Die Brandstifter (eBook)
368 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01532-6 (ISBN)
Annika Brockschmidt hat Geschichte, Germanistik und War and Conflict Studies in Heidelberg, Durham und Potsdam studiert. Sie ist freie Journalistin und Autorin, hat in der Vergangenheit für das ZDF-Hauptstadtstudio gearbeitet, den «HistoPod» für die Bundeszentrale für politische Bildung produziert und ist aktuell Co-Host der Podcasts «Feminist Shelf Control» mit Rebekka Endler und «Kreuz und Flagge» mit Lukas Hermsmeier. 2022 erhielt sie ein «Transatlantic Media Fellowship» der Heinrich-Böll-Stiftung. Ihre Artikel sind u.a. bei ZEIT Online, dem Tagesspiegel, dem Freitag, der taz und der Frankfurter Rundschau erschienen. Brockschmidt schreibt außerdem als Senior Correspondent für «Religion Dispatches». Ihr Buch «Amerikas Gotteskrieger» über die Macht der Religiösen Rechten in den USA war 2021 ein Bestseller.
Annika Brockschmidt hat Geschichte, Germanistik und War and Conflict Studies in Heidelberg, Durham und Potsdam studiert. Sie ist freie Journalistin und Autorin, hat in der Vergangenheit für das ZDF-Hauptstadtstudio gearbeitet, den «HistoPod» für die Bundeszentrale für politische Bildung produziert und ist aktuell Co-Host der Podcasts «Feminist Shelf Control» mit Rebekka Endler und «Kreuz und Flagge» mit Lukas Hermsmeier. 2022 erhielt sie ein «Transatlantic Media Fellowship» der Heinrich-Böll-Stiftung. Ihre Artikel sind u.a. bei ZEIT Online, dem Tagesspiegel, dem Freitag, der taz und der Frankfurter Rundschau erschienen. Brockschmidt schreibt außerdem als Senior Correspondent für «Religion Dispatches». Ihr Buch «Amerikas Gotteskrieger» über die Macht der Religiösen Rechten in den USA war 2021 ein Bestseller.
2 Konservative Revolutionäre
Konservatismus made in America
«Ich bin ein Revolutionär gegen die bestehende liberale Ordnung.»
William F. Buckley Jr., 1957
Nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021, einem versuchten Staatsstreich, angezettelt von Donald Trump und seinem Umfeld, sah es kurz so aus, als würde die gewählte Spitze der Republikanischen Partei das Richtige tun. Mitch McConnell, politisches Urgestein und zu dem Zeitpunkt Minderheitsführer der Grand Old Party im Senat, verurteilte das Geschehen und sagte hinter verschlossenen Türen, dass Trump Verantwortung für den Angriff auf das Herz der amerikanischen Demokratie trage. Wie Tonaufnahmen belegen, die Journalisten der New York Times vorliegen, äußerte McConnell zudem die Hoffnung, dass die Demokraten Trump «erledigen» würden. Auch Kevin McCarthy, McConnells Pendant im Repräsentantenhaus, ist in dem Mitschnitt zu hören. Er schien sogar davon auszugehen, dass ein Amtsenthebungsverfahren im Senat mit Republikanischer Zustimmung ablaufen würde, und kündigte an, er werde Trump zum Rücktritt raten.[1]
Doch dieser Anflug von Moral – oder der Anschein, einen demokratischen Mindeststandard einzuhalten – währte nicht lange. Denn schnell wurde klar: Die Republikanische Basis sah in dem versuchten Staatsstreich keineswegs einen unverzeihlichen Fehler – im Gegenteil. Unverzeihlich war für sie vielmehr, dass einige gewählte Republikanische Vertreter*innen sich gegen die Lüge vom angeblichen Wahlbetrug aussprachen und Trump zur Verantwortung ziehen wollten. Und so vollführten die Republikaner, mit einigen wenigen Ausnahmen, schon sehr bald eine Kehrtwende aus reinem Machtkalkül. Bereits im Februar 2021 verkündete Mitch McConnell, er werde Trump selbstverständlich wieder unterstützen, sollte «The Donald» bei den nächsten Wahlen erneut der Präsidentschaftskandidat der Partei sein. Zwar hatte er Trump nur einen Monat zuvor vor dem versammelten Senat die Schuld am 6. Januar gegeben,[2] ungeachtet dessen aber auch da schon gegen dessen Amtsenthebung gestimmt.[3] Das Verhalten von GOP-Granden wie McConnell ist symptomatisch für die Partei seit der Nominierung Trumps 2016. Andererseits lässt sich schon lange vor Trump in Teilen des amerikanischen Konservatismus ein unerbittlicher Machtwille beobachten. Die Erkenntnis, dass es dieser Bewegung nicht um ideologische Kohärenz geht, sondern um Machterhalt, ist insofern nicht neu. Vor dem Hintergrund der sich wandelnden demographischen Zusammensetzung der USA tritt dieser machiavellistische Machtwille, für den der Wille der Bevölkerungsmehrheit keine Rolle spielt, inzwischen jedoch immer deutlicher zutage.
