Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen (eBook)
240 Seiten
Berlin Verlag
978-3-8270-8090-5 (ISBN)
Hendrik Cremer, Dr. jur., geboren 1971, arbeitet beim Deutschen Institut für Menschenrechte. Zu seinen langjähren Arbeitsschwerpunkten gehören Rassismus und Rechtsextremismus. Er studierte Jura und arbeitete anwaltlich in den Bereichen Aufenthalts- und Sozialrecht. Seine Promotion verfasste er über die Rechtstellung unbegleiteter geflüchteter Minderjähriger nach der UN-Kinderrechtskonvention. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und war schon häufig im Bundestag und in Landtagen als Sachverständiger geladen. Er war Mitglied der 2019 von der damaligen Bundesregierung einberufenen Unabhängigen Kommission Antiziganismus, die ihren Abschlussbericht 2021 veröffentlicht hat.
Hendrik Cremer, Dr. jur., geboren 1971 in Dorsten, arbeitet beim Deutschen Institut für Menschenrechte. Zu seinen langjähren Arbeitsschwerpunkten gehören Rassismus und Rechtsextremismus. Er studierte Jura und arbeitete anwaltlich in den Bereichen Aufenthalts- und Sozialrecht. Seine Promotion verfasste er über die Rechtstellung unbegleiteter geflüchteter Minderjähriger nach der UN-Kinderrechtskonvention. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und war schon häufig im Bundestag und in Landtagen als Sachverständiger geladen. Er war Mitglied der 2019 von der damaligen Bundesregierung einberufenen Unabhängigen Kommission Antiziganismus, die ihren Abschlussbericht 2021 veröffentlicht hat.
1_Was heißt »rechtsextrem«?
Rechtsextremes Gedankengut ist dadurch gekennzeichnet, dass es bestimmte Menschen als »Andere« kategorisiert und abwertet. Dabei bilden insbesondere rassistische und/oder antisemitische Positionen, die sich gegen die absoluten Garantien der Menschenrechte richten, die Kernelemente rechtsextremer Programmatik. Sie zielen nicht nur auf die fundamentalen Grundlagen des Grundgesetzes und damit auf die Beseitigung der freiheitlichen rechtsstaatlichen Demokratie. Sie laufen erfahrungsgemäß auch auf die Anwendung und Legitimierung von Gewalt hinaus. Woher kommen die absoluten Garantien der Menschenrechte und wie legitimieren sie sich? Um das zu verstehen, müssen wir zunächst noch einen Schritt zurückgehen und fragen: Welches Recht meinen wir, wenn wir über Menschenrechte reden?
»Menschenrechte« – was heißt das eigentlich?
Beginnen wir mit einem Beispiel: In einem »Sommerinterview« 2023 sprach sich der Thüringer AfD-Chef und Meinungsführer der Gesamtpartei Björn Höcke dafür aus, behinderte Kinder vom Regelunterricht auszuschließen. Sie seien »Belastungsfaktoren« und Inklusion nur ein »Ideologieprojekt«. Daraufhin kommentierte die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele: »Inklusion ist ein Menschenrecht und kein ›Ideologieprojekt‹. (…) Heute sind es Migranten und geflüchtete Menschen, Menschen mit Behinderungen und Frauen, denen die AfD dreist und unverhohlen ihre Rechte abspricht, morgen sind es vielleicht schon Seniorinnen und Senioren, Pflegebedürftige und ärmere Menschen.«[16]
Beide Aussagen bringen die gegensätzlichen Haltungen zum Thema Menschenrechte perfekt auf den Punkt: Für Bentele gilt es, die Menschenrechte, so wie sie in unserer Verfassung verankert sind, zu verteidigen. Für Höcke sind Menschenrechte nichts anderes als »Ideologieprojekte« – die es abzuschaffen gelte –, das widerspricht unserer Verfassung und ist in autoritären Regimen verbreitet.
Menschenrechte sind Rechte, die sich aus der Würde des Menschen herleiten und begründen lassen: Rechte, die unveräußerlich, unteilbar und unverzichtbar sind. Sie stehen allen Menschen zu, unabhängig davon, wo sie leben, und unabhängig davon, wie sie leben.
Die Ursprünge der Menschenrechte reichen weit zurück bis in die Antike. Doch erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts begann ein umfassender Prozess ihrer Normierung auf nationaler und internationaler Ebene. Neben nationalen Schutzmechanismen gibt es eine Vielzahl internationaler Übereinkommen, die dem Schutz der Menschenrechte dienen.
Auch in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland spielen Menschenrechte eine zentrale Rolle. Die im deutschen Grundgesetz verankerten Menschenrechte nennt man Grundrechte. Der Katalog der Grundrechte, der sich am Anfang des Grundgesetzes findet, enthält eine ganze Reihe allgemeiner Menschenrechte – also Rechte, auf die sich jede und jeder berufen kann. Dazu gehört etwa das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG)), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 GG), die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit (Artikel 4 GG) oder das Recht der freien Meinungsäußerung (Artikel 5 Abs. 1 GG).
