Befreit (eBook)
288 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-30949-7 (ISBN)
Die Entführung von Johannes Erlemann gehört zu den spektakulärsten Verbrechen der Nachkriegszeit. Der Sohn des international agierenden Investors Dr. Jochem Erlemann ist elf Jahre alt, als er im März 1981 von drei Männern überfallen und brutal in ihre Gewalt gebracht wird. Schnell vermutet die Polizei in den Tätern Geschäftspartner seines berühmten Vaters, der mit seinen cleveren Konzepten Finanzgeschichte schrieb und die Bundesregierung mitunter schon mal zu Gesetzesänderungen nötigte. Denn kurz vor Johannes Entführung wird sein Vater mit dem Verdacht auf Steuerhinterziehung in Untersuchungshaft festgesetzt. Johannes Erlemanns einzige Hoffnung: Er selbst. Er gibt nicht auf und kämpft sich durch unvorstellbare Abgründe seines kleinen Lebens. Nach Zahlung der höchsten Lösegeldsumme, die jemals in Deutschland für eine Kindesentführung bezahlt wurde, kommt er frei.
40 Jahre später begibt sich Johannes Erlemann auf die Suche nach seiner verlorenen Kindheit. Die schonungslose Konfrontation lehrt ihn einen versöhnlichen Umgang mit dem Schicksal. Erstmals erzählt Erlemann nun in bewegenden Worten von seiner lückenlosen Aufarbeitung dieser einzigartigen Kriminalgeschichte. Und davon, warum er heute sein Leben mit allen Höhen und Tiefen gegen nichts eintauschen würde. Eine inspirierende Geschichte, die Hoffnung und Mut im Umgang mit schweren Krisen macht. Aber auch eine spannende Zeitreise, ein echter Wirtschaftskrimi und ein Gesellschaftsportrait zugleich.
Mit 16-seitgem Bildteil
Jetzt auf RTL+: Der Spielfilm »Entführt - 14 Tage Überleben« und die Dokumentation »Lebenslänglich Erlemann«
Johannes Erlemann, geboren 1969, wuchs als Sohn des international agierenden Investors Dr. Jochem Erlemann auf und verbrachte weite Teile seiner Kindheit in Südfrankreich und Tirol.
»WENN MIR EINES ZUWIDER IST, DANN IST ES PROVINZIALITÄT.«
Wie die Siebziger mein Lebensgefühl prägten und die Leibwache von Staatsminister Wischnewski mir das wahre Gesicht meines Vaters zeigte.
Ennio Morricones »Spiel mir das Lied vom Tod« tönt aus den Lautsprechern. Papi läuft rüber und dreht die Anlage mit ordentlich Druck voll auf. Jetzt dauert es nur noch wenige Sekunden und schon fliegt die erste Smirnoff-Flasche an ihm vorbei. Sie kracht mit wildem Getöse in die Cimbali-Espressomaschine. Das ging daneben. Aber egal. Die nächste Wodkaflasche ist schon unterwegs und rauscht über die Theke, die sich einmal quer durch die Bar in den Katakomben des ehrwürdigen Jagdschlosses Kühtai erstreckt.
Wir sind in Tirol auf 2020 Höhenmetern. Es ist fünf Uhr morgens in einer jener Nächte, die nicht enden dürfen. Nur noch die engsten Freunde sind da, man ist unter sich und es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand auf die Idee kommen würde, die Schallplatte mit dem Soundtrack zu Spiel mir das Lied vom Tod aufzulegen. Sobald diese Musik läuft, weiß jeder, was er zu tun hat.
Während der Kellner eilig versucht, das wertvollste Interieur in Sicherheit zu bringen, holt der Barchef reihenweise Sechserkisten mit Wodka aus dem Lager. Prinz Michael von Preußen packt schon mal die Flaschen aus den Kisten. Papi hat bereits mit strengem Blick seine John-Wayne-Haltung eingenommen und Mami ihre Position am anderen Ende der Theke. Sie ist die »Fängerin«. Das heißt, sie schnappt die Flaschen, die über die Theke hinausfliegen, und feuert sie über den Handlauf am Tresen wieder zurück zum Absender. Das kann sie unheimlich gut.
Mainhardt Graf von Nayhauß, ein bedeutender Journalist und Bundesverdienstordenträger aus Bonn, versucht sich derweil davonzustehlen. Ihm ist dieses Spiel peinlich.
