Pfingsten! (eBook)
304 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46787-9 (ISBN)
Annette Schavan war 25 Jahre in Politik und Diplomatie tätig, u.a. als Ministerin für Kultus, Jugend und Sport (1995-2005), als Bundesministerin für Bildung und Forschung (2005-2013) sowie als Botschafterin Deutschlands beim Heiligen Stuhl (2014-2018). Sie steht seit 2019 dem Kuratorium der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) vor, wirkt in weiteren Stiftungen und ist international gefragte Ratgeberin und Referentin. www.annette-schavan.de
Annette Schavan war 25 Jahre in Politik und Diplomatie tätig, u.a. als Ministerin für Kultus, Jugend und Sport (1995–2005), als Bundesministerin für Bildung und Forschung (2005–2013) sowie als Botschafterin Deutschlands beim Heiligen Stuhl (2014–2018). Sie steht seit 2019 dem Kuratorium der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) vor, wirkt in weiteren Stiftungen und ist international gefragte Ratgeberin und Referentin. www.annette-schavan.de
III. The church’s finest hour? Ein glücklicher Untergang
Das war es.
War es das? Ja,
das muß es gewesen sein.
Das war der Anfang.
Der Anfang vom Ende
ist immer diskret.
Nie wieder wird es so trocken und still sein wie jetzt.
Hans Magnus Enzensberger, Der Untergang der Titanic20
Die lange Geschichte des immer größer, immer mächtiger und unlenkbarer werdenden Schiffs der Kirche hat die Ur-Erfahrung vergessen lassen, die es für jeden bedeutet, auf ein Schiff zu steigen: dass nämlich jede Fahrt zur See ein tollkühnes Unternehmen ist. Jeder, der zu Schiff geht, ist, nach der Grundüberzeugung der Antike, ein »Nachbar des Todes«21.
Mit Schiffbruch ist jederzeit zu rechnen, auch auf dem Weg zum großen Ziel, auch auf dem sehnsuchtsvollen Weg zur patria. Äußere und innere Ursachen wirken zusammen: Unwetter und Stürme von außen, Uneinigkeit der Mannschaft, schlechte Steuerleute und Kapitäne, zu schwere Fracht an Bord.
Und es stellt einen unerhörten Glücksfall dar, bei Schiffbruch Rettung zu erleben. Eine solche Rettung kann zwar alles kosten: Schiff, Schiffsgerät und Ladung müssen im Ernstfall verloren gegeben werden, aber nur so kann als Einziges die nackte Existenz gerettet werden und die Hoffnung bleiben, sich von einem rettenden Eiland aus noch einmal neu und von vorn auf den Weg zu machen.
Damit zurück zum ersten Schiffsuntergang in der frühen Geschichte der Kirche. Das Schiff, das den Völkerapostel nach Rom bringen sollte, um so Licht zur Erleuchtung der Heiden zu werden, erlitt vorher einen schweren Seesturm und schließlich Schiffbruch.
Sicher: Das später so intensiv in nautischen Begriffen und Erfahrungen ausformulierte Erzählungsreservoir der Kirche als Schiff und die daraus abgeleiteten metaphorischen Lehren hat der Autor der Apostelgeschichte naturgemäß noch nicht gekannt. Aber warum sollte nicht die heilige Inspiration dafür gesorgt haben, dass auch dieser Bewohner der Méditerranée die existenzielle Doppelsinnigkeit von Schifffahrt und Schiffbruch in seiner Erzählung hat mitspielen lassen?
Vier Akte hat das Drama des Schiffbruchs vor Malta, des paradigmatischen, oder, wenn man so will: protoekklesialen Schiffbruchs.
Alle waren gewarnt. Damals wie heute. Paulus hatte das Selbstverständliche und aller normalen Erfahrung Entsprechende gesagt, nämlich dass die Jahreszeit des beginnenden Winters für die Schifffahrt ungeeignet war (»Ich sehe, dass die Fahrt nicht nur für die Ladung und das Schiff Unbill und großen Schaden mit sich bringen, sondern auch unser Leben gefährden wird.« Apg 27, 9 ff.). Aber gegen die Interessen der Funktionäre blieben die Warnungen unerhört. In den Augen des Kapitäns und der Offiziere galt dieser Zeltweber aus Tarsus wohl nur als Laie, als Landratte oder Leichtmatrose. Jene, die sich als professionell Berufene verstanden, konnten die Einreden des Unberufenen leicht übergehen.