Die Grundrechte binden alle staatliche Gewalt, in allen ihren Ausprägungen und Aktivitäten: Der Gesetzgeber muss sie etwa beim Erlass, die vollziehende Gewalt bei der Anwendung und die Gerichte bei der Auslegung von Gesetzen beachten (Artikel 1 Abs. 3 GG). Die Menschen in diesem Land haben zudem die Möglichkeit, von Gerichten überprüfen zu lassen, ob ihre Rechte hinreichend gewährleistet werden. Als wichtiges Instrument des Grundrechtsschutzes existiert auch die Verfassungsbeschwerde. Danach kann sich jede Person an das Bundesverfassungsgericht mit der Behauptung wenden, durch die öffentliche Gewalt in ihren durch das Grundgesetz gewährleisteten Grundrechten verletzt zu sein. Mit diesem außerordentlichen Rechtsbehelf können grundsätzlich alle Akte der gesetzgebenden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt angefochten werden. Die Verfassungsbeschwerde dient somit dem Schutz der Grundrechte.
Dem Bekenntnis des Grundgesetzes zu den Menschenrechten entspricht, dass die Bundesrepublik Deutschland die zentralen Internationalen Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte unterzeichnet und anerkannt hat. Hierzu gehört auch das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) von 2006, in dem, wie von Verena Bentele zutreffend hervorgehoben, Inklusion als menschenrechtliches Prinzip verankert ist. Die menschenrechtlichen Konventionen des Europarats und der Vereinten Nationen sind in Deutschland unmittelbar geltendes Recht und gelten für alle staatlichen Stellen. Sie geben außerdem wichtige Anregungen und Impulse für die nationale Gesetzgebung. Das heißt: Sie sind bei der Auslegung des Grundgesetzes, bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite des Rechtsstaatsprinzips und der Grundrechte sowie bei der Auslegung des einfachen Rechts zu berücksichtigen.[17]
Menschenrechte dienen der Begrenzung staatlicher Macht, sie sollen von Staaten anerkannt, in ihren Rechtssystemen verankert und geschützt werden.
Rechtsextreme folgen demgegenüber ihrer eigenen national-völkischen Ideologie. Sie lehnen universelle Menschenrechte ab – die aber in Demokratien wie der Bundesrepublik Deutschland in der Verfassung verankert sind. Damit stehen Rechtsextreme nicht auf dem Boden des Grundgesetzes.
Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz: Der absolute Kern der freiheitlichen rechtsstaatlichen Demokratie
Den Ausgangspunkt für die Kodifizierung der Menschenrechte im Rahmen verbindlicher Menschenrechtsabkommen auf internationaler Ebene bildete die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948. Dabei ist die Erklärung insbesondere als Reaktion auf die Menschheitsverbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands zu verstehen. Die Erklärung weist in ihrer Präambel explizit darauf hin, dass »die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben«.[18] Vor diesem historischen Hintergrund ist auch die Entstehungsgeschichte der 1950 in Kraft getretenen Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu sehen.[19] Die Menschenrechte wurden ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Gegenstand zahlreicher Menschenrechtsverträge und damit zum zentralen Bestandteil des Völkerrechts.
Auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 1949 ist als Antwort auf die Verbrechen des Nationalsozialismus zu begreifen.[20] Es bekennt sich ausdrücklich zu den Menschenrechten als Grundlage einer menschlichen Gemeinschaft und von Frieden und Gerechtigkeit (Artikel 1 Abs. 2 Grundgesetz).
Die Menschenrechte zeichnen sich durch ihren universellen Anspruch aus und enthalten einen absoluten Kern: Es handelt sich um Grundprinzipien, die die Menschenrechte ausmachen und daher für ihre Geltung unabdingbar sind. Diese unabdingbaren Grundlagen der Menschenrechte sind konstitutiv für den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat. Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 fasst sie prägnant zusammen: »Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.«
Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sind diese Grundprinzipien der Menschenrechte in Artikel 1 Abs. 1 verankert, der den Ausgangspunkt und zugleich dessen zentrale Bestimmung bildet.[21] Dort heißt es: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.« Die hier verankerte Garantie bedeutet, dass jeder Mensch allein aufgrund seines Menschseins die gleiche Menschenwürde und gleiche Rechte hat.[22] Das heißt: Menschen dürfen nicht zum Objekt und zum Gegenstand willkürlichen staatlichen Handelns werden. Jedem Menschen steht gleichermaßen ein Achtungsanspruch zu,[23] wobei der Staat die Menschenwürde umfassend zu achten und zu schützen hat.[24]
Da die Menschenwürde jedem Menschen aufgrund seines Menschseins zukommt, ist sie nur als gleiche Würde aller...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | AfD • Alice Weidel • Antisemitismus • Björn Höcke • Demokratieverdrossenheit • Es ist 5 vor 1933 • Faschismus • Gefahr von rechts • Gewalt • Marcus Bensmann • Philipp Ruch • Rassismus • Rechtsextrem • Rechtsextreme • rechtsextreme Gewalt • Rechtspopulismus • rechtspopulistisch • Rechtsradikale |
ISBN-10 | 3-8270-8090-8 / 3827080908 |
ISBN-13 | 978-3-8270-8090-5 / 9783827080905 |
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Größe: 6,4 MB
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