Stadtrundgang (eBook)

Erfurt im Nationalsozialismus
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
172 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-9374-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Stadtrundgang -  Franca Schneider
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Das Buch Stadtrundgang Erfurt im Nationalsozialismus ist ein Projekt des DGB-BWT in Erfurt. Als Forschung zur Lokalgeschichte hat es über 20 Jahre bis zur aktuellen Veröffentlichung gebraucht. Mit dem Buch kann man durch die Stadt Erfurt gehen und sich die einzelnen Stationen mit dem Buch ansehen.

Politische Verhältnisse in Erfurt und der Aufstieg der NSDAP


Die Wahlen von 1919

Sowohl bei den Wahlen zur Nationalversammlung als auch zur Stadtverordnetenversammlung läßt sich eine breite Zustimmung zur neuen Republik ausmachen. Auf Seiten der Arbeiterparteien wurde die USPD bei allen drei Wahlen des Jahres 1919 klar stärkste Partei und erhielt stets über 37% der Stimmen, die Mehrheitssozialdemokraten blieben in Erfurt fast die ganze Weimarer Republik über in der Minderheit und kamen bei den ersten Wahlen auf Werte zwischen 15 und 21%. Mit 31 von 60 Sitzen hatten die Arbeiterparteien eine hauchdünne Mehrheit in der ersten Stadtverordnetenversammlung. Im bürgerlichen Lager wurde die linksliberale und reformorientierte DDP mit jeweils über 20% im ersten Wahljahr die stärkste Kraft. Insgesamt zeigten sich also über 2/3 der Erfurter und auch die erstmals wahrberechtigten Erfurterinnen mit den politischen Veränderungen einverstanden.

Die Wahlen von 1924

1924 kam es zu einem Sieg der bürgerlichen Parteien. Zentrum, DDP und DVP hatten sich zur "Bürgerlichen Vereinigung" (BV) zusammengeschlossen, die allerdings nur 15% und damit 8 Sitze auf sich vereinigen konnte, später kam die DNVP mit ihren 7 Sitzen noch hinzu. Die bürgerlichen Traditionsparteien hatten damit nur 15 Sitze von 51 Sitzen errungen. Innerhalb der Bürgerparteien war es zu einer Rechtsverschiebung gekommen, die linksliberale DDP war von ihren ehemals über 20% bei der im gleichen Jahr stattfindenden Reichstagswahl auf 3,9% abgesunken, diese Wähler stimmten nun für die die Republik sehr viel skeptischer betrachtenden bürgerlichen Rechtsparteien. Das sozialistische hatte sich fast halbiert und erhielt insgesamt ebenfalls 15 Sitze, wobei die KPD mit 20% und 10 Sitzen die stärkste Fraktion von allen stellte. Auffallendstes Ergebnis der Wahl von 1924 ist die Tatsache, daß viele Erfurterinnen und Erfurter sich von den alten Parteien abwanden, denn der erkleckliche Rest der Stimmen entfiel auf lokale Vereinigungen wie die "Volkswohlfahrt", in der sich der Mieterverein engagierte, die "Wirtschaftsliste Ullrich", die überwiegend aus dem Hausbesitzerverein bestand, die "Arbeitnehmerpartei" sowie den "Berufstätigen Frauen", die sich nach der Wahl der BV anschlossen. Der "Völkisch-Soziale Block" erhielt mit knapp 10% fünf Sitze, und errang damit einen ersten Achtungserfolg für die Völkischen.

