Cheap Land Colorado (eBook)
384 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46758-9 (ISBN)
Ted Conover (Jg. 1958) ist Journalist, Schriftsteller und lehrt als Professor an der New York University. Er gilt als ein Meister der immersiven Reportage und veröffentlichte u. a. im New York Times Magazine, dem New Yorker und im Atlantic. Er wurde mit dem National Book Critics Circle Award ausgezeichnet und für den Pulitzer Prize nominiert. Nach Vorhof der Hölle (2001) und Die Wege der Menschen (2011) ist Cheap Land Colorado sein erstes Buch bei Droemer Knaur.
Ted Conover (Jg. 1958) ist Journalist, Schriftsteller und lehrt als Professor an der New York University. Er gilt als ein Meister der immersiven Reportage und veröffentlichte u. a. im New York Times Magazine, dem New Yorker und im Atlantic. Er wurde mit dem National Book Critics Circle Award ausgezeichnet und für den Pulitzer Prize nominiert. Nach Vorhof der Hölle (2001) und Die Wege der Menschen (2011) ist Cheap Land Colorado sein erstes Buch bei Droemer Knaur.
Prolog
Es beginnt mit der Kontaktaufnahme – damit, dass man an einem Grundstück vorfährt und versucht, sich bekannt zu machen.
Allein die Vorstellung ist beängstigend: Viele Menschen leben hier draußen, weil sie niemandem begegnen wollen. Sie suchen die Einsamkeit. Beängstigend ist es auch, weil viele von ihnen dieser Vorliebe Nachdruck verleihen, indem sie ihre Auffahrt mit einem Tor versperren oder einen Hund neben der Eingangstür anketten oder ein Schild mit Zielfernrohrmotiv anbringen, auf dem steht: »Wer das lesen kann, ist in Schussweite!«
Der lokale Fachmann für unangemeldete Besuche ist Matt Little, den die soziale Einrichtung La Puente mit aufsuchender Sozialarbeit im ländlichen Raum (»Rural Outreach«) beauftragt hat. Matt nahm mich in seinem Pick-up mit, damit ich ihm bei seiner Arbeit zusehen konnte. Die Entfernungen zwischen den Haushalten in der offenen Prärie Colorados sind gewaltig. Das gab ihm Zeit, mir sein Vorgehen zu erklären, über das er viel nachgedacht hat – und das offensichtlich funktioniert: Immerhin ist diese Arbeit sein täglich Brot, und er wurde in den letzten drei Monaten nicht erschossen.
Sollten Sie glauben, die Checkliste sei kurz, irren Sie sich. Bevor man sich auch nur in die Nähe eines Grundstücks begibt, muss man sich erst einmal klarmachen, was für einen Eindruck man hinterlässt. Matt fährt einen Ford Ranger Baujahr 2009 mit einem magnetischen »La Puente«-Schild an der Tür. Nichts Schickes. Auch Matt ist nicht gerade schick: Er ist neunundvierzig, Veteran, war auf zwei Einsätzen im Irak; er ist ein schmaler Mann aus der Provinz West Virginias, der gerne lächelt. Er raucht Zigaretten und trägt manchmal einen Bart. Er rät mir, kein blaues Hemd anzuziehen, da Blau die Farbe der Bauaufsichtsbehörde in Costilla County sei, und mit denen willst du nicht verwechselt werden. La Puente hat ihm einen weinroten Kapuzenpullover und ein Poloshirt mit Logo bestellt, und für gewöhnlich trägt er entweder den einen oder das andere zu Jeans und Stiefeln.
Häufig fährt er öfter als einmal an einer Behausung vorbei, bevor er tatsächlich anhält, um sie auszukundschaften. Flattert da eine amerikanische Flagge? Das bedeutet oft eine Schusswaffe im Inneren. Liegen Kinderspielsachen herum? Ist da ein kleines Gewächshaus oder ein hinter einem Zaun verstecktes Fleckchen, das darauf hinweist, dass Cannabis angebaut wird? (Zu Beginn dachte ich, das sei ein gutes Zeichen, da Cannabis Menschen tendenziell entspannt. Doch da widersprach mir Matt vehement. »Eine ausgewachsene Pflanze ist unter Umständen mehrere Tausend Dollar wert und begehrtes Diebesgut!«) Wichtiger noch aber ist, ob die Bleibe bewohnt ist. Sind da frische Reifenspuren? Kommt Rauch aus dem Schornstein? Zahlreiche Behausungen in der Prärie stehen leer oder sind nur im Sommer bewohnt.
