Erfolg - ein moderner Selbstbetrug -  Bernd Kramer

Erfolg - ein moderner Selbstbetrug (eBook)

Von der Entzauberung der Leistungsgesellschaft

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
224 Seiten
Kösel (Verlag)
978-3-641-30440-9 (ISBN)
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Kann sich Leistung heute noch lohnen?
»EIN SCHLAUER ESSAY - EIN MUST-READ FÜR ALLE, DIE ÜBERZEUGT SIND, ERFOLG SEI NUR EINE FRAGE DES MINDSETS.« Julia Friedrichs, Filmemacherin und SPIEGEL-Bestsellerautorin

Wir strampeln im Hamsterrad immerzu dem Wunsch einer gesicherten Zukunft hinterher und vertrauen stur auf das Mantra, der Markt werde unsere harte Arbeit schon belohnen. Wer sich anstrengt, kommt ans Ziel. Aber stimmt das noch?

Erfolg und Leistung haben sich heute voneinander entkoppelt. Nicht selten entscheidet die Herkunft, eine Erbschaft oder der Zufall über den eigenen Platz in der Gesellschaft. Doch während wir die Chancengleichheit schwinden sehen, wünschen wir uns nur noch sehnlicher, zu den Erfolgreichen zu gehören. Was gibt am Ende wirklich den Ausschlag? Und warum klammern wir uns an Versprechen, die sich immer öfter als leer erweisen?

Bernd Kramer versammelt überraschende Einsichten aus Soziologie, Psychologie und Philosophie, die gehörig am Erfolgskult unserer Gegenwart rütteln. Er legt die Mechanismen hinter festgefahrenen Glaubenssätzen offen und zeigt, wie wir uns von ihrem Sog emanzipieren können.

Bernd Kramer arbeitet als Redakteur für die Süddeutsche Zeitung. Davor hat er als Redakteur beim Spiegel und der taz gearbeitet und vor allem über Bildungspolitik geschrieben. Er hat Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaften und Soziologie studiert und die Kölner Journalistenschule absolviert. Für seine Arbeit wurde er unter anderem mit dem Willi-Bleicher-Preis und dem Goethe-Medienpreis ausgezeichnet.

EINLEITUNG

Man könnte meinen, der Erfolg habe seine beste Zeit hinter sich. Er ist verdächtig geworden, eine dubiose Angelegenheit, mit der irgendetwas nicht stimmt und die man deswegen weit von sich weist, zumindest vordergründig. Will ja keiner, so etwas, angeblich. Ein Vermögen auf der Bank, eine Villa mit riesigem Garten in Zehlendorf, eine Jacht im Hafen von Saint-Tropez. Fürchterliche Vorstellung. Der kurze Blick aufs Handy: Die Aktien entwickeln sich prächtig, die Firma läuft bestens, eine stattliche Dividende ist zu erwarten, zurücklehnen, die Sonnenbrille auf, einen Schluck Dom Pérignon. Was für ein grauenhaftes Leben. Es hebe die Hand, wer ernsthaft danach strebt.

Oder das hier: Die Chefin lobt das jüngst abgeschlossene Projekt, hervorragend gemacht, alle Kolleginnen und Kollegen sind ganz angetan. Nicken im Konferenzraum, Schulterklopfen auf den Fluren. Mit einem Mal fragen dich sogar diejenigen um Rat, die vor Kurzem nicht einmal wussten, wie du heißt. Schließlich bittet der Geschäftsführer zu sich ins Büro. Wirklich beeindruckend, sagt er. Wie wäre es mit einer Gehaltserhöhung und einer Beförderung? Irgendeine Stelle, die Sie bei uns besonders interessieren würde? Bitte, nein, bloß nicht.

Oder das: Da zieht man wochenlang ein straffes Fitnessprogramm durch, verbringt viele Stunden auf dem Crosstrainer, achtet auf die Ernährung, joggt jeden Tag nach der Arbeit dreimal um den See. Dann meldet man sich für den vom Stadtmarketingverein organisierten Marathon an, Freunde, Bekannte, Familienangehörige stehen am Wegrand und jubeln einem zu. Und dann lohnt es sich sogar. Zu allem Übel gewinnt man. Unerträglich.

