Was läuft da schief im Journalismus? (eBook)
290 Seiten
Herbert von Halem Verlag
978-3-86962-674-1 (ISBN)
Hermann von Engelbrechten-Ilow, geb. 1985 in Washington, D.C., studierte Jura in Heidelberg und Berlin sowie im Masterstudiengang Volkswirtschaftslehre in Maastricht. Nach dem Referendariat am Berliner Kammergericht erhielt er 2018 seine Zulassung als Rechtsanwalt. Er beschäftigt sich mit den verfassungsrechtlichen Aspekten gesellschaftlicher Meinungsbildung.
Hermann von Engelbrechten-Ilow, geb. 1985 in Washington, D.C., studierte Jura in Heidelberg und Berlin sowie im Masterstudiengang Volkswirtschaftslehre in Maastricht. Nach dem Referendariat am Berliner Kammergericht erhielt er 2018 seine Zulassung als Rechtsanwalt. Er beschäftigt sich mit den verfassungsrechtlichen Aspekten gesellschaftlicher Meinungsbildung.
Einführung
Teil I: Die Lage der journalistischen Medien
1. Finanzierung
a. Werbemarkt
b. Lesermarkt
c. Kostenstrukturen, Marktkonzentration und die Regionalzeitungen
2. Nachrichtennutzung
a. Allgemein
b. Medienvertrauen
c. Social Media und Nachrichten
d. Zahlungsbereitschaft
3. Ergebnis
Teil II: Funktionen von Medien und Journalismus
1. Die verfassungsrechtliche Perspektive
a. Zielvorgabe: Die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung
b. Funktion von Presse und Rundfunk
c. Mittel der Funktionserfüllung
d. Vielfaltsbegriff von Presse und Rundfunk
2. Einfachgesetzliche Vorgaben
a. Landespressegesetze
b. Medienstaatsvertrag
c. Aufsicht: Presserat, Landesmedienanstalten und Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle
3. Medienwissenschaftliche Vorgaben
a. Definition Journalismus und Qualitätsanforderungen
b. Journalismustheorien
4. Vergleich mit Medienintermediären
a. Unabhängigkeit und Autonomie
b. Mehrsystemrelevanz und Selektion
c. Perspektivenvielfalt
d. Faktizität (Wahrhaftigkeit, Transparenz)
e. Narration
f. Betrachtung
5. Ergebnis
Teil III: Der Staat und seine digitalen Medien
1. Konkurrenz im Wettbewerb
2. Disintermediation
a. Bundeskanzlerin Merkel: Auftritte Bundespressekonferenz und Interviews 2013-2021
b. Die jüngeren Interviews in der Nahansicht
c. Die Kommunikationsaktivitäten der Bundesregierung
d. Die Informationspolitik der Bundeskanzlerin
e. Und die Ampel?
f. Betrachtung
3. Datenschutz
4. Ergebnis
Teil IV: Der Bestand und die Funktion: Die grundgesetzliche Gewährleistung der Presse
1. Die Funktionsgewährleistung der Presse
a. Problem des Anknüpfens an den ›Bestand‹ eines meinungsbildenden Blattes
b. Die Funktionsfähigkeit der Presse, ihre Gewährleistung und der Werbemarkt
c. Die Funktionsfähigkeit der Presse, ihre Gewährleistung und der Lesermarkt
d. Die Finanzierungskrise des Journalismus, die Qualität der Berichterstattung und die Akzeptanz der Bevölkerung
2. Der Rundfunkbeitrag und die Funktionsgewährleistung der Presse
3. Ergebnis
Teil V: Umsetzung
1. Presseförderung
a. Presseförderung vor dem Bundesverfassungsgericht
b. Meinungsneutrale Förderkriterien
c. Art der Förderung
2. Konsequentes Vorgehen gegen Intermediäre
a. Das Plattformprivileg
b. Die Ausrichtung der Plattformen
c. Regulierungsvorschlag
d. Widerstand
e. Prozessuales
f. Betrachtung
3. Ergebnis
Teil VI: Lücken, weitere Forschungsfragen und Zusammenfassung
1. Lücken und weitere Forschungsfragen
2. Zusammenfassung
Endnoten
Literaturverzeichnis
1. Finanzierung
Die Digitalisierung der öffentlichen Kommunikation hat sowohl das Informations- und Vermittlungsmonopol als auch die einzigartige Stellung von Medien als Werbeplattformen zerstört. Damit funktioniert das traditionelle und über ein Jahrhundert lang erfolgreiche Geschäftsmodell des Journalismus nicht mehr.6
Diesen Schluss ziehen Vinzenz Wyss und Guido Keel in ihrer Expertise für die Eidgenössische Medienkommission. Das »über ein Jahrhundert lang erfolgreiche Geschäftsmodell des Journalismus« setzte im Wesentlichen auf zwei Märkte: den Werbemarkt und den Lesermarkt. Auf dem Werbemarkt brechen die Einnahmen aufgrund der übermächtigen Konkurrenz der großen Digitalkonzerne weg (Abschnitt a), auf dem Lesermarkt aufgrund sinkender Abonnentenzahlen im Printbereich, die bisher nicht durch Digitalabonnements aufgefangen werden (Abschnitt b).
