Wahlen? -  Udo Ehrich

Wahlen? (eBook)

Die Wahlrechtsreformen von 2011 bis 2023

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
340 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-8954-2 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
5,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag wurde vom Bundesverfassungsgericht 2008 wegen des sogenannten inversen Erfolgswertes als verfassungswidrig verworfen. Nach zwei Reformen des Wahlrechts und eingehender politischer Debatten setzte die »Ampel-Koalition« im Jahr 2023 eine umstrittene Reform durch, die auch die verbleibenden Probleme im Wahlrecht lösen sollte. Mit der Beseitigung des negativen Erfolgswertes erschien der Hauptauftrag des Bundesverfassungsgerichts zwar erfüllt, gleichzeitig aber zeigte sich, daß das zweite von den Verfassungsrichtern bezeichnete Problem, nämlich die Überhangmandate, weiteren Reformbedarf erzeugten. Dieses Buch stellt die Wahlrechts-Reformen seit 2011 umfassend dar und zeigt darüber hinaus weitere Reformvorschläge auf. Zudem werden aktuelle Themen behandelt wie die Wiederholung der Wahlen von 2021 in Berlin und die Debatte zu den Urteilen um das Paritätswahlrecht. Die 7. Auflage wurde um die komplette Wahlrechtsreform der »Ampel-Koalition« erweitert und auch hinsichtlich weiterer Aspekte der Entwicklung des Wahlrechts erweitert. Änderungen und deren Wirkungen auf das Bundestagswahlrecht werden gezeigt und diskutiert und in umfangreichen Rechenbeispielen anschaulich gemacht.

Udo Ehrich schloß sein politikwissenschaftliches Studium in Bielefeld mit dem Master of Arts ab. Seine Abschlußarbeit befaßte sich mit der Frage, ob die INSM den Lobbygruppen oder Think Tanks (Ideenagenturen) zuzuordnen sind. Die Schwerpunkte seiner Arbeiten liegen bei den Themen Lobbyismus, Ideenagenturen und Demokratie.

Wahlsysteme: Mehrheits- und Verhältniswahl


Wahlen sind in einer Demokratie der zentrale Akt der Legitimation. Dabei ist es von besonderem Interesse, wie gewählt wird. Das Wahlsystem entscheidet darüber, wie die Wählerstimmen in Parlamentssitze umgesetzt werden und wie welche Partei im Parlament vertreten ist. Insofern ist die Entscheidung über das Wahlsystem nicht nur ein technischer, sondern auch ein zentraler politischer Vorgang. Denn durch demokratische Wahlen wird nicht nur die »Herrschaft auf Zeit« vergeben, sondern auch mit der Wahl des Parlaments entschieden, welche Parteien die parlamentarische Opposition stellen, deren Aufgabe die Kontrolle der Herrschaft der Mehrheit ist, sowie für einen Machtwechsel bereitzustehen.5 Das Wahlrecht steuert diesen Vorgang, so daß jede Änderung am Wahlrecht zugleich auch eine Veränderung der Machtverhältnisse und der Zuweisung der Rollen im Parlament nach sich ziehen kann.

Das Wahlrecht ist das zentrale Thema dieses Buches. Bevor es aber nun um die Details der Wahlrechtsreformen der letzten Jahre geht, soll hier zunächst ein Überblick über die wichtigsten Wahlsysteme und ihrer Eigenschaften gegeben werden. Die Wahlsysteme lassen sich grob in Mehrheitswahlrecht und Verhältniswahlrecht unterscheiden, von denen es allerdings verschiedene Varianten und auch Kombinationen gibt. Doch auch wenn die beiden Wahlrechtssysteme kombiniert werden, dominiert stets eines der beiden Systeme, dem das kombinierte Wahlsystem als Ganzes zuzurechnen ist.

Die Mehrheitswahl

Die Mehrheitswahl ist in der angloamerikanischen Welt verbreitet. Sowohl in Großbritannien als auch in den USA wird im Wesentlichen in Spielarten der Mehrheitswahl gewählt, aber auch in Frankreich wird die Zusammensetzung der Nationalversammlung über die Direktwahl der Kandidaten in den Wahlkreisen mit diesem Wahltyp bestimmt.

