Mit links die Welt retten (eBook)

Für einen radikalen Humanismus
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Kanon Verlag
978-3-98568-111-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mit links die Welt retten -  Klaus Lederer
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Meine Vision für eine bessere Zukunft Die Welt ist in einer akuten Krise, doch die politische Linke tritt auf der Stelle. Ist links zu sein aus der Zeit gefallen? Oder kann uns nicht gerade die sozialistische Idee helfen, unser Land und unseren Globus progressiv zu verändern? Vielfache Krisen und Zukunftsängste beherrschen unseren Alltag. Die Beruhigungspillen der Merkel- Jahre wirken nicht mehr. Einst ist die Linke angetreten, um ein besseres Leben für Alle zu erstreiten. Heute muss sie um ihr politisches Überleben fürchten. Ein wütender Populismus und Zerstrittenheit lähmen sie. Der frühere Kulturbürgermeister Berlins und einer der beliebtesten Politiker seiner Partei denkt Linkssein radikal neu. Er befragt die Geschichte, schildert seine eigenen Umbruchserfahrungen und gibt Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit: Wie können wir unsere Welt gerechter, lebenswerter und nachhaltiger machen? Wie können wir in Freiheit und Gemeinschaft einer besseren Zukunft entgegensehen? »Klaus Lederer gehört für mich zu jenen Politikern, denen ich nicht einfach bloß vertraue, sondern von denen ich immer und immer wieder Neues lerne. Dieses Buch ist ein erneuter Beweis dafür.« Igor Levit

Klaus Lederer wurde 1974 in Mecklenburg geboren und wuchs in Frankfurt (Oder) auf. 2005 wurde er zum Landesvorsitzenden der LINKEN in Berlin gewählt. Von 2016 bis April 2023 war er Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa in Berlin.

Klaus Lederer wurde 1974 in Mecklenburg geboren und wuchs in Frankfurt (Oder) auf. 2005 wurde er zum Landesvorsitzenden der LINKEN in Berlin gewählt. Von 2016 bis April 2023 war er Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa in Berlin.

ERSTES KAPITEL


NEUNZEHNHUNDERTNEUNUNDACHTZIG


ALS DER KAPITALISMUS ÜBRIGBLIEB

Im Herbst 1989 war ich 15 Jahre alt, geboren in Schwerin, in Frankfurt an der Oder aufgewachsen. Mein Vater war Berufspendler, weshalb unsere Familie im Sommer 1988 schließlich nach Berlin umgezogen ist. Geistig damals ganz ein Kind der DDR, nahm ich die Verhältnisse, in die ich hineingeboren worden war, als gegeben. Ich wuchs auf in die Gewissheit, dass der Sozialismus dem Kapitalismus »gesetzmäßig überlegen« sei. Irritationen dieser Gewissheit durch die Wirklichkeit, soweit ich sie in meiner Kindheit und frühen Jugend wahrgenommen habe, sah ich nicht als Verfallserscheinungen eines sich auflösenden Systems. Sie waren für mich Ausdruck der Beschwernisse eines langen Wegs, der noch vor uns lag. Außerdem war ja da auch noch der feindliche Westen, der immer verlässlich seinen Teil beitrug, um die Lösung der gesellschaftlichen Herausforderungen zu torpedieren.

Mein Weltbild war orthodox und binär. Richtig und falsch, gut und schlecht waren klar definiert. Kinder brauchen vielleicht solch klare, überschaubare Weltbilder. Das begann sich erst zu verändern, nachdem wir nach Berlin gezogen waren. Und auch das nicht von einem auf den anderen Tag, tatsächlich war das ein sehr langsamer Prozess. Ich erinnere mich, zu Weihnachten 1988 von einer Freundin in meiner neuen Schulklasse eine Schwarz-Weiß-Brille geschenkt bekommen zu haben; das dürfte eine zutreffende Illustration meiner Weltsicht in diesen Tagen gewesen sein. Da wohnten wir gerade mal sechs Monate in der Hauptstadt der DDR, doch in dieser kurzen Zeit hatte ich mit jedem neuen Tag erlebt, wie die innere Spannung in der Gesellschaft zunahm und diese sich enorm politisierte. Außerdem kam ich in das Alter, in dem ich begann, die Dinge differenzierter und in ihrer Widersprüchlichkeit wahrzunehmen. Ich wurde langsam erwachsener.