a. Werbemarkt
Der Dortmunder Medienökonom Frank Lobigs beschreibt in seiner Expertise für die EMEK den »Paradigmenwechsel in der Ökonomie gesellschaftlich relevanter Medieninhalte«.7 Medieninhalte »werden in der mobilen Nutzungs-Welt des neuen Paradigmas zumeist auf Smartphone- oder auch anderen Mobile-Screens rezipiert, zunehmend als Videos, und dabei in vielen Milliarden von Big Data-algorithmisch kuratierten, personalisierten Trefferlisten (hit lists), Streams, Threads und Feeds pausenlos neukonfektioniert.« Zentrale Gatekeeper würden wenige Internet-Konzerne, insbesondere Google und Facebook, die als einflussreiche »Informationsintermediäre« die Mediennutzung von bis zu Milliarden von Nutzern beeinflussen könnten.8
Die folgenden Zahlen zur Entwicklung des Werbemarktes in Deutschland basieren auf Erhebungen des in New York ansässigen Branchendienstes Insider Intelligence, einer Tochter der Axel Springer SE, die dem Verfasser als Excel-Datei9 vorliegen. Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW e. V. erhebt ebenfalls entsprechende Daten, hat aber erstmals für 2019 eine neue Systematik angewandt, die einen Langzeitvergleich nach Kategorien verhindert.10 Abbildung 1 illustriert die Entwicklung der anteiligen Werbeausgaben in Deutschland von 2011 bis 2025. Der Block ›Zeitungen und Zeitschriften (Print)‹ bildet 2011 noch 47,2 Prozent der Gesamtwerbeausgaben ab, 2019 sind es nur noch 27,8 Prozent, und für 2025 prognostiziert Insider Intelligence einen Anteil von 17,3 Prozent. Die Werbeausgaben im Digitalbereich entwickeln sich spiegelverkehrt. Machten sie 2011 etwa ein Fünftel des Werbebudgets aus, waren es 2019 knapp zwei Fünftel und sollen 2025 beinahe drei Fünftel aller Werbeausgaben ausmachen. 2025 werden drei Viertel aller digitalen Ausgaben für Mobilwerbung verwandt werden.
Abbildung 1Anteil Gesamtwerbeausgaben nach Kategorie
Insider Intelligence 2023, eigene Darstellung. *Prognose
Dabei gehen von jedem Euro, der 2023 für digitale Werbung ausgegeben wurde, 68 Cent an Google (40 Cent) und Meta (28 Cent). In naher Zukunft prognostiziert Insider Intelligence geringe Einbußen der beiden Platzhirsche. Nach Schätzungen der Springer-Tochter vereinnahmen sie 2025 nur noch knapp zwei Drittel des (wachsenden) digitalen Werbekuchens (65 % Anteil für 2025).11
Und wie entwickelt sich der Werbemarkt insgesamt? Abbildung 2 gibt eine Antwort. Dort zu erkennen ist ein Balkenpärchen, das weitestgehend im Gleichschritt die Jahre durchläuft. Der linke Balken stellt die von Insider Intelligence12 berechneten Gesamtwerbeausgaben im jeweiligen Jahr dar, der rechte nimmt den 2011er Wert und multipliziert ihn mit den Inflationsraten13 der Jahre 2012 bis einschließlich 2022. Bezieht man die Inflation in die Berechnung mit ein, zeigt sich, dass das Gesamtwerbevolumen im angegebenen Zeitraum in etwa gleichgeblieben ist.
