Nützliche und nutzlose Menschen: Wen können wir gebrauchen? -  Ariadne Rachne

Nützliche und nutzlose Menschen: Wen können wir gebrauchen? (eBook)

Philosophische Betrachtungen über die Pflicht zur Nützlichkeit und das Ideal der Unbrauchbarkeit (2023)
eBook Download: EPUB
2024 | 5. Auflage
290 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7584-6962-6 (ISBN)
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Zu viele nutzlose Menschen gefährden die Demokratie! - Nützlichkeit ist ein ambivalenter Begriff. Die Kriterien sind vielfältig und nicht alle DenkerInnen beurteilen das Nützlichsein ausschließlich positiv. Es ist ein Phänomen der Mitte: Das Nützliche liegt zwischen zwei Formen von Nutzlosigkeit. Die Brauchbarkeit von Menschen schlägt vom Vorzug ins Negative und kann der nützlichen Person sogar schaden, wenn sie von den falschen Machthabern für niedere Zwecke instrumentalisiert wird. Wir sollten uns daher gut überlegen, wie wir den Nutzen bestimmen und für welche Instanzen wir zu welchen Zwecken dienlich sein wollen. Aufgeklärte, autonome Menschen können das, stehen aber als autarke Persönlichkeiten nicht mehr beliebig zur Verfügung. Traditionelle Nutzenbegriffe sind äußerlich charakterisiert, materialistisch oder pragmatisch ausgerichtet und zielen auf quantifizierbare Resultate ab. Ein modernes Nutzenkonzept dagegen muss innerlich bestimmt werden über die endogenen Kennzeichen heilsamer Motivationen, umfangreichen Wissens, geschulter Fähigkeiten und Fertigkeiten, des Reflexionsvermögens und einer Integrität im Handeln. In demokratisch-rechtsstaatlichen Systemen müssen die Nutzlosen brauchbar gemacht werden, damit sie Verantwortung übernehmen und sich konstruktiv in eine offene und tolerante Gesellschaft einbringen können. Die nützlichen Menschen hingegen müssen lernen, sich effektiv vor Missbrauch und Ausbeutung zu schützen. Dabei wird der Nutzen ausschließlich innerlich bestimmt, damit er in Gestalt des Heilsamen Frieden und Freiheit bewirken kann.

Spinn- und Webermeisterin

Spinn- und Webermeisterin


Das dritte Kennzeichen für tatsächliche Nützlichkeit bei einem Menschen sind Selbstreflexion, eigenständiges, kritisches Denken und Aufmerksamkeit. Ein nützlicher Mensch hinterfragt seine eigenen Motive, seinen Kenntnisstand, die Motivationen der anderen, von Systemen und Zusammenhängen im Allgemeinen. Seine Reflexionen sind gekennzeichnet von Achtsamkeit gegenüber sich selbst und anderen. Es gilt das Credo der Aufklärung: „Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen!“  

 

Der vierte Maßstab eines wahrhaft tauglichen Menschen ist ein Handeln, das sich stimmig aus den vorausgehenden Merkmalen herleitet. Entscheidungen und Taten dürfen der positiven Grundhaltung, dem Wissensstand sowie den eigenen Reflexionen nicht widersprechen. Ein integrer Mensch ist „wertefest“, „werteloyal“ und nicht korrumpierbar. Sein Verhalten zeigt völlige Übereinstimmung von Wollen, Denken, Fühlen, Wissen, Sprechen und Handeln. Integrität zeichnet sich aus durch eine konsequente Umsetzung der eigenen Ideale und Überzeugungen. Wer Wasser predigt und Wein trinkt, dessen Nützlichkeit muss bezweifelt werden. Ein korrupter Mensch ist weder sich selbst noch anderen gegenüber loyal, ein brauchbarer hingegen integer. 

 

Ist es nun also, unter diesen Umständen und unter Beachtung der oben dargestellten vier endogenen Kriterien für Tüchtigkeit, erlaubt, Menschen in „nützlich“ und „nutzlos“ zu unterteilen? Gefragt wird nach Wissen und Kenntnissen, Geisteshaltungen, Einstellungen und Bereitschaften, einem selbstständigen und kritischen Denken sowie einem konsequenten Handeln, welches diese Werte widerspruchsfrei umsetzt. Die Antworten auf die eingangs gestellten Fragen nach dem Nutzen und der Nutzlosigkeit von Menschen werden nun unabhängig von äußerlich bestimmten Merkmalen wie Alter, Gesundheitszustand, Aussehen, Geschlecht, Religion, Beruf, Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung, Einkommen, Bildungsabschluss oder Besitz gegeben.