Unübersehbar befindet sich die Republikanische Partei nicht erst seit dem Januar 2021 in einer sich beschleunigenden Radikalisierungsspirale. Diese wird nicht nur von rechtsextremen Akteur*innen angetrieben, sondern auch von einem Partei-Establishment, das lange dachte, es könne diese Kräfte für die eigenen politischen Zwecke nutzen und kontrollieren. Dabei bestimmen die Geister, die sie riefen, längst die Agenda, und ein Ende der Radikalisierung ist nicht abzusehen. Im Gegenteil: Seit dem 6. Januar 2021 lässt sich beispielsweise eine massive Eskalation in der Rhetorik beobachten. Einige Republikanische Politiker*innen äußern seither offen Gewaltfantasien. So verbreitete Paul Gosar, ein Abgeordneter aus Arizona, im November 2021 ein Anime-Video, in dem er seine Kollegin im Justizausschuss, die Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez, mit einem Schwert erstach und Präsident Biden mit zwei Schwertern angriff.[4] Diese unzweideutige Morddrohung gegenüber einer Parlamentarierin und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten hatte für Gosar weder parteiintern noch strafrechtlich irgendwelche Folgen.
Einige Wochen später sorgte Gosar erneut für Schlagzeilen, diesmal zusammen mit Marjorie Taylor Greene, einer Abgeordneten aus Georgia. Beide nahmen an einer vom Holocaust-Leugner und White Nationalist Nick Fuentes veranstalteten Konferenz teil. Sie waren nicht die einzigen gewählten Republikaner bei dieser Versammlung von Neonazis und White Supremacists.[♦] Marjorie Taylor Greenes Auftritt als Hauptrednerin der rechtsextremen Konferenz zog lediglich eine Rüge durch den damaligen Fraktionsführer im Repräsentantenhaus Kevin McCarthy nach sich.[5] Eine so zahme Reaktion wäre noch wenige Jahre zuvor undenkbar gewesen: 2019 schloss die GOP den Abgeordneten Steve King wegen Äußerungen aus dem White-Nationalist-Spektrum, die keineswegs extremer waren als das, was Greene regelmäßig von sich gibt, von allen Ausschüssen im Kongress aus. Zwar verlor am Ende auch Greene ihre Sitze in wichtigen Ausschüssen und damit ihre Möglichkeit, Gesetzgebung aktiv mitzugestalten, allerdings nicht auf Initiative ihrer eigenen Partei. Im Gegenteil, McCarthy nannte die Entscheidung der Demokraten, Greene unter anderem wegen Todesdrohungen gegen Demokraten auszuschließen, den Versuch einer «parteiischen Machtergreifung».[6]
Es zeichnet sich immer deutlicher ab: Wer in der Republikanischen Partei die Rhetorik von White Supremacy verwendet oder auf deren Konferenzen und Versammlungen auftritt, wer dem politischen Gegner mit Gewalt oder gar dem Tod droht, der hat nicht mehr zu befürchten als eine verbale Rüge. Aus Sicht des Historikers Thomas Zimmer von der Georgetown University ist «die Führungsriege der GOP sich darüber im Klaren, dass das Meiste an Energie und Aktivismus genau von diesem rechten Flügel kommt». Zugleich werde diese Form des Radikalismus in weiten Teilen der Rechten und der Republikanischen Partei als gerechtfertigt angesehen. Greene möge sich zwar extremer ausdrücken als andere Mitglieder der Partei, so Zimmer, aber die Weltsicht, die ihren Aussagen zugrunde liege, sei größtenteils «auf einer Linie mit dem zentralen politischen Projekt der GOP und der Rechten im weiteren Sinne: Sie sind vereint in ihrer Mission, Weiße, reaktionäre Herrschaft zu implementieren.»[7]