»Maini! Bleib hier!«, ruft Gräfin Plettenberg oder besser gesagt »Bügelhügel«, wie wir sie liebevoll nennen. Bügelhügel zieht einmal kräftig an ihrer verlängerten Zigarettenspitze und ergänzt mit tiefrauchiger Stimme: »Du willst mich doch nicht mit diesen Verrückten hier alleinlassen.«
Was wohl Kaiserin Sissi zu alledem gesagt hätte? Die war vor rund achtzig Jahren noch Hausherrin des Jagdschlosses aus dem 17. Jahrhundert. Nun ist ihr Urenkel, Graf Carl zu Stolberg-Stolberg, der Chef im Haus. Er hat es in den Fünfzigerjahren in ein ganz besonderes Hotel verwandelt. Viele Gäste wurden zu Freunden, darunter meine Eltern. Papi konnte ihn davon überzeugen, uns das Dachgeschoss zum liebevollen Ausbau und als eine Art zweiten Wohnsitz zu überlassen.
Die Musik erreicht ihren Höhepunkt und Papi ist mal wieder in Bestform. Nun schießen die Wodkaflaschen Schlag auf Schlag über den Tresen und werden mit nahezu akrobatischer Leichtigkeit von Mami aufgefangen und zurückgeschossen. Die Gäste sind außer sich. Papi genießt ihre Aufmerksamkeit. Allerdings auch die des Habsburger Gemüts, Graf Carl, der plötzlich im Türrahmen auftaucht und wie üblich zwischen aristokratischer Empörung und anerkennender Zustimmung (wegen der morgendlichen Umsätze) zu schwanken scheint. Am Ende winkt er ab und geht wieder schlafen. Auch er kennt das Spiel und außerdem ist er seit Jahren mit meinem Vater befreundet.
Papis kontinuierliches Engagement im Sellraintal hat ihn zum Präsidenten der Skischule, Förderer der nationalen Rennmannschaft und zum Ehrenmitglied der Tiroler Kaiserjäger gemacht. Seine Leidenschaft für die einzigartige Gebirgswelt hatte bei ihm schließlich den Wunsch geweckt, hier ansässig zu werden. Dank seiner hervorragenden Verbindungen zu der zuständigen Gemeinde klappte das und so wurde auch ich im Alter von sechs Jahren zum österreichischen Staatsbürger. Das war in Ordnung. Doch wirklich heimisch fühlte ich mich an der Côte d’Azur.
Seit meiner jüngsten Kindheit reisten wir in die gesegnete Region an der Französischen Riviera. Anfangs ins alte Grimaud, einen charmanten Weinbauort oberhalb des Golfs von Saint-Tropez, dessen Geschichte bis ins 11. Jahrhundert zurückreicht. Dort wohnten wir zunächst im Hotel Le Kilal vis-à-vis des Restaurants Les Santons, das für mich bis heute eines der besten und nettesten Restaurants der Gegend ist. Später waren wir im Hotel Byblos zu Füßen der Zitadelle und 1976 kauften meine Eltern einen alten provenzalischen Bauernsitz am höchsten Punkt der Route de Tahiti direkt neben dem Château de la Messardière.
Mami baute das Haus mit viel Liebe zum Detail zu unserem persönlichen Paradies auf Erden aus. Sie nannte es »La petite fleur«. Es war von einem mediterranen Pinienwald umgeben und vom azurblauen Pool aus hatte man einen traumhaften Blick auf die Bucht von Canoubiers, an deren Strand das Haus von Brigitte Bardot liegt. Ebenso das Anwesen von Marie Christine von Opel, genannt »Putzi«. Seit 1978 wurde die beeindruckende Villa mit dem eigenen kleinen Hafen allerdings nicht mehr bewohnt, weil die Urenkelin von Adam Opel dort Drogen im Wert von acht Millionen Mark gehortet hatte, was erst ihre Verhaftung durch die Gendarmerie und dann eine zehnjährige Gefängnisstrafe zur Folge hatte. Daran konnte auch ihr Cousin Gunther Sachs nichts ändern. 1981 wurde sie vorzeitig entlassen, aber des Landes verwiesen. Seitdem schlummerte das Anwesen in der Meeresbrandung der Côte d’Azur vor sich hin.
Die Nachbarn von »La petite fleur« waren unsere lieben Freunde Peter und Cordy Thomas. Peter hatte als Komponist weltbekannte Filmmusik von Edgar Wallace bis Raumpatrouille, von Winnetou bis Der letzte Mohikaner komponiert. Cordy schrieb zu einigen Melodien ihres Mannes Liedtexte. Vor allem aber lieferte sie als Gesellschaftsreporterin sehr persönliche Porträts über interessante »Tropezienner« an Bunte, Quick und Co., denn die Adorfs und Beckenbauers, von Karajans und von Bohlen und Halbachs gaben sich in der Villa Thomas die Klinke in die Hand. Was da los war, besonders wenn sich Peter zeitweise im Tessin oder in Kitzbühel aufhielt, sucht seinesgleichen. Internationale Bankdirektoren und Vertreter des Hochadels, die in den Metropolen Europas noch im Nadelstreifenanzug in ihre Privatjets geklettert waren, stiegen am kleinen Flughafen La Môle mit High Heels, Stringtanga und übergroßen Sonnenhüten aus und anschließend bei Cordy ab. Der Rest ist Geschichte.
