Demokratie und Revolution (eBook)
368 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31268-3 (ISBN)
Hedwig Richter, geb. 1973, ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Zuletzt erschien von ihr »Aufbruch in die Moderne. Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich« (Suhrkamp, 2021).
Hedwig Richter, geb. 1973, ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Zuletzt erschien von ihr »Aufbruch in die Moderne. Reform und Massenpolitisierung im Kaiserreich« (Suhrkamp, 2021). Bernd Ulrich, geboren 1960 in Essen, Redakteur der ZEIT. Für seine journalistische Arbeit erhielt er 2013 den Henri-Nannen-Preis und 2015 den Theodor-Wolff-Preis. Durch seine jahrzehntelange journalistische Arbeit ist er eine der bekanntesten und einflussreichsten Stimmen zum Thema Klima/Energie-Politik. Bei KiWi erschienen bisher: »Sagt uns die Wahrheit! Was die Politiker verschweigen und warum« (2015), »Guten Morgen, Abendland – Der Westen am Beginn einer neuen Epoche« (2017) und »Alles wird anders. Das Zeitalter der Ökologie« (2019).
Einleitung
Verstehen ist Trost. Manchmal der einzige. Gerade in Zeiten wie diesen, da man des Trostes in besonderer Weise bedarf, nicht nur mit Blick auf Demokratie und Ökologie. Der Vormarsch der Rechtspopulisten, Massaker in Israel, die verschärfte ökologische Krise, der Rollback bei der Klimapolitik, noch ein Krieg – beim Schreiben blieb oft unklar, ob die Ereignisse den Funken Hoffnung, den so ein Buch eben auch braucht, erlöschen lassen würden.
Zumal wir uns vorgenommen hatten, nicht fahrlässig zu hoffen, bloß weil ohne Hoffnung halt alles noch schlechter ist. Auch die Zeit des großen Appellierens scheint uns in der Klimapolitik vorbei zu sein. Es lassen sich damit offenbar zu wenig Kräfte für eine ökologische Wende wecken, wie die großen und dann die weniger großen Jahre des Klimaaktivismus gezeigt haben. Wer flehentlich an das Gute appelliert, landet oft genug im Zynismus. Oder in der Resignation. Die hängenden Schultern des Weiter-So.
Weder appellieren wir, noch sind wir resigniert. Stattdessen versuchen wir, das, was geschieht und unterbleibt, besser zu verstehen. Die Ausgangsfrage lautet für uns: Warum? Warum befreien sich die Menschen nicht aus der Selbstzerstörung? Warum bleibt die Wende aus?
Dabei haben die westlichen Gesellschaften etwas ungemein Wertvolles, etwas, das schon mit vielen Kriegen, aber auch mit bequem gewordenen Bevölkerungen und korrupten Politikerinnen und Politikern zurande gekommen ist, mit Armut und Entrechtung. Diese Kostbarkeit heißt: Demokratie. Sie hat eine schöne und, ja, erfolgreiche Geschichte. Sie hat Menschen befreit und selbstermächtigt. Noch nie ging es den Menschen aller Schichten ökonomisch so gut wie in den Demokratien, noch nie hatten Frauen so viele Rechte, noch nie wurden Kinder so sehr als autonome Wesen akzeptiert wie in Demokratien. Noch nie war so viel Respekt.
Diese Demokratie ist der entscheidende Weg aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit, davon sind wir überzeugt. Wir denken, dass diese Demokratie grundsätzlich in der Lage ist, ökologisch zu werden. Ihre Institutionen sind so stabil und vernünftig, dass Flexibilität und Kritik in sie eingeschrieben und Veränderungen sozusagen Demokratie-inhärent sind.
Aber warum findet die Demokratie den Weg aus der Selbstzerstörung bisher nicht?
