Gesellschaftsbilder (eBook)

Die Zukunft gewerkschaftlichen Engagements
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
267 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45700-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gesellschaftsbilder -  Martin Kuhlmann,  Milena Prekodravac,  Stefan Rüb,  Berthold Vogel
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In Zeiten tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen sind Gewerkschaften zentrale Akteure der Entwicklung des Arbeits- und Soziallebens. Der Kern einer aktiven Gewerkschaftsbasis sind Vertrauensleute und Betriebsrät:innen. Sie verschaffen den Interessen von Belegschaften und Gewerkschaften in den Betrieben Gehör und Geltung, sie gestalten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen mit. Auf der Basis einer umfangreichen Empirie verdeutlicht diese Studie, mit welchen Motivationen, Vorstellungen und Zukunftserwartungen sich Vertrauensleute und Betriebsrät:innen engagieren; sie richtet den Blick dabei auch auf das private und soziale Umfeld und auf die Bewertung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch diese heterogene Gruppe.

Martin Kuhlmann ist Arbeitssoziologe und Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI).

Martin Kuhlmann ist Arbeitssoziologe und Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI). Milena Prekodravac ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI). Stefan Rüb ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI). Berthold Vogel ist geschäftsführender Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI) und unterrichtet Soziologie an den Universitäten Göttingen, Kassel und Sankt Gallen.

I.Einleitung


1.Ausgangsüberlegungen


Die IG Metall wird vor Ort und im Betrieb von ihren in Betriebsräten und Vertrauenskörpern ehrenamtlich aktiven Mitgliedern getragen. Doch inwieweit verstehen sich die Ehrenamtlichen als Repräsentant:innen ihrer Gewerkschaft? Wo verorten sie sich selbst in Gesellschaft, Gewerkschaft und Betrieb? Welche Handlungsmacht schreiben sie sich, aber auch der Gewerkschaft dabei jeweils zu? Was zeichnet ihr soziales und politisches Selbstverständnis aus? Welche Vorstellungen haben sie, wie sich Gesellschaft, Gewerkschaft und Betrieb entwickeln und verändern? Mit welcher Haltung und auf der Grundlage welcher Werte formulieren sie Ziele und Perspektiven von Wandel und Veränderung? Kurz: Wer sind diejenigen, die die IG Metall jetzt und in der Zukunft in Betrieb und gesellschaftlichem Alltag repräsentieren?

Das Forschungsprojekt, das wir, ein Team von Forschenden des Soziologischen Forschungsinstituts (SOFI) Göttingen, von 2020 bis 2022 im Auftrag der IG Metall durchführten, zielte darauf, diese Fragen systematisch anzugehen. Denn vieles spricht dafür, dass in Zeiten weitreichender Transformationen von Erwerbsarbeit und Betrieb, die überdies von neuen »autoritären Versuchungen« (Heitmeyer 2018) politisch begleitet werden, den Betriebsrät:innen und Vertrauensleuten eine zentrale Gestaltungsfunktion mit Blick auf die Zukunft der IG Metall zukommt.

Die Studie adressierte zugleich grundsätzliche gesellschaftspolitische und -diagnostische Aspekte der Repräsentation, des Institutionenvertrauens und der inneren Verfasstheit von politischen Organisationen. Gerade in der heutigen Zeit, in der demokratische Institutionen vermehrt angezweifelt und auch angegriffen werden, ist es wichtig, nach den Stabilitätsbedingungen gewerkschaftlichen Handelns zu fragen. Und diese Stabilitätsbedingungen hängen wesentlich von den Träger:innen der Gewerkschaftsarbeit im Betrieb ab. Es waren daher die Gesellschaftsbilder dieser Trägergruppen, die das Projekt interessierten.

Forschung, die auf die Erfassung und Rekonstruktion von Gesellschaftsbildern zielt, erfordert vor allen Dingen eine offene Herangehensweise. Deshalb haben wir die Gesellschaftsbilder von Betriebsrät:innen und Vertrauensleuten in ihrer betrieblichen, lebensweltlichen und biografischen Grundlegung primär mithilfe eines qualitativen Forschungsdesigns untersucht. Zugleich wurden diese qualitativen Befragungen und Beobachtungen durch eine standardisierte Erhebung begleitet und ergänzt.

1.1Betriebsrät:innen und Vertrauensleute im Blick der Sozialforschung


Das Projekt konzentrierte sich auf Mitglieder der IG Metall, die in den Betrieben Wahlämter übernommen haben und hierdurch ehrenamtlich aktiv sind. Dies können gewerkschaftliche Funktionen als betriebliche Vertrauensleute sein, aber auch Ämter im Rahmen gesetzlicher Regelungen: im Betriebsrat, mitunter auch in der Jugend- und Auszubildendenvertretung oder als Schwerbehindertenvertreter:innen. Diese ehrenamtlich in den Betrieben aktiven IG Metaller:innen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich in dem Dreieck Gesellschaft–Gewerkschaft–Betrieb bewegen und darin positionieren müssen. Sie sind Mandatsträger:innen im Betrieb sowie Funktionsträger:innen und zugleich Repräsentant:innen der IG Metall – aber eben auch eingebunden in weitere arbeits- und lebensweltliche Kreise. Sie agieren in familiären, freundschaftlichen und nachbarschaftlichen Nahbeziehungen, engagieren sich in Vereinen oder zivilgesellschaftlichen Organisationen und nehmen in vielfältiger Weise am lokalen und regionalen Leben teil. Sie beobachten und bewerten dies etwa durch die Nutzung verschiedener Medien, aber auch durch Gespräche im privaten oder betrieblichen Umfeld. Kurzum, die ehrenamtlich aktiven Gewerkschafter:innen haben eine Position in ihrem Betrieb, entwickeln eine Haltung zu ihrer Funktion und machen sich ein Bild von der Gesellschaft, in der sie sich bewegen. Um Gesellschaftsbilder, ihre Entstehung, Entwicklung und Verfestigung, zu untersuchen, war es für das Projekt zentral, Betriebsrät:innen und Vertrauensleute innerhalb des beschriebenen Dreiecks in den Blick zu nehmen.

