Der Gigant (eBook)
560 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-31574-0 (ISBN)
Amazon ist nicht nur zum Monopolisten beim Online-Versandhandel geworden, sondern strebt nach totaler Dominanz auch in vielen anderen wichtigen Märkten (Lebensmittelhandel, Cloud Computing, Advertising, Entertainment, Gaming). Überdies hat Amazon sich viele Drittanbieter, die ihre Produkte über die Plattform verkaufen können, einverleibt und so zerstört. Diese unangefochtene Monopolstellung und der folglich fehlende Wettbewerb wird unsere Wirtschaft in den nächsten Jahren grundlegend verändern - zum Schlechteren.
Dana Mattioli, renommierte und preisgekrönte Investigativreporterin des Wall Street Journal und Pulitzerpreis-Finalistin, deckt in ihrem packend erzählten Buch die rücksichtslosen Strategien des Unternehmens auf, den Markt in nahezu allen Bereichen zu beherrschen, sich Medien und Politik gefügig zu machen und durch brutale Monopolstellung letztlich auch uns Verbrauchern zu schaden.
Dana Mattioli, Absolventin der American University in Washington, D.C., ist preisgekrönte Investigativreporterin des Wall Street Journal in New York, für das sie seit 2006 schreibt. Sie berichtet seit vielen Jahren über die rücksichtslosen Geschäftspraktiken und das Machtmonopol von Amazon. Ihre Arbeit wurde u.a. für den Pulitzerpreis nominiert, mit dem Gerald Loeb Award und dem renommierten WERT Prize des Women`s Economic Roundtable für herausragenden Wirtschaftsjournalismus ausgezeichnet.
Prolog
Das Paradoxon
Im Januar 2017 veröffentlichte eine 27-jährige Jurastudentin im Yale Law Journal einen Artikel über einen der mächtigsten Konzerne der Welt. Er begann mit einer bemerkenswerten Behauptung:
Amazon ist der Handelsriese des 21. Jahrhunderts. Der Konzern ist nicht nur Einzelhändler, sondern mittlerweile auch Marketingplattform, Vertriebs- und Logistiknetzwerk, Zahlungsdienst, Kreditgeber, Auktionshaus, großer Buchverlag, Fernseh- und Filmproduzent, Modedesigner, Hardwarehersteller und führender Anbieter von Cloud-Speicherplatz. Obwohl Amazon ein atemberaubendes Wachstum verzeichnet, erwirtschaftet das Unternehmen nur geringe Gewinne, da es sich dafür entschieden hat, seine Preise unterhalb der Gestehungskosten zu halten und stattdessen breit zu expandieren. Durch diese Strategie hat es eine zentrale Stellung im Online-Handel erlangt und fungiert nun als grundlegende Infrastruktur für eine Vielzahl anderer Unternehmen, die von ihm abhängig sind. Bestimmte Elemente in der Struktur und im Geschäftsgebaren des Konzerns sind wettbewerbsrechtlich bedenklich – dennoch ist er einer kartellrechtlichen Prüfung bislang entgangen.[1]
Unter dem Titel »Amazon’s Antitrust Paradox« (»Amazons Kartellparadoxon«) argumentierte die Autorin Lina Khan, der E-Commerce-Riese sei so groß und mächtig geworden, dass er sich »in Richtung einer Monopolstellung« bewege. Wie viele Tech-Neu linge war auch Amazon schnell gewachsen, allerdings in einer Größenordnung und mit einer Reichweite, die beispiellos waren.
Innerhalb eines knappen Vierteljahrhunderts hatte sich Amazon von einer Kuriosität über einen fragwürdigen Wachstumswert zu einem der bekanntesten Unternehmen weltweit entwickelt. Doch Khans Manifest ging diese vorherrschende Haltung frontal an. Die Autorin, ein nerdiges Wunderkind, war der Auffassung, dass man entweder die veralteten Antitrust-Gesetze neu fassen oder Unternehmen wie Amazon nach dem Vorbild öffentlicher Versorgungsbetriebe regulieren müsse. Das Kartellrecht – ursprünglich im »Vergoldeten Zeitalter« der USA konzipiert und formuliert, bevor es im 20. Jahrhundert weiterentwickelt wurde – werde einem Unternehmen mit der Allgegenwart, Allwissenheit und Allmacht von Amazon längst nicht mehr gerecht.
