Psychologie für Soziale Berufe in der Straffälligenhilfe -  Johannes Lohner,  Christiane Heigermoser

Psychologie für Soziale Berufe in der Straffälligenhilfe (eBook)

Ein Praxisbuch mit Fallbeispielen
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
203 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-8041-4 (ISBN)
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Straffälligenhilfe ist ein Bereich in der Behandlung von sogenannten Rand- und Risikogruppen. So ist es Haupt- wie auch Schnittstellenthema in vielen psychosozialen Settings. Die Kenntnis psychologischer Konzepte und Erklärungsansätze von Straffälligkeit und Rückfallvermeidung ist für Fachkräfte unerlässlich. Im vorliegenden Band werden ausgehend von Fallbeispielen relevante Erkenntnisse der Psychologie zur Erklärung von Straffälligkeit sowie daraus abgeleitete Interventionsformen behandelt. Dies liefert Praktiker*innen konkrete Hinweise für den Umgang mit Straffälligen. Dazu zählen unter anderem der Aufbau einer gelingenden Arbeitsbeziehung, die Behandlung individueller Risiken und auch die Ressourcenarbeit, um so einen Ausstieg aus der Kriminalität zu erleichtern.

Prof. Dr. phil. Johannes Lohner, Diplom-Psychologe, ist Studiendekan der Fakultät Soziale Arbeit und Professor für Klinische Sozialarbeit an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Landshut.

1Überblick: Deliktgruppen und Täter:innenprofile


Im sogenannten Hellfeld (alle angezeigten Straftaten) erhalten wir einen Überblick über Häufigkeit und Art der ermittelten Delikte, dies wiederum bildet aber nur einen Teil von Kriminalität ab. Im Dunkelfeld (die Straftaten, die nicht zur Anzeige gebracht werden) können wir Mutmaßungen anstellen, einige wenige Studien (zum Beispiel: Viktimisierungssurveys) versuchen hier, das Kriminalitätsbild noch spezifischer zu erfassen (vgl. Bundeskriminalamt – Dunkelfeldforschung5). Wie wir in unseren Alltagsbezügen Kriminalität wahrnehmen, ist zudem durch eigene Erfahrungen, mediale Berichterstattung und die gesellschaftliche Vorstellung von strafrechtlichen und strafbewährten Verhaltensweisen geprägt. Was wir insofern wissen, ist, dass Straffälligkeit an kein soziales Milieu gebunden ist – sie ist ubiquitär, dennoch sind die Klient:innen in der Straffälligenhilfe oft selbst Betroffene von sozialer Benachteiligung und mehrheitlich unteren Sozialschichten6 zugehörig. Dies gilt es nun, mitzudenken, wenn wir uns im folgenden Abschnitt mit der Frage: „Wer landet denn in den Institutionen der Straffälligenhilfe ?“ beschäftigen.

1.1Jugendkriminalität7


Zum Einstieg:

  • Die 15-jährige S. demoliert im betrunkenen Zustand die Eingangstüre und Blumenrabatte des Nachbarn.

  • P. und M. (beide 17) haben ein ausgefallenes Hobby: Gerne treffen sie sich heimlich nachts auf dem Bahnhof zum S-Bahn-Surfen.

  • U. (19) verkauft auf dem Schulhof seiner ehemaligen Schule Ecstasy-Tabletten.

Diese drei Beispiele zeigen ganz unterschiedliche Aspekte von jugendtypischer Kriminalität. In der Begleitung von Jugendlichen allgemein und in den ambulanten und stationären Settings der Jugendhilfe gilt es zu differenzieren, ab wann man von jugendtypischen Verfehlungen versus einem Beginn einer längerfristigen kriminellen Karriere sprechen kann. Hierbei erscheint es vor allem für die weitere Behandlung von Bedeutung, wie sich Jugenddelinquenz von Erwachsenenkriminalität unterscheiden lässt und welche Besonderheiten in der Behandlung von jugendlichen Straftäter:innen gelten, um ein gelingendes Erwachsenwerden gut begleiten zu können.

Merkmale von Jugendkriminalität

Ausgehend vom deutschen Jugendstrafrecht beginnt die gestufte Strafmündigkeit mit 14 Jahren. Für die Altersspanne 14 bis 18 Jahre (für Heranwachsende bis 21 und in Ausnahmen sogar bis 27 Jahren) sieht das Jugendgerichtsgesetz (JGG) eine „spezielle“ Herangehensweise vor (Erziehung vor Strafe, kürzere Haftstrafen und eine spezielle Form von Jugendstrafe außerhalb des Erwachsenenvollzuges) (vgl. § 1 JGG). Als Jugendkriminalität werden alle Handlungen junger Menschen mit strafrechtlichem Charakter nach dem Strafgesetzbuch (StGB) betitelt und in drei Altersstufen aufgeteilt.