Abbildung 2Werbeausgaben 2011 bis 2022 nominal und inflationsbereinigt in Milliarden Euro
Insider Intelligence 2023; Bundesbank; eigene Berechnung und Darstellung.
Mit konkreten Zahlen zur Entwicklung der Werbeeinnahmen der Presse kann der Medienwissenschaftler Horst Röper dienen.14 Er hat die Publikationen des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft gesichtet und die Einnahmenentwicklung zusammengetragen. Die Werbeeinnahmen der Presse sind im Vergleich zu 2001 um zwei Drittel auf jetzt auf etwa 1,8 Milliarden Euro eingebrochen. Die entsprechenden Einkünfte der Wochen- und Sonntagszeitungen sind im selben Zeitraum um drei Fünftel auf jetzt 115 Millionen Euro geschrumpft. Die Einnahmen der Anzeigenblätter, mit denen die Verlage bei geringem redaktionellen Aufwand ein gutes Zubrot erwirtschaften, sind im untersuchten Zeitraum lediglich um ein knappes Drittel zurückgegangen. Diese erwirtschafteten 2021 immerhin noch etwa 1,2 Milliarden Euro.
Abbildung 3Top 10 Angebote der digitalen Mediennutzung (Aggregierte Nutzungsdauer in Prozent)
Darstellung nach Thomsen/Andree, Atlas der digitalen Welt, S. 28.
Wie sehr die GAFA-Konzerne (Google/Alphabet, Apple, Facebook/Meta, Amazon) inzwischen die digitale Sphäre kontrollieren, illustriert Abbildung 3. Martin Andree und Timo Thomsen haben für ihren Atlas der digitalen Welt auf Grundlage von Realnutzungsvermessungen über alle Geräte (Desktop, Smartphone, Tablet) in einem repräsentativen Panel von 16.000 Personen die gesamte Mediennutzung der deutschen Bevölkerung erforscht. Die Daten wurden im dritten Quartal 2019 erhoben.15 Die Ökosysteme von Alphabet (Google) und Facebook vereinen dabei bereits über ein Drittel der aggregierten Nutzungsdauer auf sich. Die GAFA-Konzerne insgesamt kamen zum Zeitpunkt der Messung auf etwas über 45 Prozent der aggregierten Nutzungsdauer. In der jungen Zielgruppe seien es sogar knapp 57 Prozent, schreibt Martin Andree.16
Zusammengefasst: Für die Verlage schrumpft der Markt, auf dem sie mit gedruckten Anzeigen Werbeeinnahmen realisieren können, stetig und massiv. Im digitalen Raum sind Google und Facebook unangefochtene Platzhirsche. Kein Wunder, dass Lobigs die Aussichten für gesellschaftlich relevanten Online-Journalismus skeptisch sieht: Er werde sich auch künftig nicht aus den digitalen Werbe- oder Bezahlmärkten refinanzieren lassen.17 Die Entwicklung auf den Bezahl- bzw. Lesermärkten gibt der folgende Abschnitt wieder.
