Soziologie der Arbeit (eBook)

Ein Reader | Eine kompakte Einführung in die arbeitssoziologische Forschung und Theorie
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
676 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-77664-3 (ISBN)

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Soziologie der Arbeit -
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Was ist Arbeit? Wie ist sie organisiert? Wie verändert sie sich im Zuge kapitalistischer Entwicklung? Der Band bietet eine Auswahl klassischer und aktueller Texte der arbeitssoziologischen Debatte seit 1945 - u. a. von Regina Becker-Schmidt, Pierre Bourdieu, Harry Braverman, Michael Burawoy, Friedrich Fürstenberg, Arlie Russell Hochschild, Claus Offe und Marcel van der Linden. Das Spektrum der Themen reicht von der Strukturanalyse des Betriebsrats und der Frage nach dem Arbeiterbewusstsein über das Ende des Normalarbeitsverhältnisses und die Prekarisierung bis hin zu Care-Arbeit und aktuellen Formen der Digitalisierung von Arbeit. Eine kompakte Einführung in die arbeitssoziologische Forschung und Theorie.



Wolfgang Menz ist Professor für Soziologie am Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg. Martin Seeliger leitet die Abteilung »Wandel der Arbeitsgesellschaft« am Institut für Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen.

71.


Wolfgang Menz, Martin Seeliger

Soziologie der Arbeit


Eine Einleitung

Seit ihrer Entstehung hat die Auseinandersetzung mit Arbeit für die Soziologie eine zentrale Rolle gespielt. Im allgemeinsten Sinne geht es dabei um das Verhältnis von Arbeit und Gesellschaft. Aspekte, unter denen solche Verhältnisbestimmungen ins Visier soziologischer Perspektiven geraten sind, finden sich in der Geschichte des Faches zahlreich. Weil Arbeit die materiellen Bedarfe des alltäglichen Lebens deckt, ist sie eine ökonomische Notwendigkeit und Vehikel wirtschaftlicher Entwicklung. Ihre technologische Dimension bildete im Verlauf unterschiedlicher Aufmerksamkeitskonjunkturen einen zentralen Schwerpunkt arbeitssoziologischen Interesses – mit einer gegenwärtigen Hochkonjunktur im Zuge der Digitalisierung von Arbeit (Pfeiffer 2021). Die Bedeutung sozialer Beziehungen für die Funktionsweise des Arbeitsmarktes steht genauso im Fokus soziologischer Arbeiten (Granovetter 1974) wie seine politische Strukturierung durch Unternehmen, Gewerkschaften, Betriebsräte, Kapitalverbände, den Staat und soziale Bewegungen im nationalen (Müller-Jentsch 1997) wie im internationalen Maßstab (Pries 2010). Einen klassischen Schwerpunkt der Arbeitssoziologie bildet von jeher das Verhältnis – je nach theoretischer Perspektive – von Akteur und Organisation (Crozier/Friedberg 1993) beziehungsweise von Subjekt und Herrschaftsstrukturen (Edwards 1981).

Die hohe Aufmerksamkeit gegenüber dem Themenkomplex der Arbeit ergibt sich für die Soziologie aus ihrer zentralen Bedeutung für die gesellschaftliche Ordnung und den sozialen Wandel. Gemeinsam mit der Natur ist die Arbeit anthropologisch gesehen die Quelle menschlichen Wohlstands. Zugang zu Arbeit und ihren Produkten entscheidet aber auch über die Teilhabe an gesellschaftlicher Wohlfahrt und begründet soziale Disparitäten in Status, Einkommen, Gesundheit, Wohnort und vielem anderen. Vor diesem Hintergrund haben Forscher:innen immer wieder die Identität 8von Arbeits- und Allgemeiner Soziologie proklamiert (siehe etwa Braczyk et al. 1982: 17) – eine gleichsam fachimperialistische Perspektive, die auch immer wieder Kritik auf sich gezogen hat (siehe die Beiträge in Huchler 2008).

Eine entsprechende Sichtweise ist modernisierungstheoretisch betrachtet allerdings weniger anmaßend, als dies zuweilen erscheinen mag. So markiert den Übergang von der Frühen Neuzeit in die Moderne nicht nur die Französische, sondern auch die Industrielle Revolution. Die Entwicklung von Arbeit und Wirtschaft durch die Einführung neuer Organisationsprinzipien und Fertigungstechnologien in der Industrie analysieren mit Adam Smith (1776) in Wohlstand der Nationen, David Ricardo (1817) in Grundsätze der Politischen Ökonomie und der Besteuerung, Karl Marx und Friedrich Engels (1848) im Manifest der Kommunistischen Partei, Émile Durkheim (1893) in Über soziale Arbeitsteilung sowie Max Weber (1904/05) in Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus sechs Wegbereiter der modernen Soziologie. Dass Arbeit auf diese Weise ins »Zentrum der politischen Ökonomie als Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft« (Negt 2004: 166) rückt, trägt im Laufe des 20.Jahrhunderts paradoxerweise zugleich zu einer Verengung des Arbeitsverständnisses bei. Die analytische Zentralstellung von Arbeit zur Erklärung gesellschaftlicher Ordnung basierte auf einem Fokus auf abhängige Erwerbsarbeit, häufig nochmals fokussiert auf Industriearbeit, und blendete die Vielfalt von – bezahlten und unbezahlten, formellen und informellen, betrieblich und außerbetrieblich erbrachten – Arbeitsformen aus. Dies bedeutete zugleich einen erheblichen Geschlechterbias: Sorge- und Dienstleistungsarbeiten wurden zugunsten der stärker männlich geprägten Industriearbeit vernachlässigt.