  1. Kinder (unter 14 Jahren): Kinder gelten in Deutschland als strafunmündig (vgl. § 19 StGB). Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht sanktionierend eingegriffen wird. Sie werden bei Straftaten aus Gründen der Prävention polizeilich registriert und das zuständige Jugendamt wird darüber informiert, dieses entscheidet über weitere Maßnahmen.8

  2. Jugendliche (14 bis 17 Jahre): Hier findet das Jugendstrafrecht nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) Anwendung. Sie sind strafrechtlich verantwortlich, wenn sie zur Zeit der Tat ihrer Entwicklung reif genug sind, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. § 3 JGG).

  3. Heranwachsende (18 bis 21 Jahre): Für Heranwachsende gelten jugendstrafrechtliche Regeln, wenn sie zur Zeit der Tat in ihrer Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstanden oder es sich um eine jugendtypische Verfehlung handelte. Ansonsten findet das allgemeine Strafrecht Anwendung.

Interessant ist der Bezug zu entwicklungspsychologischen Überlegungen. Die Idee der abgestuften Strafmündigkeit beachtet, dass Jugendkriminalität in einer sehr speziellen Phase der Entwicklung auftritt. Dabei handelt es sich nicht, oder noch nicht, um pathologisches (krankhaftes) Verhalten per se. Vielmehr ist anzunehmen, dass ein gewisses Maß an abweichendem Verhalten als „normal“ in der Jugendphase gelten kann und episodenhaft auftritt (vgl. Schäfer et al. 2002, S. 17). So könnte man davon ausgehen, dass jugendtypisches abweichendes Verhalten, wie in den ersten zwei kleinen Fallskizzen aufgeführt, dem Zeitabschnitt der Jugend geschuldet ist und mit zunehmender Reife auch ohne speziellere Interventionsformen wieder verschwinden wird. Ebenso gibt es Hinweise im Tatgeschehen selbst, die wir für die Bewertung heranziehen. So verweisen Dollinger und Schmidt-Semisch (2018, S. 3 f.) ergänzend auf folgende Merkmale von Jugendkriminalität: Sie

a)

ist ubiquitär, d. h. sie betrifft fast alle Jugendlichen unabhängig von sozialem Status;

b)

ist transitorisch, also meist ein vorübergehendes und sich selbst „erledigendes“ Phänomen im Lebenslauf;

c)

ist im Vergleich zur Kriminalität Erwachsener eher spontan, gruppenbezogen und richtet weniger wirtschaftlichen Schaden an;

d)

verweist nicht nur auf Jugendliche als Täter, sondern auch als Opfer.

Auch sprechen sich Dollinger und Schmidt-Semisch (2018) explizit gegen eine harte Sanktionspraxis aus, um Negativeffekte zu verhindern (→ Kapitel 10 – Was wirkt wie ?). Testen wir nun die angeführten Merkmale anhand zweier ausführlicherer Fallbeispiele.

Fallbeispiel S. – „ich wollte doch nur…“

box

Die Jugendliche S. (18 Jahre) muss sich nun zum zweiten Mal vor dem Jugendgericht verantworten, diesmal wegen uneidlicher Falschaussage. Hintergrund war eine Gerichtsverhandlung, in der S. als Zeugin geladen war. Angeklagt waren zwei Freunde und ihre damalige beste Freundin. Diese drei waren als Haupttäter:innen bei einer Schlägerei nach einem Weinfest ausfindig gemacht worden. Während der Zeug:innenbefragung kam sehr schnell heraus, dass die Tatschilderung von S. mit der übrigen Beweislast nicht übereinstimmen kann und S. sich in widersprüchliche Aussagen über den Tathergang verstrickt hatte. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Vereidigung. S. musste sich jedoch im Nachklang selbst vor Gericht wegen uneidlicher Falschaussage verantworten. In dieser Verhandlung gab sie an, dass sie ihren Freunden mit einer Gefälligkeitsaussage habe helfen wollen. Sie hätten sich als Freunde vor der Verhandlung abgesprochen und sich eine gemeinsame Geschichte ausgedacht. „Ich habe mir dabei nichts gedacht, und mit den anderen haben wir ja ausgemacht, was wir sagen wollten, damit keiner in den Knast kommt.“ Das Jugendschöffengericht sah den Tatbestand einer uneidlichen Falschaussage als erfüllt. Faktisch gilt S. nun als Bewährungsversagerin. Ihrer ersten Verurteilung lag ein Körperverletzungsdelikt ...

Erscheint lt. Verlag 6.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-7799-8041-X / 377998041X
ISBN-13 978-3-7799-8041-4 / 9783779980414
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