Seit einigen Jahren erlebt die arbeitssoziologische Bewusstseinsforschung einen Aufschwung. Richtete sich das Forschungsinteresse noch in den 1970er-Jahren auf ein generelles Arbeiterbewusstsein und deren Prägung durch Arbeitserfahrungen, zeigt sich heute ein breiteres Verständnis von Zusammenhängen zwischen Arbeitserfahrungen, Lebensweisen und Orientierungen von Arbeitnehmer:innen im Rahmen sozioökonomischer Veränderungen (Splett 2023; Grimm u.a. 2022; WSI-Mitteilungen 2016). Der Fokus der Bewusstseinsforschung ist universaler und zugleich unspezifischer geworden. Es geht um ein allgemeines Krisenbewusstsein oder um die Frage, ob Prekarität eine sich ausbreitende Erfahrung ist, die sich nicht nur an den »Rändern der Gesellschaft«, sondern ebenso in deren »Mitte« findet. Auch der Rechtsruck, der Wahl für Wahl zum Ausdruck kommt, provoziert die Frage nach Mentalitäts- und Bewusstseinsverschiebungen – nicht zuletzt der Arbeitnehmer:innen. Bei der Renaissance der Bewusstseinsforschung spielen allerdings betriebliche Konstellationen (von Ausnahmen wie Kratzer u.a. 2015 abgesehen) oder betriebliche Gruppen wie Betriebsrät:innen und Vertrauensleute keine zentrale Rolle. Wenn nach gesellschaftlichem Bewusstsein gefragt wird, dann geschieht dies entweder allgemein für die Gruppe der Lohnabhängigen (vgl. Dörre u.a. 2013) oder mit einem engeren Blick auf spezifische politische Orientierungen, wie dies bei neueren Studien zum Rechtspopulismus der Fall ist (vgl. Sauer u.a. 2018; Lütten/Köster 2019).

Wir sind einen anderen Weg gegangen. Um zu verstehen, wie Betriebsrät:innen und Vertrauensleute sich in ihrem betrieblichen und gesellschaftlichen Umfeld sehen und warum sie handeln, wie sie handeln, braucht es einen Zugang, der Betrieb und Büro genauso in den Blick nimmt wie das außerbetriebliche Umfeld und der die Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf gewerkschaftlich-institutionelle Zusammenhänge richtet. Die Erkenntnisse der Gesellschaftsbildforschung von Heinrich Popitz, Hans Paul Bahrdt, Ernst August Jüres und Hanno Kesting in den 1950er-Jahren weisen zum einen mit Nachdruck darauf hin, dass sich die politische Vorstellungswelt nicht allein im Betrieb entwickelt, sondern auch (und möglicherweise stärker als vermutet) in vor- und außerbetrieblichen Erfahrungsräumen (Familie, Schule, Freundeskreise, Medien etc.). Und zum anderen stehen betriebliches und außerbetriebliches politisches Denken und Handeln, also das Engagement, stets in einer Wechselwirkung: etwa in Bezug darauf, inwieweit betriebs- und gewerkschaftspolitisches Engagement im familiären oder freundschaftlichen Umfeld unterstützt und anerkannt, als selbstverständlich wahrgenommen und gefordert oder aber eher abgelehnt wird.

Das Forschungsinteresse der Studie richtete sich daher auf die Situationsdeutungen und auf das (gewerkschafts-)politische Handeln im Betrieb, zugleich aber auch auf das biografische Gewordensein und das Eingebettetsein in familiäre, nachbarschaftliche oder vereinsbezogene Kontexte. Betriebsrät:innen und Vertrauensleute sind nicht nur betriebliche Funktionsträger:innen; sie leben zugleich in einer Familie, in Nachbarschaften, Freundschaften und lokalen Bezügen. Diese Perspektive findet nicht nur in der Forschung wenig Beachtung, sondern kommt auch in gewerkschaftlichen Debatten oftmals zu kurz.

Dabei werden das private und öffentliche Lebensumfeld der gewerkschaftlichen Repräsentant:innen ebenso wie die Erwerbsarbeit selbst durch Prozesse des demografischen, digitalen und sozial-ökologischen Wandels herausgefordert. Generationenbeziehungen und Geschlechterverhältnisse verändern sich. Das Leben in Kleinstädten und Dörfern erhält neue Konturen. Wohnen und Pendeln werden ebenso zu einem...

Erscheint lt. Verlag 6.3.2024
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie Spezielle Soziologien
Schlagworte Arbeit • Arbeitsbeziehungen • Arbeitsleben • Betriebliche Mitbestimmung • Betriebsrat • Betriebsräte • BetriebsrätInnen • Demokratie • Ehrenamt • ehrenamtlches Engagement • Gesellschaft • Gewerkschaft • Gewerkschaften • IG Metall • Solidarität • Transformation in der Arbeitswelt • Unternehmen • Vertrauensleute
ISBN-10 3-593-45700-8 / 3593457008
ISBN-13 978-3-593-45700-0 / 9783593457000
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