Datenraub - Der neue Kolonialismus von Big Tech und wie wir uns dagegen wehren können -  Ulises A. Mejias,  Nick Couldry

Datenraub - Der neue Kolonialismus von Big Tech und wie wir uns dagegen wehren können (eBook)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
400 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491909-6 (ISBN)
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Wir leben in einer neuen Form von Kolonialismus, das zeigen die weltweit renommierten Forscher Nick Couldry und Ulises A. Mejias, die das Konzept des Datenkolonialismus begründet haben. In der Vergangenheit war der Kolonialismus eine Landnahme von natürlichen Ressourcen und Ausbeutung von Arbeit und Privateigentum. Er gab vor, zu modernisieren und zu zivilisieren, aber in Wirklichkeit ging es um Kontrolle. Der Kolonialismus ist nicht verschwunden, sondern hat eine neue Form angenommen. Große Technologieunternehmen beuten unsere wichtigsten und grundlegendsten Ressourcen - unsere Daten - aus. Sie verpacken unsere Informationen und Verbindungen neu, um Profit zu machen, unsere Ansichten zu kontrollieren, unsere Bewegungen zu verfolgen, unsere Gespräche aufzuzeichnen und gegen uns zu verwenden.  Nick Couldry und Ulises A. Mejias zeigen auf, wie die Geschichte uns helfen kann, die sich abzeichnende Zukunft der Ausbeutung zu verstehen - und wie wir uns wehren können.

Ulises A. Mejias, in Mexiko geboren, lebt und lehrt in den USA: Er ist Professor für Kommunikationswissenschaften und Direktor des Institute for Global Engagement an der SUNY New York. Mejias arbeitet und schreibt bereits seit geraumer Zeit zusammen mit Nick Couldry. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichten sie u.a. in »The Atlantic«, »The Financial Times«, »Wired« und ihrem akademischen Buch »The Costs of Connection«.

Ulises A. Mejias, in Mexiko geboren, lebt und lehrt in den USA: Er ist Professor für Kommunikationswissenschaften und Direktor des Institute for Global Engagement an der SUNY New York.  Mejias arbeitet und schreibt bereits seit geraumer Zeit zusammen mit Nick Couldry. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichten sie u.a. in »The Atlantic«, »The Financial Times«, »Wired« und ihrem akademischen Buch »The Costs of Connection«. Nick Couldry ist Professor für Medien- und Kultursoziologe an der London School of Economics and Political Science und Lehrbeauftragter an der Harvard University. Er lebt in London. Couldry arbeitet und schreibt bereits seit geraumer Zeit zusammen mit Ulises A. Mejias. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichten sie u.a. in »The Atlantic«, »The Financial Times«, »Wired« und ihrem akademischen Buch »The Costs of Connection«.

Der Kolonialismus als »4X-Spiel«


Stellen Sie sich vor, Sie sind der König oder die Königin von England. Genauso gut könnten Sie aber auch das Oberhaupt des kolonialen Spaniens, Frankreichs oder der Niederlande sein. Für welches Land Sie sich auch entscheiden, die Aufgabe, die vor Ihnen liegt, ist im Wesentlichen stets dieselbe: Es gilt, Territorien zu besiedeln, mit Rohstoffen zu handeln, Städte zu gründen und die einheimische Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Eine gehörige Portion Ehrgeiz und Habgier sind für diesen Job sicherlich nützlich.

Entdecken, Expandieren, Ausbeuten und Ausrotten – das sind die strategischen Mittel Ihres Handwerks. Mit ein paar Klicks wenden Sie diese vier Strategien nacheinander an und errichten sich so Ihr Imperium. Und dann wenden Sie sie wieder an. Und wieder. Und sollte Ihr Reich untergehen, der Konkurrenz unterliegen oder in einem Krieg vernichtet werden, so ist das kein Problem. Sie fangen einfach von vorne an, schließlich ist alles nur ein Videospiel: Sid Meier’s Civilization, ein rundenbasiertes Strategiespiel aus dem Jahr 1994 (Neuauflage 2008).

Entdecken, expandieren, ausbeuten, ausrotten – oder eXplorieren, eXpandieren, eXtrahieren, eXterminieren –, das ist die bewährte Strategieformel für sogenannte »4X-Spiele«. Aber sie fasst auch sehr treffend zusammen, wie die europäischen Kolonialherren vorgingen, als sie riesige Vermögen für sich selbst, aber gewaltiges Elend für alle anderen schufen und nebenbei die Organisation der Ressourcen dieser Welt völlig neu ordneten.