 

Die allermeisten exogenen Merkmale für ein traditionelles Verständnis von Nützlichkeit, dem konventionellen Nutzenbegriff, sind zufällig und nicht notwendig. Zufällig gilt das Ideal des jungen, gesunden, gebildeten, erfolgreichen, weißen Mannes aus der Mittel- oder Oberschicht als erstrebenswert. Es existiert nicht zwingend. Wir könnten auch alternative menschliche Ideale und andere Vorbilder haben. Notwendig trifft dieses Ideal aber auf die allermeisten Menschen nicht zu. Und ein jugendliches gutes Aussehen, Sportlichkeit und Besitz sind ohnehin in höchstem Maße flüchtig. Auf unsere Einstellungen und Motivationen, unseren Wissens- und Kenntnisstand hingegen, auf unsere Reflexionen und Handlungen haben wir Einfluss. Wir bestimmen sie bis zu einem gewissen Grad selbst. Alles Innenbürtige eröffnet eine reelle Chance auf Selbstbestimmung. Zufällige, außenbürtige Kennzeichen dagegen bieten diese Möglichkeit entweder gar nicht oder nur in höchst eingeschränktem Maße.

 

Wenn wir dies nun einmal so annehmen wollen, gibt es dann nutzlose Menschen? Vielleicht sogar gefährliche und Schaden verursachende, welche die toleranten Formen des Zusammenlebens abschaffen wollen? – Wahrhaft nützliche Menschen streben nach zuverlässigen, rechtsstaatlich-verbindlichen, demokratischen Strukturen mit einer offenen, sozialen Lebensweise, welche sie etablieren, festigen und auch gegen die Feinde der Demokratie verteidigen wollen. Nutzlose Menschen aber täuschen sich selbst und andere dahingehend, dass sie intolerante, diktatorische und totalitäre Systeme in irgendeiner Hinsicht für besser halten. 

 

Nützliche Menschen lassen das friedliche Zusammenleben gelingen. Sie engagieren sich, bringen sich ein, gestalten die Gemeinschaft aktiv, wollen einen Beitrag leisten, Verantwortung übernehmen und handeln entsprechend. Sie haben erkannt, dass es wichtig ist, anderen Menschen dieselben Freiheiten zuzugestehen, die sie selbst brauchen und sich für die eigene Entfaltung wünschen. Dies gilt für tyrannische, patriarchalische, autokratische Systeme nicht. Dort herrschen Willkür, Korruption, Gier, Neid, Hass, Ungerechtigkeit und Intoleranz gegenüber alternativen Sicht-, Denk- und Lebensweisen.

 

In freiheitlichen, offenen, toleranten, demokratischen und sozialverantwortlichen Gesellschaften besitzt jeder Mensch Würde und trägt seine Zwecke in sich selbst. Sein Wert und seine Nützlichkeit können innerlich bestimmt werden über die heilsame Gesinnung, eine friedliche, konstruktive Geisteshaltung, über Wissen und Reflexionen sowie über ein Handeln, welches den inneren, positiven Dispositionen nicht widerspricht und Integrität erkennen lässt. Das heißt, die Einstellung zum demokratischen System, zu Frieden und Freiheit, zählt mehr als die materielle Produktivität. Die Bereitschaft zur Teilhabe und die tatsächliche Teilnahme am Rechtsstaat fallen ins Gewicht, und nicht Einkommen, Titel, Ansehen, Besitz, Religion, Geschlecht, Abstammung und Herkunft. Tüchtige Menschen bereichern die Gemeinschaft und nicht nur sich selbst.

 

Umgekehrt ist es aber genauso wichtig, diejenigen Menschen, Verbände und Institutionen vehement in die Schranken zu weisen, die glauben, sich von den Regeln des Rechtsstaates ausnehmen zu können. Sie sind schädlich für das demokratische System und unnütz für ein gelingendes friedliches Zusammenleben. Wir müssen uns sehr gut überlegen, wie viel Freiraum wir den „antidemokratisch Gesinnten“ einräumen, die schädigend einwirken. Toleranz wird von einigen Menschen als Zeichen von Schwäche missverstanden. Sie brauchen Grenzen, die auch durchgesetzt und verteidigt werden müssen. Es gilt, rigoros die Angriffe gegen die freiheitliche Verfassung zu unterbinden. Strikt ist jede Form von Missbrauch zu verhindern. Das gilt für die Ausbeutung von Menschen in Abhängigkeitsverhältnissen, aber auch hinsichtlich der Selbstbedienung beim Sozialstaat. Mit resoluten Maßnahmen sollen Hetze und Übergriffe gegen tolerante, offene Gesellschaften souverän und konsequent zurückgewiesen werden. Wir müssen tolerant gegenüber den Toleranten und intolerant gegenüber den Intoleranten sein, weil die Intoleranten die Toleranz abschaffen, wenn die Toleranten zu schwach, unachtsam, nachlässig oder gar gleichgültig werden.


