Jura not alone (eBook)

12 Ermutigungen, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern
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2024 | 1. Auflage
282 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45683-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Jura not alone -  Nora Markard,  Ronen Steinke
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Mit Recht wird Politik gemacht. Mit Gesetzen und Urteilen werden gesellschaftliche Hierarchien befestigt, werden Menschen beherrscht. Aber Recht ist zugleich auch ein Mittel zur Befreiung von Herrschaft, zur Emanzipation für Minderheiten, die sich damit gegenüber einer Mehrheit behaupten. Es ist ein Instrument, mit dem sich auch für Verbesserungen kämpfen lässt - wenn man weiß wie. Die Juraprofessorin Nora Markard und der Jurist und Journalist Ronen Steinke zeigen anhand von Beispielen aus zwölf zentralen Rechtsgebieten, wie Veränderungen mit den Mitteln des Rechts gemeinsam erkämpft werden können - vom Klimaschutz über die Geschlechterverhältnisse bis hin zu den Menschenrechten. Leicht verständlich und anschaulich geschrieben, laden sie damit alle, die sich für Politik interessieren, zur Einmischung ein. Denn Jura geht uns alle an. In zwölf Kapiteln behandelte Rechtsbereiche: Klimaschutzrecht - Können wir mit Jura den Planeten retten? Grundrechte - Wer kommt mit nach Karlsruhe? Demokratie - Wie stabil sind wir gegen eine Übernahme von rechts? Polizeirecht - Wie setzen wir der Staatsgewalt Grenzen? Strafrecht - Was hilft gegen sexistische Paragrafen? Eigentum - Was steht wem zu? Familienrecht - Wie ermöglichen wir Vielfalt? Arbeitsrecht - Wie kämpfen wir gegen Ausbeutung? Asylrecht - Was soll das mit den Grenzen? Sozialrecht - Wie geht Solidarität? Völkerrecht - Kann Recht gegen Macht gewinnen? Menschenrechte - Wie verteidigen wir einander weltweit?

Nora Markard, geb. 1978, ist eine deutsche Juristin, die auf den Gebieten Völkerrecht, Verfassungsrecht und Legal Gender Studies arbeitet. Sie ist Professorin an der Universität Münster und hat dort einen Lehrstuhl für Internationales Öffentliches Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz. Sie studierte Rechtswissenschaft an der FU Berlin, Master of Arts am King's Kollege London, Promotion an der HU Berlin. Nora Markard ist Mitgründerin und Mitglied im Vorstand der Organisation »Gesellschaft für Freiheitsrechte«, die bereits mehrere Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen hat.

Nora Markard, geb. 1978, ist eine deutsche Juristin, die auf den Gebieten Völkerrecht, Verfassungsrecht und Legal Gender Studies arbeitet. Sie ist Professorin an der Universität Münster und hat dort einen Lehrstuhl für Internationales Öffentliches Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz. Sie studierte Rechtswissenschaft an der FU Berlin, Master of Arts am King's Kollege London, Promotion an der HU Berlin. Nora Markard ist Mitgründerin und Mitglied im Vorstand der Organisation »Gesellschaft für Freiheitsrechte«, die bereits mehrere Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen hat. Ronen Steinke, geb. 1983, ist promovierter Jurist, Journalist und Bestsellerautor. Er studierte Rechtswissenschaft an der Bucerius Law School in Hamburg und in Tokio und arbeitete danach in Anwaltskanzleien, einem Jugendgefängnis und am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Seit 2017 arbeitet er als rechtspolitischer Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung mit Sitz in Berlin vor allem über Rechtspolitik und Extremismus. Bekannt wurde er durch seine Biografie Fritz Bauers, des einstigen hessischen Generalstaatsanwalts, die 2015 verfilmt wurde.

GRUNDRECHTE


Wer kommt mit nach Karlsruhe?

Bijan Moini kann nicht schlafen. Er ärgert sich, dass er zugestimmt hat, sich mit einem Kollegen in Karlsruhe ein Hotelzimmer zu teilen. Jetzt hört er ihn schnaufen und kriegt kein Auge zu. Aber wenn er ehrlich ist, ist sein Kollege nicht das Problem. Er ist einfach nur wahnsinnig nervös. So nervös wie zuletzt vor seiner ersten Staatsexamensklausur. Denn am nächsten Morgen wird er vor einem ganz besonderen Gericht stehen: dem Bundesverfassungsgericht.

