Information zwischen Pflicht und Gefühl -  Dieter Bald

Information zwischen Pflicht und Gefühl (eBook)

Todesanzeigen im Wittgensteiner Kreisblatt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
318 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-9369-3 (ISBN)
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Im Jahre 1852, also vor mehr als 170 Jahren, erschien die erste Zeitung im Kreis Wittgenstein. Dieter Bald aus Bad Berleburg nahm dieses Jubiläum zum Anlass, eine etwas ungewöhnliche Arbeit zu publizieren, die sich mit der Bekanntgabe von Todesfällen im Wittgensteiner Kreisblatt beschäftigt. Der Autor untersuchte bereits 2020/21 im Rahmen einer Hausarbeit jeweils im Abstand einer Dekade mehr als 800 Todesanzeigen und Danksagungen, die man im Wittgensteiner Kreisblatt von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis Ende 1928 veröffentlichte. Diese Mitteilungen über Abschied, Tod und Trauer im ehemaligen Kreis Wittgenstein konnten damit erstmals über einen Zeitraum von mehr als sieben Jahrzehnten analysiert werden. Danach war es das Ziel des Autors, die Arbeit mit einigen Details zum Leben der Personen zu ergänzen, um die man damals trauerte. Nachforschungen zur ersten Wittgensteiner Todesanzeige, zur ersten Danksagung und die Entwicklung der Todesanzeige insgesamt bis zum Jahr 1928 werden empirisch dargestellt und um eine Reihe von kurzen Biografien ergänzt.

Dieter Bald, geb. 1954 in Kunst-Wittgenstein; wohnt in Bad Berleburg; verheiratet, zwei Töchter und eine Stieftochter; Krminalhauptkommissar a.D. (Bonn, Köln, Siegen-Wittgenstein); ehrenamtlich tätig in der Sterbebegleitung (Ambulanter Hospizdienst der Diakonie Wittgenstein); als zertifizierter Trauerbegleiter sowie in der Flüchtlingsintegration tätig. Heimat- und Regionalforschung Wittgenstein, seit 2015 besonders für den Wittgensteiner Heimatverein e.V. engagiert. Mitautor folgender Bücher: Flüchtlinge und Vertriebene in Erndtebrück (1996), Dorfbuch Benfe. Ein Streifzug durch 300 Jahre Dorfgeschichte (2015); außerdem Verfasser diverser lokalhistorischer Beiträge für Wikipedia.

3.0 Geschichte der Todesanzeige und ihr Bezug zu Wittgenstein


Todesanzeigen als öffentliche Bekanntgabe eines Todesfalles sind eng verbunden mit der Entwicklung und Verbreitung von regelmäßig erscheinenden Tageszeitungen. Inhalt und äußere Gestaltung sind im Zeitablauf wichtigen Veränderungen unterworfen, die mit gesellschaftlichen Veränderungen einhergehen […]“.25