Unter all den Warnungen vor dem bloßen Weiter so, die es in den vergangenen Jahrzehnten gegeben hat, sei nur die treffendste noch einmal in Erinnerung gerufen, aus dem Synodenbeschluss »Unsere Hoffnung« von 1975:
»Wir werden schließlich unsere intellektuellen Bezweifler eher überstehen als die sprachlosen Zweifel der Armen und Kleinen und ihre Erinnerungen an das Versagen der Kirche.«22
Diese Prophezeiung wurde inzwischen auf eine unheimliche Weise bestätigt. Auf eine Weise, die sich damals, 1975, niemand hat vorstellen können. Dass nämlich mit den »Armen und Kleinen« auch Tausende Kinder gemeint sein könnten, die von gewissenlosen Klerikern der römischen Kirche allein in Deutschland missbraucht worden waren. Zu den inneren Ursachen der kirchlichen Fahrt in den Untergang gehören an erster Stelle dieser Missbrauch und dessen Vertuschung, die tief verwurzelt sind in den klerikalen Machtstrukturen der römischen Kirche. Strukturen, die, wie wir Tag für Tag neu erfahren, offenbar durch keine »Reform« zu beseitigen sind. Es kann nicht anders sein, als dass das ganze Schiff in Seenot gerät und direkt den Untergang ansteuert. Alle Warnungen hatte man in den Wind geschlagen. Aus diesem Wind musste ein Sturm werden, damals wie heute, und das Unheil nahm und nimmt seinen Lauf.
Dann auf einmal gibt es auch nichts mehr zu steuern. »Da das Schiff mitgerissen wurde und nicht mehr gegen den Wind gedreht werden konnte, gaben wir auf und ließen uns treiben.« (Apg 27, 15)
Nachdem die Schiffsleute zuerst möglichst viel retten wollten, wie es so geht, wenn man kurz vor dem Untergehen ist, »sicherten sie das Schiff, indem sie Taue darum herum spannten«. Das nützt aber nichts. Es nützt auch heute nichts, auf dem alten Kahn Ecclesia. Es nützt nichts, um all das alte Zeug Taue herumzuspannen und zu hoffen, dass solche Notmaßnahmen durch die Unwetter hindurch halten werden, bis der Sturm sich hoffentlich bald wieder legt.
Die Seeleute in der Apostelgeschichte begreifen, was notwendig ist: »Da wir vom Sturm hart bedrängt wurden, erleichterten sie am nächsten Tag das Schiff und am nächsten Tag warfen sie eigenhändig die Schiffsausrüstung über Bord.« (Apg 27, 18)
Wir werden nicht darum herumkommen, von vielem, vielleicht von allem, was uns wichtig erschien, Abschied zu nehmen. Manches geschieht schon längst, unfreiwillig und ohne unser Zutun: Die Kirchen werden leerer, viele werden nicht mehr gebraucht. Sie werden entweiht, wie man sagt: umgewidmet, verkauft oder abgerissen. Aber das große Auf- und Ausräumen fängt damit erst an. Es gibt so viele Strukturen, Gremien, Ordinariate, die nur noch leerdrehen, die nichts mehr bewirken, bedeutungslos für jegliches Seelenheil.
Wie die Matrosen ihr Schiff fast komplett leeren, so werden wir uns damit vertraut machen müssen, dass kaum noch etwas so bleibt, wie wir es in der sogenannten Volkskirche gekannt haben.
Noch gibt es volle Christmetten, Weiße Sonntage und hier und da Fronleichnamsprozessionen. Noch gibt es Sitze in Rundfunkräten, Katholische Büros und Sonntagsmessen in Radio und Fernsehen. Das wird alles, früher oder später, vorübergehen. Noch gibt es Minister, die ihren Eid mit der religiösen Formel bekräftigen, noch gibt es Politiker, die Kirchentage besuchen, alles in Ordnung, noch gibt es den Papstsegen an Ostern und Weihnachten in ARD oder ZDF. Noch gibt es Religionsunterricht in öffentlichen Schulen, Kirchensteuer, noch gibt es Privilegien, Hunderte von Jahren alt, noch immer von Gesetzen und Konkordaten verbrieft.