Vor den höchsten Richter:innen des Landes wird er zum ersten Mal eine Verfassungsbeschwerde vortragen, die erste, an der er überhaupt je beteiligt gewesen ist. Es geht um eine Frage, die das Gericht so noch nie beschäftigt hat, von der aber viel abhängt: Gibt es Situationen, in denen sich deutsche Behörden nicht an die Grundrechte halten müssen?

Das Gericht sitzt im beschaulichen Karlsruhe, weit weg vom Berliner Zentrum des politischen Geschehens, in einem schlichten Betonbau mit großen Glaselementen. Hier ganz in der Nähe ist Bijan Moini geboren, als Kind von deutsch-iranischen Eltern, die kurz nach der iranischen Revolution nach Westdeutschland geflohen sind. Als Schüler plante er, in Dresden Internationale Beziehungen zu studieren, aber das klappte nicht. Also bastelte er sich das interdisziplinäre Studium auf eigene Faust in München zusammen. Und fand Jura so spannend, dass er auch das Referendariat dranhängte, also die praktische Ausbildung, die auf das erste Staatsexamen folgt. Seitdem wohnt er in Berlin, wo er als Referendar eine dreimonatige Ausbildungszeit beim Bundesinnenministerium ergatterte. Da geht es um ein Thema, das ihn umtreibt: Wie viel Freiheit lässt die Sicherheit noch übrig?

In der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, so hat auch Bijan Moini es ab dem ersten Semester Jura gelernt, steht ganz vorne: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Das ist der erste Satz des Grundgesetzes. Artikel 1, Absatz 1. Der zweite Satz: »Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Aller staatlichen Gewalt, das steht da mit Absicht so deutlich. Noch klarer ist Artikel 1 Absatz 3: »Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.« Die Grundrechte sind also für staatliche Behörden verbindlich, vom Bundesministerium über die Landespolizeiämter bis hin zur Kommunalverwaltung.

Nur eine Behörde ist der Meinung, dass das für sie nicht gilt. Sie sitzt in einem riesigen Koloss von einem Gebäude, mitten in Berlin. Wie eine moderne Festung steht es da. Bijan Moini fährt inzwischen oft daran vorbei. Eben waren da noch Cafés und eilende Menschen, die aus der Straßenbahn ausstiegen, sich vor Geschäften drängelten, zur Schule oder Arbeit wollten, und plötzlich erhebt sich an der Chausseestraße dieses monumentale, eigenwillige Gebäude. Etwas von der Straße abgerückt, umgeben von einem hohen Zaun und Videokameras. Es ist so lang wie ein ICE, mehr als 300 Meter, und es thront sieben Stockwerke hoch. Seine Grundfläche ist viermal so groß wie jene des Reichstags. Alle Fenster sehen gleich aus. Es sind kleine Schlitze, sie wirken wie Schießscharten.1

Wenn er die Berliner Chausseestraße entlangradelt, kann er im Vorbeifahren die Schrift an einem der Eingänge lesen, unter einem großen, schwarzen Bundesadler steht: »Bundesnachrichtendienst«. Dies ist die Zentrale der deutschen Auslandsspionage, undurchsichtig und abgeschottet mitten im Trubel der Hauptstadt. Von hier aus koordinieren und analysieren die Geheimagent:innen des BND ihre Aufklärungsarbeit rund um den Globus.

Was am Eingang nicht steht: »Achtung, Sie verlassen den Geltungsbereich des Grundgesetzes.«

Die verborgene Welt des Geheimdienstes


Trotzdem ist der BND der Meinung, dass seine Agent:innen bei ihrer Späh- und Lauscharbeit im Ausland auf Grundrechte keine Rücksicht nehmen müssen. Wenn sie zum Beispiel unbemerkt per Satellit abgefangene Telefongespräche mithören, diskrete politische Besprechungen aus anderen Ländern, die eigentlich nicht für ihre Ohren bestimmt sind. Oder wenn sie mit geheimen Suchbegriffen massenhaft E-Mails und Textnachrichten auswerten, die sie nach der Staubsaugermethode aus einem riesigen Internetknotenpunkt holen.

Ein Geheimdienst arbeitet natürlich verdeckt, er verrät seine Tricks nicht in der Öffentlichkeit, das ist in Deutschland nicht anders als zum Beispiel in den USA, beim dortigen Auslandsgeheimdienst CIA, oder in Großbritannien beim MI6.2 Aber Bijan Moini hat sich schon immer für diese verborgene Welt interessiert, und er weiß: Man muss kein politischer Insider sein, es genügt schon, dass man in den vergangenen Jahren Zeitung gelesen hat, um über einige der Arbeitsweisen des BND ziemlich zu staunen.