Als die sowjetische Zeitschrift Sputnik, ein Gorbatschows Diktum der Offenheit verpflichteter Digest der Presse des »Bruderlandes« UdSSR in der DDR, im November 1988 verboten (im Agitprop-Sprech der SED: »nicht mehr ausgeliefert«) wurde, erlebte ich an meiner Schule sprachlose Lehrer*innen, viele von ihnen treue Parteimitglieder. Auch bei vielen von ihnen bröckelten die Gewissheiten. Egal, ob in der Familie oder im Freundeskreis, überall wurde über originär politische Fragen diskutiert, durchaus sorgenvoll mit Blick in die Zukunft, aber auch voller Hoffnung: Auf einmal war die Zukunft offen und nicht einfach die Fortsetzung einer stillgestellten Gegenwart.

Die Ostberliner Punkband Die Skeptiker spielte in der Blechturnhalle unserer Schule »DaDa in Berlin« und der Liedermacher Gerhard Schöne sang die Lieder »Alles muß klein beginnen« und »Mit dem Gesicht zum Volke«. Das war ein anderer Sound als der vom »planmäßigen Aufbau des Sozialismus«, den uns unser Klassenlehrer im Fach Staatsbürgerkunde, ein kritischer Zeit- und SED-Genosse, nicht ohne eine Spur von Ironie vermittelte. Das alles war dann auch für mich, knapp jenseits der Jugendweihe – dem von den meisten Jugendlichen in der DDR gefeierten Übergang ins Erwachsenenalter – bei Weitem nicht mehr nur eine Sache des Kopfes. Es war geradezu körperlich spürbar, dass es so nicht weitergehen konnte. Dringend musste sich etwas ändern im Lande. Wir hatten es ja bei Lenin so gelernt: Wenn die Beherrschten nicht mehr wollen und die Herrschenden nicht mehr können, entsteht eine revolutionäre Situation. All die gewohnten und langweilenden Parolen wichen einer neuen, klareren Sprache. Die »Klassiker-Zitate«, die das System bisher als Worthülsen zur Dekoration und Selbstfeier seiner Herrschaft benutzt hatte, richteten sich plötzlich gegen die Herrschenden. Diese Sätze hatten wirklich etwas mit der Welt zu tun, in der ich mich versuchte zurechtzufinden. Plötzlich war überall echte Politik.

Gleichzeitig liefen dem Land zu Zehntausenden die Leute weg. Weder Mauer noch Stacheldraht und Selbstschussanlagen konnten sie noch aufhalten. Was hätten auch bestens aufgestellte Propagandaabteilungen des Politbüros der SED daran kaschieren können? Es wurde schlicht zu einer im Alltag spürbaren, nicht mehr zu leugnenden Erscheinung: Alle konnten im Berufsleben, in der Familie, in der Kneipe oder im Garten von anderen erzählen, die plötzlich nicht mehr bei der Arbeit aufgetaucht waren. In einem Land mit knappem Wohnraum waren viele Wohnungen auf einmal »freigezogen«. Im September 1989 entlud sich die Unzufriedenheit und Wut der Hiergebliebenen in immer heftigeren Protesten – zunächst in Leipzig, bei den legendären Montagsdemonstrationen, dann bald überall, auch in der DDR-Hauptstadt. Die Eindämmungs- und Erklärungsversuche der Staatsmacht, die in gewohnter Weise »auf vom Westen gesteuerte konterrevolutionäre Umtriebe« verwies und mit zunehmender Repression antwortete, bewirkten das glatte Gegenteil.

Am 9. September kündigten Vertreter*innen verschiedener Oppositionsgruppen die Gründung des Neuen Forums als einer republikweiten Oppositionsbewegung an, die auf Grundlage der geltenden DDR-Verfassung die Zulassung als politischer Verein beanspruchte. Im Gründungsmanifest »Aufbruch 89« wurde aber nicht nur zu Dialog aufgerufen und ein Ende der staatlichen Gewalt und der Bespitzelung durch den Staatssicherheitsdienst gefordert. Es wurde ein Gestaltungsanspruch für das Land formuliert: »Auf der einen Seite wünschen wir uns eine Erweiterung des Warenangebotes und bessere Versorgung, andererseits sehen wir deren soziale und ökonomische Kosten und plädieren für die Abkehr von ungehemmtem Wachstum. Wir wollen Spielraum für wirtschaftliche Initiative, aber keine Entartung in eine Ellenbogengesellschaft. Wir wollen das Bewährte erhalten und doch Platz für Erneuerungen schaffen, um sparsamer und weniger naturfeindlich zu leben. Wir wollen geordnete Verhältnisse, aber keine Bevormundung.«