Auf der Suche nach Antworten richtet sich unser Blick natürlich auf die Politik, auf die Wirtschaft und die fossile Infrastruktur. Doch konzentrieren wir uns anders, als in der herrschenden ökologischen Debatte üblich ist, wesentlich auch auf das Individuum, auf die Bürgerinnen und Bürger. Sie sind im Maschinenraum der ökologischen Transformation selbstverständlich nur eine unter vielen Maschinen, aber in einer Demokratie sind sie der Antrieb: Von ihnen geht die Energie, von ihnen geht die Macht aus. Oder eben nicht. Die Politik ist die von ihnen gewählte, und die politische Klasse handelt entsprechend dem Bild, das sie sich von der Bürgerin und vom Bürger gerade macht. Was für ein Menschen- und Geschichtsbild, was für eine Vorstellung von Politik, Staatsbürgerschaft und Bürgerlichkeit treibt die politische Klasse? Die Stimmen der Einzelnen bestimmen die Richtung der Politik, aber die Politik gestaltet den öffentlichen Raum und damit wiederum auch das politische Selbstbild dieser Einzelnen. »Die Menschen machen ihre eigene Geschichte«, hatte Marx in einer Interpretation historischer Transformationen erklärt, allerdings gelte: »Sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen«.[1]
Das wirft die Frage auf, ob die Verhältnisse den Menschen schaffen oder umgekehrt der Mensch die Verhältnisse produziert. Natürlich gilt beides. Warum hat sich dann ausgerechnet bei der Frage der Ökologie weitgehend die Ansicht durchgesetzt, es käme allein auf die Strukturen an, allein auf »die Industrie« oder »den Kapitalismus« oder die Technik oder ganz allein auf Marktanreize? Warum gilt weithin als ausgemacht, dass Menschen nicht nur nicht in der Lage seien, die ökologischen Strukturen zu beeinflussen, sondern vor allem auch, dass sie gar nicht willens seien? Warum gilt es als naiv, auch auf die Vernunft des Menschen zu setzen? Vermutlich dominiert diese Ansicht, weil sie die Menschen in einer gewaltigen Stresssituation enorm entlastet, und vielleicht auch, weil die zugrunde liegende Missachtung des einzelnen Menschen irgendwie cool klingt. Doch wenn man sich ein wenig zurücklehnt, dann erstaunt es umso mehr, dass im politischen Diskurs gerade einer Demokratie die Vorstellung herrscht, die ökologische Krise ließe sich weitgehend ohne den Souverän, ohne das Individuum bewältigen. Oder sollte es gar so sein, dass man bei der Analyse der ökologischen Debatten auf eine versteckte Misanthropie der Demokratie selbst stößt?
Wir halten es jedenfalls für naiv, ausgerechnet bei der Ökologie an die fast völlige Ohnmacht und Gleichgültigkeit des Menschen zu glauben. Das vorherrschende destruktive Menschenbild nährt sich nicht zuletzt aus einer ebenso triumphalen wie zerbrechlichen Maskulinität, die den Menschen, gegebenenfalls auch den weiblichen, vor allem im ewigen Kampf um Macht und Stolz sieht, die Varianten, Verletzlichkeiten, Diversität, Fürsorge, Solidarität oder Empathie in der Analyse menschlichen Verhaltens aber gern unterbewertet. Im Übersteigen eines so geformten Menschenbildes sind wir feministisch.
Und wir sind in diesem Sinne Liberale: Wir gehen bei aller menschlichen Tendenz zur Unvernunft grundsätzlich von der Vernunftfähigkeit und Freiheit der Menschen aus – anders würde die Staatsform der Volksherrschaft keinen Sinn ergeben. Wir versuchen zu zeigen, wie der Glaube an den Homo Suicidalis kulturell erschaffen wurde, mit welchem ständig wachsenden Aufwand er sich in diesem Modus hält und wie er sich aus dieser selbstquälerischen Vereinseitigung seines Selbst befreien könnte.
All dies stellt sich im Jahrhundert der Ökologe noch einmal anders dar, so neu und so rasant ist die Entwicklung mittlerweile, dass immer mehr Menschen mit dem anstrengenden Gefühl leben, dass sich beinahe täglich Geschichte vollzieht – bloß welche?! Deshalb schreiben eine Historikerin und ein Journalist zusammen dieses Buch über die Demokratie und die Ökologie. Weil die Geschichte so dominant ist und unser Handeln und Menschenbild mitbestimmt, braucht es eine Historikerin, und weil sich zugleich die Gegenwart so rasend schnell bewegt, bedarf es eines Chronisten des Jetzt. Momentan schieben sich Gegenwart und Zukunft immer enger aufeinander. Uns wurde deutlich, wie sehr sich das historische Verständnis von Demokratie erschöpft hat, aber auch das von Revolution.