Früher hatten die Angehörigen in den ländlichen Regionen nur zwei Möglichkeiten, einen Todesfall über den engsten Familienkreis hinaus bekannt zu machen, wenn sie sich nicht selbst zur Benachrichtigung auf den Weg machen wollten: Im sonntäglichen Gottesdienst teilte der Pfarrer den Sterbefall seiner Gemeinde per Abkündigung mit. Weiterhin gab es die (entgeltliche) Leistung einer - meist männlichen - Person, die man mit der Todesnachricht losschicken konnte, den sogenannten Leichenbitter.26 Dieser ging im Auftrag der Angehörigen mit einer Liste durch das Dorf, teilte den Sterbefall mit und lud gleichzeitig zur Leichenfeier. Mit der Zunahme der Bildung breiterer Bevölkerungsschichten (Alphabetisierung) ließ man, zunächst in adligen und hochbürgerlichen Kreisen, im Sterbefall Traueranzeigen drucken und versandte sie an diejenigen Personen, die eine geschäftliche oder private Beziehung zum/zur Verstorbenen hatten.27 Diese gedruckte Form der Mitteilung an einen bestimmten Personenkreis verlor mit der Zeit ihren elitären Charakter und wurde gerne nachgeahmt, auch in Form der in katholischen Kreisen bekannten Totenzettel.28 Mit der Etablierung der gedruckten Todesbenachrichtigungen sowie der Verbreitung der Tageszeitung, in der Todesanzeigen geschaltet werden konnten, nahm die Bedeutung der früheren Informationsquellen ab. Der Leichenbitter wurde zunehmend arbeitslos, während die Abkündigung von der Kanzel lediglich als Ergänzung der bereits bekannten Todesnachricht diente. Und dennoch brauchte diese neue Form der Bekanntmachung mehr als ein Jahrhundert, bis sie sich etablieren und zwei Jahrhunderte bis sie sich in ihrer heutigen Form und Verbreitung durchsetzen konnte.29 Man scheute sich zunächst allgemein, so persönliche Mitteilungen wie den Tod eines Angehörigen in einer Zeitung zu veröffentlichen.30 Irgendwann überwog jedoch die Einsicht, dass man sich durch nur eine Veröffentlichung aller Informationspflicht mit einem Schlage entledigen konnte. Als erste nachweisbar veröffentlichte Todesanzeige gilt eine Mitteilung im „Ulmer Intelligenzblatt“ des Jahres 1753. Dort hieß es unter der Rubrik „Vermischte Nachrichten“: „In der Nacht, unterm 14 huj. ist Totl. Herr Johann Albrecht Cramer, weiland des Raths, Zeugherr und Handelsmann allhier, in einem Alter von 70 Jahren an einem Schlagfluß verstorben.“31 Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob tatsächlich Angehörige diese Todesnachricht in die Zeitung gesetzt haben, da sie expressis verbis dort nicht erscheinen. Cramer war laut Mitteilung dem Rat der Stadt Ulm verantwortlich und als Chef des städtischen Zeughauses eine wichtige Persönlichkeit, zudem war er Kaufmann. Wahrscheinlicher dürfte sein, dass man der Leserschaft mitteilte, dass sich eine personelle Veränderung im Rat und in der Zeughausverwaltung ergeben hatte und man sich in geschäftlichen Angelegenheiten nun an die Erben wenden müsse. Frey wies in seiner Studie über die „Entwicklung des Zeitungsinserats in München bis 1807“ bereits 1939 darauf hin, dass „die Verbindung von Todesmitteilung und geschäftlicher Veränderung“ älter sei als die eigentliche Todesanzeige.32

99 Jahre nach dem Ulmer Todesinserat erschien mit dem „Wittgensteiner Kreisblatt“ die erste Zeitung des damaligen Kreises Wittgenstein.

Bereits in der dritten Ausgabe der neuen Zeitung befand sich die erste Bekanntmachung eines Todesfalles, allerdings noch mit amtlicher und zugleich mit geschäftlicher Intention:

„Bekanntmachung. Montag den 26. Januar c., Morgens 10 Uhr, soll der Nachlaß des dahier verstorbenen Hülfsboten Metzsch, bestehend aus verschiedenen Kleidungsstücken, Landkarten, Büchern, Bürsten, Pfeifen, meistbietend, gegen gleich baare Zahlung, verkauft werden. Kauflustige wollen sich in der Behausung der Wittwe Müsse hierselbst am besagten Tage einfinden.

Berleburg, den 7. Januar 1852.

Vermöge gerichtlichen Auftrags:

Schulte.“

Bild 1: Nachlassverkauf Metsch

Im „gerichtlichen Auftrag“ gab der Zivil- und Kriminal-Protokollführer beim königlichen Land- und Stadtgericht Berleburg, Franz Schulte (1804–1872) im Kreisblatt bekannt, dass man beabsichtige, den Nachlass des verstorbenen Berleburger „Hülfsboten“ Metzsch33 zu veräußern.34

Bild 2: Bekanntmachung des LR v. Schroetter, 1. Juli 1852

Im Juli 1852 machte der Berleburger Landrat noch folgende Mitteilung öffentlich:

„An die Stelle des abgegangenen Taxators Christian Hoch zu Laasphe ist der Tischlermeister Franz Fischer daselbst als Taxator im Dienste der Provinzial=Feuer=Societät bestellt und verpflichtet worden. Berleburg, den 1. Juli 1852.