So eine Klarheit und Reflexion, so viel Mut zum offenen Denken wünsche ich mir heute manchmal von den politischen Parteien, auch von meiner eigenen. Der Ausgangspunkt waren die konkreten, unhaltbar gewordenen Missstände in der DDR. »Wir wollen ein wirksames Gesundheitswesen für jeden; aber niemand soll auf Kosten anderer krankfeiern. Wir wollen an Export und Welthandel teilhaben, aber weder zu Schuldner und Diener der führenden Industriestaaten noch zum Ausbeuter und Gläubiger der wirtschaftlich schwachen Länder werden.« Zusammengefasst hieß es: »Allen Bestrebungen, denen das NEUE FORUM Ausdruck und Stimme verleihen will, liegt der Wunsch nach Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden sowie Schutz und Bewahrung der Natur zugrunde. Es ist dieser Impuls, den wir bei der kommenden Umgestaltung der Gesellschaft in allen Bereichen lebensvoll erfüllt wissen wollen.«1

Ich nehme an, es dürfte klar sein, weshalb mir dieser Aufruf noch gut drei Jahrzehnte später sehr aktuell vorkommt. Er erfuhr in jenen Tagen eine überwältigende Resonanz. Sein Widerhall reichte weit über das Spektrum derjenigen hinaus, die bereits seit Jahren oder gar Jahrzehnten in der DDR in oppositionellen Zirkeln engagiert waren. »Dialog« wurde zum Schlüsselbegriff der Stunde. Diejenigen, die die Kirchen zu Friedensgebeten füllten, wollten meist das Land nicht verlassen. In den Betrieben, Universitäten, Schulen und Freundeskreisen gab es kaum ein anderes Thema. »Es lag schon eine gewisse Ironie darin, dass sich Oppositionsgruppen unter denen formierten, die bleiben wollten. Die immer größere Zahl der Fliehenden brachte diejenigen, die nicht bereit waren, sich selbst zu entwurzeln, dazu, Reformen zu fordern, die ihr Bleiben rechtfertigen würden.«2

Der vierzigste Geburtstag der DDR, der 7. Oktober 1989, geriet zum bizarren Sinnbild der Widersprüche, die sich innerhalb des Landes – und damals sozusagen als »real existierende innersozialistische Widersprüche«, als Widersprüche des Systems – aufgestaut hatten. Im Palast der Republik am Marx-Engels-Platz speiste die Partei- und Staatsführung und feierte sich. »Vorwärts immer, rückwärts nimmer!«, verkündete der SED-Generalsekretär Erich Honecker in seiner Festansprache in Gegenwart des KPDSU-Chefs Michail Gorbatschow. Und vor dem Haus demonstrierten die Menschen, sie riefen »Wir sind das Volk!« und »Gorbi, hilf uns!«. Gorbatschow soll den Satz »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben« ja so nie gesagt haben.3 Dass er ihm dennoch zugeschrieben wurde, hat vermutlich etwas mit der Stimmung der meisten Menschen zu tun, die an diesem Tag auf den Straßen waren, die sich Wasserwerfern aussetzten, Prügel und Verhaftung riskierten und eben auch erlitten. Viele von ihnen hat die Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft motiviert, die ihre Angelegenheiten unter freien und gleichen Menschen kollektiv regeln, ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen würde. Letztlich war es doch der eigene hehre...

Erscheint lt. Verlag 21.2.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Angela Merkel • CDU • Clubkultur • Debattenbuch • Die Grünen • Die Linke • Gysi • Igor Levit • Joe Chialo • Kultur • Kultursenator • Lafontaine • Milo Rau • Ostdeutschland • Partei • Populismus • Robert Misik • Sahra Wagenknecht • Sozialismus • SPD
ISBN-10 3-98568-111-2 / 3985681112
ISBN-13 978-3-98568-111-2 / 9783985681112
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