Die Konzentration auf den Westen und dabei wesentlich auf die Bundesrepublik Deutschland ist neben dem Fokus auf die Individuen eine zweite Schwerpunktsetzung des Buchs. Wir haben uns aus drei Gründen dafür entschieden: Erstens, weil wir, wie gesagt, denken, dass Demokratien die besten Möglichkeiten haben, die ökologischen Transformationen voranzubringen, und man sich bei ihnen darum am meisten wundern muss, dass sie es bisher nicht hinbekommen. An keiner Stelle kokettieren wir mit dem Gedanken, dass andere, autoritäre Regierungsformen womöglich besser mit der ökologischen Krise klarkommen. Tatsächlich zeigen die meisten Studien deutlich, dass nicht nur die Zerstörung, sondern auch die meisten Veränderungen und Impulse für Transformationen aus westlichen Ländern kommen.[2] Zweitens bleibt die Geschichte der Industrialisierung und mit ihr die heutige ökologische Verantwortung in beträchtlichem Ausmaß eine des Westens. Die Geschichte des Anthropozäns lässt sich nur analysieren, wenn wir verstehen, wie eng der Anstieg der Zerstörung gerade mit dem Aufblühen der Demokratie verbunden war. Drittens konzentrieren wir uns auf westliche Demokratien, weil wir fragen, was wir tun können, und nicht, was wir nicht tun können oder was andere tun sollten.
Warum also geht der Westen trotz seiner grandiosen Demokratiegeschichte und seines weltgeschichtlich einmaligen Reichtums einer so massiven Selbstbeschädigung entgegen? Immer mehr wurde uns beim Nachzeichnen der Ökologiegeschichte klar, wie stark unsere Vorstellungen von Demokratie und von fossilem Verbrauch miteinander verwoben sind und wie sehr es deswegen heute darauf ankommt, die Demokratie von ihrer Selbstzerstörungstendenz zu befreien oder doch diese Tendenz so zu mindern, dass die Demokratie weiterlebt.
Die Versöhnung von Ökologie und Demokratie krankt daran, dass die meisten, die politisch und öffentlich Verantwortung tragen, von einem Geschichtsverständnis geprägt sind, das sie sich in ihren jungen Jahren angeeignet haben, das aber in der Geschichtswissenschaft schon lange als überholt gilt. Die Rede ist vom deutschen Sonderweg und damit von der Vorstellung eines demokratisch besonders gefährdeten Volkes, dem man nichts zumuten darf, weil es sonst alsbald selbst wieder zur Zumutung wird.
Diesen Teil des Buches konnten wir in groben Zügen schon absehen, als wir anfingen zu schreiben, doch dann verschärfte sich die Lage politisch und ökologisch. Zunächst einmal kam es in so gut wie allen westlichen Demokratien zu einem regelrechten ökologischen Backlash. Die jeweiligen Varianten mögen national ein wenig verschieden gewesen sein, dennoch gab es etwas, das die Demokratien dieser Welt klimapolitisch synchronisierte: Sie entwickelten sich weg von einer ökologischen Wende, weg von einer Politik, die der Dringlichkeit der Krise einigermaßen Genüge tat, und hin zu einem regelrechten Furor gegen die...
Erscheint lt. Verlag | 11.4.2024 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | #AllefürsKlima • Artensterben • Demokratiegeschichte • Energiewirtschaft • Erneurbare Energien • Fossile Brennstoffe • Freiheit • #FridaysForFuture • Globale Erwärmung • Greta Thunberg • Grüne Entwicklung • Grüne Politik • Kapitalismus • Klimaschutz • Klimastreik • Klima-Urteil • Klimawende • Kohlestopp • letzte Generation • Luisa Neubauer • Ökologie • Soziale Gerechtigkeit • soziale Zusammenarbeit • Steigende Inflation • Vom Ende der Klimakrise • Wetter • Wetterextreme • Wirtschaftskrise • ZEIT-Journalist • Zukunft |
ISBN-10 | 3-462-31268-5 / 3462312685 |
ISBN-13 | 978-3-462-31268-3 / 9783462312683 |
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