Der Kolonialismus war ein vielschichtiges Projekt, geführt von hochkomplexen Unternehmen. Bereits erwähnt wurde die British South Africa Company, und natürlich gab es auch die East India Company. Die Spanier hatten die Casa de la Contratación de Indias, die Portugiesen ihre Companhia do Commércio da Índia. Die Niederländer gründeten die Vereenigde Oostindische Compagnie, die im 17. und 18. Jahrhundert mehr als eine Million Europäer in Asien beschäftigte und von dort 2,5 Millionen Tonnen Waren exportierte. Sie war rechtlich befugt, Kriege zu erklären, Piraterie zu betreiben, Kolonien zu gründen und Münzen zu prägen.[1] Alle diese Unternehmen waren eng mit den Herrschern ihrer jeweiligen Nation verbunden und unterhielten komplexe Bürokratien.

In all ihren Operationen folgten sie getreulich dem 4X-Modell. Sie rüsteten »Entdeckungsfahrten« aus, um neue Orte ausfindig zu machen, die sich mit militärischen und technologischen Mitteln kontrollieren ließen; sie sorgten für die »Expansion« ihres Herrschaftsgebiets, indem sie Kolonien gründeten, aus denen sich mit Gewalt Ressourcen fortschaffen ließen und deren Bevölkerung sie zur Arbeit zwingen konnten; sie betrieben die »Ausbeutung« dieser Kolonien, indem sie ein globales Handelsnetz errichteten, das diese Ressourcen zum Vorteil des Kolonisators in Reichtum verwandelte; und schließlich brachen sie durch »Ausrottung« jeden Widerstand der Kolonisierten und zerstörten deren besondere Lebensweise. So könnte man die Geschichte des Kolonialismus von 1492 bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts in aller Kürze zusammenfassen. Mit Hilfe des 4X-Modells gelang es den europäischen Kolonisatoren, über 84 Prozent des Globus zu kontrollieren, obwohl ihr Kontinent nur 8 Prozent der Landmasse des Planeten ausmacht.[2]

Schauen wir einmal, inwiefern dies mit dem Vorgehen der großen Technologieunternehmen zusammenpasst.

Die Entdeckungs- und Expansionsbemühungen von Big Tech richten sich heute nicht mehr auf ferne Länder, sondern auf die virtuellen Territorien unseres datifizierten Lebens: natürlich unsere Einkaufsgewohnheiten, aber auch unsere Interaktionen mit Familie, Freunden, Partnern und Kollegen, den privaten Raum unserer Wohnungen und den öffentlichen unserer Städte, unsere Hobbys und Freizeitvergnügungen, unsere Sportvorlieben, politischen Meinungen, Gesundheitsdaten, unsere täglichen Wege, unsere Bildung und so weiter und so fort. Kaum ein Bereich oder eine Tätigkeit bleibt von dieser Art Kolonisierung verschont, und bald ist der letzte Winkel der Welt von ihren Technologien und Plattformen infiltriert.

Aber wie beim historischen Kolonialismus ist die Inbesitznahme des Territoriums nur der Anfang. Waren die Kolonien einmal gegründet, wurde ein System zur kontinuierlichen Ausbeutung und Verwandlung ihrer Rohstoffe in Reichtum errichtet. Big Tech hat ein ganz ähnliches Ausbeutungssystem geschaffen; es funktioniert durch Geschäftsmodelle, die »unsere« Daten – also die Daten, die sich aus dem Tracking unseres Lebens generieren lassen – in Reichtum und Macht (allerdings nicht für uns) verwandeln. Auf der Mikroebene bedeutet dies, dass unsere Daten verwendet werden, um uns durch gezielte Werbung und Profilerstellung individuell anzusprechen. Auf der Makroebene hat es zur Folge, dass unsere Daten in aggregierter Form dazu verwendet werden, Entscheidungen zu fällen oder Prognosen zu treffen, die sich auf große Gruppen von Menschen auswirken, beispielsweise, wenn ein Algorithmus darauf trainiert wird, Unterscheidungen anhand von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Einkommen oder Gesundheitszustand durchzuführen. Möglich wird dies dadurch, dass viele Aspekte unseres täglichen Lebens so umgestaltet worden sind, dass wir pausenlos Daten hinterlassen.