Nun erreichen Artikel in juristischen Fachzeitschriften in der Regel nur ein kleines akademisches Publikum. Khans Beitrag jedoch schaffte etwas noch nie Dagewesenes: Er ging viral. Politiker wie die Senatorin von Massachusetts, Elizabeth Warren, verschlangen das 96-seitige Gutachten und betrachteten den E-Commerce-Riesen fortan mit anderen Augen. War es wirklich sinnvoll, dass ein Drittel aller Online-Einkäufe in den Vereinigten Staaten über Amazon getätigt wurden?[2] Missbrauchte Amazon seine Macht, indem es einen der weltweit größten Marktplätze für Online-Verkäufer betrieb und gleichzeitig mit ebendiesen Verkäufern konkurrierte? Lieferte das verworrene Firmengeflecht aus Einzelhandel, Cloud Computing, Werbung, Streaming, Logistik und Lebensmittelhandel – um nur einige zu nennen – dem Unternehmen Daten, die es womöglich in unlauterer Weise bei seinen Geschäftsentscheidungen nutzte?
Lina Khan war nicht zufällig auf die Idee gekommen, sich mit Amazon zu beschäftigen, vielmehr wurde ihr die Gelegenheit dazu geboten. Im Frühjahr 2011 hatte sie ein Vorstellungsgespräch beim Leiter des Open Markets Institute, einer neu gegründeten Denkfabrik in Washington, die sich mit den Gefahren von Konzernbildung und moderner Monopolmacht befasste. Bei Open Markets glaubte man, dass Monopole oder Unternehmen, die ihre Marktmacht dazu nutzen, den Wettbewerb außer Kraft zu setzen, gefährlich für die Demokratie seien und bewirkten, dass die Löhne sinken, Innovationen im Keim erstickt und weniger Arbeitsplätze geschaffen werden. Ziel der Denkfabrik war es, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf diese Probleme zu lenken, um eine breitere Antimonopolbewegung anzustoßen.
Khan hatte gerade ihren Abschluss am Williams College gemacht, wo sie Herausgeberin der Studentenzeitung gewesen war. Sie verfügte über keinerlei einschlägige Vorbildung und hatte sich nicht einmal mit den Themen befasst, die das Institut untersuchte. Dem Gründer von Open Markets, Barry Lynn, machte das nichts aus, in seinen Augen war es sogar ein Pluspunkt. Schließlich konnte er ihr alles Notwendige beibringen. Denn sie hatte etwas, das ihm gefiel: Sie konnte schreiben, und sie war intelligent. Ihr journalistischer Hintergrund war ebenfalls von Vorteil, da es bei der Stelle darum ging, Sachverhalte rund um das Thema Monopolmacht zu recherchieren, zu analysieren und sie in Mainstream-Magazinen und -Zeitungen für ein Massenpublikum aufzubereiten. Lynn bot ihr an, die allererste Mitarbeiterin der Denkfabrik zu werden. Er wollte, dass ihre Artikel die Gefahren der Monopolisierung aufdeckten.
Khans erste Aufgabe bestand darin, die Auswirkungen von Amazon auf die Buchbranche zu ermitteln.
»Wir werden so viel wie möglich über die Geschichte des Buchgeschäfts in Erfahrung bringen, darüber, wie es in den letzten 50 Jahren reguliert wurde, und über das Geschäftsmodell von Amazon«, erklärte Lynn seiner neuen Mitarbeiterin. Er überreichte ihr ein Exemplar des 2000 erschienenen Buches The Business of Books (dt. Verlage ohne Verleger) von André Schiffrin, dem früheren Verlagsleiter von Pantheon Books. Damit begann Khans Schulung im Kartellrecht.
Sie verschlang alles, was ihr in die Finger kam: Rechtsdokumente, Kartellrechtsverfahren, Bücher über das Verlagswesen. Zwei Monate später legte sie ihrem Chef eine 80-seitige Abhandlung vor, in der sie die Geschäftspraktiken von Amazon im Buchhandel und die Geschichte des Buchhandels in den USA seit den 1950er Jahren nachzeichnete.
