Schulrecht. Eine methodische Anleitung. Reclam Bildung und Unterricht (eBook)

Weskamp, Ralf - Praxisbeispiele; rechtssichere Entscheidungen - 14469 - Originalausgabe

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
120 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-962252-1 (ISBN)

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Schulrecht. Eine methodische Anleitung. Reclam Bildung und Unterricht -  Ralf Weskamp
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Wer entscheidet im Konfliktfall: die Lehrkraft oder die Eltern? Welche Maßnahmen sind bei einem Täuschungsversuch »verhältnismäßig«? Was ist eigentlich im juristischen Sinne ein »wichtiger Grund«? Mehr denn je sind Lehrkräfte im Schulalltag mit rechtlichen Fragen konfrontiert. Schulrechtsexperte Ralf Weskamp führt in die Methoden ein, wie Lehrerinnen und Lehrer zu rechtssicheren Entscheidungen finden. Juristisches Anwendungswissen: ein Eckpfeiler für pädagogische Professionalität.

Ralf Weskamp ist Oberstudiendirektor und Schulleiter in Homberg (Efze) sowie Lehrbeauftragter für Schulrecht an der Universität Kassel.

Ralf Weskamp ist Oberstudiendirektor und Schulleiter in Homberg (Efze) sowie Lehrbeauftragter für Schulrecht an der Universität Kassel.

[16]1.2 Die Stellung der Lehrkräfte


Die »pädagogische Freiheit«


Rechtsstaatlichkeit in der Schule kann nur durch inhaltlich hinreichend bestimmte Gesetze erreicht werden. Damit verbunden ist die Sorge von Lehrkräften, dass sie in ihrem pädagogischen Handlungsspielraum eingeschränkt werden. Dies wiegt umso mehr, als dass die Lehrfreiheit – wie sie in Art. 5 Abs. 3 GG für die akademische Lehre statuiert ist – nicht für Lehrkräfte an Schulen gilt (Dürig/Herzog/Scholz/Gärditz 2023, GG Art. 5 Abs. 3, Rn. 115 ff.). Das Grundgesetz betont nämlich den allein für die Universität typischen Zusammenhang von Forschung und Lehre. Lehre meint die Weitergabe des Erforschten, sodass allein Hochschullehrer, die ein wissenschaftliches Fach aufgrund ihrer Qualifikation selbstständig vertreten, unter den Schutzbereich der Norm fallen. Trotzdem ist es allgemein anerkannt, dass auch Lehrkräfte an Schulen ihre Aufgaben nur erfüllen können, wenn sie einen Freiraum genießen. Würde ihnen alles vorgeschrieben, dann könnten sie nicht mehr flexibel auf die Unterrichtssituation und auf einzelne Schüler eingehen (Rux 2018, Rn. 1133 ff.).

Das Bundesverfassungsgericht greift die Befürchtung von Gängelung auf, sieht aber in formellen Schulgesetzen gerade eine Abhilfe für die Regelungsflut: »Soweit die Gefahren einer zu weit gehenden Verrechtlichung oder Vergesetzlichung des Schulwesens beschworen werden, insbesondere im Hinblick auf die pädagogische Freiheit des Lehrers, die notwendige Flexibilität der Schule und die drohende Überlastung der Parlamente, geht die Kritik zu [17]einem großen Teil an den tatsächlichen Verhältnissen und rechtlichen Gegebenheiten vorbei. Nicht die durch Art. 20 Abs. 1 und 3 GG verfassungsrechtlich gebotene gesetzliche Verankerung staatlicher Eingriffe und Leistungen im Schulrecht bewirkt eine unangemessene Einschränkung der grundrechtlichen Freiheiten der Schüler, der Lehrer und der Eltern. Vielmehr führt oft die bis zum Perfektionismus gesteigerte Bürokratisierung und Bevormundung der Schule durch die Kultusverwaltungen zu weitgehend unkontrollierter und im Lichte der Grundrechtsgeltung zweifelhafter Rechtsbeeinträchtigung der Betroffenen.« (BVerfGE 58, 257, Rn. 270 f.)

Die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages (1981: 98, 306 ff.) verfolgt in ihrem Schulgesetzentwurf den gleichen Gedanken. Um die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte gegen zu starke Eingriffe durch die staatliche Schulverwaltung, die Schulleitung und Konferenzen zu schützen, bedarf es einer gesetzlichen Grundlage.

