitten verstoßen, sind unwirksam (§ 138 BGB). Das gleiche gilt für Geschäfte, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen (§ 134 BGB). Daher ist z.B. der Verkauf illegaler Drogen zivilrechtlich unwirksam. Darüber hinaus wird der Grundsatz der Vertragsfreiheit an einigen Stellen teilweise eingeschränkt, z.B. durch verbraucherschützende Vorschriften. Das führt uns zu einem weiteren Prinzip des Zivilrechts, der Unterscheidung zwischen disponiblen Vorschriften und „zwingendem“ Recht.
Aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit folgt, dass man sich auch darauf einigen kann, von gesetzlichen Regelungen abzuweichen. Zum Beispiel können Sie bei einem Verkauf unter Privatpersonen die gesetzlich vorgesehenen Gewährleistungsansprüche ausschließen. Solche gesetzlichen Regelungen, von denen Vertragsparteien abweichen können, nennen sich „disponibles“ oder „abdingbares“ Recht. Daneben gibt es gesetzliche Regelungen, von denen nicht abgewichen werden kann, z.B. kann bei einem Verkauf von einem Unternehmer an einen Verbraucher die Gewährleistung nicht ausgeschlossen werden, selbst wenn der Verbraucher dies möchte und dafür einen erheblichen Preisnachlass bekommen würde. Solche Regelungen, von denen nicht abgewichen werden kann, nennt man zwingendes Recht oder „nicht abdingbares“ Recht. Ein anderes Beispiel für eine nicht abdingbare Regelung wäre das oben erwähnte Verbot von sittenwidrigen Vereinbarungen.
Ein weiterer wichtiger Grundsatz besagt, dass Vereinbarungen, die man mit anderen Personen getroffen hat, auch einzuhalten sind. Gebräuchlich ist hierfür die Verwendung des lateinischen Ausdrucks „pacta sunt servanda“ – „Verträge sind einzuhalten“. Als Verbraucher steht Ihnen heutzutage zwar bei vielen Verträgen ein bedingungsloses Widerrufsrecht zu, das ist im Zivilrecht aber die Ausnahme. Wenn Sie einer anderen Person etwas zusagen, sind Sie in der Regel auch verpflichtet, diese Zusage einzuhalten.
Etwas komplizierter zu verstehen ist das sogenannte Abstraktions- und Trennungsprinzip. Im deutschen Zivilrecht wird unterschieden zwischen Vereinbarungen, mit denen eine Verpflichtung eingegangen wird („Verpflichtungsgeschäft“ oder „schuldrechtliches Geschäft“) und Vereinbarungen, die der Erfüllung einer solchen Verpflichtung dienen („Erfüllungsgeschäft“ oder „dingliches Geschäft“). Diese Unterscheidung kann im Alltag etwas künstlich und lebensfremd wirken:
Beispiel
A kauft bei Bäcker B eine belegte Semmel für zwei Euro. Wie viele Verträge werden dabei abgeschlossen?
Die richtige Antwort lautet: drei. A und B schließen erst einen Kaufvertrag über die Semmel. Das ist das Verpflichtungsgeschäft, mit dem sich A zur Zahlung von zwei Euro verpflichtet und B zur Übergabe der Semmel. Anschließend schließen A und B jeweils einen Vertrag über die Übereignung der Semmel und über die Übereignung der zwei Euro. Diese Verträge zur Übereignung kommen dann „konkludent“ zustande, das bedeutet, ohne Worte nur durch ein entsprechendes Handeln (A übergibt B das Geld, B übergibt A die Semmel).
Für Jurist*innen ist das ein ganz wichtiger Grundsatz und bei komplexeren Transaktionen ist diese Konstruktion sehr hilfreich.
Beispiel
Die flinke Diebin Dora stiehlt dem vergnügten Touristen Theo dessen iPhone. Anschließend verkauft sie das iPhone im Internet an den ahnungslosen Käufer Konrad. Dieser überweist Dora den Kaufpreis, die ihm daraufhin das iPhone zusendet.
Wem gehört das iPhone? Ist ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen?
Hier steht das iPhone unverändert im Eigentum von Theo. Da Dora das Telefon gestohlen hatte, ist der Vertrag zwischen Dora und Konrad zur Übereignung des iPhone unwirksam. Diese Unwirksamkeit des Erfüllungsgeschäfts berührt aufgrund des Abstraktions- und Trennungsprinzips aber nicht die Wirksamkeit des Kaufvertrags. Konrad kann also weiterhin ein iPhone von Dora verlangen oder Gewährleistungsansprüche (z.B. Schadensersatz) aus dem Kaufvertrag gegen Dora geltend machen.
2.1.2.Aufbau des BGB
Das allgemeine Zivilrecht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch, dem BGB geregelt. Man spricht daher auch vom bürgerlichen Recht. Das BGB wurde im Jahr 1903 eingeführt und viele Regelungen sind bis heute unverändert enthalten.
Häufig finden Sie Paragraphen, die mit kleinen Buchstaben versehen sind, z.B. die Regelungen zum Pauschalreiserecht (§ 651a BGB f.). Der Grund dafür ist, dass mit der Zeit immer neue Regelungen hinzugekommen sind. Um nicht jedes Mal alle nachfolgenden Paragraphen neu zu nummerieren, ist es üblich, die neuen Paragraphen mit kleinen Buchstaben einzufügen.
Exkurs:Unterschiedliche Regelungstechniken im BGB
Lesen Sie zum Vergleich die Paragrafen § 242 BGB und § 651a BGB. Fallen Ihnen die Unterschiede im Stil auf? Die ursprünglichen Normen des BGB sind eher kurz und knapp gehalten und lassen den Gerichten viel Freiraum bei der Auslegung. Heute gehen viele Normen auf europäische Richtlinien zurück und treffen detaillierte Regelungen, die weniger Spielraum bei der Auslegung lassen. Dadurch sind die Normen viel länger, es dient aber der Vereinheitlichung des Rechts in den Mitgliedsstaaten der EU.
Das bürgerliche Recht teilt sich auf in einen allgemeinen und einen besonderen Teil.
Im allgemeinen Teil sind grundlegende, für alle zivilrechtlichen Gebiete geltende Regeln enthalten. Dort ist z.B. geregelt, ab welchem Alter man zivilrechtlich wirksam Erklärungen abgeben kann. In dem Teil „Allgemeines Schuldrecht“ finden sich Regeln, die für alle Arten von Verträgen gelten, die eine Verpflichtung zum Inhalt haben (im Gegensatz zu den dinglichen Verträgen, siehe dazu oben den Absatz zum Abstraktions- und Trennungsprinzip). Das „Besondere Schuldrecht“ enthält Bestimmungen zu einzelnen ...
Erscheint lt. Verlag | 6.3.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sozialpädagogik |
ISBN-10 | 3-7799-8107-6 / 3779981076 |
ISBN-13 | 978-3-7799-8107-7 / 9783779981077 |
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