Jeder, der bis drei zählen kann, weiß, dass es allein eine Frage der Zeit ist, wie lange es all das noch geben wird. Aber vieles davon belastet heute schon die gute alte Ecclesia. Allerhöchste Zeit, manches selber – und selbstbewusst – über Bord zu werfen. Bevor die späten Piraten der Säkularisation all das entern und als letzte Beute der Aufklärung entführen.
Von dem ganzen im Laufe der Jahrhunderte angesammelten Rat und Unrat im Inneren des Kahns nicht zu reden. Tradition heißt nicht, jede morsche Kiste aufzubewahren. Erst recht nicht, wenn darin auch Misogynie und Körperfeindlichkeit, Männerherrschaft und sakralisierter Terror wohlverwahrt werden. Wer nicht weiß, was wann wegzuwerfen und endgültig zu vergessen ist, weiß von Tradition gar nichts. Alles muss raus, was nichts mehr taugt: Auf hoher See, in Gefahr und höchster Not, gibt es dazu keine Alternative. Und nur eine einzige Tradition zählt: Brot, das die Hoffnung nährt.23
Damals wie heute.
Vierzehn Tage lang hatten nun auf dem Schiff schon Angst und Panik regiert. Vor lauter Anstrengung und Todesangst konnte niemand mehr etwas essen. Immer wieder hatte Paulus alle ermuntert, doch etwas zu sich zu nehmen: »Esst etwas, das ist gut für eure Rettung!« Und er hatte ihnen gleichzeitig verheißen, dass dann niemand umkommen würde. Schließlich hört er auf, zu ermuntern und zu mahnen, und beginnt, es selber vorzumachen:
»Er nahm Brot, dankte Gott vor aller Augen, brach es und begann zu essen. Da fassten alle Mut und nahmen ebenfalls Speise zu sich.«
Es ist ein predigtloses, auslegungsloses Handeln, die schlichtest denkbare Geste. Nichts als reiner Pragmatismus, so scheint es, nichts als buchstäbliche Lebensrettung. Und doch auch viel mehr. Wir brauchen ja nur einige Seiten im Neuen Testament zurückzublättern, um in der sogenannten Emmausgeschichte (Lk 24) des gleichen Autors eine ähnlich schweigend-bedeutsame Geste des Brotbrechens des Fremden in Erinnerung zu rufen, den die zwei Wanderer nicht erkannt hatten:
»Und als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach es und gab es ihnen.«
Was bleibt, wenn alles über Bord gegangen ist, das Nutzlose und das Überflüssige wie auch das Schöne und Kostbare und auch alles, was man so schmerzlich vermissen wird, das ist allein das: das gebrochene Brot.
Was in der vielleicht allzu bekannten Emmausgeschichte geschieht, ist exakt das Gleiche wie in der...
Erscheint lt. Verlag | 2.4.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Aleida Assmann • Alfons Kloos • Andreas Batlogg SJ • Arnold Stadler • Aurelia Spendel OP • Cesare Zucconi • Charlotte Kreuter-Kirchhof • Christian Nürnberger • Christliche Kultur • Deutsche Bischofskonferenz • Evangelium • Evelyn Finger • Finanzen • Glauben • Glauben authentisch leben • Glaubenserfahrung • Hannah Leitgeb • Heinz Bude • Henriette Reker • Heribert Prantl • Jacqueline Boysen • Jan Heiner Tück • Jens-Martin Kruse • Katholische Kirche • katholische kirche buch • Kirche Buch • Kirche Kritik • Kirchensteuer • Kritik • Kultur • Markus Barth • Missbrauch • Missbrauch in der Kirche • Nathanael Liminski • Nikodemus Schnabel OSB • Ottmar Edenhofer • Papst • Pfingsten • Philipp Rösler • Reform • Religion Buch • Stephanie Geiger • Synodaler Weg • Thomas Arnold • Thomas de Maiziere • Thomas de Maizière • Tomáš Halík • Vatikan • Volker Resing • Walid Nakschbandi • Walid Nakschnbandi • Waltraud Klasnic • Zukunft der Kirche |
ISBN-10 | 3-426-46787-9 / 3426467879 |
ISBN-13 | 978-3-426-46787-9 / 9783426467879 |
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