Zur Mehrheitswahl gehört die Direktwahl der Kandidat/innen in Wahlkreisen. Dabei gewinnen stets die Kandidat/innen den Wahlkreis, die die meisten Stimmen auf sich vereinigen können, und zwar, je nach System, in Form der absoluten Mehrheit (also mehr als 50%) oder der relativen Mehrheit (also allein die meisten Stimmen). Die Partei, die in einem solchen System die meisten Wahlkreise gewonnen hat, stellt in der Regel die Regierung. Dabei kann es in System mit relativer Mehrheitswahl durchaus sein, daß die gewinnende Partei keine Mehrheit unter den Wähler/innen hat. Aber auch in Systemen mit absoluter Mehrheitswahl sind die Wähler/innen in der Regel nicht entsprechend ihrer Stimmanteile bei der Wahl im Parlament repräsentiert, sondern allein mit den Kandidat/innen ihrer Partei, die die jeweiligen Wahlkreise gewonnen hat. Die Legitimation der Gewählten findet über die Direktwahl statt. Die Stimmen, die auf die unterlegenen Parteien in den jeweiligen Wahlkreisen entfallen, spielen für Zusammensetzung des Parlaments keine Rolle.6 Eine relative Mehrheitswahl garantiere hierbei nahezu immer, daß der Mehrheitswille der Bürger im Parlament gerade nicht repräsentiert werde.7

Hierin wird auch eines der Probleme der Mehrheitswahl gesehen: Im Hinblick auf die Repräsentation der Wähler/innen schneidet dieses Wahlsystem ausgesprochen schlecht ab.

Im System der Mehrheitswahl sind die Größe und der Zuschnitt der Wahlkreise von großer Bedeutung. Idealerweise sind alle Wahlkreise in etwa gleich groß, was in diesem Falle bedeutet, daß die Zahl der Wähler/innen in den Wahlkreisen weitgehend übereinstimmt. Dieser Wahlkreiszuschnitt ist geographisch nicht selten umstritten. Das Bild des salamanderförmigen Wahlkreises illustriert das. Abenteuerliche Formen der Wahlkreise entstehen, wenn die eine Gemeinde noch eingeschlossen, die andere jedoch ausgeschlossen werden soll, um die Wahlchancen der eigenen Kandidat/innen zu erhöhen.

Charakteristisch für Mehrheitswahlsysteme sind die Konzentration des parlamentarischen Parteiensystems und die Herausbildung von Einparteien-Regierungen.8 Sie führen oftmals zu zwei starken Parteien, die sich in der Regierungsverantwortung abwechseln. Beispiele hierfür sind – in der letzten Zeit mit gewissen Einschränkungen – die Tories und die Labour-Partei in Großbritannien sowie die Republikaner und Demokraten in den USA. In Großbritannien gab es zwischenzeitlich eine weitere Partei, die erstarkte und sogar, was für solche Wahltypen eher unüblich ist, in eine Koalitionsregierung mit den Tories eintreten konnte. Jedoch ist grundsätzlich davon auszugehen, daß Mehrheitswahlen grundsätzlich Zwei-Parteien-System mit Einparteien-Regierungen hervorbringen. In dieser Regierungsform fällt es der Regierungspartei leichter, ihr Wahlprogramm umzusetzen, was von den Befürwortern als Vorteil angesehen wird, von Kritikern hingegen als Nachteil. Denn ein solches Regierungssystem kann dazu führen, daß nach Regierungswechseln ein völlig anderer politischer Kurs eingeschlagen wird, in dessen Rahmen die Entscheidungen der Vorgängerregierung komplett revidiert werden, weil während der Regierungszeit entsprechende Kompromissen zwischen den Parteien nicht notwendig sind.

Befürworter der Mehrheitswahl betonen indes als vorrangige Funktion der Wahl, »regierungsfähige Mehrheiten und die Chance eines Machtwechsels sicherzustellen«.9 Dies sei durch ein relatives Mehrheitswahlsystem besser gewährleistet, weil die Wähler/innen hier nicht nur Einfluß auf die Zusammensetzung des Parlamentes, sondern auch Einfluß auf die Regierungsbildung hätten.10 Aus dieser Sicht wäre ein Verhältniswahlsystem nur akzeptabel, wenn die Sperrklausel auf zehn Prozent heraufgesetzt würde,11 wodurch letztlich, wie weiter unten noch zu diskutieren sein würde, das Verhältniswahlrecht zu einer Mehrheitswahlrecht würde.