Der Durchbruch der NSDAP 1929-1933

Gelang der NSDAP in vielen Regionen Deutschlands schon 1929 der Durchbruch, so kam sie in Erfurt bei den Stadtverordnetenwahlen vom 17.11.1929 nur auf magere 3,3% und einen Sitz. Ursache dafür war das Auftreten des politischen 'Entfants terribles' Adolf Schmalix, der mit seiner Großdeutschen Volkspartei mit 10 Sitzen die stärkste Fraktion stellte und im Wahlkampf neben seinen antisemitischen Äußerungen vor allem durch sein provokantes Auftreten gegen das lokale politische Establishment aufgefallen war (vgl. Ronald Barnabas Schill). Schmalix stellte mit seiner völkischen und extrem antisemitischen Lokalpartei, die vor allem für bestimmte Teile des Kleinbürgertums attraktiv war, reichsweit keinen Einzelfall dar, auch wenn die lokale Presse wie etwa das führende bürgerliche Blatt TAZ unter der Überschrift "Erfurt begeht moralischen Selbstmord" die Besonderheit der Erfurter Wahl betonte3. In Erfurt stellten sich sowohl die Arbeiterparteien als auch die bürgerliche Elite gegen Schmalix, der seine Wählerinnen und Wähler zum einen von den traditionellen Bürgerparteien, zum anderen aus dem Kreis der lokalen Interessenvertretung erhielt. Festzuhalten bleibt, daß nicht erst die (wirtschaftlichen) Krisenphase von 1930-33 Auslöser für die Wählerwanderungen nach rechts darstellte, sondern das Feld für die NSDAP bereits vorher bestellt war. Von einer Zustimmung zu einer linksliberalen, zur Zusammenarbeit mit der SPD bereiten, bürgerlichen Politik, wie es das Wahlergebnis von 1919 widerspiegelte, verschoben sich die Gewichte auf Seiten der bürgerlichen Wähler weiter nach rechts. Nach der Wahl büßte Schmalix jedoch rasch große Teile seiner Popularität ein, da er einerseits hauptsächlich durch politische Skandale in Erscheinung trat, andererseits seine radikaloppositionelle Haltung in einigen Kernpunkten seines Programms aufgab (Beispiel: Warenhausfrage, in der er eine kommunale Sondersteuer für die großen Kaufhäuser gefordert hatte), und so für bestimmte (Protest-)Wählerkreise an Attraktivität verlor. Hitler und die NSDAP erschienen zunehmend als die konsequentere Option. Ungeachtet der programmatischen Nähe gab es eine gegenseitige scharfe Abgrenzung von Schmalix und der NSDAP, denn beide beanspruchten das völkisch-nationalistische Alleinvertretungsmonopol für sich. Trotz dieser Abgrenzung kann Schmalix als Wegbereiter der NSDAP angesehen werden. Der Niedergang der 'Schmalix-Partei' zeigte sich bereits bei den Reichstagswahlen von 1930, bei der sie vergeblich versuchte, überregional anzutreten, doch selbst in Erfurt nur noch 3% erhielt. Erstmals konnte die NSDAP mit knapp 17% einen nennenswerten Wahlerfolg in der Stadt erzielen, wenngleich die äußerste Rechte zusammengenommen sogar leicht verlor und die NSDAP hinter den Ergebnissen in der Region (Weimar: 28%, Gotha 25%) zurückblieb. Insgesamt blieb das klassische Parteienspektrum in Erfurt bei der Reichstagswahl 1930 noch einmal weitgehend erhalten.