b. Lesermarkt
Die folgenden Graphen illustrieren die Entwicklung der Auflagen von Zeitungen und Zeitschriften, zeichnen die Umsatzentwicklung bei den Zeitungsverlagen nach, stellen die Kostenstrukturen der lokalen und regionalen Tageszeitungen dar und geben einen Überblick über die Abrufe digitaler Angebote.18
Tages-, Sonntags- und Wochenzeitungen
Abbildung 4 zeigt die Entwicklung der verkauften Auflage der Tages- und Sonntagszeitungen seit 2002. Die Auflage ist von knapp 28 Millionen im Jahr 2002 auf knapp 12 Millionen Exemplare im Jahr 2023 eingebrochen. Der Anstieg an E-Papern wiegt den Auflagenschwund nicht auf. 2023 waren ca. 18,9 Prozent der verkauften Auflage E-Paper. Dabei sind es vor allem die überregionalen Zeitungen, die viele davon verkaufen. E-Paper stellen laut BDZV 39 Prozent der Auflage der Überregionalen im zweiten Quartal 2022 dar. Bei den Regionalzeitungen liegt der Anteil laut BDZV bei rund 14 Prozent.19
Abbildung 4Auflagenentwicklung Tages- und Sonntagszeitungen
IVW Auflagenlisten; eigene Darstellung; Angaben jeweils zweites Quartal.
Der Auflagenschwund bei den Wochenzeitungen ist vergleichsweise moderat (Abb. 5). Ihre Auflage ist im Vergleich zu 2002 um etwa 12,7 Prozent zurückgegangen. Von den etwa 1,6 Millionen Exemplaren im zweiten Quartal 2023 handelte es sich bei mehr als einem Viertel um E-Paper.
In den Umsätzen der Jahre 2018 bis 2022 ausgedrückt fällt der Rückgang geringer aus (Abb. 6). Der Umsatz der Tages-, Sonntags- und Wochenzeitungen schrumpfte um lediglich 4,8 Prozent.
Abbildung 5Auflagenentwicklung Wochenzeitungen
IVW Auflagenlisten; eigene Darstellung; Angaben jeweils zweites Quartal.
Abbildung 6Entwicklung Anzeigen- und Vertriebsumsätze der Zeitungen 2018 bis 2022 in Mrd. Euro (Tages-, Wochen- und Sonntagszeitungen)
Darstellung nach Keller/Eggert, Zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Zeitungen 2023, S. 4.
Der geringere Umsatzrückgang lässt sich mitunter mit den gestiegenen Abonnementpreisen erklären. Kostete eine sechsmal wöchentlich erscheinende Lokal-/Regionalzeitung in den alten Bundesländern 2018 noch 35,89 Euro (Ost 35,35 Euro) im Monat, lag der Durchschnittspreis im Jahr 2022 bei 43,92 Euro (Ost 43,15 Euro).20
Knapp vier Fünftel der Tageszeitungen wurden im zweiten Quartal 2022 durch Abonnements abgesetzt (Abb. 7). Hinzu kamen beinahe 12 Prozent, die im Einzelverkauf veräußert wurden. Sonstige Verkäufe und Bordexemplare machten etwa 10 Prozent aus.
Mehr als vier Fünftel der verkauften Tageszeitungen in Deutschland sind lokale oder regionale Abonnementzeitungen. Bei knapp 7 Prozent der Tageszeitungen handelt es sich um überregionale. Die Sonntags- und Wochenzeitungen unterscheiden...
Erscheint lt. Verlag | 15.12.2023 |
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Reihe/Serie | Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses | Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Kommunikation / Medien ► Journalistik |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Bundesverfassungsgericht • Demokratie • Diskurs • finanzierungskrise • Funktionsgewährleistung • Grundgesetz • Informationsmärkte • Journalismus • Landesmedienanstalten • Medien • Medienintermediäre • Medienkrise • Medienstaatsvertrag • Medienvertrauen • Meinungsbildung • Meinungsfreiheit • Nachrichtenmedien • Nachrichtennutzung • Plattformprivileg • Presse • Presseförderung • Pressefreiheit • Pressekodex • publizistisches Ethos • Recht • Rundfunk • rundfunkauftrag • Social Media • Telemedien • Verfassung • Werbeeinnahmen |
ISBN-10 | 3-86962-674-7 / 3869626747 |
ISBN-13 | 978-3-86962-674-1 / 9783869626741 |
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