Erfolg ist etwas für Angeber, Größenwahnsinnige, Narzissten, der Inbegriff einer Red Flag, ein Attribut all derjenigen, die sich eher früher als später als Unsympathen erweisen, etwas, das man in der postheroischen Gegenwart allenfalls mit gefallenen Helden in Verbindung bringt. Erfolg ist, um die Diagnose in zeitgenössisches Vokabular zu kleiden, toxisch. Und wenn irgendjemand dafür noch einen Beleg brauchte, konnte er ihn in den vergangenen Jahren dutzendfach finden: Menschen, die ihre Macht und ihren Status missbrauchten, die tief gestürzten Stars, Chefredakteure großer Boulevardblätter, Filmbosse wie Harvey Weinstein, Rockstars wie Till Lindemann oder er zum Beispiel: Kevin Spacey, einst gefeierter Schauspieler, dessen Karriere ins Abseits geriet und den die Drehbuchautoren von House of Cards in den vorzeitigen Serientod schicken mussten, als Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe gegen ihn erhoben wurden. Was war das Gift, das alles zerstörte? Ganz klar, sagt Spacey: der Erfolg. »Es gibt keine Schule, an der man lernen kann, wie man mit Ruhm umgeht«, bekannte er, kurz bevor ein Londoner Gericht ihn im Jahr 2023 dann doch freisprach. »Ich habe wirklich versucht, kein Arschloch zu sein. Aber ich glaube, in gewissem Maße war ich ein Arschloch.«1

Man hüte sich vor dem Erfolg.

Erfolg ist ein überholtes Accessoire einer überholten Generation alter weißer Männer. Mein Haus, mein Auto, mein Boot. Wen will man damit noch beeindrucken? Die empfindsamen Schneeflocken von heute lächeln nur müde über all diejenigen, die ein solches Gehabe weiterhin nötig haben: das Geprotze, das Geprahle, das Gegockel. Lächerlich. Immer schon gewesen. Nur dass es sich inzwischen herumspricht, glücklicherweise.

Wer jagt denn dem Erfolg noch hinterher?

Schon der Generation der Millennials wurde ein eher skeptisches Verhältnis zur Schufterei nachgesagt. Inzwischen sind die zwischen den Achtziger- und frühen Neunzigerjahren Geborenen beruflich so weit vorgerückt, dass die Midlife-Crisis anstünde. Nur fällt die aus, weil es angeblich ja von vornherein kaum Erfolgsideale gab, deren Verfehlen man nun betrauern könnte. Kein Haus, kein Auto, kein Boot. Und das alles musste auch nie sein, nicht mehr. Die nachfolgende Generation Z hält es sogar noch nihilistischer. Die jungen Menschen, die in diesen Zeiten in den Beruf starten, blicken angeblich fast mit Abscheu auf die Insignien des arrivierten Lebens. Dafür soll man sich zu Tode schuften? Nein danke.

Ikonisch zum Ausdruck brachte das im Herbst 2023 eine junge Frau, die in einem Video auf Tiktok von ihrer Jobsuche berichtet, als sei sie soeben von einer lebensgefährlichen Safari zurückgekehrt. »Ich hatte gerade den größten Nervenzusammenbruch ever«, sagt sie da mit bebender Stimme. Der Grund? Ein Arbeitgeber stellte gerade einmal 30 Urlaubstage in Aussicht. Im Jahr. Sie wirkt, tatsächlich, den Tränen nahe. »Wir reden hier von einem ganzen Jahr«, sagt sie. »Für was bin ich in die Schule gegangen, hab mein Abi gemacht, hab studiert.« Wann endlich würden wir nur alle erwachen und kollektiv die Arbeit einstellen.2 Es ist leicht, Häme über eine Tiktokerin auszukippen und das ganze Drama ein bisschen drüber zu finden. Der Boulevard war jedenfalls außer sich über die »Generation Jammerlappen«.3

Und längst schon beklagen auch die Verbandsvertreter aus der Wirtschaft die vermeintlich nachlassende Leistungsmoral. Es brauche wieder »mehr Bock auf Arbeit«, dröhnte es aus der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.4 Das Berufsleben sei »kein Ponyhof«, mahnte die Chefin der Bundesagentur für Arbeit. Andere warnten, Deutschland gleite ab in die »Flauschokratie«, wenn Grundschulkinder bei den Bundesjugendspielen künftig von der Demütigungspädagogik verschont bleiben sollen, die ihre Eltern und Großeltern wegstecken mussten.5 Was will man da erwarten? Niemand wolle mehr etwas erreichen, niemand mehr die watteweichen Komfortzonen verlassen, alle scheuten die Zumutungen. Wo wird hier in die Hände gespuckt, wo steigern sie das Bruttosozialprodukt? Deutschland steigt ab, weil die Menschen träge und bequem werden, weil niemand mehr durch Erfolg zu locken ist, weil keiner mehr etwas leisten will. Das ist zumindest die Vorstellung, die durch die Debatten geistert, und natürlich eine maßlos verzerrte.