Matt war ein Grundstück aufgefallen, auf dessen mit Stacheldraht umzäuntem Inneren jemand Wälle errichtet hatte. Er sah Patronenhülsen und vermutete, dass es sich bei dem Bewohner um einen Veteranen mit psychischen Problemen handelte: »Ich dachte mir, der spielt Krieg und stellt nach, was er durchlebt hat.« Er fuhr hin, um es mir zu zeigen. Das Grundstück lag am Ende einer Sackgasse, was es erschwerte, so zu tun, als würde man einfach nur vorbeifahren.
Matt erzählte, er habe die ersten Male am Ende der Straße angehalten, der Person, die ihn womöglich beobachtete, zugewinkt und sei dann umgekehrt. So machte er einen Monat lang weiter und winkte oder hupte, ohne zu verweilen, bis er eines Tages einen Mann vor dem Haus sah, der Tarnkleidung trug. Matt parkte seinen Truck und stieg aus.
»Ich bin Matt von La Puente«, sagte er. »Ich habe ein bisschen Feuerholz dabei.« Er zeigte auf das Holz auf der Ladefläche seines Trucks, etwas Nützliches, das sich sein Arbeitgeber als Markenzeichen, als Eisbrecher ausgedacht hatte.
Der Mann griff nach einem AK-47. »Du bist ein verdammt zähes Arschloch«, sagte er. Dann: »Was soll es kosten?«
»Es ist gratis«, sagte Matt.
Der Kerl ging auf das Tor zu, öffnete es und winkte Matt hinein.
Normalerweise, erklärte mir Matt, treffe man niemanden draußen an, das Prozedere sei also, am Ende der Auffahrt anzuhalten und zu hupen. Beim ersten Lebenszeichen stieg Matt meist aus seinem Truck, sodass man ihn, eine (hoffentlich) nicht bedrohlich wirkende Gestalt, sehen konnte. Manchmal ließ er Feuerholz, eine Visitenkarte mit seiner Handynummer oder das Angebot zurück, wiederzukommen, sollten die Betreffenden Nahrungsmittel oder Unterstützung beim Ausfüllen eines Antrags benötigen oder eine Mitfahrgelegenheit für einen Arzttermin in der Stadt oder jemanden, der ein Medikament für sie abholte.
Ich passte gut auf, da ich bald selbst anfangen sollte, als Ehrenamtlicher für La Puente zu arbeiten. Es schien eine gute Vorgehensweise, um isoliert lebende Präriebewohner kennenzulernen, und Matt sagte, er könne meine Unterstützung gebrauchen.
Ich setzte mir drei neue Kontakte pro Tag als Ziel. La Puente lieh mir ein »Rural Outreach«-Schild für die Tür meines Pick-ups. Ich wählte eine Gegend und fuhr sie so langsam wie möglich ab, ohne verdächtig auszusehen. Ich ging davon aus, dass viele der Unterkünfte, die ich auskundschaftete, verlassen waren.
Schließlich entschied ich mich für ein Grundstück mit einer kurzen Auffahrt, da ich mir dachte, dass es so schwerer sei, mich zu ignorieren, und einfacher, mich einzuschätzen. Es war ein bescheidenes Haus, vor dem allerlei Müll und Schrott herumlag, darunter kaputte Fahrzeuge, doch anhand der Spuren auf der staubigen Schotterpiste konnte ich sehen, dass jemand hinein- und herausgefahren war. Ich hielt an und betätigte meine Hupe. Genau in dem Moment bemerkte ich, dass sich jemand in dem Jeep Wagoneer vor dem Haus befand. Ich ließ mein Fenster herunter. Kurz darauf öffnete auch er sein Fenster einen Spaltbreit. Ich stieg aus meinem Truck, und um mein Selbstbewusstsein und meine guten Absichten unter Beweis zu stellen, ging ich zu ihm hinüber.
»Hi, ich bin Ted von La Puente«, sagte ich.
»Hey«, sagte er. Seine grüne Corona-Bier-Baseballkappe hatte die gleiche Farbe wie seine Augen.