Alle Schulgesetze räumen, dem Vorschlag der Kommission folgend, pädagogische Freiräume ein. Besonders weit gehen etwa Hessen, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, die die Formulierung der Kommission übernehmen. In § 100 Abs. 2 SchulG M-V heißt es: »Die Lehrerinnen und Lehrer unterrichten und erziehen in eigener pädagogischer Verantwortung. […] Die für die Unterrichts- und Erziehungsarbeit der Lehrerin oder des Lehrers erforderliche pädagogische Freiheit darf durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften und Konferenzbeschlüsse nicht unnötig oder unzumutbar eingeengt werden.« Mit dem parlamentarischen Bekenntnis zur pädagogischen Freiheit bleibt es der staatlichen Schulverwaltung verwehrt, die [18]Lehrkräfte in ihrem pädagogischen Wirken zu bevormunden.

Pädagogische Freiheit

Unter der pädagogischen Freiheit versteht man den Anspruch einer Lehrkraft, Unterricht und Erziehung eigenverantwortlich so zu gestalten, dass für die Schüler optimale Lernbedingungen entstehen. Die pädagogische Freiheit ist durch den staatlichen Erziehungsauftrag begrenzt.

Umstritten ist, ob Lehrkräfte aus der pädagogischen Freiheit ein einklagbares Recht ableiten können (Wißmann 2002; Rux 2018, Rn. 1136 ff.; Weskamp 2023). Voraussetzung hierfür wäre, dass die Lehrkraft geltend machen kann, in ihren eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Genau dies ist aber schwierig. Nur wenn die Lehrkraft argumentieren kann, dass die Beeinträchtigung ihrer pädagogischen Freiheit nicht lediglich das innerdienstliche Verhältnis betrifft, ist eine Klage zulässig. Deshalb weist der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eine Klagebefugnis ausdrücklich zurück. Die pädagogische Freiheit sei den Lehrkräften nicht um ihrer selbst willen, sondern aufgrund des Amtes eingeräumt. Es gehe nicht um eine personale Freiheit, sondern um eine Freiheit, die auf den Schulzweck ausgerichtet ist (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. 10. 1997, 4 S 596/95).

Folgt man dieser Ansicht, so bringt man Lehrkräfte allerdings in eine widersprüchliche Situation: Sie tragen einerseits die »unmittelbare pädagogische Verantwortung für die Erziehung und Bildung der Schüler« (§ 38 Abs. 6 SchG [19]BW), müssen Weisungen von Vorgesetzten aber selbst dann befolgen, wenn sie sie für unzweckmäßig halten. Die pädagogische Freiheit könnte dann leicht zu einem Lippenbekenntnis werden. Aber selbst wenn man in ihr kein subjektives Recht der Lehrkraft sieht, bindet sie die Verwaltung und schulische Gremien. Diese müssen jeweils prüfen, ob eine Entscheidung im Hinblick auf die pädagogische Freiheit unnötig oder unzumutbar ist. Wird dies bejaht, darf eine solche Maßnahme nicht getroffen werden.

Diesem Gedanken folgt das Bundesverwaltungsgericht, wenn es feststellt, dass die Gehorsamspflicht von beamteten Lehrkräften (§ 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) insoweit im Vergleich zu anderen Beamten begrenzt ist. Sie unterliegen im Hinblick auf ihre »eigene pädagogische Verantwortung jedenfalls keinem unbeschränkten Weisungsrecht« (BVerwG, Beschluss vom 28. 1. 1994, 6 B 24/93). Da die Zahl von Klagen, die bislang zur Durchsetzung der pädagogischen Freiheit eingereicht wurden, gering ist, kann man davon ausgehen, dass das Prinzip allgemein anerkannt ist (Beaucamp 2015: 158).

Professionalisierung durch das Recht


Mit der Aufnahme der pädagogischen Freiheit in das Schulgesetz zeigen die Landesgesetzgeber, dass sie den Lehrerberuf als Profession und nicht einfach als Beruf verstehen. Professionen zeichnen sich durch vier wesentliche Elemente aus: Autonomie; abstraktes, akademisiertes Wissen; Gemeinwohlorientierung; Autorität (Mieg 2016: 28 ff.). Die pädagogische Freiheit ist hierfür der Schlüssel.