Die Angehörigen der Generation Z, die gerade von den Unis kommen, fragen angeblich in jedem Vorstellungsgespräch nicht nur nach riesigen Urlaubskontingenten und signalisieren, dass lange Arbeitstage und Überstunden nicht so ihr Ding sind. Bevor sie unterschreiben, wollen sie wissen, ob der potenzielle Arbeitgeber Workation ermöglicht und sie den Laptop vielleicht auch mal am Strand in Portugal aufklappen können. Zwischen zwei Video-Meetings unterbrechen sie den Dienst kurz, um eine Runde auf den Wellen zu surfen – oder eigentlich eher umgekehrt. Und selbst die, die nicht mehr ganz so jung sind, debattieren rege, ob es nicht einmal Zeit wäre für die Vier-Tage-Woche, die ersten Gewerkschaften ziehen bereits mit der Forderung nach dem freien Freitag in die Tarifauseinandersetzungen. Einfach nur Dienst nach Vorschrift machen und nichts weiter anstreben: Früher hatte das einen schlechten Ruf. Inzwischen ist es als Phänomen zurück, das allgemein begrüßt wird und unter Quiet Quitting den Zeitgeist prägt, als innerer Rückzug bei formal intaktem Arbeitsverhältnis. Leistung muss sich schonen.

Wenn es nur so einfach wäre. Wenn es überhaupt so wäre.

Es gibt genügend Zahlen, die diesem Klischee von der heraufziehenden Flauschokratie widersprechen, der Diagnose, dass nicht mehr gearbeitet würde, dass Jüngere nicht mehr auf den Aufstieg hofften und Ältere auf den erreichten Status nichts mehr gäben und alle Welt ihre Ambitionen beerdigen und nur noch die Füße hochlegen würde.6 Die Realität deutet nicht auf einen kollektiven Abschied von der zielstrebigen Betriebsamkeit hin. Es ist allenfalls eine Sehnsucht, die aus der Debatte spricht. Aber auch eine Sehnsucht kann verräterisch sein. Vielleicht sogar gerade die.

Möglicherweise ist da nämlich etwas verrutscht. Man träumt weiter heimlich von den jubelnden Fans beim Marathon, von der Beförderung, vielleicht auch heimlich von der Villa, eine kleine würde ja schon reichen, man muss ja nicht so protzen und prahlen, wie man es früher vielleicht tat, aber schön wäre der Erfolg ja immer noch. Ein bisschen pastelliger als damals, nicht so knallig, nicht so grell, aber immer noch Erfolg. Nur dass Talent und harte Arbeit verlässlich zu ihm führen, das ist nicht mehr ausgemacht.

Die Wege nach oben sind undurchsichtiger geworden, ungewisser, verwunschener, die Wegweiser unleserlich, die Karten veraltet, einst sichere Pfade haben sich in Sackgassen verwandelt. Heute ahnt man, dass man den Wohlstand früherer Generationen im eigenen Berufsleben vermutlich nicht mehr erreichen wird, die Welt sich ohnehin ungemütlicher entwickelt, weniger verlässlich in so vieler Hinsicht, vielleicht katastrophaler, und in Windeseile kann alles wieder eingerissen werden, was wir geschaffen haben. Man wird vielleicht das Haus der Eltern erben, aber kein neues bauen. Zu unsicher, zu prekär, bei dem Einkommen, bei den Hypothekenzinsen. Auf eine halbwegs sorgenfreie Zukunft kann sich nur einstellen, wem die Eltern eines Tages ein beträchtliches Vermögen übertragen, was offensichtlich kein fairer Gesellschaftsentwurf sein kann.

Wenn es erkennbar nicht mehr für die meisten wie mit dem Fahrstuhl nach oben geht, wenn kommende Generationen es nicht automatisch besser haben werden, dann entlarvt sich die Rede vom Aufstieg durch Leistung eben als die Demagogie, die sie schon immer war, nur dass man sie früher vielleicht nicht so schnell durchschauen konnte. Manche Beobachter erklären den aufziehenden Populismus in vielen Ländern auch mit...

Erscheint lt. Verlag 27.3.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2024 • Arbeitswelt • Die Kunst des Scheiterns • eBooks • Erfolg & Erfolgscoaching • Great Resignation • Hamsterrad • Leistungsgesellschaft • Neuerscheinung • new work • quiet quitting • Timothy Ferriss • was macht erfolgreich? • Wirtschaft • Zufall
ISBN-10 3-641-30440-7 / 3641304407
ISBN-13 978-3-641-30440-9 / 9783641304409
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