Ich erzählte ihm von dem Feuerholz.
»Normalerweise nehme ich keine Almosen und so an.«
»Verstehe ich«, erwiderte ich. Er sei gerade aus der Entzugsklinik zurück, sagte er. Weswegen er dort gewesen sei, erkundigte ich mich. Opioide, lautete seine Antwort.
»Und wie geht es Ihnen jetzt?«, fragte ich.
»Ganz gut bislang. Möchten Sie eine Limo?« Er bot mir eine Sprite an, die ich gerne annahm.
Es war November und kalt und windig, und ich hatte meine Jacke im Auto gelassen. Ich hätte sie mir wohl besser geholt, hoffte aber, dass er mich jeden Augenblick in seinen Truck bitten würde, in dem es so warm war, dass ihm ein T-Shirt genügte; auf dessen Vorderseite stand »Single and Ready to Jingle«.
Er bat mich nicht in sein Auto, wollte sich aber unterhalten, und bald darauf erzählte er mir, dass er einmal, als er weg war, einen Kerl in seinem Haus hatte wohnen lassen. Dann, als er zurückkam, gerieten die beiden aneinander, und der Kerl schoss auf ihn. »Genau hier.« Er hielt mir seinen Arm hin, um mir eine große verwachsene Narbe zu zeigen.
Anstatt auf einen Einsiedler zu treffen, dem ich jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen musste, fand ich mich in Gesellschaft eines gesprächigen, kontaktfreudigen Menschen, der ganz offensichtlich jemanden zum Reden brauchte … auch wenn er mich nicht in sein Auto lassen wollte.
Hupend versuchte ich mein Glück bei drei weiteren Behausungen, deren Besitzer gerade entweder nicht da waren oder in denen niemand wohnte, und fuhr jedes Mal mit dem Gefühl davon, mich zum Narren gemacht zu haben. Doch dann erblickte ich unweit der Straße ein bescheidenes Häuschen mit einem Pferd auf einer kleinen Koppel und ein paar Hühnern in einem Gehege. Ich hielt am Tor an und hupte. Augenblicklich wurde ich von mehreren Heelern umringt. Ein paar der Hunde knurrten mich an, also machte ich besänftigende Geräusche und hoffte das Beste. Nach ein paar Minuten erschien ein etwa sechzig Jahre alter Hispanic und lief aus etwa fünfzig Metern Entfernung auf das Tor zu. Während er herüberschlenderte, las ich eine amtliche Mitteilung des County, die an einen Zaunpfahl geheftet war. »Unterlassungsklage« stand darauf zu lesen.
»Sind sie wegen der fehlenden Kläranlage hinter Ihnen her?«, fragte ich. Es war ein weitverbreitetes Problem.
»Nein, wegen der Steuern«, sagte der Mann. »Sie haben keine Rechnung geschickt. Ich kooperiere mit ihnen.« Ich bot ihm Holz an, das er annahm, und neue Bettwäsche, die ich zufälligerweise dabeihatte, doch die lehnte er ab (»Ich schlaf in meinen Klamotten«). Er sagte, er sei einem Gericht zehn Stunden gemeinnützige Arbeit schuldig, und fragte, ob er sie bei La Puente ableisten könne. Ich gab ihm die Telefonnummer des Büros und ermutigte ihn, anzurufen. Wir verabschiedeten uns, und ich stieg wieder in meinen Truck. Ich drehte den Zündschlüssel um und … nichts. Beschämt hupte ich erneut. Abermals wurde ich von den Hunden belagert. Der Mann kam wieder heraus und bot mir ohne Umschweife Starthilfe an – es lag auch in seinem Interesse, da ich sein Tor blockierte.
Bei der nächsten Adresse, die ich ins Visier nahm, kam mir das Wort »Wagenburg« in den Sinn. Eine Ansammlung alter Fahrzeuge – darunter ein Lincoln, ein Wohnwagen, ein Pick-up, ein VW-Bus sowie ein SUV – bildeten etwa drei Viertel eines Kreises, wie ein...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2024 |
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Übersetzer | Christiane Bernhardt |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
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ISBN-10 | 3-426-46758-5 / 3426467585 |
ISBN-13 | 978-3-426-46758-9 / 9783426467589 |
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