[20]Schon vom Begriff her schafft die pädagogische Freiheit die erforderliche Autonomie und stellt gleichzeitig den für Professionen typischen Klientenbezug her. Weil sie nicht um ihrer selbst willen gewährt wird, sondern der Bildung von jungen Menschen dient, braucht ihre Verwirklichung eine entsprechende Wissensbasis. Hierzu durchlaufen, ebenfalls professionstypisch, alle Lehrkräfte eine zweiphasige Ausbildung (Lehramtsstudium und Vorbereitungsdienst) und aktualisieren ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in der berufsbegleitenden Fortbildung. Lehrkräfte sind in ihrer Tätigkeit auch dem Gemeinwohl verpflichtet; sie arbeiten nicht aus Profitinteresse. Dies gebietet bereits ihr Status als Beamte, den sie in der Regel innehaben. Beamte müssen nämlich, dem Beamtenstatusgesetz folgend, uneigennützig der Allgemeinheit dienen und erhalten dafür eine amtsangemessene Alimentation. Man wird aber auch bei angestellten Lehrkräften Uneigennützigkeit unterstellen. Autorität meint, ein »Zuständigkeitsmonopol« (Mieg 2016: 29) zu haben. Nur ausgebildete Lehrkräfte können und dürfen unterrichten.

Die Freiheit der Profession hat aber Grenzen. Auch in anderen Professionen wie Ärzten oder Juristen gelten Gesetze und zumeist Berufsordnungen. Bei Lehrkräften findet sich die Grenze bereits im Grundgesetz in der Verpflichtung des Staates zur Aufsicht über das Schulwesen (Art. 7 Abs. 1 GG). Die Praxis in der Schule ist durch ein Zusammenspiel beider Aspekte geprägt: Der Staat bestimmt die Grundlinien, die Lehrkraft sorgt in der weitgehend freien Ausgestaltung für den Erfolg und die Qualität des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags (Dürig/Herzog/Scholz/Badura 2023, GG Art. 7, Rn. 61).

[21]Das Schulrecht ist folglich notwendiger Bestandteil des professionellen Wissens von Lehrkräften. Die Kultusministerkonferenz betont dies ausdrücklich in ihren Standards für die Lehrerbildung und bestimmt als Ziel die Fähigkeit zum reflektierten Umgang mit dem Recht (KMK 2019: 13). Eine durchdachte Anwendung erfordert nicht nur Rechtskenntnis, sondern auch -methodik. Sonst besteht die Gefahr, dass Lehrkräfte sich auf Tipps populärer Schulrechtsbücher (zum Beispiel Thomas Böhm, »Nein, Du gehst jetzt nicht aufs Klo!« Was Lehrer dürfen) verlassen und diese fehlerhaft auf Sachverhalte in ihrer Praxis anwenden. Um Schülern und Eltern überzeugend gegenüberzutreten, müssen Lehrkräfte aber ihre Entscheidungen nachvollziehbar und auf Recht gestützt begründen können. Dies gehört zur Wahrnehmung von Autorität, wie sie von Professionen gefordert wird.

In der Tippliteratur wird manchmal der Eindruck vermittelt, dass Lehrkräfte sich gegen unbillige Ansprüche von Eltern und Schülern zur Wehr setzen müssten. Tatsächlich geht es aber darum, dass die Entscheidungen von Lehrkräften rational und widerspruchsfrei sind. Dazu passt eine Abwehrhaltung nicht. Die Ausübung von Recht gebietet es vielmehr, die andere Seite...

Erscheint lt. Verlag 20.3.2024
Reihe/Serie Reclam Bildung und Unterricht
Reclam Bildung und Unterricht
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Schulpädagogik / Grundschule
Schlagworte Anwalt • Didaktik • disziplinarische Maßnahmen • gelb • gelbe bücher • Gericht • Grundlagen • Handlungssicherheit • Jura • juristische Grundlagen • juristisches anwendungswissen • Jus • Klagen • konfliktfall • Landesrecht • Lehramt Studium • Lehrer • Lehrkräfte • Lektüre • Literatur • Notengebung • Pädagogik • Praxisbeispiele • Prüfung • Ratgeber • Recht • Rechtliche Grundlagen • Rechtsanwalt • Rechtsberatung • Rechtshilfe • Rechtsschutz • rechtssicher • rechtssicher handeln • Rechtssicherheit • Reclam Hefte • Reclams Universal Bibliothek • Referendariat • Schulalltag • Schulbetrieb • Schule • Schulgesetz • Schullektüre • Schulpsychologie • Schulrecht • Schulverwaltung • Strafsachen • Studenten • Studentinnen • Studierende • Täuschung • Täuschungsversuch • Verfahren • Verhältnismäßig • Verwaltungsrecht • Wissen • Zivilsachen
ISBN-10 3-15-962252-5 / 3159622525
ISBN-13 978-3-15-962252-1 / 9783159622521
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