Der Landrath Freiherr von Schroetter“35

Das war in diesem Fall zwar keine öffentliche Todesmitteilung, obwohl man es aus der unglücklichen Formulierung „des abgegangenen Taxators“ hätte schließen können. Der Landrat von Schroetter verfasste hingegen in trockenem Amtsdeutsch die Notiz eines Personalwechsels. Er teilte mit, dass man für das öffentliche Amt des Schätzers bei Brandschäden in Laasphe Ersatz gefunden hatte. Die eigentliche Tragik des Vorganges erschloss sich aus dem Sterberegister der Lahnstadt: Der vorherige Amtsinhaber Hoch aus Laasphe hatte im Alter von 25 Jahren einen schweren Unfall erlitten, an dessen Folgen er im November 1852 verstarb.36

Erst drei Jahre später nutzte ein trauernder Familienvater in einem privaten Inserat erstmals diese neue Form der Bekanntmachung eines Todesfalles:

Bild 3: Todesanzeige im Wittgensteiner Kreisblatt, 24. Mai 1855

Die Platzierung der traurigen Mitteilung wirkt für uns heute kurios: Zwischen einem angebotenen Duftwässerchen gegen Herzklopfen, Schwindsucht sowie Unterleibsbeschwerden und einem gebrauchten Klavier, das man damals billig verkaufen wollte, fand sich am 24. Mai 1855 die erste private Todesanzeige im Kreis Wittgenstein.

Diese Todesanzeige wird im Kreise der lokalen Zeitungsleser Wittgensteins neben ihrem Informationsgehalt für Verwunderung und Erstaunen, vielleicht auch für Kopfschütteln gesorgt haben. Ein Tabubruch? Die Veröffentlichung eines Todesfalles, den man doch bisher für eine der privatesten traurigen Angelegenheiten hielt?

Nachstehend die wörtliche Übertragung der ersten Todesanzeige, entworfen vom Unterstädter Gastwirt Kraft Mengel aus Berleburg, der den Verlust seiner Ehefrau beklagte:

„Todes=Anzeige!

Am 21. dieses Monats, Abends gegen 5 Uhr, gefiel es dem Herrn über Leben und Tod, meine geliebte Ehegattin und unsere gute Mutter Louise, geb. Grebe, in einem Alter von 42 Jahren ihres leidenvollen Lebens zu sich zu rufen. – Sanft und ruhig war ihr Ende. Freunden und Bekannten widmen diese Trauer=Anzeige und halten sich deren stiller Theilnahme versichert. Berleburg, den 24. Mai 1855.

Kraft Mengel und dessen 4 Kinder.“37

Zunächst fällt auf, dass die typografische Gestaltung dieses Inserats doch deutlich von Todesanzeigen der Gegenwart abweicht. Abgesehen von der heute nicht mehr gebräuchlichen Frakturschrift werden die Überschrift und der Name des Inserenten in Fettdruck ausgeführt und damit hervorgehoben. Der Name der Verstorbenen taucht lediglich im Fließtext auf. Und es fehlt die deutliche Textabgrenzung in Form eines Trauerrandes, der zumindest dem Leser der Gegenwart die Erkennbarkeit und Einordnung des Inserates erschwert. Diese erste Bekanntmachung eines Trauerfalles enthält über die bloße Mitteilung hinaus schon mehrere Aussagen, die durchaus mit aktuellen Todesanzeigen vergleichbar sind und auf die ich kurz beschreibend eingehen möchte. Mit der Überschrift „Todes-Anzeige“ erfolgt eine relative Abgrenzung zu den Inseraten der Umgebung und lenkt den Leser direkt auf diese besondere Information in der Zeitung. „Am 21. dieses Monats, Abends gegen 5 Uhr…“ Der Inserent gibt den Todestag, ja sogar den genauen Todeszeitpunkt bekannt. Mit der Formulierung …gefiel es dem Herrn über Leben und Tod, […] zu sich zu rufen“ wird die religiöse Vorstellung der Verstorbenen bzw. der Angehörigen deutlich gemacht. Hier steht also im ersten Satz nicht die Verstorbene im Mittelpunkt der Anzeige, sondern die Handlungsmacht Gottes, der göttliche Wille, den es zu respektieren galt. „…meine geliebte Ehegattin und unsere gute Mutter Louise, geb. Grebe…“ Die Verwandtschaftsbeziehung zwischen der Verstorbenen und den...

Erscheint lt. Verlag 17.1.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7583-9369-8 / 3758393698
ISBN-13 978-3-7583-9369-3 / 9783758393693
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