Als weiteres Argument für die Mehrheitswahl dient den Befürworter/innen die (tatsächliche oder vermeintliche) mangelnde Zuordnung von Verantwortung zu den regierendenden Parteien. In einer Verhältniswahl mit Koalitionsregierungen hätten die Wähler/innen keine Möglichkeit, die Parteien der Koalitionsregierung zu sanktionieren, weil sie als einzelne Parteien anträten und die Verantwortung für das Regierungshandeln schwer zurechenbar sei,12 während in einem Mehrheitswahlsystem »eindeutige politische Verantwortungsverhältnisse«13 herrschten. Ein solches Verständnis legt zugrunde, daß bei den Wahlen zum Parlament eben nicht nur über dessen Zusammensetzung, sondern zugleich auch über die zu bildende Regierung entschieden werde.14

Ob tatsächlich ein Einfluß der Bevölkerung auf die Regierungsbildung im Mehrheitswahlrecht stärker vorliegt als im Verhältniswahlrecht, ist fraglich, denn mit beiden Systemen wird zunächst einmal über die Zusammensetzung der Parlamente entschieden. Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß Mehrheitswahlsysteme stärker dazu neigen, einer Partei allein eine absolute Mehrheit zu verschaffen als Verhältniswahlsysteme. Dabei bestehen die Mehrheiten gerade in relativen Mehrheitswahlsystemen oftmals aus einer Minderheit der Wähler/innen, wie oben bereits ausgeführt wurde. Und daß auch in Verhältniswahlsystemen Parteien für ihre Leistungen oder Nicht-Leistungen in der Regierung als Koalitionspartner sanktioniert werden können, zeigt das Scheitern der FDP bei der Bundestagswahl 2013 an der Sperrklausel, nachdem sie in der vorangegangenen Wahlperiode Teil einer Koalitionsregierung mit der CDU waren.

Die Notwendigkeit einer Mehrheitswahl ergibt sich bei der Besetzung von Ämtern. Bei der Wahl eines Oberbürgermeistes ist der Einsatz einer Verhältniswahl unvorstellbar, denn dieser wird in seinem Amt unmittelbar aus der Mehrheitswahl legitimiert. Um so wichtiger ist gerade bei der Besetzung solcher Wahlämter, daß der gewählte Inhaber über eine hinreichende Legitimation verfügt, die in der Regel über eine Stichwahl hergeleitet wird, wenn im ersten Wahlgang keiner der Kandidat/innen eine absolute Mehrheit erreicht.

Stichwahl bei der Mehrheitswahl

Hinsichtlich der Mehrheitswahl ist der wichtige Aspekt der Legitimationsgewinnung durch eine Stichwahl zu diskutieren. Erreicht bei einer Personenwahl im Rahmen des Mehrheitswahlrechts keiner der Kandidaten/innen die absolute Mehrheit, also mehr als 50% der Stimmen, kommt es in der Regel zu einer Stichwahl, zumeist zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten/innen. Hier entscheidet – außer bei Stimmengleichheit – dann die zweite Runde der Wahl über den Wahlsieger. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß der gewählte Kandidat über die Unterstützung von mehr als die Hälfte der Wähler/innen verfügen sollte. Würde ein Amtsinhaber mit weniger als der Hälfte der abgegebenen Stimmen gewählt, könnte dies seine Autorität und Legitimation in Frage stellen.

Bei der Direktwahl von Oberbürgermeistern, Bürgermeistern und Landräten findet in der Regel eine Stichwahl statt, sofern keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit...

Erscheint lt. Verlag 6.11.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7583-8954-2 / 3758389542
ISBN-13 978-3-7583-8954-2 / 9783758389542
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 419 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Mein Leben in der Politik

von Wolfgang Schäuble

eBook Download (2024)
Klett-Cotta (Verlag)
29,99
Mit „Green Growth“ gegen den Klimawandel und für die …

von Hans-Jörg Naumer

eBook Download (2023)
Springer Fachmedien Wiesbaden (Verlag)
9,99