Apropos La Môle: An einem sonnigen Tag im Frühjahr 1977 hatte auch ich dort ein unvergessliches Erlebnis. Die mit 800 Metern extrem kurze Landebahn des Flughafens versteckte sich in einer kleinen Talsenke des provenzalischen Gebirges. Nicht jede Landung klappte dort. So pflanzte Niki Lauda seine Cessna hier höchstpersönlich ins Gebüsch. Bei Franz Josef Strauß ging es dagegen gut aus. Der saß an jenem Frühlingstag im Jahr ’77 bereits in René Raynals Restaurant L’Auberge de la Môle. Bis vor ein paar Jahren war der zweckmäßige Bau noch eine Tankstelle gewesen. Die Zapfsäulen standen noch. Aber im Innern war ein ganz besonderes Restaurant untergebracht.
Die zwei Beamten der örtlichen Behörden, die das gesamte Flughafenpersonal darstellten, hatten sich in den Schatten unter dem alten Wellblechdach des Terminals geflüchtet. Oben flimmerte die Mittagshitze, unten tranken die Herren Pastis, rauchten und spielten Karten und ich stand nervös am Rand des Rollfelds, das diesen Namen eigentlich gar nicht verdiente, und wartete auf meinen Einsatz. In der rechten Hand hielt ich eine Flasche Moët & Chandon, in der Linken Mamis Hand, während nach und nach immer mehr Freunde und Bekannte aus Saint-Tropez eintrafen und mich mit der immer gleichen Phrase, »Du bist aber groß geworden, Johänneschen!«, begrüßten.
Doch ich musste mich auf etwas Wichtigeres konzentrieren. Wie war das noch mal? DELTA? LIMA …? Oh Mann, hoffentlich brachte ich da nichts durcheinander? Inzwischen waren rund hundert Gäste da, die eigentlich auf einen Empfang im L’Auberge de la Môle spekuliert hatten, da Papi dort regelmäßig größere Gesellschaften bewirten ließ. Diese Veranstaltungen genossen inzwischen einen legendären Ruf. Niemand wollte sie sich entgehen lassen. Doch nun stießen die Gäste nur auf die beiden Zollbeamten, die sich teilnahmslos Pastis nachschenkten. Egal wohin man blickte, überall traf man auf irritiertes Stirnrunzeln und fragende Gesichter. Bis zu dem Moment, als der brachiale Sound zweier startender Rolls-Royce-Turbinen die träge Stille des Mittagsidylls durchbrach. Den Beamten fielen die Gauloises aus den Mundwinkeln, den Gästen die Kinnlade herunter und ich dachte nur: »Bloß nicht den Champagner fallen lassen. Ganz schön schwer, so eine extragroße Flasche.«
Das Turbinenrauschen wurde derartig laut, dass man sich hätte anschreien können und trotzdem nicht gegen den Lärm angekommen wäre. Alle Blicke waren auf die angrenzende Scheune gerichtet, bei der sich nun langsam die großen Flügeltüren öffneten. Ich fand das eine gute Idee. Nicht nur, weil ich den Eindruck hatte, dass die altersschwache Hütte jeden Moment in sich zusammenfallen könnte, sondern auch, weil es nun wirklich mal losgehen konnte mit meinem Einsatz.
In Schrittgeschwindigkeit schob sich die weiße Nase eines Jets aus der Scheune – eines Learjets. Das Flugzeug mit den beiden charakteristischen Wingtip-Tanks an den Flügelspitzen war eine Weiterentwicklung eines Kampfjets und damals eines der schnellsten Düsenflugzeuge. In den Jahren zuvor hatte Papi eine solche Maschine bereits für private und geschäftliche Reisen genutzt, jetzt hatte er eine gekauft. Dafür war eigens die JetFlight GmbH gegründet worden, damit er das Investment steuerlich nach seinem Geschmack gestalten konnte. Das Design des Flugzeugs hatte Papis...
Erscheint lt. Verlag | 11.4.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 1980er • 2024 • 3096 Tage • Biografie • Biographien • BRD • Bundesrepublik • Dokumentation • eBooks • Entführung • Hoffnung • Im Keller • Inspiration • Jan Philipp Reemtsma • jochem erlemann • Kidnapper • Kindesentführung • Kriminalfall • lebenslänglich erlemann • Natascha Kampusch • Neuerscheinung • Podcast • RTL • Schicksal • tragisch • True Crime • Verfilmung • Veronika Ferres |
ISBN-10 | 3-641-30949-2 / 3641309492 |
ISBN-13 | 978-3-641-30949-7 / 9783641309497 |
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