Die Geisteshaltung der nutzlosen und schädlichen Menschen wirkt zerstörerisch. Sie wollen ihren Wissensstand nicht erweitern. Ihre Perspektive ist bewusst eingeschränkt und ihre Standpunkte gezielt limitiert. Die Darstellungen ihrer Zusammenhänge sind irreführend, verzerrt und verengt. Sie hinterfragen sich selbst, ihr Wissen, Handeln und ihre Motive nicht. Solche Menschen oder Institutionen sind entweder einfach nur nutzlos oder vielleicht sogar gefährlich für moderne, zivilisierte, westliche Lebensweisen. Auf welche Menschen, Gruppen und Einrichtungen trifft das zu?

 

Da wären zum einen die Chaoten, die in Berlin in der Silvesternacht 2022/23 Feuerwehrleute und Rettungssanitäter während ihrer Arbeit angegriffen haben. Es handelt sich wohl in erster Linie um frustrierte junge Männer, die, von der Gesellschaft abgehängt, für sich selbst keinen anderen Ausweg sehen, als ihre Wut an Unschuldigen abzureagieren. Vermutlich dient ihr Kontrollverlust als Ventil gegen die Angst vor dem eigenen Versagen. Wie schon in der Silvesternacht 2015, als auf der Kölner Domplatte Frauen belästigt, gedemütigt, bedrängt und gequält wurden, scheint für einige Männer ein Gefühl der falsch verstandenen Stärke darin zu liegen, andere Menschen zu erniedrigen, Angst und Schrecken zu verbreiten. In der Gruppe fühlen sie sich sicher. Bewaffnet sind sie vermeintlich stark. Zerstörung und Erniedrigung vermittelt das irrige Gefühl angeblicher Überlegenheit. Wer nicht über Emotionsregulierung und Selbstbeherrschung verfügt, wer seine Impulse nicht unter Kontrolle hat, der braucht strenge Führung durch andere, Überwachung und wirksame Konsequenzen für sein Fehlverhalten.  

 

Da sind aber auch die Missbrauchsfälle in Kirchengemeinden, die verschleiert werden. Die Aufklärung von Verbrechen wird unter anderem dadurch verhindert, dass gewisse religiöse Institutionen nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit unterstehen. Wenn der Vertreter einer Glaubensgemeinschaft von Frieden, Nächstenliebe und ethischem Verhalten spricht, dann ein wehrloses Kind, das vertrauensvoll in seine Obhut gegeben wurde, zur sexuellen Befriedigung missbraucht und anschließend mithilfe seiner „Glaubensbrüder und -schwestern“ die Taten leugnet und vertuscht und nicht dafür zur Rechenschaft gezogen werden kann, weil Kirchenvertreter sich nicht verantworten müssen, sind Niedertracht, Lügen und Heuchelei noch die geringsten Vorwürfe. Die zweite Tragödie, neben dem Leiden der Opfer selbst, besteht darin, dass alle davon wissen und unser Staats- und Rechtssystem hier angeblich nicht ein- und durchgreifen kann. Das dritte Trauerspiel, nach der Qual für die Betroffenen und der vermeintlichen Ohnmacht des Staates, liegt in der Tatsache, dass es immer noch Menschen gibt, die missbräuchlichen Glaubensgemeinschaften angehören, und die mit ihrem Wegschauen, mit ihrer Mitgliedschaft und mit ihrem Geld diesen Missbrauch ermöglichen. Alle „Gläubigen“, die das finanzieren und durch ihr Schweigen und ihre Tatenlosigkeit so etwas zulassen, sollten sich schämen – und eine Gesellschaft, die zu schwach ist, Menschen vor diesem Machtmissbrauch zu schützen oder zumindest doch die Täter zu bestrafen und aus den Ämtern zu entfernen, ebenfalls. Es macht fassungslos, dass ein derartiges Auftreten im 21. Jahrhundert immer noch möglich ist und niemand wirklich dagegen aufbegehrt.      

 

Weitere Menschengruppen,...

Erscheint lt. Verlag 6.2.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch
Sozialwissenschaften Pädagogik Erwachsenenbildung
Schlagworte Bildung zur Tüchtigkeit • Dao der Nutzlosigkeit • frieden und freiheit • Ideal der Unbrauchbarkeit • Kritik am Utilitarismus • nützliche und nutzlose Menschen • Pflicht zur Nützlichkeit
ISBN-10 3-7584-6962-7 / 3758469627
ISBN-13 978-3-7584-6962-6 / 9783758469626
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