Die zunehmende Radikalisierung der Republikanischen Partei, die seit 2016 immer offensichtlicher wird, kann einen nur überraschen, wenn man von der Prämisse ausgeht, dass die USA eine seit 250 Jahren funktionierende Demokratie sind.[8] Ja, die USA sind tatsächlich die älteste derzeit bestehende Demokratie der Welt. Aber sie war lange Zeit nur für Weiße, christliche, Land besitzende Männer eine Demokratie. Wer nicht in diese Kategorie gehörte, für den war das Land alles andere als demokratisch: Schwarze, Frauen, nicht-Weiß gelesene Einwanderer – sie alle hatten in unterschiedlichem Maße unter der herrschenden Klasse zu leiden.[9] Noch bis ins Amerika der 1950er Jahre waren alle Schwarzen Bürger*innen zweiter Klasse und einem brutalen Regime von Polizeigewalt, Lynchjustiz und Segregation ausgesetzt. Das änderte sich erst mit der Bürgerrechtsbewegung, die in den 1950er und 1960er Jahren dafür kämpfte, die jahrhundertelange Unterdrückung der Schwarzen durch die Weiße Bevölkerung zu beenden. Es ist kein Zufall, dass die konservative Bewegung in den USA zeitgleich damit begann, gegen die neuen bürgerrechtlichen Errungenschaften zu mobilisieren, gegen all diese Leute, die plötzlich auch ein Stück vom Kuchen abhaben wollten.
Vor der Suche nach den Gründen für die Radikalisierung des amerikanischen Konservatismus im Allgemeinen und der GOP im Besonderen gilt es jedoch als Erstes zu klären, was der Begriff «Konservatismus» im amerikanischen Kontext überhaupt bedeutet. Am treffendsten scheint mir die Definition des Historikers John S. Huntington: «Allgemein gesprochen, vereint der amerikanische Konservatismus ein Misstrauen gegenüber Reform, Argwohn gegenüber zentralisierter Macht und das Bestreben, den sozialen Status quo zu bewahren. Während des Kalten Kriegs verschärften sich diese Tendenzen und führten zu libertärer Angst vor einem übergriffigen Staat, zu einer nervösen Verteidigung von sozialen und kulturellen Normen sowie zur Übernahme eines evangelikalen Antikommunismus.»[10] Der Historiker George Hawley spricht davon, dass es trotz der verschiedenen Denkschulen, die der amerikanische Konservatismus in sich vereint, einen gemeinsamen Nenner gibt: Im Unterschied zu linken Bewegungen betrachte der Konservatismus Gerechtigkeit nicht als das oberste, erstrebenswerte Gut. In diesem Punkt unterscheide sich der Konservatismus von linken Bewegungen, so Hawley.[11] Der frühere Republikanische Stratege Bill Kristol sagte mir: «Ich denke, Konservatismus war immer schon ein sehr elastischer Terminus bezüglich politischen Denkens und Ideologie, denn was bedeutet es, etwas zu ‹bewahren›?»[12] Sprich: Die Radikalität von Konservatismus hängt auch davon ab, was er «konservieren» will.
Der Konservatismus verfügt über das, was die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl treffend ein «eigenständiges ideologisches Inventar» nennt.[13] Anstelle des Glaubens an Gleichheit stehe im Konservatismus der Glaube an Ungleichheit, die als gottgewollt und unveränderlich gilt; Religion besitze in seinem Weltbild einen besonderen Stellenwert.[14] Der moderne Konservatismus hat laut Strobl seine...
Erscheint lt. Verlag | 13.2.2024 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Amerikanische Gesellschaft • amerikanische Politik • Amerikanische Zeitgeschichte • Amerikansiche Geschichte • Amerikas Gotteskrieger • BLM • Book Ban • Christlicher Nationalismus • DeSantis • Diskriminierung • Geschichte der Republikaner • Gesellschaft • Joe Biden • Kamala Harris • Konservatismus • konservative Politik • Maga • Politik • Präsidentschaftswahl • Radikalisierung • Recht auf Abtreibung • Rechtsextremismus • Republikaner • Republikanische Partei • sachbuch politik • Sturm aufs Kapitol • Tea Party • Trump • USA • US-Präsident • US Präsidentschaftswahlen • US-Wahl • US-Wahl 2024 • Verschwörungstheorien • Wahlbetrug Amerika • Wahlsystem USA |
ISBN-10 | 3-644-01532-5 / 3644015325 |
ISBN-13 | 978-3-644-01532-6 / 9783644015326 |
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