Soziales Fundament und gesellschaftliche Position der NSDAP

Trotz des beachtlichen Stimmenanteils bei den Wahlen 1930 blieb die organisatorische Basis der NSDAP bis zur Machterlangung in Erfurt relativ schwach. Sie rekrutierte sich im Wesentlichen aus dem sozial bedrohten Mittelstand, der vorher durch die lokalen Interessenparteien politisch repräsentiert worden war. Kleine und mittlere Angestellte sowie Beamte mit einem Schwerpunkt bei Post und Bahn gehörten zum Klientel der Nazis. Die Partei zählte jedoch trotz des Wahrerfolges im September 1930 in Erfurt nur rund 150 Mitglieder, und damit in etwas soviel wie in der Kleinstadt Apolda. Im Gegensatz zu anderen Städten gelang es ihr in Erfurt auch nicht, konservative Persönlichkeiten des städtischen Lebens für sich einzunehmen. Wichtige Positionen in Politik und Vereinsleben blieben in der Hand der alten, schon im Kaiserreich bestimmenden bürgerlichen Honoratioren, deren Spektrum von der liberalen DDP bis zur DNVP reichte und die verschiedene Interessensgruppen des Wirtschafts- und Bildungsbürgertums vertraten. Zwar war es seit 1924 zu einer Abspaltung mittelständischer Interessensgruppen gekommen, die sich durch die Interessenparteien vertreten ließen. Doch diese wurden im Unterschied zur NSDAP immer noch von 'ehrbaren Bürgern' geführt, die sich trotz ökonomischer Differenzen in einem bürgerlichen Grundkonsens mit den etablierten Parteien und ihren Vertretern befanden. Die Etablierung von Vorfeldorganisationen wie dem NSBO oder anderen Vereinen mißlang mit Ausnahme der SA weitgehend, es kam auch zu keinem nennenswerten Vordringen in das sozialistische Arbeitermilieu. Auch auf propagandistisch-organisatorischer Ebene zeigte sich die Schwäche der 'Bewegung' in der Stadt. So gelang es ihr trotz des pluralen Pressespektrums in Erfurt bis 1933 nicht, eine eigene Tages- oder Wochenzeitung zu etablieren. Die Stadtverordnetenversammlung konnte ihr ebenfalls nicht als propagandistische Plattform dienen, da sie dort nur mit einem Abgeordneten vertreten war. Redner für publikumswirksame Versammlungen mußten von außen geholt werden (Frick, Sauckel, auch Goebbels). Durch die reale Machtlosigkeit fiel auch der 'Faktor Karriere' in Erfurt weg, der im benachbarten Thüringen durchaus zu Übertritten aus dem bürgerlichen Lager geführt hatte, eine Parteimitgliedschaft war bis zum 'Preußenschlag' im Juli 1932 eher hinderlich, denn die preußische Regierung ging gegen die NSDAP und ihre Organisationen mit Verboten vor (Redeverbot für Hitler und andere Nazigrößen).

Diskreditierung der bürgerlichen Rechtsparteien – der Youngplan

Der Aufstieg der NSDAP ist weniger im lokalen, als vielmehr im nationalen und internationalen Rahmen begründet. Vor allem die Kampagne gegen den Young-Plan und die Ermordung des Außenministers Stresemanns führten zu einer Polarisierung im bürgerlichen Lager. Die gemeinsam mit der NSDAP geforderte und polemisch vorgetragene Ablehnung des Youngplans durch die Rechtsparteien spaltete sie von den rechtsliberalen Kreisen ab, die mit ihrer widerwilligen Zustimmung erneut Teile ihrer Anhängerschaft verloren. Vorfeldorganisationen wie der Stahlhelm warfen ihr ganzen Gewicht für ein Volksbegehren gegen den Youngplan in die Waagschale. In Ihren Veranstaltungen – etwa am 29. September 1929 auf dem Friedrich-Wilhelm-Platz mit Fackelzug und Feldgottesdienst – wurden neben der Beschwörung der Nation vor allem an die Proletarisierungsängste des Mittelstandes appelliert. Zentrale Bedeutung kommt der Kampagne gegen den Youngplan deshalb zu, weil die NSDAP von den anderen beteiligten Organisatoren erstmals als gleichwertiger Partner anerkannt wurde – ein nicht zu unterschätzender Prestigegewinn. Zudem ermöglichten die...

Erscheint lt. Verlag 3.1.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Schlagworte Erfurt • Jüdische Geschichte • Lokalgeschichte • Nationalsozialismus • Stadtrundgang
ISBN-10 3-7583-9374-4 / 3758393744
ISBN-13 978-3-7583-9374-7 / 9783758393747
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