Das bringt uns zum vierten X, wo sich ein etwas komplexeres Bild ergibt. »Ausrottung« nahm in der Geschichte des Kolonialismus vielfältige Formen an. Todesfälle gab es hauptsächlich durch Krieg, Massensuizid, Krankheiten, Hunger und andere Formen der Gewalt. Spanier, Portugiesen, Briten und Amerikaner sind für den Tod von 175 Millionen Ureinwohnern Amerikas verantwortlich, in Indien starben 100 Millionen Menschen unter der Kolonialherrschaft des Vereinigten Königreichs. Während des transatlantischen Sklavenhandels kamen 36 Millionen Afrikaner ums Leben (darin nicht eingerechnet jene, die nach ihrer Ankunft in Amerika als Sklaven zugrunde gingen). Eine Million Tote in Algerien gehen auf das Konto der Franzosen, in Indonesien wurden Hunderttausende von den Niederländern getötet. Viele weitere Millionen bleiben wohl für immer ungezählt.[3]

Aber rohe physische Gewalt war nicht die einzige Option. Der Kolonialismus trägt zwar auch schon immer die Vernichtung menschlichen Lebens in sich, doch schon früh verstanden die Kolonisatoren, dass sie auch jegliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Alternative zum Kolonialismus eXterminieren mussten. Eine ihrer Strategien war die Einführung von Monokulturen, die für den Kolonisator hochprofitabel waren, aber den Kolonisierten die Möglichkeit nahmen, selbst für ihre Ernährung zu sorgen. Man denke nur an den Aufbau einer Kaffeeproduktion durch die Niederländer in Ostindien, die von einer Ernte von 45 Kilogramm im Jahr 1711 auf 5,4 Millionen Kilogramm im Jahr 1723 anwuchs.[4] Oder an die Zuckerplantagen, die in der Karibik zu großer Armut und Elend führten, während sie auf dem Höhepunkt ihrer Produktion im 18. Jahrhundert beachtliche 5 Prozent zum britischen Bruttoinlandsprodukt beitrugen (ohne die Sklaverei hätten sich die meisten Briten einfach keinen Zucker leisten können).[5]

Zu den Strategien der (wirtschaftlichen) Vernichtung gehörte auch die Verhinderung möglicher Konkurrenz durch die Überschwemmung der Märkte mit billigen Waren, die die heimische Produktion ruinierten. Ein Beispiel dafür ist der britische Baumwollhandel, der konkurrenzlos preiswerte, maschinell hergestellte Textilien auf die Weltmärkte warf. In Kolonien wie Indien entzog dies der Lebensweise und den Verdienstmöglichkeiten der indigenen Bauern, Spinner und Weber den Boden, ganz zu schweigen von dem unendlichen Leid, das dadurch über die Sklaven auf den Plantagen in Amerika kam.[6] Überall in der kolonialen Welt gab es Anweisungen wie die folgende, die 1763 von London an den Gouverneur von Québec erging, um die lokale Industrie kleinzuhalten: »Es ist unser ausdrücklicher Wille und Wunsch, dass auf keinen Fall … Zustimmung zu einem Gesetz oder Gesetzen zur Einrichtung von Manufakturen … gegeben wird, da sich diese schädlich und nachteilig auf unser Königreich auswirken.«[7]

Die monopolistischen und wettbewerbsfeindlichen Praktiken von Big Tech haben vergleichbar disruptive Auswirkungen. Das Ausmaß, in dem sie eingesetzt werden, lässt sich schwerlich ignorieren: Lebte 1945 noch jeder dritte Mensch auf der Welt unter kolonialer Herrschaft, so hat heute etwa jeder dritte ein Facebook-Konto und fast jeder nutzt in irgendeiner Form Suchmaschinen. Das Umfeld, in dem dies stattfindet, und die Auswirkungen sind natürlich völlig andere, aber die Vergleichbarkeit der Größenordnung heißt auch, dass Konzernen wie Meta – zu dem Facebook, Instagram und WhatsApp gehören – oder OpenAI große Macht über das Leben vieler Menschen zukommt. Metas herausragende Stellung, so wurde vielfach kritisiert, hat dazu geführt, dass in Myanmar inmitten einer sich zum Genozid ausweitenden Unruhesituation Hetze und Falschinformationen verbreitet werden konnten. Auf das Konto von Meta gehen auch Fake News über Impfungen, was die Bekämpfung von Krankheiten erschwerte, sowie politische Einflussnahme, wie sich im Cambridge-Analytica-Skandal zeigte. Sam Altman, der CEO von OpenAI, glaubt unterdessen so fest an die Möglichkeit der...

Erscheint lt. Verlag 29.5.2024
Übersetzer Thomas Wollermann
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte abtreibungsverbot • AI • Big Tech • Daten als Ware • Datenraub • digitale kriegsführung • Digitale Überwachung • Flucht • Imperialismus • Klimakrise • Kolonialismus • Künstliche Intelligenz • Landraub • Machtverhältnisse • Migration • Naomi Klein • Persönliche Daten • Populismus • Ressourcen • Silicon Valley • Social Media • Soziale Medien • targeted advertising • The Costs of Connection • Tracking • Überwachungskapitalismus • Verfolgung von Minderheiten
ISBN-10 3-10-491909-7 / 3104919097
ISBN-13 978-3-10-491909-6 / 9783104919096
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