Zu Beginn des 21.Jahrhunderts befindet sich die Arbeitswelt, wie Hans-Jürgen Urban (2000: 48) bemerkt, »in einem tiefgreifenden Umbruchprozess«. Hoffnungen auf eine sozialökologische Transformation, Digitalisierung und Globalisierung, aber auch etwa die zunehmende Finanzialisierung von Unternehmen und Wirtschaft bedingen eine Entwicklung, die in der sozialwissenschaftlichen Literatur auch auf den Begriff eines »Strukturwandels der Arbeitsgesellschaft« (vgl. Seeliger 2023) gebracht wird. Vor diesem Hintergrund wollen wir mit diesem Reader eine Auswahl von Texten aus dem vielfältigen Fundus arbeitssoziologischer Forschung vorlegen, 9die die Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex im Laufe der letzten Jahrzehnte bestimmt haben.

Die Auswahl der Texte in diesem Reader beinhaltet einen Ausschnitt aus der jüngeren soziologischen Beschäftigung mit dem Themenfeld der Arbeit. Neben arbeitssoziologischen Texten umfasst der Reader auch Ansätze aus angrenzenden Feldern wie der politischen Soziologie, die sich mit der gesellschaftlichen Strukturierung von Arbeit auseinandersetzen. Während der zeitliche Rahmen hier Texte berücksichtigt, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen sind, bezieht sich der räumliche Bezugsrahmen vorwiegend auf Beiträge aus dem deutschen Raum, ergänzt um einige angelsächsische und französische Texte, die für die Diskussion hierzulande besonders einflussreich geworden sind.

Anschließend an eine grundbegriffliche Einführung zum soziologischen Konzept Arbeit (1) wenden wir uns in dieser Einleitung dann der soziologischen Bestimmung von Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen zu (2). Danach steht die Frage der Regulation von Arbeit im Zentrum (3). Der darauffolgende Abschnitt rekonstruiert die Entwicklung arbeitssoziologischer Forschung in Deutschland (4). Abschließend benennen wir eine Reihe von Spannungsfeldern, innerhalb derer die Forschung sich selbst und ihren Gegenstand konstituiert und bearbeitet (5).

1. Was ist Arbeit?


Als Wissenschaft der Gesellschaft zielt die Soziologie darauf, das Verständnis sozialer Prozesse durch klare Definitionen zu erleichtern. Eine solche Definition fällt beim Begriff der Arbeit nicht leicht. Mit Claus Offe (2018: 61) gesprochen umspannt der Arbeitsbegriff »ein geradezu uferloses Bedeutungsfeld«. Einen gemeinsamen Nenner der unterschiedlichen Begriffsbestimmungen von Arbeit bildet ihre äußere Zweckhaftigkeit (beispielhaft: Bahrdt 1983: 124). Auch wenn die Ausführung von Arbeit und die Ausübung eines Berufs in zentraler Weise mit subjektiven Sinnansprüchen und gesellschaftlichen Bedeutungszuweisungen aufgeladen ist, so liegt das Ziel der Arbeit, definitorisch gesehen, nicht im Prozess der Tätigseins selbst, sondern in einem »äußerlich hergestellten Produkt« (Geuss 2023: 19), das natürlich auch eine Dienstleistung sein 10kann. Das Arbeitsergebnis zielt, jedenfalls im basalsten Sinne von Arbeit, auf die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse. Arbeit ist also eine »Lebensnotwendigkeit« (ebd.). Ein weiteres zumeist geteiltes Definitionskriterium besagt, dass Arbeit mit menschlichem Aufwand und Anstrengung verbunden ist, sie erfordert und verbraucht Energie (Suzman 2020).[1] 

Wenn Arbeit als Tätigkeit zu verstehen und auf bestimmte Zwecke gerichtet ist, dann setzt dies voraus, dass sie durch bestimmte Vorstellungen des Arbeitsergebnisses geleitet wird. Anhand dieses Kriteriums hatte bereits Marx die menschliche Arbeit vom instinkthaften Handeln der Tiere unterschieden. »Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also ideell vorhanden war.« (MEW 23: 193) Hierin liegt allerdings auch eine spezifische Tücke der genuin menschlichen Arbeit: Wenn der Arbeitsausführung jeweils bestimmte ideelle Konzeptionen vorausgehen, dann ist darin auch eine mögliche Trennung von Konzeption und Ausführung angelegt und ihre Aufteilung auf unterschiedliche Gruppen möglich: Geistige und körperliche Arbeit oder kommandierende und unterworfene Arbeit (vgl. Braverman 1977). Der handlungssoziologische Ansatz des »subjektivierenden Arbeitshandelns« (Böhle 2017) teilt mit Marx im Grundsatz die Annahme der Zielorientierung menschlicher Arbeit. Aber die Ziele seien nicht allein durch »objektivierendes Handeln«, das heißt planmäßig-rationales, formalisierbares, ...

Erscheint lt. Verlag 17.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie Spezielle Soziologien
Schlagworte aktuelles Buch • Arbeiterbewusstsein • Arbeitssoziologie • Arbeitsstruktur • Arbeitsverhältnis • Arlie Russell Hochschild • Bücher Neuererscheinung • Care-Arbeit • Claus Offe • Digitalisierung • Friedrich Fürstenberg • Gewerkschaft • Harry Braverman • Homeoffice • Kapitalismus • Klassiker • Marcel van der Linden • Michael Burawoy • Neuererscheinung • neues Buch • Pierre Bourdieu • Regina Becker-Schmidt • Sammelband • STW 2402 • STW2402 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2402
ISBN-10 3-518-77664-9 / 3518776649
ISBN-13 978-3-518-77664-3 / 9783518776643
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