Als sich Khan in das Kartellrecht einarbeitete, stellte sie fest, dass eine veränderte Rechtsauslegung in den 1970er Jahren drastische Auswirkungen auf die Anwendung von Gesetzen gehabt hatte. Damals gewann die sogenannte Chicagoer Schule an Einfluss, die sich für weniger staatliche Eingriffe aussprach und den Fokus mehr auf die Effektivität legte. Einer ihrer Anhänger, Robert Bork, umriss die Positionen der Strömung 1978 in seinem Buch The Antitrust Paradox. Darin stellte er die Behauptung auf, dass die gängige Anwendung der Antitrust-Gesetze den Wettbewerb behindere, anstatt ihn zu fördern. Das Einzige, woran sich die Auslegung der Antitrust-Gesetze orientieren solle, sei das Wohl der Verbraucher, forderte er.[3]
Borks Buch war ein Wendepunkt im Kartellrecht. Die Gerichte übernahmen zunehmend seine Ansichten, was in den kommenden Jahrzehnten zu tiefgreifenden Veränderungen bei der Rechtsanwendung führte. Infolgedessen war »groß« nicht mehr unbedingt schlecht, und das Geschäftsgebaren von Unternehmen gegenüber der Konkurrenz wurde weniger nach seinen Auswirkungen auf die Konkurrenten beurteilt als vielmehr danach, wie es sich auf Effektivität und Verbraucherpreise auswirkte. Open Markets wollte anhand von Beispielen aus der Praxis und der Op fer von Unternehmen, die ihre Macht gebündelt hatten, aufzeigen, welche Folgen eine laxe Handhabung des Kartellrechts hatte.
In den folgenden drei Jahren tauchte Khan monatelang in verschiedene Branchen ein, von Fluggesellschaften über die Metallindustrie bis hin zur Hühnerzucht, um zu begreifen, wie diese strukturiert waren und wie stark die Konzentration in der amerikanischen Wirtschaft ausgeprägt war. Ihre Erkenntnisse veröffentlichte sie in Beiträgen für Washington Monthly, CNN und andere Medien. Darin beschäftigte sie sich mit Themen wie Deregulierung, Konzernbildung und kartellrechtliche Laissez-faire-Methoden, die Durchschnittsbürgern erheblichen Schaden zufügten, während sie die Großkonzerne begünstigten.
Während ihrer Zeit in der Denkfabrik setzte sich Khan eingehend mit den Geschäftspraktiken von Standard Oil auseinander, dem Monopolunternehmen des Öltitanen John D. Rockefeller, eines der reichsten Amerikaner aller Zeiten. Standard Oil wurde 1870 als Ölraffinerie gegründet und expandierte in der Blütezeit der amerikanischen Wirtschaft im späten 19. Jahrhundert, als Raubkapitalisten fieberhaft Trusts oder Konzerne bildeten und die Macht in so unterschiedlichen Industriezweigen wie dem Eisenbahnbau und der Zuckerproduktion konzentrierten. In den späten 1880er Jahren kontrollierte Standard Oil bereits 90 Prozent der amerikanischen Raffineriekapazitäten.[4]
Im Jahr 1890 verabschiedete der Kongress den Sherman Antitrust Act, um monopolistische Geschäftspraktiken zu unterbinden. Angesichts der wachsenden Marktmacht der Konzerne war die Öffentlichkeit inzwischen misstrauisch geworden. 1911 wurde das Ölkonglomerat schließlich wegen Verstoßes gegen den Sherman Antitrust Act durch den Supreme Court (Oberster Gerichtshof der USA) zerschlagen. Rockefeller wurde beschuldigt, er habe Konkurrenten unter Druck gesetzt, damit sie sich von Standard Oil aufkaufen ließen, Preisdumping betrieben und Absprachen mit Eisenbahngesellschaften getroffen, um niedrigere Tarife zu erwirken. All dies sei geschehen, um...
Erscheint lt. Verlag | 22.5.2024 |
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Übersetzer | Henning Dedekind, Moritz Langer, Karsten Petersen, Hans-Peter Remmler |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Everything War. Amazon’s Ruthless Quest to Own the World and Remake Corporate Power |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 2024 • Big Tech • Cloud Computing • Drittanbieter • eBooks • E-Commerce • Einzelhandel • Gaming • Jeff Bezos • Kapitalismus • Kartelle • Käufer • Kaufverhalten • Konsumenten • kriminelle wirtschaftspraktiken • Marktbeherrschung • megatrust • Monopolbildung • Monopole • Neuerscheinung • ruinöse praktiken in der wirtschaft • Social Commerce • tech konzerne • the everything store • the everything war • verdrängung von mitbewerbern • Versandbuchhandel • Wall Street Journal • Wettbewerb • wettbewerk • Wirtschaft • zerstörung der innenstädte |
ISBN-10 | 3-641-31574-3 / 3641315743 |
ISBN-13 | 978-3-641-31574-0 / 9783641315740 |
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