Dass diese Arbeitsweisen ans Licht gekommen sind, verdanken wir einem Studienabbrecher: Edward Snowden. Der in North Carolina in den USA aufgewachsene Sicherheitstechniker Snowden ist nur ein Jahr älter als Bijan Moini, aber sein Leben verlief völlig anders. Denn Snowden ist das geworden, was man einen Whistleblower nennt: Jemand, der öffentlich Alarm schlägt, weil etwas ganz gewaltig schief läuft und niemand etwas dagegen tut.

Snowden arbeitete als Systemadministrator für ein privates Beratungsunternehmen der US-amerikanischen National Security Agency (NSA), im Kunia Regional SIGINT Operations Center3, einem unterirdischen Bunker auf der Insel Oahu im US-Bundesstaat Hawaii. Dort hatte er Zugang zu Informationen über die geheimen Software-Programme der US-Regierung zur Überwachung der weltweiten Internetkommunikation, mit mysteriösen Namen wie XKeyscore oder Prism. Mit solchen Programmen überwacht die NSA nicht nur mögliche Terrorist:innen oder ausländische Spion:innen, sondern sie durchforstet auch die E-Mails und internetbasierte Telekommunikation von Millionen gänzlich unbescholtenen Menschen. Denn die Programme durchsuchen große Datenmassen nach Mustern und geheimen Schlagwörtern, und da heißt es für die NSA: Mehr ist mehr. »Strategische Überwachung« nennen Geheimdienste das: Man überwacht nicht jemanden oder etwas Bestimmtes, sondern man schaut, was man im weit ausgeworfenen Netz so findet. Top secret waren die Dokumente, zu denen Edward Snowden Zugang hatte, das ist die höchste Geheimhaltungsstufe.

Die Größenordnung der Überwachung durch die NSA schockierte Snowden; vor allem, dass die Öffentlichkeit keine Ahnung davon hatte. 2013 entschloss er sich zu einer drastischen Maßnahme: Er kopierte riesige Datenmengen auf eine kleine Speicherkarte, meldete sich krank und flog nach Hongkong, von wo aus er die geheimen Unterlagen an die britische Tageszeitung The Guardian und an die Washington Post schickte. Wenig später gab er seine Identität preis.4

Als die Bombe platzte, war zufällig auch Bijan Moini gerade in Hongkong, als Referendar bei einer Anwaltskanzlei. Er war elektrisiert von Snowdens Mut und überlegte sofort, ob und wie er ihm helfen könnte. Doch um der Auslieferung in die USA zu entgehen, setzte sich Snowden da schon nach Russland ab; eigentlich hatte er weiter nach Ecuador fliehen wollen, doch er blieb in Moskau stecken und lebt dort bis heute.

Die Enthüllungen schlugen weltweit Wellen. Denn Edward Snowden brachte nicht nur die US-Praxis ans Tageslicht, bis hin zum Abhören des Handys der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er machte durch seine Leaks auch öffentlich, wie viele andere Geheimdienste mit der NSA zusammenarbeiteten und ebenfalls im großen Stil abhörten.

So auch der deutsche BND.

Grenzenlose Daten-Überwachung


Der Berliner Klotz mit den Schießschartenfenstern befand sich damals gerade im Bau, der BND residierte noch im bayerischen Pullach. Dort war der Dienst durch eine hohe Mauer von der Außenwelt abgeschottet. Anfangs, in den 1950er-Jahren, wohnten die Mitarbeiter:innen sogar noch auf dem Gelände, wo es einen Kindergarten, Läden, sogar einen Friseursalon gab.5

Von diesem beschaulichen Ort aus betrieb der BND seit 2002 für die...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2024
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Schlagworte Aktivist • Booktok • Bürgerliches Gesetzbuch • Demokratie • Gesetzgebung • Grundgesetz • Jura studieren • Jurastudium • Kritische Juristinnen • Kritische Justiz • politischer Aktivismus • Rechtsordnung • Rechtsstreit • Rechtswissenschaft • Strafgesetzbuch • Teilhabe • TikTok • Verfassung
ISBN-10 3-593-45683-4 / 3593456834
ISBN-13 978-3-593-45683-6 / 9783593456836
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